[85] (Athen. Man sieht drei Altäre mit den Inschriften: Mars, Venus und Diana.)
Theseus, Hippolyta und Pirithous nebst Gefolge treten auf. Trompetenstöße.
THESEUS.
Sie mögen nun sich nah'n und zu den Göttern
In frommer Andacht flehen. Laßt die Tempel
Von heil'gen Feuern flammen und empor
Von den Altären reichen Weihrauch steigen
Zu jenen über uns. Versäumet nichts,
Denn edel ist das Werk, zu dem sie schreiten,
Und ehren soll's die gnadenreichen Götter!
PIRITHOUS.
Sie nahen, Herr!
(Arcites und Palämon, ein jeder mit seinen drei Rittern, treten auf).
THESEUS.
Ihr blutsverwandten Fürsten,
Unausgesöhnte Feinde, die ihr kamt,
Den Hader zwischen euch heut auszutragen,
Vergeßt in dieser Stunde euren Zorn
Und beugt in Demuth eure trotz'gen Leiber
Vor eurer Helfer heiligen Altären,
Der Götter, die ihr fürchtet. Euer Groll[85]
Ist mehr als menschlich, so sei euer Beistand!
Die Götter schaun auf euch; drum kämpfet ehrlich!
Ich wünsche Glück dem einen wie dem andern.
PIRITHOUS.
Dem Würdigsten von euch der Ehre Kranz!
(Theseus, Hippolyta, Pirithous und Gefolge ab.)
PALÄMON.
Eh' jetzt der Sand im Stundenglas verronnen,
Ist einer von uns todt. Bedenk' nur dies:
Wär' etwas in mir, das in dieser Sache
Mich hindern wollt', etwa ein Aug' das andre,
Ein Arm den andern, von mir würf' ich es,
Ob's schon ein Theil von mir, – das thät' ich, Vetter!
Daran erkenn', ob ich dich schonen kann.
ARCITES.
Mir kostet's Müh' und Arbeit, deinen Namen,
Unsre Verwandtschaft, deine alte Liebe
Aus meinem Angedenken zu verbannen
Und etwas andres dafür hinzustellen,
Das ich vernichten möcht'. Doch laß uns nun
Die Segel hissen, welche unsre Schiffe
Zu jenen Häfen tragen, die die Götter
Bestimmt uns haben.
PALÄMON.
Das war wohlgesprochen!
Bevor ich geh', laß dich umarmen, Vetter,
Noch einmal – nie dann wider!
(Sie umarmen sich.)
ARCITES.
Lebe wohl!
PALÄMON.
Das Schicksal will es, lebe wohl!
ARCITES.
Leb' wohl!
(Palämon mit seinen drei Rittern ab.)
ARCITES.
Ihr, edle, Ritter, Freunde, Anverwandte,
Die ihr bereit seid, euch für mich zu opfern,
Mars' tapf're Söhne, dessen Geist in euch
Jedwede Furcht und Bangigkeit verscheucht,
Laßt jetzt uns vor den Gott, den wir bekennen,
Gemeinsam treten, und des Löwen Herz,
Des Tigers Wuth, Furchtlosigkeit und Schnelle,
Der Schlange List und Klugheit uns erflehn.
Ihr wißt, der Preis, um den ich werbe, muß
Mit Blut errungen werden; großer Thaten
Bedarf's, den Kranz mir auf das Haupt zu setzen,
In welchem sie als schönste Blume prangt.
Drum lasset uns an jenen Gott uns wenden,
Der auf der Wahlstatt, roth vom Blut der Kämpfer,[86]
Gebietend waltet. Steht mir dazu bei
Und beugt im Geiste auch vor seiner Macht!
(Sie treten vor den Altar des Mars, fallen auf das Angesicht und knien dann.)
Gewaltiger, der du der Meere Grün
In Purpurroth verwandelst; dessen Nah'n
Kometen uns verkünden, dessen Fuß
Auf weitem Blachfeld Spuren der Verwüstung
Und bleichende Gebeine hinterläßt;
Dess' Athem Ceres' Kinder niedermäht
Und dessen starke Hand aus luft'ger Höhe,
Der Thürme Zinnen stürzt, volkreicher Städte
Steingürtel baut und gleich der Erde macht:
Verleihe deinem Zögling, mir, dem Jüngsten,
Der deinem Schlachtruf folgte, Kraft und Weisheit,
Daß er zu deiner Ehr' sein Fähnlein schwinge,
Und du als Held des Tags ihn krönen kannst.
Gib, großer Mars, ein Zeichen deiner Gunst!
