[169] Ein Kirchhof; auf demselben das Familienbegräbnis der Capulets.
Paris und sein Page, mit Blumen und einer Fackel, treten auf.
PARIS.
Gib mir die Fackel, Knab', und halt' dich fern. –
Nein, lisch sie aus: man soll mich hier nicht sehn.
Dort unter jenen Ulmen streck' dich hin,
Und leg' dein Ohr dicht an den hohlen Grund:
So kann kein Fuß auf diesen Kirchhof treten,
Der locker aufgewühlt von vielen Gräbern,
Daß du's nicht hörest; pfeife dann mir zu,
Zum Zeichen, daß du etwas nahen hörst!
Gib mir die Blumen, tu', wie ich dir sagte!
PAGE.
Fast grauet mir, so auf dem Kirchhof hier
Allein zu bleiben; doch ich will es wagen.
Entfernt sich.
PARIS.
Dein bräutlich Bett bestreu' ich, süße Blume,
Mit Blumen dir; du schließest, holdes Grab,
Der sel'gen Welt vollkommnes Muster ein.
O schöne Julia! Engeln zugesellt,
Nimm diese letzte Gab' aus dessen Händen,
Der dich im Leben ehrte, und im Tod
Mit Preis und Klage deine Ruh'statt ziert.
Der Knabe pfeift.
Der Bube gibt ein Zeichen: jemand naht.
Welch ein verdammter Fuß kömmt dieses Wegs
Und stört die Leichenfeier frommer Liebe?
Mit einer Fackel? wie? Verhülle, Nacht,
Ein Weilchen mich!
Er tritt beiseite.
Romeo und Balthasar mit einer Fackel, Haue u.s.w.
ROMEO.
Gib mir das Eisen und die Haue her!
Nimm diesen Brief: früh morgens siehe zu,
Daß du ihn meinem Vater überreichst.
Gib mir das Licht! Aufs Leben bind' ich's dir:
Was du auch hörst und siehst, bleib' in der Ferne,
Und unterbrich mich nicht in meinem Tun!
Ich steig' in dieses Todesbett hinab,[169]
Teils meiner Gattin Angesicht zu sehn,
Vornehmlich aber einen kostbar'n Ring
Von ihren toten Fingern abzuziehn,
Den ich zu einem wicht'gen Werk bedarf.
Drum auf und geh! Und kehrest du zurück,
Vorwitzig meiner Absicht nachzuspähn,
Bei Gott! so reiß ich dich in Stücke, säe
Auf diesen gier'gen Boden deine Glieder.
Die Nacht und mein Gemüt sind wütend-wild.
Viel grimmer und viel unerbittlicher
Als durst'ge Tiger und die wüste See.
BALTHASAR.
So will ich weggehn, Herr, und Euch nicht stören.
ROMEO.
Dann tust du als mein Freund. Nimm, guter Mensch,
Leb' und sei glücklich, und gehab' dich wohl!
BALTHASAR für sich.
Trotz allem dem will ich mich hier verstecken:
Ich trau' ihm nicht, sein Blick erregt mir Schrecken.
Entfernt sich.
ROMEO.
O du verhaßter Schlund! du Bauch des Todes!
Der du der Erde Köstlichstes verschlangst,
So brech' ich deine morschen Kiefern auf
Und will, zum Trotz, noch mehr dich überfüllen.
Er bricht die Türe des Gewölbes auf.
PARIS.
Ha! der verbannte, stolze Montague,
Der Juliens Vetter mordete; man glaubt,
An diesem Grame starb das holde Wesen;
Hier kommt er nun, um niederträcht'gen Schimpf
Den Leichen anzutun: ich will ihn greifen. –
Tritt hervor.
Laß dein verruchtes Werk, du Montague!
Wird Rache übern Tod hinaus verfolgt?
Verdammter Bube! ich verhafte dich:
Gehorch' und folge mir, denn du mußt sterben.
ROMEO.
Fürwahr, das muß ich: darum kam ich her.
Versuch' nicht, guter Jüngling, den Verzweifelnden!
Entflieh' und laß mich; denke dieser Toten!
Laß sie dich schrecken! – Ich beschwör' dich, Jüngling,
Lad' auf mein Haupt nicht eine neue Sünde,[170]
Wenn du zur Wut mich reizest; geh, o geh!
