Zweite Szene

[939] Ein Vorzimmer im Palast.


DER LORD KÄMMERER der einen Brief liest. »Mylord! Die Pferde, nach denen Eure Herrlichkeit schickte, waren mit aller Sorgfalt von mir ausgewählt, zugeritten und mit Sattel und Zeug versehen worden. Sie waren jung und schön, und von unsrer besten Zucht im[939] Norden. Als ich sie so weit gebracht, nach London abgehn zu können, hat einer von des Lord Kardinals Dienern nach vorgezeigter Vollmacht und Befehl, sie in Beschlag genommen, mit der Äußerung, sein Herr wolle eher bedient sein als ein Untertan, wo nicht eher als der König; dies, gnädiger Herr, stopft uns den Mund.«

Das will er freilich, fürcht' ich. Nun, nehm' er sie,

Ich denk', er nimmt noch alles.


Die Herzoge von Norfolk und Suffolk treten auf.


NORFOLK.

Mich freut's, Euch hier zu treffen, Mylord Kämm'rer.

LORD KÄMMERER.

Gott grüß' Eu'r Gnaden beide!

SUFFOLK.

Sagt, was macht

Der König?

LORD KÄMMERER.

Ich verließ ihn einsam, voll

Bekümmernis und Gram.

NORFOLK.

Was war die Ursach'?

LORD KÄMMERER.

Es scheint, die Eh' mit seines Bruders Weib

Kam dem Gewissen allzu nah.

SUFFOLK.

Nein, sein Gewissen

Kam einer andern Frau zu nah.

NORFOLK.

So ist's.

Das macht der Priester, dieser König-Priester!

Der blinde Pfaff', Fortunas Erstgeborner,

Dreht alles um. Einst wird der Herr ihn kennen.

SUFFOLK.

Gott geb', er tät's! Er kennt sich selbst nicht eh'.

NORFOLK.

Seht nur, wie heilig all sein Tun und Dichten!

Wie salbungsvoll! Denn seit er brach das Bündnis

Mit Kaiser Karl, der Kön'gin großem Neffen,

Taucht' er ins Herz des Königs, streuet dort

Gefahr und Zweifel und Gewissensangst,

Vorwurf und Furcht, bloß dieser Ehe wegen.

Und nun, mit eins den König zu erwecken,

Rät er zur Scheidung, rät, sie zu verstoßen,

Die zwanzig Jahr an seinem Halse hing,

Wie ein Juwel, doch nie den Glanz getrübt;

Sie, die mit jener Zärtlichkeit ihn liebt,

Mit der die Engel gute Menschen lieben;[940]

Ja, sie, die bei des Glückes härt'sten Streichen.

Den König segnen wird! Ist das nicht fromm?

LORD KÄMMERER.

Behut' uns Gott vor solchem Rat! Wahr ist's,

Schon ward's bekannt, schon wohnt's auf allen Zungen,

Und alle Treuen weinen drum; nicht einem,

Der näh're Einsicht hat, entgeht der Hauptzweck,

Die Eh' mit Frankreichs Schwester. Bald erschließe

Gott noch des Königs Augen, eingeschläfert

Von diesem frechen Mann!

SUFFOLK.

Und mach' uns frei

Von seiner Knechtschaft!

NORFOLK.

Beten möchte man,

Und zwar von ganzem Herzen, um Erlösung.

Sonst knetet der Hochfahrende uns alle

Aus Fürsten noch zu Pagen. Stand und Rang

Liegt wie ein Teig vor ihm, den er allein

Nach Wohlgefallen modelt.

SUFFOLK.

Ich, Mylords,

Ich lieb' und fürcht' ihn nicht, das ist mein Credo.

Wie ich ohn' ihn entstand, so will ich bleiben

Mit Königs Hülfe; Wolseys Fluch und Segen

Trifft mich gleichviel: 's ist Luft, die nicht verwundet.

Ich kannt' und kenn' ihn noch, und lass' ihn dem,

Der ihn so stolz gemacht, dem Papst.

NORFOLK.

Kommt, gehn wir,

Versuchen wir's, ob nicht ein neu Beginnen

Den König diesem trüben Tun entreißt. –

Mylord, Ihr folgt uns doch?

LORD KÄMMERER.

Entschuldigt mich;

Der König schickt mich sonst wohin. Zudem

Fürcht' ich, ihr trefft höchst ungelegne Zeit;

So geh's euch wohl! –

NORFOLK.

Dank, werter Mylord Kämm'rer!


Lord Kammern ab.


Der Herzog von Norfolk öffnet eine Flügeltür; man sieht den König sitzend und nachdenklich lesend.


SUFFOLK.

Wie ernst! Gewiß, er ist sehr aufgeregt!

KÖNIG.

Wer ist hier? He?[941]

NORFOLK.

Gott wende seinen Zorn!

KÖNIG.

Wer ist hier? frag' ich. Wie vermeßt ihr euch,

In Stunden ernster Sammlung euch zu drängen?

Wer bin ich? Wie?

NORFOLK.

Ein güt'ger Fürst, der gern Verseh'n entschuldigt,

Die nimmer arg gemeint. Der Fehl von eben

Betraf ein Staatsgeschäft, um das wir kamen,

Den Willen unsers Königs zu vernehmen.

KÖNIG.

Ihr seid kühn.

Ei was! Ich lehr' euch, wann es Zeit ist zu Geschäften!

Ist jetzt für Weltliches die Stunde? Wie?