(Hier fallen alle wie vorher auf das Angesicht. Man vernimmt Waffengeklirr und kurzes Donnerrollen, worauf alle sich gegen den Altar verbeugen.)
Du, der die Zeit, die aus den Fugen ging,
Von neuem wieder fügst, – entnervte Reiche
Zertrümmerst, – über Staub und alte Rechte
Gericht hältst, – wenn die Erde krank, mit Blut
Sie heilest und vor Uebervölk'rung
Die Welt bewahrst: ich nehme dies, dein Zeichen,
Als glückverheißend an und gehe kühn
In deinem Namen an mein Werk. Kommt alle!
(Arcites und die Ritter ab.)
(Palämon und seine Ritter treten wieder auf.)
PALÄMON.
In neuem Glanze müssen unsre Sterne
Aufgehen heute oder ganz verlöschen.
Um Liebe kämpfen wir, und wem die Göttin
Die Braut bestimmt, dem gibt sie auch den Sieg.
So eint euch jetzt, die ihr aus Edelmuth
Um meinetwillen kämpfen, wagen wollt',
Im Geist mit mir. Laßt das, was wir beginnen,
Der Göttin Venus Gnade uns empfehlen
Und ihre starke Hülfe uns erflehn!
(Sie treten vor den Altar der Venus, fallen auf das Angesicht und knien dann.)
Heil dir, geheimnißvolle Herrscherin,
Die du die Macht hast, des Tyrannen Wuth[87]
Zu bänd' gen, daß er wie ein Mädchen weint, –
Mit einem einz'gen Winke deines Auges
Mars' Trommel läßt verstummen und den Lärm
Der Schlacht zu leisem Flüstern sich verlieren.
Den Krüppel läßt du seine Krücke schwingen
Und heilest trotz Apollo ihn. Den König
Machst du zum Unterthanen seines eignen
Vasallen, – lässest steife Gravität
Im Tanz sich drehen, – läßt den Hagelstolz,
Dess' Jugend deine Flamme übersprang
(Wie wilde Buben über Freudenfeuer),
Mit siebzig Jahren spät noch Feuer fangen
Und, wie zum Spotte seiner heisern Kehle,
Verliebte Lieder singen. Welche Macht,
Wie groß auch, könnte deiner sich vergleichen?!
Die Flammen Phöbus' mehrst du mit den deinen,
Die heißer noch als seine Flammen glühn.
Das Himmelsfeuer sengte ihm den Sohn,
Den sterblichen, doch du versengst ihn selbst.
Diana, doch bekannt als streng und kalt,
Warf hin den Bogen und begann zu seufzen.
– In Gnaden nimm mich an als deinen Jünger!
Geduldig hab' ich stets dein Joch getragen,
Wie einen Kranz von Rosen, ob es schwerer
Als Blei auch war und mehr als Nesseln sticht.
Nie hab' ich wider dein Gesetz gegrollt,
Geheimes nie verrathen, denn mir war
Ja nichts bekannt, doch hätt's auch nicht gethan,
Wenn alles offenbar mir wär' gewesen.
Nie hab' ich eines andern Weib verführt,
Vielmehr bin ich erröthet, wenn ich sah,
Wie andre es versuchten. Heftig frug ich
Und zürnend dann: Habt ihr denn keine Mutter?
Ich hatte eine und sie war ein Weib,
Wie also könnet ihr ein Weib beleid'gen?
Dabei erzählt' ich, daß ich einen Mann
Von achtzig Jahren hätt' gekannt, der sich
Mit einer Jungfrau hätt' vermählt von Vierzehn,
Denn so verjünget deine Macht den Staub!
Des Alters Krämpfe hatten seine Füße
Verborgen, Gicht die Finger ihm gekrümmt;[88]
Die stieren Augen hatten heft'ge Schmerzen
Aus ihren Höhlen ihm herausgetrieben,
Was in ihm Leben war, war eitel Qual.
Und doch erzielte diese halbe Leiche
Mit ihrer Gattin einen kräft'gen Buben!
Daß er der Vater war, bezweifl' ich nicht,
Denn sie beschwor's, und wer mußt' ihr nicht glauben
Genug – zu denen, die's gethan und plaudern,
Gehör' ich nicht, – noch weniger zu denen,
Die 's nicht gethan und doch sich dessen rühmen,
Wie ich dagegen über die kann lachen
Die's hätten gern gethan, und nur nicht konnten.
Doch jene hass' ich, die gewährte Huld
Mit Namensnennung unverschämt verkünden.
So bin ich, – und beschwören kann ich es,
Nie seufzte ein Verliebter wahrer, treuer.
