Vierte Szene

[948] Ein Saal in Blackfriars.


Trompetenstoß; Zinken und Hörner. Zwei Gerichtsdiener treten auf, mit kurzen Silberstäben; nach ihnen zwei Schreiber in Doktorkleidung; darauf der Erzbischof von Canterbury allein; nach ihm die Bischöfe von Lincoln, Ely, Rochester und St. Asaph. Dann folgt in einer kleinen Entfernung ein Edelmann, der die Tasche mit dem großen Siegel und einen Kardinalshut trägt; alsdann zwei Priester, jeder mit einem silbernen Kreuz; hernach ein Marschall mit entblößtem Haupt, mit einem Herold, der ein silbernes Szepter trägt; ferner zwei Edelleute mit zwei silbernen großen Pfeilern. Ihnen folgen nebeneinandergehend die zwei Kardinäle Wolsey und Campejus; endlich zwei Kavaliere mit Schwert und der Maße: Der König nimmt Platz unter dem Baldachin; die beiden Kardinäle sitzen unter ihm als Richter. Die Königin nimmt ihren Platz in einiger Entfernung vom Könige. Die Bischöfe setzen sich an jede Seite des Gerichtshofes, nach Art eines Konsistoriums; unter ihnen die Schreiber. Die Lords sitzen zunächst den Bischöfen. Der Rufer und der übrige Teil des Gefolges steht in gebührender Ordnung um die Bühne umher.


WOLSEY.

Bis unsre röm'sche Vollmacht abgelesen,

Laßt Stille rings gebieten![948]

KÖNIG.

Zu was Ende?

Sie ward schon einmal öffentlich verlesen

Und ihre Rechtskraft allerseits erkannt,

Drum spart die Zeit!

WOLSEY.

So sei's; dann schreitet weiter!

SCHREIBER.

Ruft: Heinrich, König von England, erscheine vor Gericht!

AUSRUFER.

Heinrich, König von England, erscheine vor Gericht!

KÖNIG.

Hier.

SCHREIBER.

Ruft: Katharine, Königin von England, erscheinevor Gericht!

AUSRUFER.

Katharine, Königin von England, erscheine vor Gericht!


Die Königin antwortet nicht, steht von ihrem Sitze auf, geht der Versammlung vorüber, kommt zum König, kniet zu seinen Füßen und spricht darauf.


KÖNIGIN.

Herr, Recht begehr' ich und Gerechtigkeit,

Und daß Ihr Euer Mitleid mir gewährt,

Der sehr beklagenswerten Frau, der Fremden,

In Eurem Reich nicht heimischen, der hier

Kein Richter unparteilich, keine Aussicht

Auf bill'ge Freundschaft und Begegnis bleibt.

Ach, lieber Herr, wie tat ich Euch zu nah?

Wie gab ich solchen Anlaß Eurem Zorn,

Daß Ihr sogar auf mein Verstoßen sinnt,

Mir jede Lieb' und Gunst entzogt? Gott weiß,

Ich war Euch stets ein treu ergeben Weib,

Zu allen Zeiten fügsam Eurem Willen,

In steter Furcht, zu zünden Euren Unmut,

Ja, dienend Eurem Blick, trüb oder fröhlich,

Nach dem ich Euch bewegt sah. Welche Stunde

Erschien ich je mit Eurem Wunsch in Streit,

Und der nicht auch der meine ward? Wann liebt' ich

Nicht Eure Freunde, kannt' ich schon sie oft

Als meine Feinde? Welchem meiner Freunde,

Der Euern Zorn gereizt, erhielt ich länger[949]

Mein Zutrau'n? Gab ich nicht alsbald Euch Kunde,

Daß er mir fremd geworden? Denkt, o Herr,

Wie ich in solcher Folgsamkeit Eu'r Weib

An zwanzig Jahr gewesen und gesegnet

Durch Euch mit Kindern. Wenn Ihr irgend etwas

Im Lauf und Fortgang dieser Zeit entdeckt

Und mir's beweist, das meiner Ehr' entgegen,

Dem Bund der Eh' und meiner Lieb' und Pflicht

Für Eure heilige Person: dann stoßt

In Gottes Namen mich hinweg, es schließe

Hohn und Verachtung hinter mir die Pforten,

Und gebt mich preis der schärfsten Ahndung! Denkt,

Der König, Euer Vater, ward gepriesen

Ein höchst vorsicht'ger Fürst, von herrlichem,

Unübertroff'nem Geist und Urteil: Ferdinand,

Mein Vater, Spaniens König, galt gleich ihm

Als weisester Regent, der dort geherrscht

Seit vielen Jahren: und kein Zweifel ist,

Daß weise Räte sie von jedem Reich

Um sich versammelt, dies Geschäft erwägend,

Die gültig unsre Eh' erkannt. Drum fleh' ich

In Demut, Herr, verschont mich, bis mir Rat wird

Von meinen span'schen Freunden, deren Einsicht

Ich heischen will; wo nicht, gescheh' Eu'r Wille

In Gottes Namen!

WOLSEY.

Fürstin, Ihr habt hier

Nach eigner Auswahl diese würd'gen Väter,

Männer von seltner Redlichkeit und Kenntnis,

Ja, dieses Landes Zierde, heut versammelt,

Zu schlichten diesen Fall. Drum wär' es zwecklos,

Verschöbt Ihr länger das Gericht, sowohl

Für Eure eigne Ruh', als zu beschwicht'gen

Des Königes Verstimmung.

CAMPEJUS.

Seine Gnaden

Sprachgut und treffend: darum, Fürstin, ziemt's,

Daß weiter schreite diese Ratsversammlung

Und ungesäumt die beiderseit'gen Gründe

Verteidigt werden.[950]

KÖNIGIN.

Mylord Kardinal, –!

Ich sprach mit Euch!

WOLSEY.

Was wünscht Ihr, Fürstin?

KÖNIGIN.

Herr,

Mir ist das Weinen nah; doch denk' ich, daß

Wir eine Kön'gin sind – (es mind'stens lang'

Geträumt) und sicher eines Königs Tochter,

Möcht' ich statt Tränen Feuerfunken weinen.

WOLSEY.

Faßt Euch nur in Geduld! –

KÖNIGIN.

Ich will's, wenn Ihr demütig seid, – ja früher;

Wo nicht, dann strafe mich der Herr! – Ich glaube,

Und bin gestützt auf mächt'ge Grund', Ihr seid

Mein Feind; und so erklär' ich meinen Einspruch:

Ihr sollt mein Richter nimmer sein. Denn Ihr

Bliest zwischen mir und meinem Herrn die Glut,

Die Gottes Tau mag dämpfen! Drum noch einmal,

Als meinen Richter hass' ich Euch durchaus;

Euch widersteht mein tiefstes Herz; ich halt' Euch

Für meinen bösen Geist und hab' Euch nie

Der Wahrheit treu geglaubt.

WOLSEY.

Ich muß gestehn,

Ich find' Euch selbst nicht wieder, die Ihr sonst

Sanftmut geübt, Euch milder stets gezeigt

Und weiser, als es andern Frauen je

Gegeben ward. Ihr tut mir Unrecht, Fürstin,

Ich heg' Euch keinen Groll, noch tat ich Euch

Noch jemand Unrecht. Was bisher geschehn

Und noch geschieht, verbürgt gemess'ne Vollmacht,

So uns erteilt vom geistlichen Gericht,

Roms ganzem geistlichen Gericht. Ihr zeiht mich,

Ich schüre diese Glut; dem ist nicht so.

Der König ist zugegen? Wär' ihm kund,

Ich spräche Wahrheit nicht, wie würd' er schelten,

Und sehr mit Recht, die Falschheit! Ja, so stark

Wie meine Wahrheit Ihr. Er sieht, mich trifft

Eu'r Vorwurf nicht, doch sieht er mich verletzt.

Deshalb ist jetzt an ihm, mich herzustellen,

Und dies geschieht, indem er solcherlei[951]

Gedanken Euch entfernt. Bevor deshalb

Noch Seine Hoheit spricht, ersuch' ich Euch,

Sehr gnäd'ge Frau, nicht denkt mehr, was Ihr spracht,

Und sprecht es nie mehr aus!

KÖNIGIN.

Mylord, Mylord,

Ich bin ein einfach Weib, zu schwach, zu ringen

Mit Euren Künsten. Ihr seid mild, sprecht Demut;

Ihr spielt Beruf und Amt im vollsten Schein,

Mit Mild' und Demut; Euer Herz jedoch

Ist voll von Hochmut, Anmaßung und Tücke.

Durch Glück und Seiner Hoheit Gunst stiegt Ihr

Leicht über niedre Stufen; nun erhoben,

Ist die Gewalt Euch Stütz': und Eure Worte

Sind Knechte, Eurem Willen dienend, wie's

Euch gut dünkt, sie zu brauchen. Leugnet nicht,

Ihr strebet mehr nach Eurer eignen Ehre

Als nach dem heiligen Beruf. Noch einmal,

Ich will Euch nicht zum Richter; vor Euch allen

Beruf ich mich in dieser ganzen Sache

Auf Seine Heiligkeit den Papst; er soll

Mein Urteil fällen.