Bei Gott, ich liebe mehr dich als mich selbst,
Denn gegen mich gewaffnet komm' ich her.
Fort! eile! leb' und nenn barmherzig ihn,
Den Rasenden, der dir gebot zu fliehn!
PARIS.
Ich kümmre mich um dein Beschwören nicht
Und greife dich als Missetäter hier.
ROMEO.
Willst du mich zwingen? Knabe, sieh dich vor!
Sie fechten.
PAGE.
Sie fechten! Gott! Ich will die Wache rufen.
PARIS.
Oh, ich bin hin! –
Fällt.
Hast du Erbarmen, öffne
Die Gruft und lege mich zu Julien!
Er stirbt.
ROMEO.
Auf Ehr', ich will's. – Laßt sein Gesicht mich schaun:
Mercutios edler Vetter ist's, Graf Paris!
Was sagte doch mein Diener, weil wir ritten,
Als die bestürmte Seel' es nicht vernahm? –
Ich glaube: Julia habe sich mit Paris
Vermählen sollen; sagt' er mir nicht so?
Wie, oder träumt' ich's? oder bild' ich's mir
Im Wahnsinn ein, weil er von Julien sprach?
Oh, gib mir deine Hand, du, so wie ich
Ins Buch des herben Unglücks eingezeichnet!
Ein siegeprangend Grab soll dich empfangen.
Ein Grab? Nein, eine Leucht', erschlagner Jüngling!
Denn hier liegt Julia: ihre Schönheit macht
Zur lichten Feierhalle dies Gewölb'.
Da lieg' begraben, Tod, von einem Toten! –
Er legt den Paris in das Begräbnis.
Wie oft sind Menschen, schon des Todes Raub,
Noch fröhlich worden! Ihre Wärter nennen's
Den letzten Lebensblitz. Wohl mag dann dies
Ein Blitz mir heißen. – O mein Herz! mein Weib!
Der Tod, der deines Odems Balsam sog,
Hat über deine Schönheit nichts vermocht.
Noch bist du nicht besiegt: der Schönheit Fahne
Weht purpurn noch auf Lipp' und Wange dir;[171]
Hier pflanzte nicht der Tod sein bleiches Banner. –
Liegst du da, Tybalt, in dem blut'gen Tuch?
Oh, welchen größern Dienst kann ich dir tun,
Als mit der Hand, die deine Jugend fällte,
Des Jugend, der dein Feind war, zu zerreißen?
Vergib mir, Vetter! – Liebe Julia,
Warum bist du so schön noch? Soll ich glauben –
Ja, glauben will ich (komm, lieg' mir im Arm!),
Der körperlose Tod entbrenn' in Liebe,
Und der verhaßte, hagre Unhold halte
Als seine Buhle hier im Dunkel dich.
Aus Furcht davor will ich dich nie verlassen,
Und will aus diesem Palast dichter Nacht
Nie wieder weichen. Hier, hier will ich bleiben
Mit Würmern, so dir Dienerinnen sind.
Oh, hier bau' ich die ew'ge Ruh'statt mir,
Und schüttle von dem lebensmüden Leibe
Das Joch feindseliger Gestirne. – Augen,
Blickt euer Letztes! Arme, nehmt die letzte
Umarmung! und, o Lippen, ihr, die Tore
Des Odems, siegelt mit rechtmäß'gem Kusse
Den ewigen Vertrag dem Wuch'rerTod!
Komm, bittrer Führer! widriger Gefährt'!
Verzweifelter Pilot! Nun treib' auf einmal
Dein sturmerkranktes Schiff in Felsenbrandung!
Dies auf dein Wohl, wo du auch stranden magst!
Dies meiner Lieben! –
Er trinkt.
O wackrer Apotheker!
Dein Trank wirkt schnell. – Und so im Kusse sterb' ich.
Er stirbt.
Bruder Lorenzo kommt am andern Ende des Kirchhofes mit Laterne, Brecheisen und Spaten.
LORENZO.
Helf' mir Sankt Franz! Wie oft sind über Gräber
Nicht meine alten Füße schon gestolpert!
Wer ist da?
BALTHASAR.
Ein Freund, und einer, dem Ihr wohl bekannt.
LORENZO.
Gott segne dich! Sag mir, mein guter Freund,
Welch eine Fackel ist's, die dort ihr Licht[172]
Umsonst den Würmern leiht und blinden Schädeln?
