[167] Windsor. Ein Zimmer im Schlosse.
Bolingbroke als König, Percy und andre Lords treten auf.
BOLINGBROKE.
Weiß wer von meinem ungeratnen Sohn?
Drei volle Monat' sind's, seit ich ihn sah:
Wenn irgend eine Plag' uns droht, ist's er.
Ich wollte, Lords, zu Gott, man könnt' ihn finden;
Fragt nach in London, um die Schenken dort:
Da, sagt man, geht er täglich aus und ein
Mit ungebundnen lockern Spießgesellen,
Wie sie, so sagt man, stehn auf engen Wegen,
Die Wache schlagen, Reisende berauben;
Indes er, ein mutwillig weibisch Bübchen,
Es sich zur Ehre rechnet, zu beschützen
So ausgelaßnes Volk.
PERCY.
Vor ein paar Tagen, Herr, sah ich den Prinzen
Und sagt' ihm von dem Schaugepräng' in Oxford.
BOLINGBROKE.
Was sagte drauf der Wildfang?
PERCY.
Die Antwort war, er woll' ins Badhaus gehn,
Der feilsten Dirne einen Handschuh nehmen,
Um ihn als Pfand zu tragen, und mit dem
Den bravsten Streiter aus dem Sattel heben.
BOLINGBROKE.
So liederlich wie tollkühn! Doch durch beides
Seh' ich noch Funken einer bessern Hoffnung,
Die ältre Tage glücklich reifen können.
Doch wer kommt da?
Aumerle tritt hastig ein.
AUMERLE.
Wo ist der König?
BOLINGBROKE.
Was ist unserm Vetter,
Daß er so starrt und blickt so wild umher?
AUMERLE.
Gott schütz' Eu'r Gnaden! Ich ersuch' Eu'r Majestät
Um ein Gespräch, allein mit Euer Gnaden.[167]
BOLINGBROKE.
Entfernet euch, und laßt uns hier allein!
Percy und die Lords ab.
Was gibt es denn mit unserm Vetter nun?
AUMERLE knieend.
Für immer soll mein Knie am Boden wurzeln,
Die Zung' in meinem Mund am Gaumen kleben,
Wenn ich aufsteh' und red', eh' Ihr verzeiht!
BOLINGBROKE.
War dies Vergehen Vorsatz oder Tat?
Wenn jenes nur, wie heillos dein Beginnen,
Verzeih' ich dir, dich künftig zu gewinnen.
AUMERLE.
Erlaubt mir denn, den Schlüssel umzudrehn,
Daß niemand kommt, bis mein Bericht zu Ende.
BOLINGBROKE.
Tu' dein Begehren!
Aumerle schließt die Türe ab.
YORK draußen.
Mein Fürst, gib Achtung! Sieh dich vor!
Du hast ja einen Hochverräter bei dir.
BOLINGBROKE.
Ich will dich sichern, Schurk'.
AUMERLE.
Halt' ein die Rächerhand,
Du hast nicht Grund zu fürchten!
YORK draußen.
Mach' auf die Tür, tollkühner, sichrer König!
Muß ich aus Liebe dich ins Antlitz schmähn?
Die Tür auf, oder ich erbreche sie!
Bolingbroke schließt die Türe auf. York tritt ein.
BOLINGBROKE.
Was gibt es, Oheim? Sprecht!
Schöpft Odem, sagt, wie nah uns die Gefahr,
Daß wir uns waffnen können wider sie!
YORK.
Lies diese Schrift, sei vom Verrat belehrt,
Den meine Eil' mir zu berichten wehrt!
AUMERLE.
Bedenke, wenn du liest, was du versprachst!
Lies hier nicht meinen Namen, ich bereue:
Mein Herz ist nicht mit meiner Hand im Bund.
YORK.
Das war es, Schelm, eh' deine Hand ihn schrieb.
Ich riß dies aus dem Busen des Verräters;
Furcht und nicht Liebe zeugt in ihm die Reu'.
Gönn' ihm kein Mitleid, daß dein Mitleid nicht
Zur Schlange werde, die ins Herz dir steche!
BOLINGBROKE.
O arge, kühne, mächtige Verschwörung![168]
O biedrer Vater eines falschen Sohns!
Du klarer, unbefleckter Silberquell,
Aus welchem dieser Strom durch kot'ge Wege
Den Lauf genommen und sich selbst beschmutzt!
Dein überströmend Gutes wird zum Übel,
Doch deiner Güte Überfluß entschuldigt
Dies tödliche Vergehn des irren Sohns.
YORK.
So wird die Tugend Kupplerin des Lasters,
Und seine Schmach verschwendet meine Ehre,
Wie Söhne, prassend, karger Väter Gold.
Meine Ehre lebt, wenn seine Schande stirbt,
In der mein Leben schnöde sonst verdirbt.
Sein Leben tötet mich: dem Frevler Leben,
Dem Biedern Tod wird deine Gnade geben.
HERZOGIN draußen.
Mein Fürst! Um Gottes willen, laßt mich ein!
BOLINGBROKE.
Wer mag so gellend seine Bitten schrein?
HERZOGIN.
Ein Weib, und deine Muhme, großer König!
