[30] Obwohl Balaschow an höfische Pracht gewöhnt war, überraschte ihn doch der Prunk und die Üppigkeit der napoleonischen Hofhaltung.
Graf Turenne führte ihn in ein großes Wartezimmer, wo viele Generale und Kammerherren warteten, auch viele polnische Magnaten, von denen Balaschow nicht wenige am Hof des russischen Kaisers gesehen hatte. Duroc sagte, der Kaiser Napoleon wolle den russischen General vor seinem Spazierritt empfangen.
Nach einigen Minuten des Wartens kam ein diensttuender Kammerherr aus den inneren Gemächern in das große Wartezimmer und forderte Balaschow mit höflicher Vorbeugung auf, ihm zu folgen.
Balaschow trat in ein kleinen Empfangszimmer, aus welchem eine Tür in das Arbeitszimmer führte, in jenes selbe Arbeitszimmer, in welchem der russische Kaiser ihn abgesandt hatte. Dort stand er etwa zwei Minuten wartend da. Auf der andern Seite der Tür ließen sich eilige Schritte vernehmen. Beide Türflügel wurden schnell geöffnet, alles wurde wieder still, und nun ertönten aus dem Arbeitszimmer andere, feste, entschlossene Schritte: das war Napoleon. Er hatte soeben seine Toilette für[30] den Spazierritt beendet. Er trug einen blauen Uniformrock, der über der weißen, auf den rundlichen Bauch herabreichenden Weste aufgeknöpft war, weiße Lederhosen, welche die fetten Schenkel der kurzen Beine eng umspannten, und Stulpstiefel. Sein kurzgeschnittenes Haar war offenbar eben erst gekämmt; aber ein Haarbüschel fiel in der Mitte über die breite Stirn herab. Der dicke, weiße Hals hob sich in scharfem Farbenkontrast aus dem schwarzen Uniformkragen heraus. Der Kaiser duftete nach Eau de Cologne. Auf seinem jugendlich aussehenden, vollen Gesicht mit dem vortretenden Kinn lag der Ausdruck eines gnädigen, majestätischen, kaiserlichen Grußes.
Er trat schnell ein, bei jedem Schritt ein wenig zuckend, den Kopf etwas nach hinten zurückgeworfen. Seine ganze korpulente, kurze Figur, mit den breiten, dicken Schultern, dem unwillkürlich nach vorn herausgedrückten Brustkasten und Unterleib, hatte jenes präsentable, stattliche Aussehen, wie es bei Vierzigern, die sich nichts abgehen zu lassen brauchen, häufig ist. Außerdem war ihm anzusehen, daß er sich an diesem Tag in recht guter Stimmung befand.
Er nickte mit dem Kopf als Antwort auf Balaschows tiefe, ehrfurchtsvolle Verbeugung, trat nahe an ihn heran und begann sogleich zu reden wie jemand, dem jede Minute seiner Zeit kostbar ist und der sich nicht dazu herabläßt, seine Reden vorzubereiten, sondern überzeugt ist, daß er immer das, was nötig ist, sagen und dieses gut sagen wird.
»Guten Tag, General!« sagte er. »Ich habe den Brief des Kaisers Alexander erhalten, den Sie überbracht haben, und freue mich sehr, Sie zu sehen.« Er blickte Balaschow mit seinen großen Augen ins Gesicht, sah aber dann sogleich an ihm vorbei.
Augenscheinlich interessierte ihn Balaschows Persönlichkeit nicht im geringsten. Es war klar, daß nur das, was in seinem eigenen[31] Geist vorging, für ihn Interesse hatte. Alles, was außer seiner eigenen Person lag, hatte für ihn keine Bedeutung, weil nach seiner Auffassung alles in der Welt lediglich von seinem Willen abhing.
»Ich wünsche den Krieg nicht und habe ihn nie gewünscht«, sagte er. »Aber man drängt ihn mir auf. Auch jetzt noch« (er legte einen besonderen Nachdruck auf das Wort »jetzt«) »bin ich bereit, alle Aufklärungen anzunehmen, die Sie mir geben können.«
Und nun begann er in knapper, klarer Form die Gründe seiner Unzufriedenheit mit der russischen Regierung darzulegen. Aus dem maßvollen, ruhigen, freundlichen Ton, in dem der französische Kaiser sprach, glaubte Balaschow mit Sicherheit schließen zu dürfen, daß er den Frieden wünsche und in Unterhandlungen einzutreten beabsichtige.
»Sire! Der Kaiser, mein Gebieter ...«, begann Balaschow seine längst vorbereitete Rede, als Napoleon seine Auseinandersetzung beendet hatte und den russischen Abgesandten fragend anblickte; aber der Blick der auf ihn gerichteten Augen des Kaisers setzte ihn in Verwirrung. »Sie sind verwirrt, fassen Sie sich!« schien Napoleon gewissermaßen zu sagen, indem er mit ganz leisem Lächeln Balaschows Uniform und Degen betrachtete.
Balaschow hatte seine Fassung wiedergewonnen und begann zu reden. Er sagte, Kaiser Alexander halte den Umstand, daß Kurakin seine Pässe verlangt habe, für keine hinlängliche Ursache zum Krieg; Kurakin habe dies nach seinem eigenen Kopf und ohne die Genehmigung des Kaisers getan; Kaiser Alexander wünsche den Krieg nicht, und mit England bestehe kein geheimes Einverständnis.
»Noch nicht«, schob Napoleon dazwischen, und wie wenn er fürchtete, sich von seinem Affekt hinreißen zu lassen, zog er die[32] Augenbrauen zusammen und nickte leicht mit dem Kopf, um dadurch Balaschow zu verstehen zu geben, daß er fortfahren könne.
Nachdem Balaschow alles übrige vorgetragen hatte, was ihm befohlen war, fügte er hinzu, Kaiser Alexander wünsche den Frieden, werde aber nur unter der Bedingung in Unterhandlungen eintreten, daß ... Hier stockte Balaschow: er hatte die Worte im Gedächtnis, welche Kaiser Alexander nicht in den Brief aufgenommen, deren Einsetzung in den an Saltykow gerichteten Erlaß er aber unbedingt verlangt hatte, und welche zur Kenntnis Napoleons zu bringen auch ihm, Balaschow, vom Kaiser befohlen worden war. Balaschow hatte die Worte im Gedächtnis: »Solange noch ein einziger bewaffneter Feind auf russischem Boden steht«; aber eine Empfindung, in der sich mancherlei Elemente vereinigten, hielt ihn zurück. Er vermochte es nicht, diese Worte auszusprechen, obgleich er es tun wollte. Er stockte und sagte dann: »Unter der Bedingung, daß die französischen Truppen über den Niemen zurückgehen.«
Napoleon bemerkte, daß Balaschow in Verlegenheit geriet, als er die letzten Worte sprach; das Gesicht des Kaisers zuckte, seine linke Wade begann leise zu zittern. Ohne den Platz, wo er stand, zu verlassen, begann er lauter und schneller als vorher zu reden. Während der nun folgenden Rede des Kaisers schlug Balaschow mehrmals die Augen nieder und beobachtete unwillkürlich das Zittern der linken Wade Napoleons, das um so stärker wurde, je mehr er die Stimme erhob.
»Ich wünsche den Frieden nicht weniger als der Kaiser Alexander«, begann er. »Tue ich nicht seit achtzehn Monaten alles mögliche, um ihn zu erhalten? Seit achtzehn Monaten warte ich auf Aufklärungen. Aber was verlangt man von mir, um in Verhandlungen einzutreten?« sagte er, indem er die Stirn runzelte[33] und eine energische fragende Gebärde mit seiner kleinen, weißen, dicken Hand machte.
»Das Zurückgehen der Truppen hinter den Niemen, Majestät«, antwortete Balaschow.
»Hinter den Niemen?« wiederholte Napoleon. »Also jetzt wollen Sie, daß ich hinter den Niemen zurückgehe, nur hinter den Niemen?« fragte er noch einmal und blickte dabei Balaschow gerade ins Gesicht.
Balaschow neigte respektvoll den Kopf.
»Statt der vor vier Monaten gestellten Forderung, daß ich Pommern räumen solle, fordert man also jetzt nur, daß ich hinter den Niemen zurückgehe.« Napoleon wandte sich schnell um und begann im Zimmer auf und ab zu gehen.
»Sie sagen, daß man von mir als Bedingung für die Anknüpfung von Verhandlungen das Zurückgehen hinter den Niemen verlangt; aber genau ebenso hat man von mir vor zwei Monaten das Zurückgehen hinter die Oder und hinter die Weichsel gefordert, und obwohl ich das nicht getan habe, sind Sie jetzt doch bereit zu unterhandeln.«
Er ging schweigend von einer Ecke des Zimmers nach der andern und blieb dann wieder vor Balaschow stehen. Dieser bemerkte, daß Napoleons linke Wade noch schneller zitterte als vorher und daß sich sein Gesicht in seinem strengen Ausdruck gleichsam versteinerte. Dieses Zittern der linken Wade kannte Napoleon an sich. »Das Zittern meiner linken Wade ist bei mir ein bedeutsames Zeichen«, äußerte er gelegentlich.
