[82] (Athen; ein Zimmer im Gefängniß).
(Kerkermeister, Doctor und Freier treten auf.)
DOCTOR. Nicht wahr, wenn der Mond scheint, so pflegt es immer schlimmer mit ihr zu gehen?
KERKERMEISTER. Sie ist immerfort nicht bei Sinnen; aber auf eine harmlose Weise, schläft wenig, ißt fast gar nichts, trinkt viel und spricht nur immer von einer andern, bessern Welt. Was ihr auch durch den Kopf geht, in alles mischt sie[82] den Namen Palämon ein. Seht, da kommt sie. Beobachtet sie genau.
(Die Tochter tritt auf.)
TOCHTER. Ich hab' es ganz vergessen. Der Refrain war »Ducke dich, ducke dich«, und kein Schlechterer hat es gemacht, als Gerrold, Emiliens Schulmeister. Er ist ein solcher Phantast, wie es keinen zweiten mehr auf Erden gibt; in der andern Welt aber wird Dido den Palämon zu sehen bekommen, und dann ist es mit der Liebe zu Aeneas aus.
DOCTOR. Was sie für Unsinn redet. Armes Mädchen!
KERKERMEISTER. So geht es den ganzen Tag.
TOCHTER. Was den Zauber anbetrifft, von dem ich Euch sagte, so müßt Ihr Euch ein Silberstück auf die Zungenspitze legen, sonst geht es nicht. Wenn wir dann zu den seligen Geistern kommen – und warum sollte das nicht geschehen? – so werden wir Mädchen, die ihre Herzen verloren haben, weil die Liebe sie in Stücke brach, den ganzen Tag über nichts weiter thun, als mit Proserpina Blumen pflücken, dann werd' ich einen Strauß binden für Palämon und werde dann – merkt auf – werde –
DOCTOR. Wie lieblich sie in ihrem Wahnsinn ist! Laßt sie mich noch etwas länger beobachten.
TOCHTER. Ihr könnt mir's glauben, manchmal gehen wir auch zum Erntetanz, das heißt, wir Seligen. Ach, die an dem andern Ort da führen ein trauriges Leben; nichts als Brennen, Braten, Sieden, Heulen, Zähnklappern und Fluchen. Hu, hu! Sie leiden schreckliche Qualen. Nehmt euch in Acht! Ist einer toll oder erhängt oder ersäuft sich, so kommt er dahin. Zeus bewahre uns davor. Da steckt man uns in große bleierne Kessel mit Wuchererschmalz, zusammen mit tausend Beutelschneidern und kocht uns darin wie Schinken, ewig, ewig!
DOCTOR. Was das für Phantasien sind!
TOCHTER. Vornehme Herren und Hofleute, die Mädchen geschwängert haben, sind auch da drin: dort müssen sie bis zum Nabel im Feuer und bis zum Herzen in Eis stehen. Womit sie gesündigt haben, das brennt, und womit sie betrogen haben, das friert. Doch eine harte Strafe für solch eine Kleinigkeit. Mancher würde lieber eine aussätzige Hexe heirathen, um nur davon loszukommen, das könnt ihr mir glauben.
DOCTOR. Sie hält immer ein und dasselbe fest. Ausgesprochene Tollheit ist das nicht, aber eine schwere Melancholie.[83]
TOCHTER. Horch! Da heulen eine vornehme Dame und ein stolzes Kaufmannsweib miteinander. Ein Vieh wär' ich, wenn ich daran Vergnügen fände. – Die eine schreit: »O, dieser Rauch«; die andre: »O, dieses Feuer«. Die eine jammert: »Ach, daß ich es hinter dem Vorhang that«, und heult dann; die andere verflucht den drängenden Bewerber und das Gartenhaus. (Singt.) »Mein Glück, mein Stern, dir bleib' ich treu!« (Ab.)
DOCTOR. Ich meine, ihr Geist ist zerrüttet, und da kann ich wohl nicht helfen.
KERKERMEISTER. Ach, was soll dann werden?!
DOCTOR. Habt Ihr einen Begriff davon, ob sie je einem gut war, bevor sie Palämon erblickte?