Wolsey und Campejus treten auf.


Wer kommt? Mylord von York? O du mein Wolsey,

Du Balsam meiner schmerzgequälten Seele,

Du reichst dem König Heilung. – Seid willkommen


zu Campejus


In unserm Reich, gelehrter, edler Herr,

Verfügt mit ihm und uns; und Ihr sorgt bestens,


zu Wolsey


Daß dies kein leeres Wort sei!

WOLSEY.

Mein Gebieter,

Ich bitt' Eu'r Hoheit nur um eine Stunde

Geheimen Vortrags.

KÖNIG zu Norfolk und Suffolk.

Fort! wir sind beschäftigt.

NORFOLK beiseit.

Der Priester wär' nicht stolz?

SUFFOLK beiseit.

Ganz unermeßlich.

Ich möchte nicht so krank sein, nicht einmal

Für seinen Platz. Doch dies kann so nicht bleiben.

NORFOLK.

Geschieht's, so wag' ich, ihm eins beizubringen.

SUFFOLK.

Auch ich.


Norfolk und Suffolk ab.


WOLSEY.

Eu'r Hoheit gab ein Beispiel Ihrer Weisheit

Vor allen Fürsten, als Ihr frei dem Spruch

Der Kirch' anheim gestellt habt Eure Skrupel.

Wer darf nun zürnen? Welcher Haß Euch treffen?

Spanien, durch Blut und Freundschaft ihr verbündet,[942]

Muß jetzt, wofern es irgend gut gesinnt,

Die Untersuchung recht und edel finden.

In allen Christenreichen hat der Klerus,

Der einsichtsvolle, freie Beistimmung,

Und Rom, die Mutter aller Weisheit, sandte

Auf Euer Gnaden Wunsch als bündigsten

Erklärer diesen würd'gen Priester her,

Den vielerfahrnen Kardinal Campejus,

Den ich nochmals vorstelle meinem Fürsten.

KÖNIG.

Und nochmals sagt ihm Willkomm die Umarmung,

Dem heiligen Konklav' die Liebe dankend;

Es traf die Wahl nach meines Herzens Wunsch.

CAMPEJUS.

Mit Recht ist aller Fremden Herz entzückt

Von Euch, mein Fürst, der sich so edel zeigt.

In Eure Hand leg' ich die Vollmacht nieder,

Die auf Befehl des röm'schen Hofs mit Euch,

Lord Kardinal, mich, seinen Knecht, vereinigt

Als unpartei'sche Richter dieses Falls.

KÖNIG.

Gleich würdig beide. Wir werden ungesäumt

Die Königin unterrichten. – Wo ist Gardiner?

WOLSEY.

Eur' Majestät, ich weiß es, hat sie stets

Zu sehr geliebt, um das ihr nicht zu gönnen,

Was ein gering'res Weib mit Recht auch fodert:

Gelehrte, die frei für sie sprechen dürfen.

KÖNIG.

Ja, und die besten soll sie haben; meine Gunst,

Wer es am besten tut. Ei, da sei Gott für!

Ruft, bitt' ich, Gardiner, meinen neuen Schreiber,

Den Menschen find' ich recht geschickt.


Der Kardinal geht hinaus und kommt zurück mit Gardiner.


WOLSEY.

Gebt mir die Hand; ich wünsch' Euch Gunst und Freude,

Ihr seid des Königs jetzt.

GARDINER beiseite zum Kardinal.

Doch stets im Dienst

Des teuern Gönners, dessen Hand mich hob.

KÖNIG.

Kommt hierher, Gardiner.


Geht beiseite und redet leise mit Gardiner.


CAMPEJUS.

War nicht, Lord York, vorher ein Doktor Pace

In dieses Mannes Stelle?[943]

WOLSEY.

Ja, das war er.

CAMPEJUS.

Und galt er nicht für hochgelahrt?

WOLSEY.

Gewiß.

CAMPEJUS.

Glaubt mir, dann ist ein schlimm Gerücht, Mylord,

Sogar von Euch verbreitet.

WOLSEY.

Wie! Von mir?

CAMPEJUS.

Man steht nicht an, des Neides Euch zu zeihn:

Aus Furcht, daß seine Tugend hoch ihn höbe,

Hieltet Ihr ihn entfernt: das kränkt' ihn so,

Daß er im Wahnsinn starb.

WOLSEY.

Des Himmels Fried' ihm!

So viel als Christ: lebend'ge Lästerer

Kann man noch strafen. Dieser war ein Narr,

Ein Tugendheld durchaus: der gute Mensch da,

Wo ich gebiete, folgt er meinem Wink.

Kein andrer muß so nah stehn. Lernt das, Bruder,

Nie darf ein kleinrer Mann uns irgend hemmen.

KÖNIG.

Bringt dies der Königin mit aller Ehrfurcht. –


Gardiner ab.


Der bestbelegne Ort, so wie mir scheint,

Für jene Untersuchung ist Blackfriars;

Dort trefft euch wegen dieser wicht'gen Sache;

Mein Wolsey, ordnet alles. Oh, Mylord,

Muß nicht ein wackrer Mann mit Gram verlassen

Solch freundlich Eh'weib? Doch, Gewissen! Gewissen! –

Du bist zu zart, und ich muß sie verlassen.


Alle ab.


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 3, Berlin: Aufbau, 1975, S. 939-944.
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König Heinrich VIII.
König Heinrich VIII. / King Henry VIII.

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