Abendlied

[38] Am Abend, wenn wir auf dunklen Pfaden gehn,

Erscheinen unsere bleichen Gestalten vor uns.


Wenn uns dürstet,

Trinken wir die weißen Wasser des Teichs,

Die Süße unserer traurigen Kindheit.


Erstorbene ruhen wir unterm Hollundergebüsch,

Schaun den grauen Möven zu.


Frühlingsgewölke steigen über die finstere Stadt,

Die der Mönche edlere Zeiten schweigt.


Da ich deine schmalen Hände nahm

Schlugst du leise die runden Augen auf,

Dieses ist lange her.


Doch wenn dunkler Wohllaut die Seele heimsucht,

Erscheinst du Weiße in des Freundes herbstlicher Landschaft.
[38]

Quelle:
Georg Trakl: Das dichterische Werk. München 1972, S. 38-39.
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