»Solche Zumutungen wie die, das Land bis zur Oder und Weichsel zu räumen, kann man an den Fürsten eines Landes wie Baden richten, aber nicht an mich«, rief Napoleon fast schreiend und war selbst von dem Klang seiner Stimme überrascht. »Solche Bedingungen würde ich nicht annehmen, selbst wenn ihr[34] mir Petersburg und Moskau bötet. Ihr sagt, ich hätte diesen Krieg begonnen! Aber wer ist denn früher zur Armee gegangen? Der Kaiser Alexander und nicht ich! Und jetzt macht ihr mir den Vorschlag, Unterhandlungen zu beginnen, jetzt, wo ich Millionen ausgegeben habe, wo ihr ein Bündnis mit England geschlossen habt und wo eure Lage eine üble ist. Jetzt macht ihr mir den Vorschlag zu Unterhandlungen! Und welchen Zweck verfolgt denn euer Bündnis mit England? Was hat euch England gegeben?« sagte er schnell. Offenbar beabsichtigte er bei seiner Rede nicht mehr, die Vorteile des Friedensschlusses darzulegen und seine Möglichkeit zu erörtern, sondern nur die Rechtmäßigkeit seines eigenen Verhaltens und seiner Stärke und demgegenüber Alexanders Unrecht und schlimme Fehler zu beweisen.
Der Anfang seiner Rede hatte augenscheinlich den Zweck verfolgt, die Vorteile seiner Lage auseinander zusetzen und zu zeigen, daß er trotzdem bereit sei, in Verhandlungen einzutreten. Aber nun er ins Sprechen hineingekommen war, vermochte er, je länger er sprach, um so weniger seiner Rede eine bestimmte Richtung zu geben.
Der ganze Zweck seiner Rede war jetzt offenbar nur, sich selbst zu erhöhen und über Alexander Verletzendes zu sagen, das heißt gerade das zu tun, was er am Anfang der Unterredung am allerwenigsten hatte tun wollen.
»Es heißt, Sie hätten mit den Türken Frieden geschlossen?« Balaschow neigte bejahend den Kopf.
»Der Friede ist geschlossen ...«, begann er.
Aber Napoleon ließ ihn nicht weiterreden. Er schien allein reden zu wollen und fuhr mit jener Redelust und nervösen Unaufhaltsamkeit zu reden fort, zu welcher verwöhnte Menschen neigen.
»Ja, ich weiß, Sie haben mit den Türken Frieden geschlossen, ohne die Moldau und die Walachei zu erhalten. Und ich hätte[35] Ihrem Kaiser diese Provinzen ebenso gegeben, wie ich ihm Finnland gegeben habe. Ja«, fuhr er fort, »ich hatte es versprochen und hätte dem Kaiser Alexander die Moldau und die Walachei gegeben; und jetzt wird er nun diese schönen Provinzen nicht bekommen. Und doch hätte er sie mit seinem Reich vereinigen und so seine Herrschaft vom Bottnischen Meerbusen bis zu den Donaumündungen ausdehnen können. Katharina die Große hätte nichts Großartigeres erreichen können«, sagte Napoleon, der immer mehr in Hitze geriet, im Zimmer auf und ab ging und Balaschow gegenüber fast dieselben Worte wiederholte, die er in Tilsit zu Alexander selbst gesagt hatte. »Alles das hätte er meiner Freundschaft verdankt. Ach, was für ein schönes Reich, was für ein schönes Reich!« wiederholte er mehrere Male, blieb stehen, holte eine goldene Tabaksdose aus der Tasche, öffnete sie und zog gierig etwas von dem Inhalt mit der Nase ein. »Was für ein schönes Reich hätte das Reich des Kaisers Alexander sein können!«
Er richtete einen mitleidigen Blick auf Balaschow; aber kaum schickte sich dieser an, etwas zu bemerken, als Napoleon ihn wieder hastig unterbrach.
