|
[77] Aeschines.
Vielmal sei mir gegrüßt, o Thyonichos!
Thyonichos.
Sei es mir gleichfalls,
Aeschines!
Aeschines.
Endlich einmal!
Thyonichos.
Wie so? Was hast du für Kummer?
Aeschines.
Hier geht's nicht zum Besten, Thyonichos.
Thyonichos.
Darum so mager.
Auch, und so lang dein Bart und so wild und struppig die Locken!
Unlängst kam so Einer hierher, ein Pythagoräer,
Uebelsichtig und unbeschuht: er sei aus Athene,
Sagt' er; es war ihm an Brod, wie mich dünkt, am meisten gelegen.
Aeschines.
Du kannst scherzen, o Freund! – Mich höhnt die schöne Kyniska.
Rasend macht es mich noch! kein Haar breit fehlt, und ich bin es![78]
Thyonichos.
Immer derselbe, mein Aeschines, bist du! – ein wenig zu hitzig,
Geht nicht Alles nach Wunsch. Nun, sage, was gibt es denn Neues?
Aeschines.
Wir, der Argeier und ich, und dann der thessalische Reiter
Apis, auch Kleunikos, der Soldat, wir tranken zusammen
Jüngst auf dem Lande bei mir. Zwei Hühnlein hatt' ich geschlachtet,
Und ein saugendes Ferkel; auch stach ich biblinischen Wein an,
Lieblichen Dufts, vierjährig beinah' und wie von der Kelter.
Zwiebeln auch tischte ich auf und Schnecken; ein herrlicher Trunk war's.
Nachgeh'nds schenkte man lauteren ein, auf Gesundheit zu trinken,
Wessen man wollte, nur war man die Namen zu nennen verpflichtet;
Und wir riefen sie laut und tranken, wie jedem beliebte.
Sie – kein Wort! Ich daneben: Wie meinst du, daß mir zu Muth war?
»Bist du stumm?« – »Du sahest den Wolf!« – scherzt' Einer – »Wie witzig!«
Sagte sie, ganz gluthroth! Du konntest ein Licht an ihr zünden.
Lykos, ja, er ist der Wolf! des Nachbars Knabe, des Labas,
Schlank gewachsen und zart, es halten ihn Viele für reizend.
In den ist sie verliebt zum Sterben! Die rührende Liebe!
Mir kam unter der Hand einmal auch etwas zu Ohren;
Aber ich Thor, dem der Bart nur umsonst wuchs, forschte nicht weiter.
– Jetzo stieg uns Vieren der Wein schon wacker zu Kopfe,
Als der Larisser auf's Neu' sein Lied vom Wolfe mir anhub –
Ganz ein thessalischer Spaß –, der Bube! Doch meine Kyniska
Brach in ein Weinen dir aus, wie kaum sechsjährige Mädchen,
Wenn sie steh'n und hinauf in den Schoos der Mutter verlangen.
Da – du kennst mich, Thyonichos – schlug ich ihr grimmig die Backe,
Rechts und links. Sie nahm ihr Gewand nur zusammen und eilend
Lief sie hinaus. »Gefall' ich dir nicht, du schändliche Dirne?
Taugt dir ein Anderer besser zum Schooskind? Geh' denn und hege
Deinen Knaben! Wie werden ihm süße die Thränelein dünken!«
Als wie die Schwalbe, die unter dem Dach den Jungen nur eben
Aetzung gebracht, mit Eile zurückfliegt, wieder zu holen,
So, und schneller noch, lief sie vom weichgepolsterten Sessel[79]
Weg, durch den Hof und zur Pforte hinaus, so weit sie der Fuß trug.
Fort ist der Stier in den Wald! so heißet es hier nach dem Sprüchwort.
Zwanzig Tage, dann acht, und neun, zehn Tage dazu noch,
Heut' ist der elfte; noch zwei, und es sind zwei völlige Monat',
Seit auseinander wir sind, und ich nicht thrakisch mein Haar schor.
Ihr ist Lykos nun Alles; zu Nacht wird dem Lykos geöffnet;
Wir, wir gelten nun nichts, wir werden nun gar nicht gerechnet:
Megarer – ganz armselig und klein, von Allen verachtet!
Könnt' ich nur kalt dabei sein, noch wäre nicht Alles verloren;
Aber so bin ich die Maus, die Pech, wie sie sagen, gekostet,
Weiß auch nirgend ein Mittel, unsinnige Liebe zu heilen!
– Simos indeß, der vordem Epichalkos' Tochter geliebt hat,
Gieng ja zu Schiff und kehrte gesund, mein Jugendgenosse.
Ich auch stech' in die See, der schlechteste unter den Kriegern
Nicht, und auch nicht der beste vielleicht, doch zähl' ich mit andern.
Thyonichos.
Möge dir, was du beginnst, nach Herzenswunsche gelingen,
Aeschines. Aber wofern du gewillt, in die Fremde zu wandern,
Schau, da wär' Ptolemäos. Er lohnet die Wackern fürstlich,
Ist voll Huld, und ein Musenfreund, einnehmend, bezaubernd;
Seine Freunde, die kennt er, und besser noch sie, die es nicht sind.
Schenkt an Viele so Viel und gewährt dem Bittenden willig,
Wie es Königen ziemt; du mußt nur um Alles nicht bitten,
Aeschines. Lüstet dich's nun, dir rechts um die Schulter das Kriegskleid
Anzuschnallen und, strack auf die Füße gestemmet, dem Anlauf
Dich des beschildeten Streiters beherzt entgegenzustellen,
Dann nur gleich nach Aegyptos! – Es setzt an den Schläfen das Alter
An bei Jedem zuerst, dann scheichen die bleichenden Haare
Uns in den Bart: d'rum Thaten gethan, da die Kniee noch grünen!
M.
Buchempfehlung
Die ersten beiden literarischen Veröffentlichungen Stifters sind noch voll romantischen Nachklanges. Im »Condor« will die Wienerin Cornelia zwei englischen Wissenschaftlern beweisen wozu Frauen fähig sind, indem sie sie auf einer Fahrt mit dem Ballon »Condor« begleitet - bedauerlicherweise wird sie dabei ohnmächtig. Über das »Haidedorf« schreibt Stifter in einem Brief an seinen Bruder: »Es war meine Mutter und mein Vater, die mir bei der Dichtung dieses Werkes vorschwebten, und alle Liebe, welche nur so treuherzig auf dem Lande, und unter armen Menschen zu finden ist..., alle diese Liebe liegt in der kleinen Erzählung.«
48 Seiten, 3.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.
442 Seiten, 16.80 Euro