Erste Szene

[957] Zimmer der Königin.


Die Königin und ihre Frauen, an der Arbeit.


KÖNIGIN.

Nimm deine Laute, Kind, mich trübt der Kummer;

Zerstreu' ihn, wenn du kannst, laß deine Arbeit.


Lied

Orpheus' Laute hieß die Wipfel,

Wüster Berge kalte Gipfel,

Niedersteigen, wenn er sang.

Pflanz' und Blüt' und Frühlingssegen

Sproßt', als folgten Sonn' und Regen

Ewig nur dem Wunderklang.


Alle Wesen, so ihn hörten,

Wogen selbst, die sturmempörten,

Neigten still ihr Haupt herab.

Solche Macht ward süßen Tönen;

Herzensweh und tödlich Sehnen

Wiegten sie in Schlaf und Grab.


Ein Edelmann tritt auf.


KÖNIGIN.

Was ist?

EDELMANN.

Geruht' Eu'r Hoheit, draußen warten

Die beiden großen Kardinäle.

KÖNIGIN.

Wollen

Sie mit mir reden?

EDELMANN.

Ihr Begehren war,

Eu'r Hoheit sie zu melden.

KÖNIGIN.

Bittet sie,

Hereinzutreten.


Edelmann ab.[957]


Was nur führt die zwei

Zu mir, der armen, gunstverstoßnen Frau? –

Ich lieb' ihr Kommen nicht, bedenk' ich's recht!

Sie sollten fromm sein, würdig ist ihr Amt;

Allein die Kappe macht den Mönch nicht aus.


Die Kardinäle Wolsey und Campejus treten auf.


WOLSEY.

Fried' Eurer Hoheit!

KÖNIGIN.

Eure Gnaden sehn

In einer Hausfrau Weise mich beschäftigt;

Das Schlimmste fürchtend, denk' ich gern auf alles.

Was steht zu eurem Dienst, hochwürd'ge Herrn?

WOLSEY.

Gefällt's Euch, edle Frau, mit uns allein

In Euer Kabinett zu gehn, so sollt Ihr

Vernehmen unsrer Ankunft Ursach'.

KÖNIGIN.

Sagt mir's

Nur immer hier: noch hab' ich, Gott sei Dank,

Nichts je verübt, das Winkel müßte suchen,

Und allen Frau'n wünscht' ich ein solch Gewissen.

Mich kümmert's wenig – dieses Glück, Mylords,

Ward mir vor vielen andern –, ob mein Tun

Auf aller Zungen wohnt, in aller Augen.

Ob Neid und Mißgunst selbst mir widerstrebten;

So rein war stets mein Leben. Kamt ihr her,

Wie ich als Weib gewandelt, auszuforschen,

Nur dreist heraus damit, Wahrheit ist schlicht und grade.

WOLSEY.

Tanta est erga te mentis integritas, regina serenissima, –

KÖNIGIN.

Oh, kein Latein, Mylord;

Ich war so müßig nicht, seit meiner Ankunft,

Die Sprach', in der ich lebte, nicht zu lernen.

In fremder Zunge scheint mein Fall noch fremder,

Verdächt'ger noch; sprecht, bitt' Euch, englisch! Mancher

Weiß Euch hier Dank, wenn Ihr die Wahrheit redet,

Um seiner armen Herrin willen. Glaubt mir's,

Man tut ihr sehr zu nah. Lord Kardinal,

Ihr könnt, selbst was ich je gefehlt mit Vorsatz,

Gewiß in Englisch absolvieren.[958]

WOLSEY.

Fürstin,

Es dünkt mich hart, daß meine Redlichkeit,

Mein Eifer, unserm Herrn und Euch zu dienen,

Bei solcher Treu' so viel Verdacht erzeugt.

Wir nahn nicht auf dem Wege der Beschuld'gung,

Dem Ruf zur Schmach, den alle Frommen segnen,

Noch irgend neuem Gram Euch zu verraten;

Ihr habt zu viel schon, edle Frau; vielmehr

Zu forschen Eure Wünsch' und wahre Meinung

In jenem wicht'gen Zwist, und Euch dagegen

Redlich und frei auch unsre Sinnesansicht

Und Tröstung zu erteilen.

CAMPEJUS.

Hohe Fürstin,

Mylord von York, nach seiner edlen Weise

Und warmer Treu', so er Euch stets geweiht,

Denkt wohlgesinnt des letzten Angriffs nicht

Auf seine Ehr' und ihn – Ihr gingt zu weit –

Und beut, wie ich, als Zeichen der Versöhnung,

Euch Dienst und Beistand.

KÖNIGIN beiseit:

Um mich zu verraten. –


Laut.


Mylords, ich dank' euch euren guten Willen,

Ihr sprecht wie Ehrenmänner: (Gott geb', ihr seid's!)

Doch hast'ge Antwort gleich bereit zu halten

In so gewicht'gem Fall, so nah der Ehre

(Vielleicht dem Leben näher noch), mit meinem

Geringen Witz, und Männern so gelehrt

Und ernst, – das weiß ich nicht. Ich war in Arbeit

Mit meinen Frau'n, Gott weiß, mich wenig fassend

Auf solcherlei Besuch noch solch Geschäft.

Ihr drum zu Liebe, die ich war – ich fühle

Der Hoheit letzte Regung; werte Herrn, –

Gönnt mir für meine Sache Zeit und Rat!

Ich bin ein Weib – ach, freundlos! hoffnungslos! –

WOLSEY.

Erhab'ne Frau, Ihr kränkt des Königs Liebe

Mit solcher Furcht; Eu'r Hoffen, Eure Freunde

Sind noch unendlich.

KÖNIGIN.

Hier in England kaum

Von Nutzen; glaubt ihr selbst, Mylords, es wage[959]

Ein einz'ger Englischer mir Rat zu geben?

Mir offen Freund zu sein, dem Herrn entgegen?

Wollt' einer so verzweifelnd ehrlich sein

Als Untertan, er lebte? Nein, die Freunde,

Die meines Kummers ganze Last nachfühlen,

Auf die ich trauen darf, sie sind nicht hier,

Sie sind, wie all mein Trost, weit, weit von hier,

In meinem Vaterlande.

CAMPEJUS.

Gnäd'ge Frau, ich wünschte,

Ihr ließt den Gram und hörtet mich.

KÖNIGIN.

Was meint Ihr?

CAMPEJUS.

Stellt Euren ganzen Fall des Königs Schutz

Anheim, er ist liebreich und gut: so wär's

Für Eure Ehr' und Euren Vorteil günst'ger.

Denn wenn des Rechtes Ausspruch Euch verdammt,

Dann scheidet Ihr mit Schmach.

WOLSEY.

Er rät Euch gut.

KÖNIGIN.

Er rät mir, was ihr beide wünscht – Verderben!

Ist das christlicher Beistand? Schand' auf euch!

Noch steht der Himmel, droben thront ein Richter,

Den nie ein Fürst besticht.

CAMPEJUS.

Eu'r Zorn verkennt uns.

KÖNIGIN.

So schmählicher für euch! – Ich wähnt' euch heilig,

Zwei kardinale Tugenden; jetzt find' ich

Nur kardinale Laster, hohle Herzen.

O schämt und bessert euch! Ist dies eu'r Trost?

Die Herzensstärkung der gebeugten Fürstin?

Der Frau, durch euch gestürzt, verlacht, verhöhnt?

Ich wünsch' euch nicht die Hälfte meines Elends,

Ich bin zu gut – doch sagt, ich warnt' euch einst!

Habt acht, um Gott, habt acht, daß plötzlich nicht

Die Bürde meiner Sorgen auf euch falle! –

WOLSEY.

Fürstin, Ihr scheint in Wahrheit außer Euch;

In Arglist wandelt Ihr die gute Meinung.

KÖNIGIN.

Ihr aber wandelt mich in nichts. Weh euch!

Weh allen Gleisnern! Wie! Ihr ratet mir

(Wenn euch noch irgend Gut' und Mitleid blieb,[960]

Wenn ihr mehr seid als Kleider nur des Priesters),

Mein krankes Recht dem Todfeind zu vertraun?

Ach! Schon verbannt er mich aus seinem Bett,

Aus seiner Liebe, längst: – ich werde alt,

Und was mir noch von Eh'gemeinschaft bleibt,

Ist mein Gehorsam. Was kann Schlimm'res mir

Als dieses Elend kommen? All eu'r Streben

Bringt mir den Fluch.

CAMPEJUS.

Das Schlimmst' ist Eure Furcht.

KÖNIGIN.

Lebt' ich so lang' – ja, laßt mich selber reden,

Tugend hat keinen Freund! – ein treues Weib?

Ein Weib (ich darf's beteuern ohne Ruhmsucht),

Zu keiner Zeit erreichbar dem Verdacht?

Begegnet' ich mit ganzer, voller Neigung

Dem König stets, liebt' ihn nächst Gott, gehorcht' ihm,

War ich aus Zärtlichkeit ihm abergläubisch,

Vergaß ich meiner Andacht fast um ihn,

Und werd' ich so belohnt? Oh, das ist hart!

Zeigt mir ein Weib, das, ihrem Eh'herrn treu,

Nie keine Freude träumte als sein Wohlsein;

Und wenn sie alles tat, so hab' ich doch

Noch einen Kranz voraus – große Geduld! –

WOLSEY.

Wegflieht Ihr von dem Gut, das wir Euch gönnten. –

KÖNIGIN.

Mylord, ich lade nie die Schuld auf mich,

Dem edlen Rang freiwillig zu entsagen,

Dem Euer Herr mich hat vermählt: nur Tod

Soll von dem Thron mich scheiden.

WOLSEY.

Hört, ich bitt' Euch –

KÖNIGIN.

Hätt' ich doch nie dies brit'sche Land betreten,

Noch seiner Schmeicheleien Frucht gekostet! –

Ihr habt der Engel Antlitz, doch die Herzen

Kennt Gott. Was wird aus mir, der ärmsten Frau?

Der unglückseligsten in aller Welt?


Zu ihren Frauen.


Ihr Armen, ach! Wo bleibt auch euer Glück?

Wir scheiterten auf diesem Strand, wo Mitleid –[961]

Noch Freund – noch Hoffnung – wo kein Blutsfreund weint,

Man kaum ein Grab uns gönnt! – Der Lilie gleich,

Die einst der Fluren Herrin war und blühte,

Neigt sich mein Haupt und stirbt.

WOLSEY.

Wüßt' ich nur erst

Eu'r Gnaden überzeugt, wir meinten's redlich,

Das gab' Euch Trost! Weshalb nur, werte Fürstin,

Zu welchem End' Euch kränken? Unsre Würde,

Die Weise unsers Amts verbeut es schon;

Wir soll'n den Kummer heilen, nicht ihn säen.

Um Tugend selbst, erwägt doch, was Ihr tut;

Wie Ihr Euch selbst könnt schaden, ja durchaus

Dem König Euch, durch dieses Tun, entfremden.

Der Fürsten Herzen küssen den Gehorsam,

So lieblich dünkt er ihnen: doch die Starrheit

Schwellt sie empor, reißt sie zu Ungewittern.

Ich weiß, Ihr habt ein adlig mild Gemüt,

Sanft, gleich der Meeresstille; glaubt uns ja

Nach unserm Amt Ruh'stifter, Freunde, Diener.

CAMPEJUS.

So sollt Ihr uns erfinden. Eure Tugend

Kränkt Ihr durch Weiberfurcht. Ein hoher Geist,

Wie Ihr ihn hegt, wirft solche Zweifel weit

Wie falsche Münze weg. Der König liebt Euch;

Gebt acht, daß Ihr dies nicht verliert. Gefällt's Euch,

Uns zu vertraun, sind wir für Euch erbötig,

Das Äußerste in Eurem Dienst zu tun.

KÖNIGIN.

Tut, was ihr wollt ihr Herrn; und mir verzeiht,

Wenn ich nicht höflich gegen euch gewesen.

Ihr wißt, ich bin ein Weib, mir fehlt die Kunst,

Mit euresgleichen, wie's geziemt, zu reden.

Bringt Seiner Hoheit meine Ehrfurcht dar,

Er hat mein Herz, auch mein Gebet ist sein,

Solang' ich lebe. Kommt, hochwürd'ge Väter,

Enthüllt mir euren Rat – es bittet jetzt,

Die nicht geahnt, als sie betrat dies Land,

Für welchen Preis sie ihre Kron' erstand. –


Alle ab.[962]


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 3, Berlin: Aufbau, 1975, S. 957-963.
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König Heinrich VIII.
König Heinrich VIII. / King Henry VIII.

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