XVI. Die Chariten.

[87] Immer bedacht sind die Töchter des Zeus und immer die Sänger,

Götter zu feiern, zu feiern den Ruhm großherziger Männer.

Himmlische sind sie, die Musen, und Himmlische singen von Göttern,

Wir sind Sterbliche nur, und Sterbliche singen von Menschen.

Wer von allen doch nun, so vielen der blauliche Tag scheint,

Öffnet unseren Chariten wohl, und nimmt sie mit Freuden

Auf in das Haus, und schickt sie nicht ohne Geschenke von dannen?

Murrend kehren sie wieder mit nackten Füßen nach Hause,

Schelten bitter auf mich, daß umsonst den Weg sie gewandert;

Und mit Verdruß dann wieder am Boden des ledigen Kastens

Harren sie, niedergebeugt auf die kalten Kniee das Antlitz.

Dort ist ihr trauriger Sitz, wenn gar nichts frommte die Sendung.

Sagt, wo ist noch ein Freund? wer liebt den rühmenden Sänger?

Nein, nicht trachten die Männer, um herrliche Thaten wie vormals

Jetzo gepriesen zu sein, sie beherrscht nur schnöde Gewinnsucht.

Jeglicher hält im Busen die Hand, und sinnt, wie das Geld ihm

Wuchere; traun, er verschenkte nicht Ein verrostetes Scherflein;

Sondern da sagt er gleich: »Mir ist näher das Knie wie das Schienbein!

Hab' ich nur selber etwas! Den Dichter, ihn segnen die Götter!

Aber was brauchen wir ihn? für alle genug ist Homeros.

Der ist der beste der Dichter, der nichts von dem Meinen davonträgt.«

Thoren! was nützen euch denn im Kasten die Haufen des Goldes?

Das ist nicht der Gebrauch, den Verständige machen vom Reichtum;

Sondern dem Herzen ein Teil und ein Teil den befreundeten Dienern![88]

Gutes an vielen Verwandten und vielen der anderen Menschen

Thun; allzeit auch mit Opfern der Götter Altäre besuchen;

Nimmer dem Gast ein kargender Wirt sein, sondern ihn reichlich

Pflegen am Tisch, und entlassen, wenn selbst er zu gehen verlanget.

Aber in Ehren zuerst die heiligen Priester der Musen!

Daß du, verborgen in Aïdes' Nacht, noch werdest gepriesen,

Und nicht ruhmlos traurest an Acherons kalten Gestaden,

Gleichwie ein Mann, dem die Hände vom Karst inwendig verschwielt sind,

Weinet sein Loos, die väter-ererbte, die klägliche Armut.

Einst in Antiochos' Haus und des mächtigen Fürsten Aleuas

Holten sich viele die Monatskost, dienstpflichtige Leute;

Viel auch einst, in die Ställe der edeln Skopaden getrieben,

Brülleten Kälber daher, um hochgehörnete Kühe;

Und auf den Fluren um Krannon zu Tausenden ruhten im Mittags-

Schatten die trefflichen Schafe der gastlichgesinnten Kreonden:

Aber die Freude daran ist hin, da das liebliche Leben

Weg ist, die Seele den Kahn des traurigen Greises bestiegen.

Namenlos jetzt, wieviel und wie Köstliches auch sie verließen,

Lägen auf ewig sie unter dem Schwarm unrühmlicher Toten,

Wenn nicht der keïsche Sänger, der machtvoll sang und bezaubernd

Zur vielsaitigen Laute, sie noch für die kommenden Alter

Hätte verherrlicht; es teilten den Ruhm die hurtigen Rosse,

Die mit Kränzen zurück von den heiligen Spielen gekehret.

Auch der Lykier Helden, wer kennte sie? wer die umlockten

Priamiden? und wer den mädchenfarbenen Kyknos,

Wenn kein Dichter die Schlachten der Vorzeit hätte gesungen?

Auch nicht Odysseus, der umirrete hundert und zwanzig

Monde bei jeglichem Volk, und zum äußersten Aïdes einging,

Lebend annoch, und den Klüften entrann des kyklopischen Unholds,

Freute sich dauernden Ruhms; Eumäos wäre, der Schweinhirt,

Lang verschollen, Philötios auch, der den Herden der Rinder

Treu vorstand, ja sogar der hochbeherzte Laertes,

Hätte sie nicht der Gesang des ionischen Sängers erhoben.

Nur durch die Musen erwächst den Menschen der herrliche Nachruhm.

Aller die Schätze der Toten verprassen die lebenden Erben.

Doch es ist ebenso schwer, am Strande die Wellen zu zählen,[89]

Wenn sie vom blaulichen Meere der Wind zum Gestade daher treibt,

Oder im schimmernden Quell den thonigen Ziegel zu waschen,

Als zu dem Manne zu sprechen, den ganz hinnahm die Gewinnsucht.

Mag er doch gehn! und mag sein Geld sich häufen unendlich,

Und die Begierde nach Mehr ihm rastlos zehren am Herzen,

Ich will lieber die Ehr' und die freundliche Liebe der Menschen

Haben, als viele Gespanne von Rossen und Mäuler in Haufen.

Unter den Sterblichen wer, o sagt mir, heißet will kommen

Mich in der Musen Geleit'? Denn schwer sind die Pfade des Liedes

Ohne Kronions Töchter, des mächtig waltenden Gottes.

– Stets noch führet der Himmel im Kreislauf Monden und Jahre,

Manch ein Roß auch wird noch das Rad umrollen am Wagen.

Einst wird kommen der Mann, dem not ist meines Gesanges,

Wann er vollbracht, was Achilleus der Held und der trotzige Aias

Dort in des Simoïs Flur am Mal des phrygischen Ilos.

Schon seh' ich den Phöniker, der nah an der sinkenden Sonne

Wohnt, auf der äußersten Ferse von Libya, schreckvoll starren;

Schon, schon gehn Syrakuser, die Speer' an der Mitte des Schaftes

Tragend, einher, um die Arme mit weidenen Schilden belastet!

Hieron selbst in dem Heer, an Gestalt wie Heroen der Vorwelt,

Strahlet von Erz, auf dem Helme die schattende Mähne des Rosses.

Wenn doch, o Zeus, ruhmvoller! und Pallas Athen', und o Tochter,

Die du, der Mutter gesellt, habseliger Ephyräer

Große Stadt dir erkorst an der Lysimeleia Gewässern:

Wenn ihr böses Verhängnis die Feinde doch würf' aus der Insel,

Durch das sardonische Meer, daß der Freunde Geschick sie erzählten,

Frau'n und Kindern daheim, ein zählbarer Rest von so vielen!

O wenn wieder die vorigen Bürger die Städte bewohnten,

Welche zu Schutt und Trümmern die Hände des Feindes verkehrten!

Würden die grünenden Fluren gebaut! und möchten der Schafe

Zahllos wimmelnde Scharen, auf grasiger Weide gemästet,

Blöken durchs Thal, und die Rinder, am Abende heim in die Hürden

Kehrend, zur Eil' antreiben den langsam schreitenden Wandrer!

Würden die Brachen gepflügt zur Einsaat, wenn die Cikade,

Ruhende Hirten belauschend am Mittag, singt in der Bäume

Wipfel ihr Lied! O dehnte die Spinn' ihr zartes Gewebe[90]

Über die Waffen doch aus, und verschwände der Name des Schlachtrufs!

Trügen dann Hierons hochgefeierten Namen die Dichter

Über das skythische Meer, und hin, wo die riesige Mauer

Festigend einst mit Asphalt, Semiramis herrschte, die große.

Einer der Dichter sei Ich! Doch lieben die Töchter Kronions

Auch viel andre, die alle Sikeliens Quell Arethusa

Singen, zusamt dem Volk, und Hierons herrliche Stärke.

Minysche Huldgöttinnen, geheiliget von Eteokles,

Die ihr Orchomenos liebt, die verhaßte vordem den Thebäern,

Laßt, wenn keiner uns ruft, mich zurückstehn, doch in des freundlich

Rufenden Wohnung getrost mit unseren Musen mich eingehn!

Nimmer doch laß ich von euch! Denn was bleibt Holdes den Menschen

Ohne die Chariten? Möcht' ich nur stets mit den Chariten leben.


M.

Quelle:
Theokritos: Idyllen. In: Theokritos, Bion und Moschos, Stuttgart 1883, S. 87-91.
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