Sprich, habe Mitleid, tu' mir auf das Tor,
Der Bettlerin, die niemals bat zuvor!
BOLINGBROKE.
Das Schauspiel ändert sich; sein Ernst ist hin:
Man spielt »den König und die Bettlerin«.
Mein schlimmer Vetter, laßt die Mutter ein:
Es wird für Eure Schuld zu bitten sein.
YORK.
Wenn du verzeihest, wer auch bitten mag,
Verzeihung bringt mehr Sünden an den Tag.
Dies faule Glied weg bleibt der Rest gesund;
Doch dies verschont, geht alles mit zu Grund'.
Herzogin tritt ein.
HERZOGIN.
O Fürst, glaub' nicht dem hartgeherzten Mann,
Der sich nicht liebt, noch andre lieben kann!
YORK.
Verrücktes Weib, was ist hier dein Begehren?
Soll deine Brust noch 'mal den Buben nähren?
HERZOGIN.
Sei ruhig, lieber York! Mein König, höre!
Sie kniet.
BOLINGBROKE.
Auf, gute Muhme!
HERZOGIN.
Noch nicht, ich beschwöre!
Denn immer will ich auf den Knieen flehn
Und nimmer Tage der Beglückten sehn,[169]
Bis du mich wieder heißest Freude haben,
Rutland verzeihend, meinem schuld'gen Knaben.
AUMERLE.
Ich werfe zu der Mutter Flehn mich nieder.
YORK.
Und wider beide beug' ich treue Glieder.
Gewährst du Gnade, so gedeih' dir's schlecht!
HERZOGIN.
Meint er's im Ernst? Sieh ins Gesicht ihm recht:
Sein Auge tränet nicht, sein Bitten ist nur Scherz,
Der Mund nur spricht bei ihm, bei uns das Herz.
Er bittet schwach und wünscht nichts zu gewinnen,
Wir bitten mit Gemüt und Herz und Sinnen.
Gern stünd' er auf, die matten Knie sind wund;
Wir knie'n, bis unsre wurzeln in dem Grund.
Sein Flehn ist Heucheln und voll Trüglichkeit,
Voll Eifer unsres, biedre Redlichkeit.
Es überbitten unsre Bitten seine;
Gnad' ist der Bitten Lohn: gewähr' uns deine!
BOLINGBROKE.
Steht auf doch, Muhme!
HERZOGIN.
Nein, sag nicht: »Steht auf!«
»Verzeihung!« erst, und hintennach: »Steht auf!«
Und sollt' ich dich als Amme lehren lallen,
»Verzeihung« wär' das erste Wort von allen.
So sehnt' ich mich, ein Wort zu hören, nie:
»Verzeihung« sprich; dich lehre Mitleid, wie;
Das Wort ist kurz, doch nicht so kurz als süß,
Kein Wort ziemt eines Königs Mund wie dies.
YORK.
So sprich französisch; sag: pardonnez-moi!
HERZOGIN.
Lehrst du Verzeihung, wie sie nicht verzeih'?
Ach, herber, hartgeherzter Gatte du!
Du setzest mit dem Wort dem Worte zu.
»Verzeihung« sprich, wie man zu Land hier spricht:
Französisch Kauderwelsch verstehn wir nicht,
Dein Auge red't schon, laß es Zunge sein;
Dein Ohr nimm ins mitleid'ge Herz hinein,
Daß es, durchbohrt von Bitten und von Klagen,
Dich dringen mag, »Verzeihung« anzusagen.
BOLINGBROKE.
Steht auf doch, Muhme!
HERZOGIN.
Ich bitte nicht um Stehn,
Verzeihung ist allhier mein einzig Flehn.[170]
BOLINGBROKE.
Verzeihung ihm, wie Gott mir mag verzeihn!
HERZOGIN.
O eines knie'nden Kniees schön Gedeihn!
Noch bin ich krank vor Furcht: oh, sag's zum zweiten!
Zweimal gesagt, soll's ja nicht mehr bedeuten,
Bekräftigt eines nur.
BOLINGBROKE.
Verziehen werde
Von Herzen ihm!
HERZOGIN.
Du bist ein Gott der Erde.
BOLINGBROKE.
Was unsern biedern Schwager angeht und den Abt
Und all die andern der verbundnen Rotte,
Stracks sei Verderben ihnen auf der Ferse:
Schafft, guter Oheim, Truppen hin nach Oxford
Und überall, wo die Verräter stecken:
Ich schwör's, sie sollen schleunig aus der Welt;
Weiß ich erst wo, so sind sie bald gefällt.
Oheim, lebt wohl! und Vetter, bleibt mir treu!
Wohl bat für Euch die Mutter; hegt nun Scheu!
HERZOGIN.
Komm, alter Sohn, und mache Gott dich neu!
Alle ab.
Ausgewählte Ausgaben von
König Richard II.
|
Buchempfehlung
Epicharis ist eine freigelassene Sklavin, die von den Attentatsplänen auf Kaiser Nero wusste. Sie wird gefasst und soll unter der Folter die Namen der Täter nennen. Sie widersteht und tötet sich selbst. Nach Agrippina das zweite Nero-Drama des Autors.
162 Seiten, 8.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.
390 Seiten, 19.80 Euro