»Was konnte er wünschen und suchen, das er in meiner Freundschaft nicht gefunden hätte ...?« sagte er und zuckte dabei verwundert mit den Achseln. »Aber nein, er fand es besser, meine Feinde zu sich heranzuziehen, und wen? wen?« fuhr Napoleon fort. »Männer wie Stein, Armfelt, Bennigsen, Wintzingerode hat er zu sich berufen. Stein ist ein aus seinem Vaterland vertriebener Verräter, Armfelt ein Wüstling und Intrigant, Wintzingerode ein geflüchteter französischer Untertan; Bennigsen hat ein bißchen mehr von einem Soldaten an sich als die andern, aber er ist dabei doch ein unfähiger Mensch, der im Jahre 1807 nicht verstanden hat, etwas zu erreichen, und eigentlich beim[36] Kaiser Alexander schreckliche Erinnerungen erwecken müßte ... Nun ja, wenn es noch fähige Menschen wären, dann könnte man sich ihrer ja bedienen«, fuhr Napoleon fort, kaum imstande, mit dem Wort den unaufhörlich in seinem Geist sich bildenden einzelnen Gedanken zu folgen, die ihm als Beweise für sein Recht und für seine Macht (was in seiner Vorstellung dasselbe war) dienten. »Aber auch das ist nicht der Fall: sie taugen nichts, weder im Krieg noch im Frieden! Barclay, heißt es, ist tüchtiger als die übrigen; aber nach seinen ersten Bewegungen zu urteilen, kann ich das nicht sagen. Und was tun sie denn, was tun sie denn, alle diese Höflinge? Pfuel macht einen Vorschlag, Armfelt bekämpft ihn, Bennigsen prüft ihn nach, und Barclay, dessen Aufgabe es ist, mit den Truppen zu operieren, weiß dann nicht, wozu er sich entschließen soll; so vergeht die Zeit, ohne daß etwas geleistet wird. Nur Bagration ist ein Militär. Viel Verstand hat er nicht; aber er besitzt Erfahrung, Augenmaß und Entschlossenheit ... Und was für eine Rolle spielt Ihr junger Kaiser in dieser häßlichen Gesellschaft? Sie kompromittieren ihn und wälzen ihm die Verantwortung für alles, was geschieht, zu. Ein Herrscher soll sich nur dann beim Heer aufhalten, wenn er selbst ein Feldherr ist«, sagte er, und es war unverkennbar, daß diese Worte geradezu als eine Kränkung gegen die Person des Kaisers Alexander gerichtet waren. Napoleon wußte, wie heiß Alexander ein Feldherr zu sein wünschte.
»Nun ist es schon eine Woche her, daß der Feldzug begonnen hat, und ihr habt nicht einmal verstanden, Wilna zu schützen. Ihr seid in zwei Teile getrennt und aus den polnischen Provinzen vertrieben. Eure Armee murrt.«
»Im Gegenteil, Euer Majestät«, wandte Balaschow ein, der kaum imstande war, alles im Kopf zu behalten, was der Kaiser zu ihm sagte, und nur mit Mühe diesem prasselnden Feuerwerk[37] von Worten folgte. »Die Truppen brennen vor Verlangen ...«
»Ich weiß alles«, unterbrach ihn Napoleon, »ich weiß alles und kenne die Zahl eurer Bataillone ebenso genau wie die der meinigen. Ihr habt keine zweihunderttausend Mann, und ich habe dreimal soviel. Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort«, sagte Napoleon, ohne daran zu denken, daß dieses sein Ehrenwort keinen Wert haben konnte, »ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß ich fünfhundertunddreißigtausend Mann diesseits der Weichsel stehen habe. Die Türken sind für euch keine Hilfe: sie taugen zu nichts und haben das dadurch bewiesen, daß sie mit euch Frieden geschlossen haben. Und was die Schweden anlangt, so sind sie einmal dazu prädestiniert, von wahnsinnigen Königen regiert zu werden. Ihr früherer König war verrückt; sie haben ihn gewechselt und sich einen andern genommen, diesen Bernadotte, und der hat nun auch gleich den Verstand verloren; denn nur ein Wahnsinniger kann als Schwede ein Bündnis mit Rußland schließen.«
Napoleon lächelte boshaft und führte wieder die Tabaksdose an die Nase.
Auf jeden Satz Napoleons hätte Balaschow etwas zu erwidern gehabt und hätte das gern getan; er machte fortwährend Bewegungen, wie wenn er etwas zu sagen wünschte; aber Napoleon ließ ihn nicht zu Worte kommen. Gegen die Verrücktheit der Schweden wollte Balaschow sagen, daß Schweden eine Insel sei, wenn Rußland als Freund hinter ihm stehe; aber Napoleon fing zornig zu schreien an, um seine Stimme zu übertönen. Napoleon befand sich in jenem Zustand nervöser Erregung, wo man reden und reden und reden muß, nur um sich selbst zu beweisen, daß man recht hat. Balaschows Lage wurde peinlich: als Abgesandter fürchtete er, seiner Würde etwas zu[38] vergeben, und hielt für notwendig, etwas zu erwidern; aber als Mensch duckte er sich, in geistigem Sinn gesagt, vor diesem maßlosen Zorn, in den Napoleon ohne eigentlichen Grund augenscheinlich hineingeraten war. Er war überzeugt, daß alles das, was Napoleon jetzt sagte, keine weitere Bedeutung habe, und daß dieser selbst, sobald er zur Besinnung komme, sich des Gesagten schämen werde. Balaschow stand mit gesenkten Augen da, blickte danach hin, wie sich Napoleons dicke Beine beim Auf- und Abgehen bewegten, und suchte seinem Blick auszuweichen.
»Was können mir diese eure Verbündeten schaden?« sagte Napoleon. »Ich habe ganz andere Verbündete, die Polen; das sind achtzigtausend Mann; die werden wie die Löwen kämpfen. Und bald werden ihrer zweihunderttausend sein.«
Und wahrscheinlich in noch größere Aufregung hineingeratend, weil er sich bewußt war, damit eine offenbare Unwahrheit gesagt zu haben, und weil Balaschow, voll Ergebung in sein Schicksal, in derselben Haltung schweigend vor ihm dastand, drehte er sich bei seiner Wanderung kurz um, kam zurück, trat ganz dicht vor Balaschows Gesicht hin und schrie ihn unter heftigen, schnellen Gestikulationen seiner weißen Hände an:
»Das mögt ihr wissen: wenn ihr Preußen gegen mich aufwiegelt, so wische ich es von der Landkarte Europas weg«, sagte er mit blassem, wutverzerrtem Gesicht und schlug dabei energisch mit einer seiner kleinen Hände in die andere. »Ja, ich werde euch hinter die Düna und hinter den Dnjepr zurückwerfen und gegen euch jenes Bollwerk wieder aufrichten, dessen Zerstörung zu gestatten Europa verbrecherisch und blind genug war. Ja, so wird es euch ergehen; das ist's, was ihr damit gewonnen habt, daß ihr meine Gegner geworden seid«, sagte er und ging schweigend und mit den dicken Schultern zuckend wieder einige Male im Zimmer hin und her.[39]
Er steckte die Tabaksdose in die Westentasche, nahm sie aber sogleich wieder heraus, hielt sie sich ein paarmal an die Nase und blieb vor Balaschow stehen. Er schwieg, blickte dem Abgesandten spöttisch gerade in die Augen und sagte mit leiser Stimme:
»Und was für ein schönes Reich hätte Ihr Gebieter haben können!«
Balaschow, der es für notwendig hielt, etwas zu erwidern, sagte, Rußland sehe die Dinge nicht in so trübem Licht. Napoleon schwieg, fuhr fort ihn spöttisch anzusehen und hörte augenscheinlich nicht darauf hin, was er sagte. Balaschow bemerkte, in Rußland erwarte man vom Krieg alles Gute. Napoleon nickte freundlich und herablassend mit dem Kopf, wie wenn er sagen wollte: »Ich weiß, Sie müssen pflichtmäßig so sprechen; aber Sie glauben es selbst nicht; ich habe Sie überzeugt.«
Als Balaschow mit seiner Antwort zu Ende war, zog Napoleon wieder die Tabaksdose heraus, schnupfte aus ihr und klopfte, wie als Signal, mit dem Fuß zweimal auf den Boden. Die Tür öffnete sich; ein Kammerherr überreichte dem Kaiser mit ehrfurchtsvoller Verbeugung Hut und Handschuhe, ein anderer das Taschentuch. Ohne die beiden Kammerherren anzusehen, wandte sich Napoleon zu Balaschow:
»Bringen Sie von mir dem Kaiser Alexander die Versicherung«, sagte er, indem er den Hut hinnahm, »daß ich ihm wie früher ergeben bin; ich kenne ihn genau und schätze seine vorzüglichen Eigenschaften sehr hoch. Aber ich will Sie nicht länger aufhalten, General; mein Brief an den Kaiser wird Ihnen zugestellt werden.«
Mit diesen Worten ging Napoleon schnell zur Tür. Aus dem Wartezimmer eilten alle ihm voran und die Treppe hinunter.
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