Vierte Scene

[100] (Ebendaselbst.)


Palämon mit seinen Rittern gefesselt. Kerkermeister, Henkersleute und andere treten auf. Wache.


PALÄMON.

So mancher lebt, der seines Volkes Liebe

Längst überlebt hat, und dasselbe gilt

Von manchen Vätern und von manchen Kindern.

In dem Gedanken liegt ein kleiner Trost,

Wir sterben doch, von andern noch beklagt,

Man wünscht uns, daß wir länger leben möchten.

Des Alters böse Zeit bleibt uns erspart.

Der Gicht und Gliederschmerzen schweren Pein,

Die an des Lebens Ende auf uns lauert,

Entgehen wir. Wir kommen zu den Göttern

Noch jung und frisch, von Lastern und Verbrechen

Noch nicht befleckt. So werden sie uns auch

Willkommenheißen und vor jenen andern

Mit Nektar tränken, da wir reine Geister.

Doch immer gebt ihr, liebe Anverwandte,

Zu wohlfeil euer junges Leben noch

Für diesen kümmerlichen Trost dahin.

ERSTER RITTER.

Wir sind mit solchem guten Tod zufrieden.

Die Sieger hatten nur für sich das Glück,

Dem der Erfolg gewiß, wie uns der Tod.

An keines Körnchens Ehre überwiegen

Sie uns![100]

ZWEITER RITTER.

Laßt Lebewohl uns sagen, Brüder,

Und setzen wir das wankelmüth'ge Glück

Durch unsere Geduld in helle Wuth!

DRITTER RITTER.

Wer macht den Anfang?

PALÄMON.

Wem als mir, der euch

Zu dem Bankete führte, käm' es zu,

Davon zuerst zu kosten? –


(Zum Kerkermeister.)


Ha, mein Freund,

Dein holdes Kind gab mir einmal die Freiheit,

Du sollst sie nun für alle Zeit mir geben.

Wie geht es ihr? Man sagte, sie sei krank?

Daß sie so leiden muß, betrübt mich sehr!

KERKERMEISTER.

Sie ist genesen, Herr, und hält bald Hochzeit.

PALÄMON.

Bei meinem Restchen Leben, das ist schön,

Das freut mich, sag' ihr das, grüß' sie von mir

Und gib ihr dies!


(Er gibt ihm seine Börse.)


ERSTER RITTER.

Wir steuern alle bei!

ZWEITER RITTER.

Ist sie noch Jungfrau?

PALÄMON.

Ja gewiß, das denk' ich,

Ein gutes, liebes Wesen, dem ich mehr

Verdanke, als ich sagen kann und lohnen!


(Sie geben dem Kerkermeister alle ihre Börsen.)


KERKERMEISTER.

Nehmt ihren Dank, die Götter lohnen's euch!

PALÄMON.

Und nun lebt wohl! Mach's kurz mit meinem Leben,

Wie ich mit meinem Abschied!

ERSTER RITTER.

Führ' uns an,

Wir folgen willig dir, geliebter Bruder!


(Palämon legt sein Haupt auf den Block. Man hört hinter der Bühne Geräusch und die Rufe: »Lauft, rettet, halt!« Ein Bote tritt eilig auf.)


BOTE.

Halt, halt, ums Himmels willen, haltet ein!


(Pirithous tritt eilig auf.)


PIRITHOUS.

Halt ein, halt ein! Verwünscht sei Eure Hast,

Wie leicht wär's nicht geschehn! – Edler Palämon,

Die Götter wollen dir zu ihrem Ruhm

Das Leben noch verlängern!

PALÄMON.

Ist es möglich,

Obschon ich sagte, daß mir Venus log?

Wie ging das zu?

PIRITHOUS.

Erheb' dich, edler Herr,[101]

Und leih' dein Ohr der Nachricht, die ich bringe,

Die freudevoll zugleich schmerzlich ist!

PALÄMON.

Was weckt uns so aus unserm Traum?

PIRITHOUS.

Vernimm!

Das Roß, das ihm Emilia jüngst geschenkt,

Bestieg Arcites. Schwarz ist's wie die Nacht,

Kein weißes Haar an ihm, was seinen Werth,

Wie manche meinen, eben nicht vermehrt,

Da es vorweg auf Tücke schließen läßt;

Wer abergläubisch ist, wird ihm nicht trau'n.

Auf diesem Pferd durchritt Arcit die Straßen

Athens, – langsamen Schritts, als ob die Steine

Er zählen wolle, während ja das Thier,

Hätt' seine Kunst der Reiter zeigen wollen,

Ihn wie ein Pfeil dahingetragen hätte.

So aber ließ er's zur Musik der Hufen

Nur zierlich tanzen. (Sagt man doch, Musik

Sei aus des Eisens Klang zuerst entstanden.)

Da plötzlich zuckt aus einem neid'schen Kiesel,

Kalt wie Saturn und g'rade so wie er

Bösart'gen Feuers voll, ein Funke her!

Das Pferd, so hitzig wie das Feuer selbst,

Erschrickt, macht einen Satz, stemmt sich zurück,

Kennt keine Zucht und Ordnung mehr, – dem Sporn

Gehorcht es nicht, schreit wie ein junges Schwein,

Geräth in Wuth und sucht auf alle Weise

Durch Bocken sich des Reiters zu entled'gen.

