[989] Eine Galerie im königlichen Palast.
Gardiner, Bischof von Winchester, tritt auf; ein Page mit einer Fackel vor ihm her. Sir Thomas Lovell begegnet ihm.
GARDINER.
Die Uhr ist eins, nicht wahr?
PAGE.
Es hat geschlagen.
GARDINER.
Dies sollten Stunden sein für den Bedarf,
Nicht für Vergnügung; Zeit, Natur zu stärken
Durch Schlafs Erquickung, zum Vergeuden nicht
Bestimmt – Gott schenk' Euch gute Nacht, Sir Thomas;
Wohin so spät?
LOVELL.
Mylord, kommt Ihr vom König?
GARDINER.
Soeben erst; ich ließ ihn beim Primero
Mit Herzog Suffolk.
LOVELL.
Ich muß auch zu ihm,
Eh' er sich schlafen legt. Auf Wiedersehn!
GARDINER.
Noch nicht, Sir Thomas Lovell; sagt, was gibt's?
Ihr scheint in großer Eil', und wollt Ihr's nicht
Auslegen als Beleidigung, – teilt dem Freund
Die Ursach' mit so später Hast; Geschäfte,
Die mitternächtlich umgehn wie die Geister,
Sind wildrer Art in sich als solches Treiben,
Das Förd'rung sucht bei Tag.
LOVELL.
Ich lieb' Euch, Mylord;
Und möcht' Euch ein Geheimnis wohl vertraun,
Viel wicht'ger noch als dies: Die Königin ist in Wehen,
Man sagt, in äußerster Gefahr; sie fürchten,
Es werd' ihr Ende sein.
GARDINER.
Für ihre Frucht[989]
Will ich von Herzen beten, wünsch' ihr auch
Gedeihn im Leben; doch den Stamm, Sir Thomas,
Laßt immer jetzt vertilgen.
LOVELL.
Dazu sprech' ich
Das Amen mit, und dennoch sagt mein Herz,
Sie sei ein gut Geschöpf und liebes Weib,
Und beßrer Wünsche wert.
GARDINER.
Doch, Herr, Herr, hört
Mich an, Sir Thomas; Ihr seid ein Mann, wie ich,
Der echten Kirche; ich kenn' Euch weise, fromm;
Und laßt Euch sagen, – besser wird's nicht eh', –
Nicht eh', Sir Thomas Lovell, darauf baut,
Bis Cranmer, Cromwell, ihre beiden Hände,
Und sie, – im Grabe ruhn.
LOVELL.
Ei, Sir, Ihr nennt
Die Mächtigsten im Reiche. Cromwell stieg
Vom Kronwardein erst jüngst zum Archivar
Und Rat des Königs, steht noch überdies
Recht auf dem Sprung zu weitrer Förderung,
Und harrt nur auf die Zeit, – der Erzbischof
Ist Zung' und Hand des Königs; wer nur wagt
Ein Wörtlein wider den?
GARDINER.
Doch, doch, Sir Thomas,
Noch wagt' es einer wohl; ich selbst erdreistet's
Mich auszusprechen, ja noch heut am Tag
(Euch darf ich mich vertraun) schürt' ich die Flamme
Den Herrn vom Staatsrat, hoff ich; zeigt', er sei
(Das, weiß ich, ist er, sie auch wissen es,)
Ein erzverruchter Ketzer, eine Pest,
Die unser Land verdirbt; worauf ihr Eifer
Sich laut dem König hat erklärt, und dieser,
Gehör uns leihend – (aus besondrer Sorgfalt
Und königlicher Ahndung alles Unheils,
Das unsre Gründ' ihm dargelegt) dem Staatsrat
Befehl erteilt, sich morgen zu versammeln
In aller Früh'. Dies böse Unkraut, Sir,
Muß ausgerottet werden. Doch zu lang'
Halt' ich Euch auf; ich wünsch' Euch gute Nacht.[990]
LOVELL.
Gut' Nacht gleichfalls, Mylord; ich bleib' Eu'r Diener.
Gardiner mit dem Pagen ab.
Der König mit dem Herzog von Suffolk tritt auf.
KÖNIG.
Karl, länger spiel' ich diesen Abend nicht,
Ich bin zerstreut, Ihr seid mir heut zu stark.
SUFFOLK.
Herr, ich gewann zuvor von Euch noch nie.
KÖNIG.
Nur selten, Karl,
Und sollt auch nie, wenn ich nur achtsam bin –
Nun, Lovell, von der Königin? Wie steht's?
LOVELL.
Ich konnte nicht persönlich überbringen,
Was Ihr gebotet; doch durch ihre Frau'n
Sandt' ich's ihr zu. Die Fürstin sagt Euch Dank
In tiefster Demut und ersucht Eu'r Hoheit,
Herzlich für sie zu beten.
KÖNIG.
Was sagst du? Wie?
Für sie zu beten? Wie? Ist sie in Wehen?
LOVELL.
Das sagten ihre Frau'n; und daß der Schmerz
Ihr Qualen fast zum Tode gibt.
KÖNIG.
Die Arme! –
SUFFOLK.
Gott woll' ihr leichtlich ihre Bürde nehmen,
Mit lindem Weh, um bald mit einem Erben
Eu'r Hoheit zu erfreu'n.
KÖNIG.
's ist Mitternacht,
Bitt' dich, geh schlafen und gedenk' im Beten
Der armen Königin! Laß mich allein,
Mir kreuzen sich Gedanken, denen wenig
Gesellschaft frommt.
SUFFOLK.
Ich wünsch' Eu'r Majestät
Gut' Nacht, und meiner teuren Herrin will ich
Gedenken im Gebet.
KÖNIG.
Karl, gute Nacht!
Suffolk ab.
Sir Anton Denny tritt auf.
Nun, Sir, was gibt's?
DENNY.
Mylord den Erzbischof bracht' ich Eu'r Hoheit,
Wie Ihr befahlt.[991]
KÖNIG.
Ah, den von Canterbury?
DENNY.
Ja, bester Herr.
KÖNIG.
's ist wahr. Wo ist er, Denny?
DENNY.
Er harrt im Vorsaal.
KÖNIG.
Führ' ihn her zu mir!
Denny ab.
LOVELL beiseit.
Das ist, wovon der Bischof zu mir sprach:
Ich kam zur guten Stunde.
Denny kommt zurück mit Cranmer.
KÖNIG.
Verlaßt die Galerie!
Lovell scheint zu zögern.
Ha! Sagt' ich's nicht?
Fort da! – Was!
Lovell mit Denny ab.
CRANMER beiseit.
Ich bin voll Furcht – warum der finstre Blick?
Sein Anblick schreckt mich. Alles ist nicht gut.
KÖNIG.
Nun, Mylord? Wissen wollt Ihr wohl, weshalb
Ich Euch ließ rufen?
CRANMER knieend.
's ist mir Pflicht, Eu'r Hoheit
Befehlen stets zu g'nügen.
KÖNIG.
Steht nur auf,
Mein guter, würd'ger Lord von Canterbury,
Kommt, gehn wir auf und nieder miteinander.
Ich habe Neuigkeiten hier für Euch,
Kommt näher, kommt, und gebt mir Eure Hand.
Ach, guter Lord, es kränkt mich sehr, zu sagen,
Und geht recht nah, was folgt, Euch auszusprechen:
Ich hab' – und zwar mit Kummer – jüngst vernommen,
Von mancher schweren, – wie Ihr hört, Mylord, –
Schweren Beschuld'gung wider Euch; worauf
Wir uns entschieden haben, samt dem Staatsrat
Euch morgen zu vernehmen; und ich weiß,
Ihr könnt so frei und rein Euch schwerlich läutern,
Daß bis zur fernern Untersuchung nicht
Der Punkte, so Ihr widerlegen sollt,
Ihr Euch gedulden müßtet und bereiten,[992]
Eu'r Haus in unserm Turm zu suchen. Also
Ziemt sich's für Euch, als Pair, weil sonst kein Zeuge
Aufträte gegen Euch.
CRANMER.
Eu'r Hoheit dank' ich
Und freu' mich sehr zu solchem ernsten Anlaß
Sorgfält'ger Sichtung, die den Weizen völlig
Von meiner Spreu wird sondern; denn ich weiß,
Mich Armen treffen mehr Verleumderzungen
Als irgend einen.
KÖNIG.
Knie nicht, Canterbury:
Dein Recht, dein reiner Sinn schlug tiefe Wurzel
In uns, in deinem Freund. Gebt mir die Hand,
Kommt, gehn wir noch. – Nun, bei der Mutter Gott's,
Was seid Ihr für ein Mann denn? Dacht' ich doch,
Ihr würdet jetzt mich dringend supplizieren,
Auf daß ich mich verwendete, nur schnell
Die Gegner Euch zu stellen, und demnächst
Euch ferner hörte sonder Haft.
CRANMER.
Mein Fürst,
Der Schutz, auf den ich trau', sind Recht und Gradheit;
Verließen die mich, würd' ich mit den Feinden
Mich meines Sturzes freun, denn ohne sie
Könnt' ich mich selbst nicht achten. Doch ich fürchte
Nichts, was sie sagen mögen.
KÖNIG.
Wißt Ihr nicht
(Was alle Welt weiß), wie Ihr mit der Welt steht?
Sehr viel sind Eurer Feind',
Und kleine nicht; und deren Ränke sind
Wie sie beschaffen: und nicht stets gewinnt
Wahrheit und Recht, wie's sollte, Lossprechung
In dem Prozeß. Wie leicht erkaufen nicht
Verderbte Seelen gleich verderbte Schurken,
Zu schwören gegen Euch? So was geschieht!
Die Gegner sind Euch stark, und ihrer Macht
Gleicht ihre Bosheit. Hofft Ihr günst'ger Glück
Im Punkt meineid'ger Zeugen denn Eu'r Heiland,
Dem Ihr als Diener folgt, solang' er wallte
Auf dieser schnöden Erde? – Wie? Ei! Ei![993]
Euch dünkt ein Abgrund kein gewagter Sprung,
Ihr werbt Euch selbst den eignen Untergang!
CRANMER.
So mögen Gott und Eure Majestät
Beschützen meine Unschuld, sonst vermeid' ich
So viele Schlingen nicht!
KÖNIG.
Seid gutes Muts;
Sie soll'n nicht weiter gehn, als wir gestatten.
Bleibt nur getrost und schickt Euch an, heut morgen
Vor ihnen zu erscheinen. Kommt's, daß sie
Anklagen auf Verhaftung legen dar,
So laßt nicht ab, die besten Gegengründe
Zu häufen, scheut auch nicht ein heft'ges Wort,
Wie's Euch der Anlaß eingibt; wenn alsdann
Eu'r Dringen fehlschlägt, zeigt nur diesen Ring
Und wendet Euch sofort in ihrem Beisein
An mein Entscheiden! – Seht, der Gute weint!
Der ist getreu, auf Ehre! – Bei Christi Mutter!
Ich schwör's, er ist wie Gold, das beste Herz
In unserm Königreich – Nun geht, und tut,
Wie ich Euch sagte. Seine Sprach' ist ganz
Erstickt in Tränen.
Cranmer ab.
Eine alte Hofdame tritt auf.
HOFKAVALIER hinter der Szene.
Bleibt zurück! Was wollt Ihr?
HOFDAME.
Ich bleibe nicht zurück! Ich habe Zeitung,
Die Dreistigkeit gesittet macht. – Dein Haupt
Umschweben gute Engel, und ihr Fittich
Beschatte dich! –
KÖNIG.
Aus deinen Blicken les' ich
Die Botschaft – Ist die Königin entbunden?
Sprich ja, und von 'nem Knaben?
HOFDAME.
Ja! ja! mein König,
Von einem süßen Knaben. Herr im Himmel,
Beschützt ihn nun und ewig! – 's ist ein Mädchen,
Das künft'ge Knaben wohl verspricht. Die Königin
Harrt Eures Kommens, Herr, und Eurer ersten
Bekanntschaft mit dem kleinen Ankömmling.
Er gleicht Euch wie ein Ei dem andern –[994]
KÖNIG.
Lovell –
LOVELL.
Herr!
KÖNIG.
Gib ihr hundert Mark. Ich will zur Königin.
König ab.
HOFDAME.
Nur hundert Mark? Beim Himmel! Ich will mehr,
Solch Zahlen schickt sich für 'nen schlechten Stallknecht.
Mehr muß ich haben, sonst keif' ich's ihm ab:
Sagt' ich deshalb, das Mädchen seh' ihm gleich?
Ich muß mehr haben, sonst nehm' ich's ganz zurück,
Und nun das Eisen, weil's noch heiß, zum Amboß!
Ab.
Ausgewählte Ausgaben von
König Heinrich VIII.
|
Buchempfehlung
Die tugendhafte Sara Sampson macht die Bekanntschaft des Lebemannes Mellefont, der sie entführt und sie heiraten will. Sara gerät in schwere Gewissenskonflikte und schließlich wird sie Opfer der intriganten Marwood, der Ex-Geliebten Mellefonts. Das erste deutsche bürgerliche Trauerspiel ist bereits bei seiner Uraufführung 1755 in Frankfurt an der Oder ein großer Publikumserfolg.
78 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.
396 Seiten, 19.80 Euro