KERKERMEISTER. Vordem hoffte ich stark, daß sie ihre Neigung diesem meinem jungen Freunde hier geschenkt hätte.
FREIER. Ich glaubte das auch, und würde gern mein halbes Vermögen darum geben, daß wir miteinander noch auf demselben Fuße stehen sollten.
DOCTOR. Die Unmäßigkeit ihrer Augen hat das Gleichgewicht ihrer übrigen Sinne gestört. Diese können sich ermannen und ihre regelmäßigen Functionen wieder aufnehmen, doch vor der Hand sind sie in der größten Verwirrung. Was Ihr zu thun habt, ist Folgendes: Haltet sie in einem Zimmer, in welches nur wenig Tageslicht hineinscheint. Ihr, junger Freund, nehmt den Namen Palämon an und sagt, Ihr kämet zu ihr, um mit ihr zu essen und in Liebe zu verkehren. Das wird ihre Aufmerksamkeit erregen und ihren Geist auf einen bestimmten Punkt festhalten, während sonst alle andern Gegenstände, die zwischen ihr Auge und ihr Begriffsvermögen treten, zum Spielball ihrer Tollheit werden. Singt ihr solche Lenz- und Liebeslieder vor, wie sie von Palämon im Gefängniß gehört hat, steckt Euch schöne Blumen ins Knopfloch, wie die Jahreszeit gerade bietet, und benetzt dieselben außerdem noch mit wohlriechenden Essenzen, die den Sinnen schmeicheln. Alles das wird sie an Palämon erinnern, denn Palämon versteht zu singen, ist immer sanft und freundlich und stets guter Dinge. Besteht darauf, mit ihr zu essen, schneidet ihr vor, trinkt ihr zu und thut überhaupt Euer Bestes, ihre Liebe und Zuneigung zu gewinnen. Erkundigt Euch, wer von den jungen Mädchen ihre Spielgenossinnen gewesen sind, und sorgt dafür, daß dieselben den Namen Palämon immer im Munde führen und häufige Anspielungen auf ihn machen.[84] Der Zustand, in welchem sie sich befindet, ist ein unwahrer und deshalb muß er auch mit Unwahrheiten bekämpft werden. – Auf diese Weise, hoffe ich, wird sie dahin gebracht werden, wieder zu essen und zu schlafen, wodurch alles, was bei ihr jetzt in Unordnung gerathen ist, wieder in die frühere Ordnung zurückkehrt. Das habe ich schon oft bewährt gefunden, öfter, als ich es Euch sagen kann, und daß dies auch hier der Fall sein wird, davon bin ich fest überzeugt. Im weitern Verlaufe der Cur steht Euch meine ärztliche Hülfe natürlich immer zu Diensten. Beginnt nur nun damit und beschleunigt auf diese Weise den Erfolg, der Euch Trost und Erleichterung bringen möge.
(Alle ab.)
(Der Vorhang fällt.)
Ausgewählte Ausgaben von
Die beiden edlen Vettern
|
Buchempfehlung
»Fanni war noch jung und unschuldigen Herzens. Ich glaubte daher, sie würde an Gamiani nur mit Entsetzen und Abscheu zurückdenken. Ich überhäufte sie mit Liebe und Zärtlichkeit und erwies ihr verschwenderisch die süßesten und berauschendsten Liebkosungen. Zuweilen tötete ich sie fast in wollüstigen Entzückungen, in der Hoffnung, sie würde fortan von keiner anderen Leidenschaft mehr wissen wollen, als von jener natürlichen, die die beiden Geschlechter in den Wonnen der Sinne und der Seele vereint. Aber ach! ich täuschte mich. Fannis Phantasie war geweckt worden – und zur Höhe dieser Phantasie vermochten alle unsere Liebesfreuden sich nicht zu erheben. Nichts kam in Fannis Augen den Verzückungen ihrer Freundin gleich. Unsere glorreichsten Liebestaten schienen ihr kalte Liebkosungen im Vergleich mit den wilden Rasereien, die sie in jener verhängnisvollen Nacht kennen gelernt hatte.«
72 Seiten, 4.80 Euro