Und darum, holde Göttin, laß mich siegen
In diesem Kampf, der treuer Liebe soll
Den Lohn verleihn, und segne gnädig mich
Mit einem Zeichen deines Wohlgefallens.
(Musik läßt sich vernehmen, Tauben flattern über die Bühne. Die Ritter fallen auf ihr Angesicht und knien dann.)
O du, die in der Brust der Sterblichen
Von elf bis neunzig herrschest – deren Plan
Die ganze Welt und wir ihr Wild! Ich danke
Für dieses Zeichen, das mir Zuversicht
Ins Herze gießt und meinen Gliedern Kraft
Zu diesem Werk verleiht. – Steht auf und laßt
In Ehrfurcht von der Himmlischen uns scheiden,
Denn es ist Zeit!
(Sie verbeugen sich und gehen ab. Die Flötenmusik dauert fort. Emilia, weiß gekleidet mit herabwallendem Haar, einen weißen Kranz auf dem Haupte, tritt auf. Eine ebenfalls weißgekleidete Jungfrau trägt ihr die Schleppe, eine andere, die ihr vorangeht, eine Hirschkuh von Silber, welche mit Weihrauch und Spezereien angefüllt ist, und stellt dieselbe auf Diana's Altar nieder. Während die übrigen Jungfrauen sich um den Altar stellen, zündet Emilia den Weihrauch an.)
EMILIA.
Du heil'ge, keusche Königin der Nacht,
Verächt'rin wilder Lust, stummwandelnde,
In einsamer Betrachtung, hehre, reine,
Du, reiner als der frischgefall'ne Schnee,
Die ihren Dienerinnen mehr des Bluts
Nicht zuertheilt, als zum Erröthen nöthig,[89]
Dem Ordenskleid, das deine Jünger tragen:
Vor deinem Altar knie' ich, deine Priest'rin,
In Demuth hier! O blicke gnadenreich
Mit deinem Auge, das Unreines flieht,
Auf mich, die Jungfrau! Leihe, Silberreine,
Dein Ohr, das nie unkeuschem Wort gelauscht
Und sich unzücht'ger Rede stets verschloß,
Dem, was ich hier mit heil'ger Bitt' erflehe,
Der Jungfrau letzter Opferdienst ist dies.
Als Braut geschmückt, bin ich doch Mädchen noch;
Bestimmt ist mir ein Gatte, aber welcher
Von zweien weiß ich nicht. Ich soll den einen
Von ihnen wählen und für ihn den Sieg
Erbitten von den Göttern. Doch ich kann
Mich dieser Wahl nicht schuldig machen; lieber
Gäb' ich ein Auge hin, als daß ich einen
Von ihnen schickte in den sichern Tod.
Darum laß du, sittsame Königin,
Von beiden Freiern den, der mir am meisten
In Liebe und in Treue zugethan,
Den weißen Kranz von meinem Haupte nehmen.
Sonst aber, Himmlische, gestatte mir,
Daß ich der Jungfrau Stell' und Eigenschaft,
Die ich in deiner Schar besaß, behalte.
(Hier versinkt die Hirschkuh in den Altar; dafür steigt aus demselben ein Rosenstock mit Einer Blüte empor.)
Seht, was der Ebb' und Flut Gebieterin
Aus ihres heil'gen Altars Eingeweiden
Erstehen läßt in feierlichem Act,
Nur eine einz'ge Rose! Deut' ich recht,
So rafft der Kampf die beiden Tapfern hin,
Und einsam soll ich jungfräuliche Blume
Und ungepflückt verblühn.
(Hier erschallt eine lebhafte Musik. Die Rose fällt von dem Stocke ab, der zugleich im Altar verschwindet.)
Die Blume fiel, der Stock verschwand! O, Herrin,
Entlassen hast du mich! So scheint es demnach
Daß ich gepflückt soll werden? Doch dein Wille
Ward mir nicht klar. Enthülle das Geheimniß
Und zürne nicht! Verheißend war das Zeichen!
(Sie verbeugen sich alle und gehen ab.)[90]
Ausgewählte Ausgaben von
Die beiden edlen Vettern
|
Buchempfehlung
Nach der Niederlage gegen Frankreich rückt Kleist seine 1808 entstandene Bearbeitung des Hermann-Mythos in den Zusammenhang der damals aktuellen politischen Lage. Seine Version der Varusschlacht, die durchaus als Aufforderung zum Widerstand gegen Frankreich verstanden werden konnte, erschien erst 1821, 10 Jahre nach Kleists Tod.
112 Seiten, 5.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.
468 Seiten, 19.80 Euro