[57] Agnes. Tuchsenhauser.
TUCHSENHAUSER für sich. Schön und herrlich!
AGNES auch so. Ein alter Mann; er muß gelitten, gefühlt haben in seinem Leben: er wird ein Herz haben. Steht auf.
TUCHSENHAUSER. Gott grüß' Euch, schöne Frau! – Ihr wißt, wer ich bin; von wem ich gesandt bin; Albrechts Abreise wird Euch die Macht meiner Aufträge bewiesen haben. Auch an Euch hab' ich welche.
AGNES. Ich erwarte des Herzogs Befehl mit Demut und zitternd.
TUCHSENHAUSER. Kein Zittern! keine Befehle! liebe Tochter! Ernst ist kein Tyrann; er regieret mit Güte. Gewalt wird ihm nur abgedrungen. Ich komme, Euch zu raten in seinem Namen in der traurigen, gefährlichen Lage, in der Ihr seid. Wer kann besser raten, als der Herr Eures Schicksals?
AGNES. Das ist nur Gott! – doch was befiehlt der Herzog?
TUCHSENHAUSER. Nochmal, er befiehlt nicht; er ratet. Aber dazu, nehmt's nicht übel, muß ich Euch vorerst kennen lernen und erfahren, wie Ihr denket.[57]
AGNES. Keiner meiner Gedanken ist verschwiegen dem Richter der Könige; der Herzog darf sie alle wissen. – Wird er sie wissen wollen? – und sie richten wie Gott? –
Sie setzen sich.
TUCHSENHAUSER. Nun also; wer glaubt Ihr zu sein?
AGNES. Ich war eine arme Bürgerstochter; – leider! weiß es nun Teutschland. – Ein unbescholtener Name und Keuschheit waren meine Aussteuer; Unschuld mein Reichtum, mein Verdienst. Gott that Wunderdinge an mir, sei's Glück oder Unglück, ich hatte keines verdient. – Nun bin ich Albrechts Weib vor Gottes Angesicht.
TUCHSENHAUSER. Also wohl auch Herzogin?
AGNES. Das ist ein Name, ein Name, den mir nur Bayern und Ernst geben können; den ich nie verlangen, auch nie wünschen werde, ich müßte denn sonst Albrechts Frau nicht sein können.
TUCHSENHAUSER. Wenn's aber so wäre?
AGNES. So würde ich wohl gerne dem herzoglichen Titel entsagen, nie dem heiligen Rechte einer Frau.
TUCHSENHAUSER. Wenn man Euch aber bewiese, daß Ihr auch nicht Frau seid?
AGNES. Herr Kanzler! Albrecht kann nicht trügen, noch weniger die Kirche.
TUCHSENHAUSER. Trügen! wer sagt das? Gott bewahre! daß ich so von meinem gnädigen Herrn Albrecht spreche; aber man glaubt oft zu können, was man nicht darf; da haben die Leidenschaften immer Scheingründe vor sich zum Verführen und Nebel hinter sich zum Verblenden; die machen aber die That nicht gültiger.
AGNES. Gelübde, aus dem innersten Gefühl unserer Herzen beschworen; Segen eines Priesters; Feierlichkeiten der Kirche; Zeugschaft von Rittern: sind das Blendwerke?
TUCHSENHAUSER. Liebe! – darnach heiraten nur Eure Bürger und das Volk, das unter einander so wenig zu gewinnen als zu verlieren hat. Ein Priester, das ist noch die Kirche nicht; und ein paar mitverschworne Ritter, sollen die mehr als der Herzog, mehr als die bayerischen Stände, des Reichs Adel? und mißbrauchte Ceremonien mehr, als Ritter, Landes- und Reichsgesetze gelten? Bedenkt doch!
AGNES steht auf. Ich wäre nicht Frau? – und was wär' ich dann?[58]
TUCHSENHAUSER. Setzt Euch, ich will aufrichtig sein. Ihr habt Vernunft und sehet so wohl, wo mein Auftrag hinausgeht. – Ihr seid der unglückliche Gegenstand einer gesetz- und vernunftwidrigen Liebe. Seht Ihr's ein? so habt Ihr nur so einen wunderlichen Traum gehabt, aus dem Ihr zu einem glücklichen Leben noch erwachen könnt; seht Ihr's nicht ein? so seid Ihr eines von den Geschöpfen, die Gott hier unglücklich werden läßt, und da fragt ihn, warum? wollt Ihr's nicht einsehen? so –
AGNES. So werde ich meine Ehre retten, meine Pflicht erfüllen, meine Liebe nicht verleugnen.
TUCHSENHAUSER. Schön gesprochen; aber weder klug noch wahr in Eurem Munde.
AGNES. Ich bin nicht mehr Mädchen und wäre nicht Frau? – Ich schwur Albrechten meine Treue, nahm seinen Eid, und bräche ich die Schwüre? – ich liebe ihn unaussprechlich, und verleugnete ich mein Herz? Gott! was wär' ich? – Ein verworfenes, entehrtes Weib, das zwischen den Peinen des Gewissens, dem Hohngelächter aller Welt, dem Nagen des Kummers und Elendes ihre rastlosen Tage und Nächte durchhungern, verweinen müßte. Ach, könntet Ihr lesen in meinem Herzen! sehen meine Seele! Ihr müßtet's gestehen: Ernst müßte es; das hab ich nicht verdient.
TUCHSENHAUSER. Verdient? Glück und Unglück sind selten Belohnung und Strafe, Verhängnis sind sie; aber dafür ist wohl Rat bei Euch, wenn Ihr nur selbst wollt.
AGNES. Ich kann nur das wollen, was ich thun kann; das bleiben, was ich bin; oder nicht mehr sein.
TUCHSENHAUSER. Man sieht's Euch wohl an, daß Ihr verliebt seid! aber Ihr thätet wohl, das Ding ernstlicher zu beherzigen. Ich will meinen Auftrag kurz heraussagen, dann könnt Ihr wählen. Der Herzog wird nimmermehr Eure Ehe für gültig ansehen, auch nie Bayern, nie das Reich.
AGNES. Armer, betrogener Albrecht, und du bist fort?
TUCHSENHAUSER. Das hat Ernst auch geschworen und wird's halten.
AGNES. Schwur er höher als bei Gott, bei dem wir schwuren?
TUCHSENHAUSER. Euch bleibt übrig, entweder mit einem ansehnlichen Gehalt in ein entferntes Land zu reisen –
AGNES. Mit Albrecht?[59]
TUCHSENHAUSER. Alleine – mit Eurem Vater. Oder einen jungen, braven Mann mit guter Aussteuer in Bayern, oder in Augsburg zu wählen; oder in ein Kloster Euch zu verbergen, bis –
AGNES. Bis wann?
TUCHSENHAUSER. Bis Albrecht das gethan, was Ihr nun thun solltet, wenn Ihr klug seid.
AGNES. Ist kein Oder mehr?
TUCHSENHAUSER. Bewahre mich Gott vor allem weiteren Oder!
AGNES. Ich weiß noch eines. Das Herz soll mir im treuen Busen zerspringen; sterben!
TUCHSENHAUSER. Wiederholt Euch selbst meinen Auftrag und denkt dabei, daß es um Ruhe des Staats, um Aufrechthaltung der Gesetze, um Albrechtens Herzogshut, um Ernstens Ehre, um Bayerns Thronfolge zu thun ist; vergleicht Euch mit diesen hohen Dingen und entschließt Euch dann. Über eine Weile komm' ich wieder. Bedenkt Euch!
Sie stehen auf.
AGNES. Und wär' ich auch frei, so würde ich mich nicht bedenken. Lieber tot als Trennung, als Untreue.
TUCHSENHAUSER. Hört! wenn ihr einander denn gar so unbegreiflich liebt, so ist's ja auch damit nicht aus: es ist ja nur um den Titel einer Frau zu thun; Ihr haltet ja selbst nicht auf Namen und Titeln.
AGNES. Ich bin niedrig, aber über diesen Antrag geboren. Auch Albrecht, mein Albrecht mußte mein Gemahl sein. Sein Herz wählte nicht so tief.
TUCHSENHAUSER. Ich kann Euch nur sagen und raten – bedenkt Euch!
AGNES. Wenn ich dastehen sollte bis zum Gerichte der Welt; so würde ich's heiß fühlen, daß ich ihn überschwenglich liebe, und sagen, daß ich seine Frau bin.
TUCHSENHAUSER. Es könnten Zeitpunkte kom men, wo Ihr weniger entschlossen sprächet.
AGNES. Spricht man noch darüber jenseits des Todes?
TUCHSENHAUSER. Agnes! Agnes! Ihr stürzet in Euer Verderben. Ich – bitte Euch – seht Euch vor!
AGNES. Martert nicht mein armes Herz; seine Sprache ist unwillkürlich. Ihr und der Herzog und alle Welt könnt nicht auslöschen, was der Schöpfer hineingeschrieben.[60]
TUCHSENHAUSER für sich. Nun muß ich höher sprechen; wahrhaftig es thut mir weh. Laut. Agnes! ich warne Euch zum letztenmal. Vielleicht hab' ich schon mehr gesagt, als der Würde dessen, der mich gesandt hat, und meiner eigenen anstund. Ich bedaure Euch, noch mehr Euren Eigensinn. Wißt, daß es ein Staatsverbrechen ist.
AGNES. Ein Verbrechen? und mein Gewissen schweigt? und befiehlt mir zu beharren? – Was ist ein Staatsverbrechen?
Man hört läuten.
TUCHSENHAUSER. Was läutet man?
AGNES. Es ist Mittag.
TUCHSENHAUSER. Diese Glocke läutet Euch kein gutes Zeichen.
AGNES ängstlich. Ich ahnde es; ich weiß es; mir wird so bange. – Albrecht! und du verließest mich!
TUCHSENHAUSER. Entschließt Euch!
AGNES. Ich bin ja entschlossen; hab's Euch ja oft gesagt; hab' nie gewanket.
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