Der aber sitzt in seinem Sattel fest;

Der Zaum ist stark, der Sattelgurt platzt nicht,

Ausschlagen ist umsonst, der Reiter drückt

Es mächtig auf die Hinterbeine nieder –

Da bäumt es sich empor, sodaß die Füße

Arcit's hoch über seinem Kopfe stehn,

Als hing er in der Luft; der Siegeskranz

Fällt ihm vom Haupt und hintenüber stürzt

Das wilde Thier und deckt mit seiner Last

Des edlen Reiters Leib! –

Noch lebt er zwar,

Doch ist ein Schiff nur, das die nächste Welle

Verschlingen muß. Noch einmal wünscht er Euch

Vor seinem Tod zu sprechen. Seht, er naht!


[102] (Theseus, Hippolyta, Emilia. Arcites wird in einem Lehnsessel hereingetragen.)


PALÄMON.

O, unglücksel'ges Ende unsrer Freundschaft!

Allmächtig sind die Götter! – Wenn dein Herz,

Dein würdig, männlich Herz noch schlägt, Arcites,

So sprich ein letztes Wort zu mir. Ich bin

Palämon, der dich Sterbenden noch liebt.

ARCITES.

Nimm du Emilien und nimm mit ihr

Die ganze Lust der Welt. Gib mir die Hand,

Leb' wohl! Mein Stundenglas ist abgelaufen.

Geirrt hab' ich, doch treulos war ich nie!

Vergib mir, Vetter. – Einen einz'gen Kuß

Emilia nur –


(Er küßt sie.)


so, so – nun nimm sie hin.

Ich sterbe!


(Stirbt.)


PALÄMON.

Seine Heldenseele zog

Jetzt in Elysium ein!

EMILIA.

Laß mich die Augen

Dir schließen, Fürst! Nun bei den Sel'gen wohne!

Solang' ich lebe will ich diesen Tag

Den Thränen weihn!

PALÄMON.

Und ich dem Ruhm des Helden!

THESEUS.

An dieser Stelle fochtet ihr zuerst,

Hier trennt' ich euch. Den Göttern bringe Dank,

Daß du noch lebst und athmest. Seine Rolle

Hat er nun ausgespielt, und war sie kurz,

So hat er doch als Meister sich bewährt.

Dein Tag ist länger und des Himmels Segen

Troff auf dich nieder. Venus, die Gewalt'ge,

Bewährte ihres Altars Kraft an dir

Und gab dir, was du liebst, wogegen Mars,

Der Krieger Herr, Arcit den Sieg verlieh,

Wie sein Orakel diesem es verheißen.

So zeigten sich die Götter euch gerecht. –

Tragt jetzt den Todten fort!

PALÄMON.

O Vetter, Vetter!

Daß wir, was wir begehrten, selber uns

Dann wieder rauben und den Schatz der Liebe

Mit dem Verlust der Lieb' erkaufen mußten!

THESEUS.

Nie hat das Glück ein schlau'res Spiel gespielt,

Denn der Besiegte triumphirt, der Sieger

Erlag, und dabei haben sich die Götter

Der Einmischung enthalten. Dir, Palämon,[103]

Gestand dein Vetter selbst das Vorrecht zu

Auf die Geliebte, da du sie zuerst

Erblickt und deine Liebe gleich erklärtest.

Er gab sie dir zurück, wie ein Juwel,

Das er dir stahl, und bat dich um Verzeihung,

Damit er ruhig und in Frieden sterbe.

Die Götter nehmen die Gerechtigkeit

Aus meiner Hand und üben selber sie.

Jetzt führe, die du liebst, hinweg von hier

Und ruf' vom Henkerblocke die Gefährten,

Sie sollen fortan meine Freunde sein.

Zwei Tage oder drei weihn wir der Trauer,

Bis wir Arcit zur Erd' bestattet haben.

Dann aber ziehn wir Hochzeitskleider an

Und jubeln mit Palämon, den ich noch

Betrauerte vor einer Stunde, während

Ich froh war mit Arcit. Jetzt thut Arcit

Mir leid und mit Palämon freu' ich mich!

– Ihr Zauberer dort droben, sagt, was macht ihr

Aus uns für Wesen? Laßt bei dem uns jubeln,

Was wir verlieren, und bei dem uns trauern,

Was wir erlangen. Wahre Kinder sind wir!

Doch laßt uns dankbar sein für das, was ist,

Und haben nicht mit Euch, den über uns

Allmächtig Waltenden. Kommt jetzt mit mir,

Und was die Zeit verlangt, das laßt uns thun!


(Alle ab.)


(Der Vorhang fällt.)


Ende[104]


Quelle:
Die englische Bühne zu Shakespeare's Zeit. Zwölf Dramen seiner Zeitgenossen. Leipzig: Brockhaus, 1890, S. 100-105.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Die beiden edlen Vettern
Die beiden edlen Vettern: The two noble Kinsmen

Buchempfehlung

Goldoni, Carlo

Der Diener zweier Herren. (Il servitore di due padroni)

Der Diener zweier Herren. (Il servitore di due padroni)

Die Prosakomödie um das Doppelspiel des Dieners Truffaldino, der »dumm und schlau zugleich« ist, ist Goldonis erfolgreichstes Bühnenwerk und darf als Höhepunkt der Commedia dell’arte gelten.

44 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon