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[144] Als ich noch die Weisheit der Welt in aufgeplatzten Mappen aus der Berliner Staatsbibliothek nach Hause trug, war auch einmal ein kleines Büchlein darunter: ›Schopenhauer als Verbilder‹ von einem Grafen Keyserling, dessen Name keinerlei andre Assoziationen erweckte, als daß er nicht der feine und große Dichter Eduard von Keyserling war. Ich stak damals bis an den Hals in Schopenhauer, las jede Zeile, die ich auftreiben konnte, jeden Brief, jedes aufgezeichnete Gespräch, und befand mich in jenem glückseligen Stadium, um das gläubige Katholiken so zu beneiden sind: es konnte mir nichts geschehen, denn ich war im Besitz des Schlüssels für sämtliche Rätsel des Lebens. Es war alles so schön einfach . . .
Da las ich jenen. Ich weiß noch genau, daß ich das kleine Buch am liebsten zerrissen hätte: ein solch fataler Dunst von Überheblichkeit, schludriger Philosophie, Unverständnis und Ignoranz schlug mir entgegen. Ich aß es, spuckte aus und vergaß. Sein Verfasser aber ist inzwischen bei denen, die nicht alle werden, ein berühmter Mann geworden, und der Verlag Niels Kampmann in Heidelberg beehrt sich,[144] vorzuführen: »Graf Hermann Keyserling, Das Spektrum Europas, Ein hochkomischer Weltschlager mit dem Verfasser in der Titelrolle.« Wie sagten die Soldaten im Quartier? »Mensch, du bist doch Schriftsteller – steig mal uffn Tisch und mach mal eenen –!« Lasset uns lauschen, lieben Freunde.
Bei einem Mann, der sich als Philosoph ausgibt, ist der Stil die Visitenkarte. Er braucht nicht zu glitzern, er kann dunkel schreiben, schwerflüssig . . . alles sei ihm zugegeben; spricht er aber die Modesprache seiner Zeit, laufen ihm jene fatalen Wendungen glatt aus dem Maul, wie sie von schlechten Journalisten, Klugschnackern und schreibenden Damen gebraucht werden, dann ist ein Verdacht wohl am Platze. Wie schreibt das Spektrum Europas?
»Alle Völker sind natürlich scheußlich.« – Dieses Buch »ist, wie mir scheint, wesensverschieden von allen, die ich bisher schuf«. (Er meint: geschaffen habe.) – »Doch da sich das Leben niemals wiederholt, so hat die wiederhergestellte Einstellung der Tagebuchzeit . . . « Das hat er von mir; wie es überhaupt von ›irgendwie‹ und ›zwangsläufig‹ und solchen Bonbons wimmelt: »Paris steht und fällt mit seiner rein qualitativen Einstellung«; »Alle Unterschiede erwiesen sich als letztlich auf Einstellungsunterschieden beruhend«; auch sagt der Mann niemals ›ich‹, sondern immer ›ich persönlich‹ wie ja denn niemand seine Persönlichkeit so betont, wie der, der keine hat. Diese Sorte Philosophen glaubt wirklich, sie sage etwas Neues, wenn sie statt ›Grund‹: ›Seinsgrund‹ sagt – schade, daß der Verbilder der deutschen Sprache Schopenhauer das nicht noch erlebt hat . . . sein Kommentar zu so einem Satz: »Von solcher freien Sinngebung hängt ja alles Schicksal ab«, wäre von Frankfurt bis Darmstadt deutlich zu hören gewesen. »Denn der Mensch als Mensch ist ja der Herr der Schöpfung«, das sieht jeder Mensch schon rein menschlich wegen der damit zusammenhängenden Menschlichkeit ohne weiteres ein. Auch neue Wörter bildet der Weltreisende: »Aus Rußland stamme ich als emotionelles und temperamentelles Wesen her«, eine Sprachmusik, die man mit den Klängen der Temperamentella begleiten sollte. Die übertönte dann wenigstens die falschen Noten Keyserlingscher Grammatik. »Man prophezeit den Niedergang Frankreichs von wegen seiner Rentnerpsychologie«, nehm Sie doch einen Schürm, von wejen den Rejen, Herr! Mit dieser Grammatik und solchem Stil ausgerüstet begibt sich der Weise auf die philosophische Wanderschaft.
