IX

[129] Was die Kriegführung anbelangte, so gab Napoleon sogleich nach dem Einzug in Moskau dem General Sebastiani strengen Befehl, die Bewegungen der russischen Armee zu verfolgen; er sendete Truppenabteilungen auf verschiedenen Wegen aus und beauftragte Murat damit, Kutusow ausfindig zu machen. Ferner traf er sorgsame Anordnungen über die Befestigung des Kreml; ferner entwarf er auf der ganzen Karte von Rußland einen genialen Plan für einen künftigen Feldzug.

In diplomatischer Hinsicht ließ Napoleon den ausgeplünderten und zerlumpten Hauptmann Jakowlew zu sich kommen, der nicht wußte, wie er glücklich aus Moskau herauskommen sollte, und setzte ihm eingehend seine ganze Politik und seine Großmut auseinander. Dann schrieb er einen Brief an den Kaiser Alexander,[129] in welchem er es für seine Pflicht hielt, seinem Freund und Bruder mitzuteilen, daß Rastoptschin in Moskau schlechte Anordnungen getroffen habe, und schickte Jakowlew mit diesem Brief nach Petersburg. Auch dem alten Tutolmin machte er eingehende Mitteilungen über seine Ansichten und über seine Großmut und sendete diesen ebenfalls zum Zweck von Verhandlungen nach Petersburg.

In bezug auf die Rechtspflege wurde sogleich nach den Bränden Befehl erteilt, die Schuldigen ausfindig zu machen und zu bestrafen. Und der Bösewicht Rastoptschin wurde dadurch bestraft, daß befohlen wurde, seine Häuser in Brand zu stecken.

In administrativer Hinsicht wurde Moskau mit einer Kommunalverwaltung beschenkt. Es wurde eine Munizipalität eingesetzt und folgende Bekanntmachung erlassen:


»Einwohner Moskaus!

Schmerzliches Unglück hat euch betroffen; aber Seine Majestät der Kaiser und König will demselben ein Ziel setzen. Furchtbare Exempel haben euch gelehrt, wie er Ungehorsam und Verbrechen bestraft. Strenge Maßnahmen sind ergriffen, um der Zuchtlosigkeit ein Ende zu machen und die öffentliche Sicherheit wiederherzustellen. Eine aus eurer Mitte gewählte väterliche Verwaltungsbehörde wird eure Munizipalität oder städtische Selbstregierung bilden. Diese Behörde wird für euch, für eure Bedürfnisse, für euer Wohl Sorge tragen. Die Mitglieder werden an einer roten Schärpe kenntlich sein, die sie über der Schulter tragen werden, und der Bürgermeister wird außerdem noch einen weißen Gürtel haben. Außerhalb ihrer Amtstätigkeit jedoch werden sie nur eine rote Binde um den linken Arm tragen.

Eine städtische Polizei ist in der bisherigen Form eingerichtet, und dank ihrer Tätigkeit herrscht bereits eine bessere Ordnung.[130] Die Regierung hat zwei Generalkommissare oder Polizeimeister ernannt und zwanzig Kommissare oder Reviervorsteher, die in allen Revieren der Stadt angestellt sind. Ihr werdet sie an einer weißen Binde erkennen, die sie um den linken Arm tragen werden. Mehrere Kirchen verschiedener Religionsbekenntnisse sind geöffnet, und es wird in ihnen unbehindert Gottesdienst stattfinden. Täglich kehren mehr von euren Mitbürgern in ihre Wohnungen zurück, und es sind Befehle erlassen, daß sie in denselben die Hilfe und den Schutz finden, auf die das Unglück einen Anspruch hat. Dies sind die Mittel, welche die Regierung angewandt hat, um die Ordnung wiederherzustellen und euch eure Lage zu erleichtern. Aber um dies zu erreichen, ist erforderlich, daß ihr eure Bemühungen mit den ihrigen vereinigt, daß ihr, wenn möglich, die Leiden, die ihr erduldet habt, vergeßt, daß ihr euch der Hoffnung auf ein freundlicheres Los in der Zukunft hingebt, daß ihr davon überzeugt seid, daß ein schmählicher Tod mit Sicherheit diejenigen erwartet, die sich an euren Personen und an der euch verbliebenen Habe vergreifen, und endlich, daß ihr nicht daran zweifelt, daß euch und eurer Habe aller Schutz zuteil werden wird – denn dies ist der Wille des größten und gerechtesten aller Monarchen. Soldaten und Einwohner, welcher Nation ihr auch angehören mögt! Stellt das öffentliche Vertrauen, die Quelle des Glückes eines jeden Staates, wieder her; lebt wie Brüder; gewährt einander wechselseitig Hilfe und Schutz; vereinigt euch, um die Absichten der Übelgesinnten zu vereiteln; gehorcht den militärischen und bürgerlichen Obrigkeiten: und bald werden eure Tränen zu fließen aufhören.«


In bezug auf die Verpflegung des Heeres ordnete Napoleon an, alle Truppen sollten der Reihe nach requirierend durch Moskau ziehen, um sich Proviant zu verschaffen, damit auf diese Weise die Armee für die kommende Zeit versorgt sei.[131]

In religiöser Hinsicht befahl Napoleon, die Popen zurückzurufen und den Gottesdienst in den Kirchen wiederaufzunehmen.

Um den Handel zu heben und die Verproviantierung der Armee zu erleichtern, wurde überall der nachstehende Aufruf angeschlagen:


»Ihr friedlichen Einwohner Moskaus, Handwerker und Arbeiter, die das Unglück veranlaßt hat, die Stadt zu verlassen, und ihr Bauern, die eine unbegründete Furcht noch auf den Feldern von der Stadt fernhält, höret! Die Ruhe kehrt in diese Hauptstadt zurück, und die Ordnung wird in ihr wiederhergestellt. Eure Landsleute kommen dreist aus ihren Zufluchtsorten hervor, da sie sehen, daß ihnen nichts Übles geschieht. Jede Gewalttat, die gegen sie und ihr Eigentum verübt wird, findet unverzügliche Bestrafung. Seine Majestät der Kaiser und König läßt ihnen seinen Schutz angedeihen und hält niemand von euch für seinen Feind außer denen, die sich seinen Anordnungen widersetzen. Er will euren Leiden ein Ende machen und euch euren Heimstätten und euren Familien wiedergeben. Geht auf seine wohltätigen Absichten ein und kommt ohne jede Besorgnis zu uns. Ihr Einwohner! Kehrt vertrauensvoll in eure Behausungen zurück; ihr werdet schnell die Mittel finden, euch alles zu beschaffen, was ihr nötig habt! Ihr Handwerksmeister und arbeitsamen Gesellen! Kommt wieder zurück zu eurem Handwerk: die Häuser, die Läden, die Schutzwachen erwarten euch, und für eure Arbeit werdet ihr die euch zukommende Bezahlung erhalten! Und endlich ihr, ihr Bauern, kommt aus den Wäldern heraus, in denen ihr euch aus Angst verborgen habt; kehrt furchtlos in eure Hütten zurück, in der festen Zuversicht, daß ihr Schutz finden werdet. Es sind Verkaufsstellen in der Stadt eingerichtet, wohin die Bauern bringen können, was sie von ihren Vorräten und Feldfrüchten nicht für[132] sich selbst gebrauchen. Die Regierung hat folgende Maßregeln getroffen, um ihnen einen freien Verkauf zu sichern: 1. Vom heutigen Tag an können die Bauern und die Einwohner der Umgegend Moskaus ohne jede Gefahr ihre Produkte, von welcher Art sie auch sein mögen, in die Stadt bringen, nach den beiden festgesetzten Verkaufsstellen, nämlich nach der Mochowaja-Straße und auf den Ochotny-Markt. 2. Diese Produkte werden ihnen zu demjenigen Preis abgekauft werden, über den sich der Käufer und der Verkäufer untereinander einigen; wenn jedoch der Verkäufer den von ihm geforderten angemessenen Preis nicht erhält, so wird es dem Verkäufer freistehen, seine Ware wieder nach seinem Dorf mitzunehmen, und niemand darf ihn daran unter irgendeinem Vorwand hindern. 3. Am Sonntag und Mittwoch einer jeden Woche soll großer Markttag sein; zu diesem Zweck wird eine hinlängliche Menge von Truppen dienstags und sonnabends auf allen großen Landstraßen in einer solchen Entfernung von der Stadt postiert werden, daß sie die betreffenden Fuhren beschützen kann. 4. Dieselben Maßnahmen werden ergriffen werden, damit die Bauern mit ihren Fuhrwerken und Pferden auf dem Rückweg in keiner Weise behindert werden. 5. Es werden unverzüglich Mittel zur Anwendung gebracht werden, um die gewöhnlichen Märkte wiederherzustellen. Ihr Bewohner der Stadt und der Dörfer, und ihr, ihr Arbeiter und Handwerker, zu welcher Nation ihr auch gehören mögt! Es ergeht an euch die Aufforderung, die väterlichen Absichten Seiner Majestät des Kaisers und Königs ausführen zu helfen und mit ihm zur Förderung des Gemeinwohls mitzuwirken. Bringt ihm Ehrerbietung und Vertrauen entgegen und zögert nicht, euch mit uns zu vereinigen!«


Um die Stimmung des Heeres und der Bevölkerung zu heben, wurden fortwährend Truppenschauen abgehalten und Belohnungen und[133] Anerkennungen verliehen. Der Kaiser ritt durch die Straßen und sprach tröstend mit den Einwohnern, und trotz seiner umfänglichen Beschäftigung mit Staatsangelegenheiten besuchte er persönlich die auf seinen Befehl eingerichteten Theater.

Was die Wohltätigkeit, die schönste Tugend gekrönter Häupter, anlangt, so tat Napoleon gleichfalls alles, was er nur irgend vermochte. An den Wohltätigkeitsanstalten ließ er die Inschrift anbringen: Maison de ma mère, indem er durch dieses Verfahren die zärtliche Gesinnung des Sohnes und die erhabene Tugend des Monarchen zugleich zum Ausdruck brachte. Er besuchte das Findelhaus, hielt den von ihm geretteten Waisen seine weißen Hände zum Abküssen hin und unterhielt sich huldvoll mit Tutolmin. Dann ließ er, wie das Thiers mit rhetorisch schönen Worten berichtet, seinen Truppen die Löhnung in dem falschen russischen Papiergeld auszahlen, das er hatte herstellen lassen. Derselbe Schriftsteller berichtet auch: »Um der Anwendung dieser Maßregeln durch eine seiner selbst und der französischen Armee würdige Handlung einen besonderen Glanz zu verleihen, ließ er an die Abgebrannten Unterstützungen verteilen. Aber da die Lebensmittel zu kostbar waren, als daß man sie an Angehörige eines fremden Volkes, die größtenteils feindlich gesinnt waren, hätte weggeben können, so zog Napoleon es vor, ihnen Geld zukommen zu lassen, damit sie sich Lebensmittel anderweitig beschafften, und ließ Papierrubel an sie verteilen.«

Was die Disziplin der Armee betrifft, so ergingen fortwährend Befehle über strenge Bestrafung von Nachlässigkeit in Erfüllung der Dienstpflicht und über die Verhinderung des Plünderns.

Quelle:
Tolstoj, Lev Nikolaevic: Krieg und Frieden. 4 Bde., Leipzig 1922, Band 4, S. 129-134.
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