Sie verneigt sich vor dem Könige und will weggehn.


CAMPEJUS.

Störrisch widerspricht

Die Königin dem Recht, verklagt es und

Entzieht sich schmähend ihm: das ist nicht gut.

Sie geht hinweg,

KÖNIG.

Ruft sie zurück!

AUSRUFER.

Katharine, Königin von England, erscheine vor dem Gericht!

GRIFFITH.

Man ruft Euch, Königin.

KÖNIGIN.

Was braucht Ihr drauf zu hören? Geht nur weiter:

Kehrt um, wenn man Euch ruft: – Nun helf' mir Gott!

Mehr ist es, als man dulden kann! – Geht weiter:

Ich bleibe nicht, gewiß nicht; werd' auch nimmer

Vor keiner ihrer Sitzungen hinfort

In dieser Sach' erscheinen.


Die Königin mit Griffith und ihrem Gefolge ab.[952]


KÖNIG.

Geh nur, Käthe!

Wer in der Welt sich rühmen wollt', er hab'

Ein besser Weib, dem soll man traun in nichts,

Denn darin log er. Du bist Königin

(Wenn seltne Eigenschaften, holde Milde,

Sanftmut wie Heil'ge, weiblich echte Würde,

Gehorchen im Beherrschen – all dein Sinn

So königlich wie fromm dich schildern könnten –)

Vor allen ird'schen Königinnen. Sie ist edlen Stamms;

Und ihrem hohen Adel angemessen war

Auch ihr Betragen gegen mich.

WOLSEY.

Mein Fürst,

Tief untertänigst bitt' ich Eure Hoheit,

Ihr woll't geruhn, mir Zeugnis zu erteilen

Vor diesem Kreis – (denn wo ich Raub und Fessel

Erlitten, muß ich losgebunden sein,

So mir auch völlig nicht genug geschieht),

Ob dies Geschäft wohl, hoher Herr, von mir

Zuerst Euch in den Weg gelegt, ob ich wohl je

Euch Skrupel aufgeworfen, die Euch konnten

Zum Untersuchen führen: ob das kleinste Wort –

Anders als frommen Dank für solche Herrin –

Ich jemals sprach, das Nachteil bringen konnte

So ihrem gegenwärt'gen Rang wie ihrem

Höchst tugendhaften Wesen?

KÖNIG.

Mylord, ich

Entschuld'ge Euch; noch mehr, bei meiner Ehre,

Ich sprech' Euch frei. Wohl lernt Ihr nicht durch mich,

Wie viele Feind' Ihr habt, die selbst kaum wissen,

Weshalb sie's sind, und doch, Dorfhunden gleich,

Mitbellen, wenn's die andern tun; sie reizten

Die Königin zum Zorn. Ihr seid entschuldigt:

Wollt Ihr noch mehr Rechtfertigung? Ihr wünschtet,

Daß stets die Sache schlafen möchte, niemals

Habt Ihr sie aufgeregt, nein, oft gehemmt,

Geschlossen oft den Weg. Auf meine Ehre,

Genauso sprach der Kardinal, und völlig

Sprech' ich ihn frei. Nun aber, was mich reizte[953]

(– Jetzt fordr' ich Zeit und aufmerksam Gehör),

Merkt nun den Anfang. Also kam's: gebt acht! –

Meinem Gewissen ward die erste Regung,

Skrupel und Stich, wegen gewisser Reden

Des Bischofs von Bayonne, Frankreichs Gesandten;