Die Völker Europas werden durchgesehen, ob sie den Keyserlingschen Forderungen genügen, und es muß gesagt werden, daß zahlreiche Schüler das Ziel der Klasse nicht erreichen werden. Wird auch hier und da ein Lob ausgeteilt: »Aber wie geht es im Innern voran!«, so wird doch andrerseits streng gefragt: »Was soll aus den Griechen nun[145] in Zukunft werden?« – die Griechen das hören, raus aus Athen und sich scheu in den Peloponnes verkriechen: das ist das Werk einer Sekunde.
Der Mann hat viele Reisen gemacht und viele Länder gesehen. Er ist nicht blind, er hat nur eine facettierte Brille auf der Nase, auch steht er sich selbst heftig im Wege, und das ist in diesem Fall kein schönes Hindernis. Sein Start ist nicht schlecht: Russe und nicht ganz Russe . . . er wäre schon prädisponiert, Europa zu erkennen und es uns zu erklären. Aber mit welcher Leichtfertigkeit macht er das, wie oberflächlich, mit welch peinlicher Fixigkeit!
»Man erinnere sich der Szene, als beim Untergang der ›Titanic‹ alle Frauen und Kinder in die Rettungsboote gesetzt wurden und die Männer gelassen beim Gesange des Chorals Nearer, my God, to Thee, in die Tiefe sanken.« Ist er dabei gewesen? Er sollte wenigstens fleißig Literatur lesen; es gibt andre Schilderungen dieses Vorganges, wo seltsam viele Reisende der Ersten Klasse gerettet wurden, die offenbar ihrem Gott noch näher gewesen sind. Fehler machen mißtrauisch, und er rechtfertigt dies Mißtrauen. Von Frankreich: »Der wunderbare französische Sinn für Maß und Einklang wird ihm früh oder spät auch seine heutige reaktionäre Phase überwinden helfen.« Nun ist das objektiv falsch: Frankreich befindet sich, an französischen Verhältnissen gemessen, in keiner reaktionären Phase; das Land ist eine plutokratische Republik, und der Sinn für Maß und Einklang bewährt sich hier alle Tage. Wie soll davon freilich einer etwas wissen, der folgenden Satz über die Schreibmaschine bekommt: »Nur Deutsche konnten vom Wunder der Rentenmark begnadet werden; es waren eben alle auf Grund der Idee des Goldwerts bereit, alles Vermögen auf einmal zu opfern.« Ich weiß nicht, auf welcher ausländischen Bank Hermann Keyserling im Jahre 1923 sein Geld deponiert hatte; seine Unwissenheit und seine Gemeinheit halten sich hier jedenfalls die Waage. Wer war denn damals bereit, sein Vermögen zu opfern? Es war ja gar keins da! die Leute in den Städten hatten ja nichts mehr, als die Deflation kam! und der verbrecherische Staatsbetrug, auf dem Rücken der getäuschten Steuerzahler die auswärtigen Gläubiger im Konkursverfahren zu schädigen, hat die tobsüchtigste und roheste Zeit der Selbsterhaltung heraufgeführt, an die wir voller Schrecken nur deshalb nicht zurückdenken, weil wir nicht mehr an sie denken wollen. Fehler, Seite für Seite: »Das klassische Weimar . . . bedeutet heute schon für Deutschland ähnliches, was das klassische Athen der Menschheit bedeuten würde, wenn es erhalten wäre, und wird der ganzen Menschheit sehr bald ähnliches bedeuten.« In welchen Ländern hat der Philosoph Spuren für diese Entwicklung sehen können? Tatsächlich schwindet der Kern Weimar immer mehr aus dem deutschen Volkskörper, und an einer der wenigen vernünftigen Stellen dieses[146] Geschwätzes findet sich die gescheite Bemerkung: »Der Urtypus des Deutschen ist schon lange nicht mehr Siegfried, sondern, in modernem Bilde, Stresemann«, ein Satz, den man durchaus ohne Ironie lesen sollte. Wo hat jener seine Augen?
Wahrscheinlich hinter einem unsichtbaren Monokel. Wir sind keine Adelfresser, aber über den Adel stehen geradezu alberne Dinge in diesem Buch. Weiß dieser Europäer nicht, was der Adel im Kriege getrieben hat? Er weiß über den Adel so wenig wie über den Bolschewismus, dem er, zur Abwechslung, vorwirft, seine Welt entbehre jeder Gefühlskomponente – ganz im Gegensatz zu den ›tüchtigen Kaufleuten‹, die uns erzählen, mit Sentimentalität und Pathos könne man keinen Staat aufbauen . . . es ist nicht leicht im menschlichen Leben. »Während der Weltrevolution hat der Adel überall seinen Ruin weit besser überstanden als der Bürger.« Vor allem in Deutschland, das seinen Adel füttert, statt ihn vom Trog zu stoßen, und ich kann mir denken, wie die fein empfindenden Philosophen der Schule der Weisheit zusammenzucken, wenn ihnen jemand etwas derartiges einwendet. Ihr Mangel an sozialem Verstand ist vollkommen.
Dieser lebensferne Plauderer, der eine Handbreit über dem ordinären Boden schwebt, auf dem Menschen ackern, schwitzen, jammern, stöhnen und einander quälen, fällt schiefe Urteile und halbrichtige, die ja gefährlicher sind als falsche – der Mann hat unendlich viel gelesen, weiß sehr vieles und weiß nichts, weil er nichts ist. Welch ein Philosoph!
Nach dreißig Jahren Freud: »Das Primitive bestimmt, doch im Bewußtsein herrschen andere Motive vor. Dies ist die wirkliche Ordnung, und die meisten Mißbegriffe der Freudschen Psychoanalyse beruhen darauf, daß sie diese natürliche Ordnung umzukehren versucht.« Kann der Mann nicht lesen? Er kann nur schwätzen: sie müssen ihn mit einer Grammophonnadel geimpft haben. Dieser Plauderer, der sicherlich in seinem Leben noch nicht geschwiegen hat, macht den Eindruck eines unermüdlichen Redners, der auf jeden Einwand ein neues endloses Geschwafel losläßt, was, von ihm an dem »unaufhörlichen und uferlosen Strom von Geschwätz in den amerikanischen Zeitungen« exemplifiziert, ein Zeichen lebhaften Temperamentes darstellt.
Das lebhafte Temperament versteht alles, aber fast alles falsch. Er erzählt von der modernen Frau und wirft ihr »Zerstörung allen Liebreizes durch Wind, Wetter und Sonnenbrand« vor, und er hat vor allem die seit Spengler vielgetragene Unart angenommen, Dinge, die nichts miteinander zu tun haben, um einer Theorie willen gleichzuordnen. »Alles große Deutschtum war denn tatsächlich Bekennertum in irgendeinem Sinn . . . Luthers ›Hier stehe ich, ich kann nicht anders‹ war Bekennertum; so ist es aber auch der Exhibitionismus deutscher Hochzeitsreisender.« Abgesehen davon, daß die heute in dieser Witzblattform nicht mehr bestehenden schlechten Manieren deutscher Reisepärchen[147] gar kein Bekennertum gewesen sind: Philosophie ist demnach die Lösung der Frage: »Wie kommt das zu dem –?« und er sagt es uns, und er weiß es immer. Vermanscht werden seine Irrtümer stets mit jener verblasenen Terminologie, die jede Ausrede gestattet. »Die eigentliche Geschichte des Ostens Westeuropas hat ungefähr um tausend Jahre später begonnen als die seines Westens.« Wollte jemand mit dem Finger aufzeigen, so würde der Klassenlehrer ein nimmer endendes Gerede über den Sinn des Wortes ›Geschichte‹ loslassen; behalten wir also den Finger lieber unten. Nichts stimmt; alles ist halb; alles ist angelesen, schlecht angelesen, unsorgfältig angelesen. »Ist die Psychologie der Massen so viel primitiver als die jedes einzelnen, so ist das sehr einfach daraus zu erklären, daß in der Masse nur die empirisch-psychologischen Elemente, also die bloßen Ausdrucksmittel des Metaphysischen, das eigentlich Menschliche, zum Ausdruck kommen.« Sehr einfach. Nun sagt ›das eigentlich Menschliche‹ überhaupt nichts, das Wort ist ebenso leer und nichtssagend wie ›das Sein‹, und Keyserling braucht nichts von der Reflexologie Bechterews zu wissen, der ich für meinen Teil nicht folgen kann . . . ›die Psychologie der Massen‹ gibt es in dieser Form überhaupt nicht, und der Klassenlehrer ist schlecht präpariert, weil er sich nicht die Mühe genommen hat, zu lernen, daß Massenpsychologie aus jenen noch ungeklärten und unerforschten Spannungen zwischen den Individuen besteht.
Statt dessen verknüpft der Inhaber der philosophischen Plato-Bar lose Einzelheiten, mixt ein paar vage Behauptungen in einem nicht sehr reinlichen Becher und serviert sie mit dem Wort »Also habe ich erklärt« . . . Prost.
Der Bursche arbeitet vor allem mit einem Trick. Er will imponieren. Der Leser soll sich hinter einer bestimmten Art Sätze, die etwa alle zehn Seiten wiederkehren, sagen: »Donnerwetter, ist das ein Kerl!« (Herr Grünlich in den ›Buddenbrooks‹: »Ja, ich bewohne im Hotel meine zwei Zimmer . . . « – »Zwei Zimmer!« dachte die Konsulin, und das war es auch, was sie sich nach der Absicht des Herrn Grünlich denken sollte.) Da kriegt es zunächst der Untertan im deutschen Leser. »Manche werden vielleicht zu schwerfällig sein . . . « Denn jener ist es nicht; er ist leicht, gefällig, und immer up to date. »Während der wilhelminischen Ära war ich für Deutschland extremer Demokrat. (Man beachte den Schluderstil!) Wie ich aber bei Ausbruch der deutschen Revolution in Berlin weilte, wie (er meint: als) ein bisher traditionalistischer Bekannter nach dem andern über Nacht Sozialist wurde, und ich gefragt ward, wie ichs jetzt zu halten gedächte, da erwiderte ich: ›Von jetzt ab setze ich auf Aristokratie.‹« Ein fauler Tip; sagen wir: 880:1. Man hat von Harden fälschlicherweise gesagt, er habe immer das Gegenteil von dem geschrieben, was alle gesagt[148] hätten: dieser scheint sich nur durch solche Wippchen von der Masse abheben zu können. Eine Warenhauseleganz.
Der sorgfältig angeseilte Alpinist in der Tiefebene schwitzt vor Eifer, um nur ja dem Leser zu imponieren. »Doch nicht das Russische melancholischer Artung, das der grenzenlosen braunen Ebene oder der blauen Ferne entspricht mir, sondern eben das Dionysische, dessen berufene Kinder die Zigeuner sind. Es ist ein sehr Merkwürdiges um dieses Wandervolk. Seine Harmonik und Melodik sind indisch; so mancher heilige Gesang, den ich in Indien vernahm . . . « Also das macht Ewers nun viel besser, aber schließlich müssen ja die Reisespesen herauskommen. Da ist auch jenes uralte Kartenkunststück, sich in eine historische Reihe zu stellen, denn Große färbt unmerklich ab, tritt über die Ränder . . . »Handele es sich um Harnack oder Patkul, Alexander von Oettingen (der müßte dich gekannt haben, Hermann!) oder Karl Ernst von Baer, den Chirurgen Werner Zoege von Manteuffel, den letzten Estländer des traditionellen großen Formats, Alexander Keyserling, meinen Großvater, den Mongolenhäuptling Ungern-Sternberg oder mich . . . « Alles in Ordnung. Immer drängt er sich vor; immer deutet er an, was er für ein Stern erster Ordnung sei, stets erklärt er an sich herum, aber wir wollen das gar nicht hören, denn so interessant ist er nicht. Ich glaube aber, herausgefunden zu haben, wie er das macht – er macht es mit der unsichtbaren, vorher berechneten Klammer. Ich will das einmal zeigen.
»Wie ich kaum vom Vortragspult im festlich geschmückten Saal des Stockholmer Grand-Hotels, den die erste Gesellschaft Schwedens, Hof, Regierung, Geburts- und Geistesadel füllte, abgetreten war – « (Donnerlittchen! Richtig im Hotel? Vor einem hohen Adel? Und vor der schwedischen Regierung? Vor dem . . . vor dem König auch? Das macht Spaß, so einen vornehmen und berühmten Autor zu lesen. Weiter!) – »vernahm ich Lautenklänge.« (Interessant, so eine Reise.) »Als ich mich umwandte, sang schon ein Bänkelsänger ein lustig Lied. Ein deutscher Freund brauste auf: wir sollten fortgehen – (um Gottes willen, Herr Keyserling, Sie werden sich doch nicht hinreißen lassen!) – das sei doch unerhört nach einem so tiefernsten Vortrag. Ich erwiderte, wir kennten die Landessitten nicht: mißfielen sie uns, so hätten wir nicht kommen dürfen. (Sehr vernünftig.) . . . Beim Souper fügte ich mich dann selbst in den mir neuen Rahmen ein. Ganz furchtbar ernste Reden waren auf mich gehalten (Direkt auf Ihnen? Ach, muß Ruhm schön sein!) – vielmehr bedächtig von Maschinenschriftvorlagen abgelesen worden. Da schlug ich eine andere Tonart an, indem ich zunächst die Schlußszene von Platos Gastmahl evozierte – (Ohne Maschinenschriftvorlage? Unmittelbar aus dem Kopf? Toll!) – wo Sokrates und Aristophanes als letzte unter den Zechern den Morgen wach erwarteten . . . Damit war aller Bann gebrochen.« (Weiter, weiter! Und[149] der König? Und die Königin? Waren die auch da? Nein, wie hinteressant –!) » . . . Ich entsinne mich phantastischer Szenen in einem alten Kellerlokal, wo, als wir bei Wachskerzenbeleuchtung (Famos. Wie bei Reinhardt) – zur Begleitung Bellmanscher Balladen zechten, (das Wasser läuft mir in der Luftröhre zusammen), ein Gast einmal, zerschlagenem Geschirre folgend, vom Obergeschoß köpflings über die Stiege vor unsere Füße stürzte – (In solchen Gefahren haben Sie geschwoben? Das ist ein feines Buch! weiter!) – ich weiß nicht mehr, ob lebend oder tot, Notiz nahm keiner von ihm.« Ein alter Wikinger, der sich oft mit Persern stach. Kasimir Keyserling ist der vollendete Handhaber der Imponierklammer.
In diesem Menü, wo es Zuckerrübenmarmelade und viele Bouletten auf Gänseleberart gibt, stehen, wie es denn nicht anders sein kann, auch kluge und richtige Sätze. Es sind nicht so viele, daß der Verleger sie in Leinen hätte binden können – aber ein paar sinds schon. So dieser: »Und ist es jüngst weniger der Unteroffizier als der Sparkassenbeamte, der zum Reichskanzlerposten für prädestiniert gilt, so ist das kaum ein Vorzug zu heißen.« Sowie: »Keine Sache ist wirklich ernst zu nehmen, nur der lebende Mensch ist es«, und dann gibt es da eine wirklich echte, saubere und kluge Schilderung seiner Rückkehr nach Estland: »Ich war als Gespenst heimgekehrt«, sagt er, es gehört für einen Balten sehr viel Mut dazu, dergleichen hinzuschreiben. An einer einzigen Stelle bringt er sogar so etwas wie Selbstironie für die Schule der Weisheit auf. Im ganzen aber schwimmt er wie Kork auf den Wogen des Geschmuses.
Was ist das nun –?
Es ist die weitverbreitete, es ist die typische Literatur des Singular: jene Weltbeschreibung, die sich der Lächerlichkeit solcher Urteile wie: »Die Einwohner dieser Stadt haben rote Haare und stottern« wohl bewußt ist, und die deshalb denselben Unfug im Singular sagt, Typen erfindend und Paradigmata bauend, Puppen leimend und mit bunten Bleisoldaten hantierend, und alles schief und krumm und falsch. ›Der Reiche‹ und ›Der Amerikaner‹ und ›Der faustische Mensch‹ und ›Der katholische Jüngling‹ und so in infinitum. Es stimmt alles nur halb; nichts ist ganz richtig, nichts sitzt, nichts ist wirklich gearbeitet. Oben auf dem Kuchen erglänzen die Superlative, die Nietzsche in die Literatur eingeführt hat . . . der Papagei schnarrt und sagt schreiend seins auf. Lasset uns diesen Vogel zudecken.
Es wirkt aber. Die Deutschen und solche, die es werden wollen, lassen sich imponieren, der Mann hat Zulauf, die Konditenbäckerei ist schön voll, und alle schmatzen beim Essen. Welche kaum vorstellbaren Blasen eines mäßig fundierten Größenwahns der Erfolg bei Keyserling im tiefsten Seinsgrund zwangsläufig irgendwie ausgelöst hat, das wollen wir nunmehr rein menschlich betrachten.
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