Die Jungen

[660] Ich sah oft junge Staatsanwälte,

Die zielbewußt vor Torheit fliehen,

Sich üben in Gesinnungskälte,

Und – vor sie lernen – schon erziehen.


Sie haben früh, noch eh' sie's kennen,

Den Glauben an das Volk verloren,

Von dem sie vollbewußt sich trennen

Mit hohem Sinn und feuchten Ohren.


Die Denkungsart der Untertanen

Macht sie zu harten Pessimisten.

Sie folgen ihres Vorteils Fahnen

Im neuen Kurs als gute Christen.
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Sie sprechen schon von »Ziel und Zwecken

Des Staats«, von »reiflichem Ermessen«,

Von Mitteln, Sünder »abzuschrecken«,

Von »wohlverstand'nen Interessen«.


Von »falscher Milde« hört man Worte

Und von »Exempel statuieren«.

Wie fährt durch eine junge Pforte

Die Weisheit in die Welt spazieren!


Seh' ich so einen jungen Sprecher,

Halb Lausbub' und halb Staatserhalter,

Gefällt mir besser ein Verbrecher,

Als solchen dürren Sinns Verwalter.

Quelle:
Ludwig Thoma: Gesammelte Werke in sechs Bänden. Band 6, München 1968, S. 660-661.
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