Er kam, den Ehebund zu unterhandeln

Mit unserm Kind Maria und dem Herzog

Von Orleans: im Fortgang des Geschäfts,

Bevor Entschluß gefaßt, verlangt' er da

(Der Bischof, mein' ich) eine Frist von uns,

Dem König, seinem Herrn, anheim zu stellen,

Ob unsre Tochter stammt aus gült'ger Ehe,

Rücksichtlich jener Heirat mit der Wittib,

Die unsers weiland Bruders Weib. Die Frist

Erschütterte die Seele mir, drang ein,

Und mit zertrümmernder Gewalt, daß bebte

So Herz wie Brust; dies sprengte weiten Weg,

Daß viel verwirrte Zweifel sich nun drängten

Und preßten dieser Mahnung halb. Erst, dacht' ich,

Ich sei nicht in des Himmels Gnade; welcher

Natur befahl, daß meiner Frauen Leib,

Wenn er ein männlich Kind mir trug, nicht mehr

Ihm Dienste sollte tun, als wie das Grab

Dem Toten tut: denn alle Knaben starben,

Wo sie erschaffen, oder bald nachdem

Sie hier im Licht: da macht' ich mir Gedanken,

Dies sei mir Himmelsstrafe; daß mein Reich,

Des allerbesten Erben wert, nicht sollte

Durch mich so glücklich sein: Nun kam's, daß ich

All die Gefahren meines Lands erwog,

Daß mir kein Erbe ward; und das erpreßte

Mir manchen Herzensseufzer. Treibend so

In des Gewissens wilder See, hab' ich

Nach diesem Halt gesteuert, warum wir

Nun hier versammelt sind; das heißt, ich dachte

Mir herzustellen mein Gewissen, – welches

Ich ganz krank fühlt', und jetzt noch nicht gesund, –

Durch all' ehrwürd'gen Väter hier im Land[954]

Und würdige Doktoren. Erst, geheim,

Fing ich mit Euch, Lord Lincoln, an; Ihr wißt,

Wie schwer ich ächzte unter meiner Last,

Als ich's zuerst eröffnet.

LINCOLN.

Ja wohl, mein Fürst.

KÖNIG.

Ich sprach schon lang'; gefällt's Euch, selbst zu sagen,

Wie weit Ihr mich beruhigt?

LINCOLN.

Mein Gebieter,

Ihr hattet mich zuerst so sehr bestürzt, –

Da dieser Fall so hochgewichtig war

Und furchtbar in den Folgen, – daß die kühnsten

Gedanken ich dem Zweifel übergab:

Und Euer Hoheit diesen Weg empfahl,

Den Ihr anjetzt gewählt.

KÖNIG.

Dann fragt' ich Euch,

Lord Canterbury, und holt' Erlaubnis ein

Zur heutigen Versammlung. Unbefragt

Blieb kein ehrwürdig Mitglied dieser Sitzung,

Nein, jeder gab mir seine Zustimmung

Mit Schrift und Siegel. Deshalb fahret fort,

Weil kein Mißfallen an der teuern Königin

Person, nein, einzig jene scharfen Stacheln

Der vorerwähnten Gründe dies betrieben.

Erweist nur gültig jene Eh', und wahrlich,

Bei unserm Königsthron, wir sind zufried'ner,

Des Lebens ird'sche Zukunft ferner noch

Mit Katharinen, unsrer Königin,

Als mit dem schönsten Frauenbild zu teilen,

Das je die Welt geschmückt.

CAMPEJUS.

Vergönnt, mein Fürst,

Der Königin Entfernung fordert wohl

Vertagung dieser Sitzung bis auf weit'res;

Inzwischen muß ein ernstliches Ermahnen

Ergehn an Ihre Hoheit, abzustehn

Von dem Rekurs an Seine Heiligkeit.


Alle stehen auf, um auseinanderzugehen.[955]


KÖNIG vor sich.

Ich seh', die Kardinäle treiben Spiel

Mit mir; ich hasse solche Zögerung

Und Künste Roms. Oh, kämst du bald zurück,

Mein kluger, vielgeliebter Diener Cranmer!

Denn deine Ankunft, weiß ich, führt zugleich

Mir Trost herbei. – Hebt die Versammlung auf;

Ich sage, gehn wir!


Alle ab, in derselben Ordnung, in der sie kamen.[956]


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 3, Berlin: Aufbau, 1975, S. 948-957.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
König Heinrich VIII.
König Heinrich VIII. / King Henry VIII.

Buchempfehlung

Arnim, Bettina von

Märchen

Märchen

Die Ausgabe enthält drei frühe Märchen, die die Autorin 1808 zur Veröffentlichung in Achim von Arnims »Trösteinsamkeit« schrieb. Aus der Publikation wurde gut 100 Jahre lang nichts, aber aus Elisabeth Brentano wurde 1811 Bettina von Arnim. »Der Königssohn« »Hans ohne Bart« »Die blinde Königstochter« Das vierte Märchen schrieb von Arnim 1844-1848, Jahre nach dem Tode ihres Mannes 1831, gemeinsam mit ihrer jüngsten Tochter Gisela. »Das Leben der Hochgräfin Gritta von Rattenzuhausbeiuns«

116 Seiten, 7.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon