Sechste Szene

[816] Cominius und sein Heer auf dem Rückzuge.


COMINIUS.

Erfrischt euch, Freunde! Gut gekämpft! Wir hielten

Wie Römer uns: nicht tollkühn dreist im Stehn,

Noch feig im Rückzug. Auf mein Wort, ihr Krieger,

Der Angriff wird erneut. Indem wir kämpften,

Erklang, vom Wind geführt, in Zwischenräumen

Der Freunde Schlachtruf. Oh! ihr Götter Roms!

Führt sie zu Ruhm und Sieg, so wie uns selbst,[816]

Daß unsre Heere, lächelnd sich begegnend,

Euch dankbar Opfer bringen!


Ein Bote tritt auf.


Deine Botschaft?

BOTE.

Die Mannschaft von Corioli brach aus

Und fiel den Marcius und den Lartius an;

Ich sah die Unsern zu den Schanzen fliehn,

Da eilt' ich fort.

COMINIUS.

Mich dünkt, sprichst du auch wahr,

So sprichst du doch nicht gut. Wie lang' ist's her?

BOTE.

Mehr als 'ne Stunde, Herr.

COMINIUS.

's ist keine Meil', wir hörten noch die Trommeln.

Wie – gingst du eine Stund' auf diese Meile?

Und bringst so spät Bericht?

BOTE.

Der Volsker Späher

Verfolgten mich, so lief ich einen Umweg

Von drei, vier Meilen; sonst bekamt Ihr, Herr,

Vor einer halben Stunde schon die Botschaft.


Marcius tritt auf.


COMINIUS.

Doch, wer ist jener,

Der aussieht wie geschunden? Oh! ihr Götter!

Er trägt des Marcius Bildung, und schon sonst

Hab' ich ihn so gesehn.

MARCIUS.

Komm' ich zu spät?

COMINIUS.

Der Schäfer unterscheidet nicht so gut

Schalmei und Donner, wie ich Marcius' Stimme

Von jedem schwächern Laut.

MARCIUS.

Komm' ich zu spät?

COMINIUS.

Ja, wenn du nicht in fremdem Blut gekleidet,

Im eignen kommst.

MARCIUS.

Oh! laßt mich Euch umschlingen

Mit kräft'gen Armen, wie als Bräutigam,

Mit freud'gem Herzen, wie am Hochzeitstag,

Als Kerzen mir zu Bett geleuchtet!

COMINIUS.

Oh!

Mein Kriegesheld, wie geht's dem Titus Lartius?[817]

MARCIUS.

Wie einem, der geschäftig Urteil spricht,

Zum Tode den verdammt, den zur Verbannung,

Den frei läßt, den beklagt, dem andern droht.

Er hält Corioli im Namen Roms,

So wie ein schmeichelnd Windspiel, an der Leine,

Die er nach Willkür löst.

COMINIUS.

Wo ist der Sklav',

Der sprach, sie schlügen Euch zurück ins Lager?

Wo ist er? Ruft ihn her!

MARCIUS.

Nein, laßt ihn nur!

Die Wahrheit sprach er; doch die edlen Herrn,

Das niedre Volk (verdammt! für sie Tribunen), –

Die Maus läuft vor der Katze nicht, wie sie

Vor Schuften rannten, schlechter als sie selbst.

COMINIUS.

Wie aber drangt Ihr durch?

MARCIUS.

Ist zum Erzählen Zeit? Ich denke nicht. –

Wo ist der Feind? Seid Ihr des Feldes Herr?

Wo nicht, was ruht Ihr, bis Ihr's seid?

COMINIUS.

O Marcius!

Wir fochten mit Verlust und zogen uns

Zurück, den Vorteil zu erspähn.

MARCIUS.

Wie steht ihr Heer? Wißt Ihr, auf welcher Seite

Die beste Mannschaft ist?

COMINIUS.

Ich glaube, Marcius,

Im Vordertreffen kämpfen die Antiaten,

Ihr bestes Volk; Aufidius führt sie an,

Der ihrer Hoffnung Seel' und Herz.

MARCIUS.

Ich bitt' dich,

Bei jeder Schlacht, in der vereint wir fochten,

Bei dem vereint vergoßnen Blut, den Schwüren,

Uns ewig treu zu lieben: stell' mich grade

Vor die Antiaten und Aufidius hin;

Und säumt nicht länger! Nein, im Augenblick

Erfülle Speer- und Schwertgetön die Luft,

Und proben wir die Stunde!

COMINIUS.

Wünscht'ich gleich,

Du würdest in ein laues Bad geführt,

Dir Balsam aufgelegt: doch wag' ich nie,[818]

Dir etwas zu verweigern. Wähl' dir selbst

Für diesen Kampf die Besten!

MARCIUS.

Das sind nur

Die Willigsten. Ist irgendeiner hier

Und Sünde wär's, zu zweifeln), dem die Schminke

Gefällt, mit der er hier mich sieht gemalt,

Der üblen Ruf mehr fürchtet als den Tod,

Und schön zu sterben wählt statt schlechten Lebens,

Sein Vaterland mehr als sich selber liebt:

Wer so gesinnt, ob einer oder viele,

Der schwing' die Hand, um mir sein Ja zu sagen,

Und folge Marcius!


Alle jauchzen, schwingen die Schwerter, drängen sich um ihn und heben ihn auf ihren Armen empor.


Wie? Alle eins? Macht ihr ein Schwert aus mir?

Ist dies kein äußrer Schein, wer von euch allen

Ist nicht vier Volsker wert? Ein jeder kann

Aufidius einen Schild entgegen tragen,

So hart wie seiner. Eine Anzahl nur,

Dank' ich schon allen, wähl' ich: und den andern

Spar' ich die Arbeit für den nächsten Kampf,

Wie er sich bieten mag. Voran, ihr Freunde!

Vier meiner Leute mögen die erwählen,

Die mir am liebsten folgen.

COMINIUS.

Kommt, Gefährten:

Beweist, daß ihr nicht prahltet, und ihr sollt

Uns gleich in allem sein.


Alle ab.


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 4, Berlin: Aufbau, 1975, S. 816-819.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Coriolanus
Shakespeare, William: Shakespeare's dramatische Werke / Die Comödie der Irrungen. - Die beiden Veroneser. - Coriolanus. Liebes Leid und Lust
Coriolanus. Tragödie.
Julius Cäsar /Antonius und Cleopatra /Coriolanus
Coriolan / The Tragedy of Coriolanus (Gesamtausgabe, Band 31)
Shakespeare's Dramatische Werke: Einleitungen. Viel Lärmen Um Nichts. Die Comödie Der Irrungen. Die Beiden Veroneser. Coriolanus / Uebersetzt Von Dorothea Tieck. Liebes Leid Und Lust (German Edition)

Buchempfehlung

Diderot, Denis

Die geschwätzigen Kleinode oder die Verräter. (Les Bijoux indiscrets)

Die geschwätzigen Kleinode oder die Verräter. (Les Bijoux indiscrets)

Die frivole Erzählung schildert die skandalösen Bekenntnisse der Damen am Hofe des gelangweilten Sultans Mangogul, der sie mit seinem Zauberring zur unfreiwilligen Preisgabe ihrer Liebesabenteuer nötigt.

180 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon