Poëtisch gedicht, vber das Ecce Homo, nach der Geißlung, vnd Crönung Christi

[249] 1.

Schavv den menschen/ O du schnöde/

Frech/ vnd stoltze/ böse welt.

Ach nit Jesum vollens töde/

Schaw wie gar ist er mißstellt!

Schaw die wunden sich entschliessen/

Schaw der safft herausser bricht/[249]

Schaw die rothe bächlein fliessen/

Färben leib/ vnd angesicht.


2.

Schavv den menschen/ gar zergerbet/

Gar mit ruthen rissen auff:

Viel zu starck er ist gefärbet;

Purpur war zu guten kauff.

O der viel zu scharpffen ruten!

O was wunder vberal!

Ach nun höret auff zu bluten

Heisse brünlein ohne zahl.


3.

Schavv den menschen/ den die liebe

Viel zu starck am hertzen brann:

Lieb vom himmel jhn vertriebe/

Nacket er zur erden rann.

Er zun menschen vnverdrossen

Sprang vom seinem gülden saal/

Jhn die menschen gar verstossen/

Hassen/ meiden vberal.


4.

Schavv den menschen/ der die menschen

Suchet ohne massen sehr:

Schaw den menschen/ den die menschē

Fliehen ohne widerkehr:

Ach wie brennet er von liebe!

Bleibet stäts gezündet an![250]

Ich für wunder mich ergibe/

Kaum ich mehr gereden kan.


5.

Schavv den menschen/ der vom vatter

Wurd gebohren ewiglich/

Ich erzitter/ vnd ertatter/

Wan ich recht bedencke mich.

Gott von wahrem Gott geboren/

Liecht von wahrem liecht gezünd/

Steht verspottet gleich den Toren/

Büsset lauter frembde sünd.


6.

Schavv den menschen/ der auß nichten

Erd/ vnd himmel schaffen thät:

Wunder thaten vnd geschichten/

Kamen her von seiner redt.

Nur mit einem wort alleine

Schuff er alle wunder groß/

Thier/ vnd menschen ich vermeine/

Sampt geschöpffen lebenloß.


7.

Schavv den menschen/ der auß nichten

Mon/ vnd sternen zündet an.

Der die baanen thäte richten/

Eh die sonn im circkel rann.

Gleich die reine tag/ vnd nachten

Mahlten vns den erden-creiß/[251]

Vnd von Ost- vnd Westen brachten

Braune schatten/ stralen weiß.


8.

Schavv den menschen/ der zun wolcken

Hoch aufführet dämpff/ vnd meer/

Der auch alle wind vnd wolcken

Tummlet in den lüfften lär:

Der mit seinen stralen schröcket

Alles feucht/ vnd trocken-landt:

Schaw nun er in ängsten stecket/

Leidet spott/ vnd narren-tand.


9.

Schavv den menschen/ den die Engel

Tieff gebogen betten an;

Schaw nun jhm die galgenschwengel/

Jhm die Schergen widerstahn.

Schimpfflich habens jhn gecrönet;

Zeugets jener dörnen hut:

Ernstlich habens jhn verhönet;

Zeugens jene streich/ vnd blut.


10.

Schavv den menschen/ schaw den waren

Spiegel der Dreyfaltigkeit/

Alle klarheit ist entfahren/

Aller schein/ vnd herrligkeit.

O wie vor so reine Fackel!

O wie reiner augen-brandt![252]

Ist nun worden voller mackel/

Voller speichel/ voller schand.


11.

Schavv den menschen/ schaw den brunnē

Aller lust/ vnd lieblichkeit:

Schaw die wässer seind entrunnen/

Alles voller speichel geit.

O wie vor so schöne wangen!

O wie vor so lefftzen rein!

Alle schönheit ist entgangen/

Aller glantz/ vnd augen-schein.


12.

Schavv den menschen/ der vnschuldig

Wird verdampt zum galgen-todt.

O wie friedsam/ vnd gedultig

Leidet er die wunden roth.

Schaw den menschen der von Heiden/

Der von Juden wird veracht:

O wie spöttlich er von beyden

Wird verwisen/ vnd verlacht!


13.

Schavv den menschen/ der zu richten

Kombt gewiß an jenem tag/

Dan wird er all schuld/ vnd pflichten/

Vnd anhören alle klag.

Er die todten wird erwecken/

Jhn das leben blasen ein;[253]

Wird mit jhrem fleisch bedecken

All/ vnd jede menschen-bein.


14.

Er alsdan in fewr/ vnd flammen

Wird ersäuffen alle Land/

Er die sünder wird verdammen

Zu dem blawen höllen-brand.

O was heulen! o was klagen/

Er wird haben da bereit!

Da nach diesen schnöden tagen/

Brennt das fewr in ewigkeit.


15.

O wir arme menschen-kinder/

Wie dan werden wir bestahn?

Weil wir also schnöde sünder

Jhn so gar zergeißlet han?

Wir auch haben jhn gecrönet/

Wir die dörn gepresset ein/

Wir auch haben jhn verhönet/

Jhm gesponnen alle pein.


16.

Jesu/ wir zu deinen füssen

Werffen arm/ vnd ancker ein:

Wir da deine wunden grüssen;

Wir da hoffen sicher sein.

Ach den frieden vns doch schencke/[254]

O du roth gewaffnet held!

Ach in deinem blut versencke

Sünd vnd laster aller welt.


17.

Jesu du für vns geboren/

Du für vns gegeben dar/

Nit laß sein an vns verloren

Deine marter alle gar.

Mach doch vns in zähren schwimmen/

Mach doch vns mit deinem blut

Leschen deines vatters grimmen/

Seinen zorn vnd hertzen-glut.

Quelle:
Friedrich Spee: Trutznachtigall, Halle a.d.S. 1936, S. 249-255.
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