Mir scheint, sie brennt in Capulets Begräbnis.
BALTHASAR.
Ja, würd'ger Pater, und mein Herr ist dort,
Ein Freund von Euch.
LORENZO.
Wer ist es?
BALTHASAR.
Romeo.
LORENZO.
Wie lange schon?
BALTHASAR.
Voll eine halbe Stunde.
LORENZO.
Geh mit mir zu der Gruft!
BALTHASAR.
Ich darf nicht, Herr.
Mein Herr weiß anders nicht, als ich sei fort,
Und drohte furchtbarlich den Tod mir an,
Blieb' ich, um seinen Vorsatz auszuspähn.
LORENZO.
So bleib': ich geh' allein. – Ein Grau'n befällt mich;
Oh, ich befürchte sehr ein schlimmes Unglück!
BALTHASAR.
Derweil ich unter dieser Ulme schlief,
Träumt' ich, mein Herr und noch ein andrer föchten,
Und er erschlüge jenen.
LORENZO.
Romeo?
Er geht weiter nach vorn.
O wehe, weh mir! Was für Blut befleckt
Die Steine hier an dieses Grabmals Schwelle?
Was wollen diese herrenlosen Schwerter,
Daß sie verfärbt hier liegen an der Stätte
Des Friedens?
Er geht in das Begräbnis.
Romeo? – Ach, bleich! Wer sonst?
Wie? Paris auch? und in sein Blut getaucht? –
Oh, welche unmitleid'ge Stund' ist schuld
An dieser kläglichen Begebenheit? –
Das Fräulein regt sich.
JULIA erwachend.
O Trostesbringer! Wo ist mein Gemahl?
Ich weiß recht gut noch, wo ich sollte sein:
Da bin ich auch. – Wo ist mein Romeo?
Geräusch von Kommenden.
LORENZO.
Ich höre Lärm. – Kommt, Fräulein, flieht die Grube
Des Tods, der Seuchen, des erzwungnen Schlafs:
Denn eine Macht, zu hoch dem Widerspruch,
Hat unsern Rat vereitelt. Komm, o komm![173]
Dein Gatte liegt an deinem Busen tot,
Und Paris auch; komm, ich versorge dich
Bei einer Schwesterschaft von heil'gen Nonnen.
Verweil' mit Fragen nicht: die Wache kömmt.
Geh, gutes Kind!
Geräusch hinter der Szene.
Ich darf nicht länger bleiben.
Ab.
JULIA.
Geh nur, entweich'! denn ich will nicht von hinnen. –
Was ist das hier? Ein Becher, festgeklemmt
In meines Trauten Hand? – Gift, seh' ich, war
Sein Ende vor der Zeit. – O Böser! Alles
Zu trinken, keinen güt'gen Tropfen mir
Zu gönnen, der mich zu dir brächt'? – Ich will
Dir deine Lippen küssen. Ach, vielleicht
Hängt noch ein wenig Gift daran, und läßt mich
An einer Labung sterben.
Sie küßt ihn.
Deine Lippen
Sind warm. –
WÄCHTER hinter der Szene.
Wo ist es, Knabe? Führ' uns!
JULIA.
Wie? Lärm? – Dann schnell nur! –
Sie ergreift Romeos Dolch.
O willkommner Dolch!
Dies werde deine Scheide!
Ersticht sich.
Roste da,
Und laß mich sterben!
Sie fällt auf Romeos Leiche, und stirbt.
Wache mit dem Pagen des Paris.
PAGE.
Dies ist der Ort: da, wo die Fackel brennt.
ERSTER WÄCHTER.
Der Boden ist voll Blut: sucht auf dem Kirchhof,
Ein Paar von euch; geht, greifet, wen ihr trefft!
Einige von der Wache ab.
Betrübt zu sehn! Hier liegt der Graf erschlagen,
Und Julia blutend, warm und kaum verschieden,
Die schon zwei Tage hier begraben lag. –
Geht, sagt's dem Fürsten! Weckt die Capulets!
Lauft zu den Montagues! Ihr andern sucht!
Andre Wächter ab.[174]
Wir sehn den Grund, der diesen Jammer trägt;
Allein den wahren Grund des bittern Jammers
Erfahren wir durch näh're Kundschaft nur.
Einige von der Wache kommen mit Balthasar.
ZWEITER WÄCHTER.
Hier ist der Diener Romeos; wir fanden
Ihn auf dem Kirchhof.
ERSTER WÄCHTER.
Bewahrt ihn sicher, bis der Fürst erscheint!
Ein andrer Wächter mit Lorenzo.
DRITTER WÄCHTER.
Hier ist ein Mönch, der zittert, weint und ächzt;
Wir nahmen ihm den Spaten und die Haue,
Als er von jener Seit' des Kirchhofs kam.
ERSTER WÄCHTER.
Verdächt'ges Zeichen! Haltet auch den Mönch!
Der Prinz und Gefolge.
PRINZ.
Was für ein Unglück ist so früh schon wach,
Das uns aus unsrer Morgenruhe stört?
Capulet, Gräfin Capulet und andre kommen.
CAPULET.
(Was ist's, daß draußen so die Leute schrein?)
[GRÄFIN CAPULET].
Das Volk ruft auf den Straßen: »Romeo«,
Und »Julia«, und »Paris«; alles rennt
Mit lautem Ausruf unserm Grabmal zu.
PRINZ.
Welch Schrecken ist's, das unser Ohr betäubt?
ERSTER WÄCHTER.
Durchlaucht'ger Herr, entleibt liegt hier Graf Paris;
Tot Romeo; und Julia, tot zuvor,
Noch warm und erst getötet.
PRINZ.
Sucht, späht, erforscht die Täter dieser Greuel!
ERSTER WÄRTER.
Hier ist ein Mönch und Romeos Bedienter.
Man fand Gerät bei ihnen, das die Gräber
Der Toten aufzubrechen dient.
CAPULET.
O Himmel!
O Weib! sieh hier, wie unsre Tochter blutet!
Der Dolch hat sich verirrt; sieh, seine Scheide
Liegt ledig auf dem Rücken Montagues,
Er selbst steckt fehl in unsrer Tochter Busen.[175]
GRÄFIN CAPULET.
O weh mir! Dieser Todesanblick mahnt
Wie Grabgeläut' mein Alter an die Grube.
Montague und andre kommen.
PRINZ.
Komm, Montague! Früh hast du dich erhoben,
Um früh gefallen deinen Sohn zu sehn.
MONTAGUE.
Ach, gnäd'ger Fürst, mein Weib starb diese Nacht:
Gram um des Sohnes Bann entseelte sie.
Welch neues Leid bricht auf mein Alter ein?
PRINZ.
Schau hin, und du wirst sehn.
MONTAGUE.
O Ungeratner! was ist das für Sitte,
Vor deinem Vater dich ins Grab zu drängen?
PRINZ.
Versiegelt noch den Mund des Ungestüms,
Bis wir die Dunkelheiten aufgehellt
Und ihren Quell und wahren Ursprung wissen.
Dann will ich Eurer Leiden Hauptmann sein,
Und selbst zum Tod Euch führen. – Still indes!
Das Mißgeschick sei Sklave der Geduld. –
Führt die verdächtigen Personen vor!
LORENZO.
Mich trifft, obschon den unvermögendsten,
Am meisten der Verdacht des grausen Mordes,
Weil Zeit und Ort sich gegen mich erklärt.
Hier steh' ich, mich verdammend und verteid'gend,
Der Kläger und der Anwalt meiner selbst.
PRINZ.
So sag ohn' Umschweif, was du hievon weißt!
LORENZO.
Kurz will ich sein, denn kurze Frist des Odems
Versagt gedehnte Reden. Romeo,
Der tot hier liegt, war dieser Julia Gatte,
Und sie, die tot hier liegt, sein treues Weib.
Ich traute heimlich sie; ihr Hochzeittag
War Tybalts letzter, des unzeit'ger Tod
Den jungen Gatten aus der Stadt verbannte;
Und Julia weint' um ihn, nicht um den Vetter.
Ihr, um den Gram aus ihrer Brust zu treiben,
Verspracht und wolltet sie dem Grafen Paris
Vermählen mit Gewalt. – Da kömmt sie zu mir
Mit wildem Blick, heißt mich auf Mittel sinnen,
Um dieser zweiten Heirat zu entgehn,[176]
Sonst wollt' in meiner Zelle sie sich töten.
Da gab ich, so belehrt durch meine Kunst,
Ihr einen Schlaftrunk; er bewies sich wirksam
Nach meiner Absicht, denn er goß den Schein
Des Todes über sie. Indessen schrieb ich
An Romeo, daß er sich herbegäbe,
Und hülf' aus dem erborgten Grab sie holen
In dieser Schreckensnacht, als um die Zeit,
Wo jenes Trankes Kraft erlösche. Doch
Den Träger meines Briefs, den Bruder Marcus,
Hielt Zufall auf, und gestern abend bracht' er
Ihn mir zurück. Nun ging ich ganz allein
Um die bestimmte Stunde des Erwachens,
Sie zu befrein aus ihrer Ahnen Gruft,
Und dacht' in meiner Zelle sie zu bergen,
Bis ich es Romeon berichten könnte.
Doch wie ich kam, Minuten früher nur,
Eh' sie erwacht, fand ich hier tot zu früh
Den treuen Romeo, den edlen Paris.
Jetzt wacht sie auf; ich bat sie, fortzugehn
Und mit Geduld des Himmels Hand zu tragen:
Doch da verscheucht' ein Lärm mich aus der Gruft.
Sie, in Verzweiflung, wollte mir nicht folgen
Und tat, so scheint's, sich selbst ein Leides an.
Dies weiß ich nur; und ihre Heirat war
Der Wärterin vertraut. Ist etwas hier
Durch mich verschuldet, laßt mein altes Leben,
Nur wenig Stunden vor der Zeit, der Härte
Des strengsten Richterspruchs geopfert werden!
PRINZ.
Wir kennen dich als einen heil'gen Mann. –
Wo ist der Diener Romeos? Was sagt er?
BALTHASAR.
Ich brachte meinem Herrn von Juliens Tod
Die Zeitung, und er ritt von Mantua
In Eil' zu diesem Platz, zu diesem Grabmal.
Den Brief hier gab er mir für seinen Vater,
Und drohte Tod mir, gehend in die Gruft,
Wo ich mich nicht entfernt' und dort ihn ließe.
PRINZ.
Gib mir den Brief; ich will ihn überlesen. –[177]
Wo ist der Bub' des Grafen, der die Wache
Geholt? – Sag, Bursch, was machte hier dein Herr?
PAGE.
Er kam, um Blumen seiner Braut aufs Grab
Zu streun, und hieß mich fern stehn, und das tat ich.
Drauf naht sich wer mit Licht, das Grab zu öffnen,
Und gleich zog gegen ihn mein Herr den Degen;
Und da lief ich davon und holte Wache.
PRINZ.
Hier dieser Brief bewährt das Wort des Mönchs,
Den Liebesbund, die Zeitung ihres Todes:
Auch schreibt er, daß ein armer Apotheker
Ihm Gift verkauft, womit er gehen wolle
Zu Juliens Gruft, um neben ihr zu sterben. –
Wo sind sie, diese Feinde? – Capulet! Montague!
Seht, welch ein Fluch auf eurem Hasse ruht,
Daß eure Freuden Liebe töten muß!
Auch ich, weil ich dem Zwiespalt nachgesehn.
Verlor ein paar Verwandte: – Alle büßen.
CAPULET.
O Bruder Montague, gib mir die Hand:
Das ist das Leibgedinge meiner Tochter,
Denn mehr kann ich nicht fordern.
MONTAGUE.
Aber ich
Vermag dir mehr zu geben; denn ich will
Aus klarem Gold ihr Bildnis fert'gen lassen.
Solang' Verona seinen Namen trägt,
Komm' nie ein Bild an Wert dem Bilde nah
Der treuen, liebevollen Julia.
CAPULET.
So reich will ich es Romeon bereiten:
Die armen Opfer unsrer Zwistigkeiten!
PRINZ.
Nur düstern Frieden bringt uns dieser Morgen;
Die Sonne scheint, verhüllt vor Weh, zu weilen.
Kommt, offenbart mir ferner, was verborgen:
Ich will dann strafen, oder Gnad' erteilen;
Denn niemals gab es ein so herbes Los
Als Juliens und ihres Romeos.
Alle ab.[178]
Ausgewählte Ausgaben von
Romeo und Julia
|
Buchempfehlung
Drei Erzählungen aus den »Neuen Dorf- und Schloßgeschichten«, die 1886 erschienen.
64 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.
428 Seiten, 16.80 Euro