Drittes Kapitel

[27] Und Albertine? hatte sie nur in den Mond, nicht nach dem schönen Jäger gesehen? Wir wissen es nicht, und ihrer Freundin, mit der sie sich vor Schlafengehen ganz ruhig unterhielt, hat sie nichts davon vertraut. So gar kein armes Wörtchen sollte sie über eine neue interessante Bekanntschaft zu der Freundin ihres Herzens gesagt haben? Da wäre sie ja die einzige junge Dame auf[27] Erden, die nicht Stunden lang Bemerkungen über so etwas mitzutheilen hätte. Albertine ließ sich aber wirklich nichts weiter verlauten, als daß Ulmenhorst ein sehr rechtlicher junger Mann zu seyn schiene und durch sein Ausseres vortheilhaft für sich einnähme. Das war es alles, guter Albert. Deine reizende neue Bekanntschaft hatte kein Herz und keine Hand mehr zu verschenken, wärest du auch der heilbringende Engel Gabriel gewesen. Hand und Herz gehörten ihrem Louis, dessen Gattin sie schon in ihrem siebenzehnten Jahre geworden war. Der über Deutschland losgelassene Krieg hatte ihn seit zwei Jahren von ihrer Seite gerissen und seit dem die Deutschen Armeen sich Frankreichs Grenzen genähert hatten, waren alle Nachrichten von ihm ausgeblieben; sie schwankte zwischen der grausamen Alternative, ob er gefangen oder bei dem Überfall von Bitsch geblieben sei? Sie konnte das tödtende Schweigen nicht erklären. Da alle Erkundigungen fruchtlos blieben, mußte sie sich beinahe für[28] eine Witwe halten, wogegen ihr Gefühl allmächtig strebte und ihr ganzer jugendlicher Frohsinn nicht Stich hielt.

Bei seinem Ausmarsch hatte er Albertinen, sein Liebstes auf Erden, gebeten, ihrer großen Jugend wegen nicht allein in dem großstädtischen fluthenden Leben zu bleiben, sondern sich zu ihrem Bruder, der ein artiges Gut besaß, auf das Land zu begeben. In diesen Augenblicken höchster Wehmuth hätte Albertine in einen Aufenthalt bei den Kamtschadalen gewilligt; auch erschien es dem jungen zarten Gemüth so idyllenhaft süß, im stillen Hain einsam um den Geliebten zu trauern. An den Winter hatte sie nicht gedacht; auch war es ihr in der ersten bangsten Periode der Trennung, köstliche Nahrung ihres Grams, allein in den weiten Fluren umher zu irren und auf Philomelens Klagetöne zu lauschen. Wie sich in der Welt aber alles abnutzt, so auch durch zu häufige starke Anspannung der finstere Gram des jungen achtzehnjährigen Weibes. Der Hain wurde ihr zu still;[29] die Fluren zu öde und Philomelens ewiges Klaglied zu eintönig. Kurz, sie sehnte sich zu Menschen zurück. So fand sie sich, halb beschämt, daß es so war, nach und nach wieder bei der Gesellschaft ein, die ihr dann auch bald gar zu beschränkt, zu einförmig, doch gar zu still häuslich erschien.

Dem liebenden Bruder entgingen diese Übergänge nicht, so leise sie auch angedeutet wurden. Er bemerkte sie um so mehr ungern, da seine übellaunige Gattin das ihrige dazu beitrug, Albertinen ihre Lage bei ihm zu verleiden.

Überdem hatte Albertine durch den frühen Verlust ihrer Eltern, zeitig die Vorzüge der Unabhängigkeit kennen gelernt; sie war ihrer regsamen Natur, die sich nirgends gehemmt fühlen wollte, Bedürfniß geworden, und jede Beschränkung dünkte ihr ein Leiden zu seyn, dem sie sich nothgedrungen unterwarf. Von ihrer Ehe hatte sie nur erst das Flatterjahr genossen und noch wenig von dem, in der Natur der Sache gegründeten, Übergang des unterwürfigen[30] Liebhabers zum despotisirenden Eheherrn erfahren, in welcher Periode der schöne Jugend-Traum des Lebens seinen poetischen Schwung einbüßt und bei einem höchst prosaischen Erwachen zerflattert. Die schöne jugendliche Schwärmerin war durch die frühe Trennung vom Geliebten, auf ihrer Höhe erhalten worden, und jetzt war sie durch eine frostige Häuslichkeit im Sinken begriffen. Albertinen war die Vorstellung eines so entseelenden Zustandes unerträglich; deshalb hatte sie in ihrem Köpfchen einen neuen Lebensplan ausgebrütet.

Der Verstellung unfähig, erklärte sie ihrem Bruder ganz unverholen, daß die Einförmigkeit des Landlebens und der üble Humor seiner Frau zwei Dinge wären, die, durch ihren Verein, ihr das Leben verbitterten. Sie wünsche zum Onkel in die Stadt zu ziehen.

Ferdinand hatte eine solche Eröffnung längst gefürchtet, und doch fühlte er sich jetzt, wie so ganz unvorbereitet; er sahe die Schwester schweigend und gerührt, fast bis[31] zu Thränen gerührt, an. Süß schmeichelnd schlang sie ihren Arm um ihn. »Siehst du es nicht gern?« fragte sie, ihn freundlich ins Auge blickend. »Mir wird die Zeit gar zu lang und deine Louise ist den lieben langen Tag durch immerfort so knurrig. Dich habe ich herzlich lieb, und nähme dich gern mit.«

»Albertine, so entschieden sehe ich dich, uns zu verlassen!« – Sie sah ihn betroffen und unentschlossen an. Ihr kleiner Lebensplan war entworfen und ihr durch Aussichten und Verhältnisse mancher Art, die sie künstlich genug hinein gewebt hatte, lieb geworden. Bei dieser Malerei bedient sich der feine weibliche Sinn, gewöhnlich der hellsten Rosenfarbe, sich seine Zukunft zu decoriren, die jugendliche Hoffnung leiht ihr glänzendes Grün dazu und ungern giebt die angeregte Phantasie solche Gebilde auf. Und hat nicht selbst das Helldunkel einer ungewissen Zukunft oft mehr Reiz und Interesse, als die gefälligste Gegenwart?

Albertine liebte, wie gesagt, den Bruder aus Herzensfülle. Seine Traurigkeit ging[32] ihr nahe. Ihr Plan war ihr doch aber auch schon gar zu lieb geworden. »Ich möchte bei Dir, aber auch in der Stadt seyn,« wiederholte sie einige Male aus beklemmter Brust.

»Wäre es nur nicht eben bei Onkel Dämmrig, liebe Albertine!« – »O der Onkel ist, bei mancher Schwäche, doch gut und bieder und hat mich recht lieb.« – »Auch die Madame Rosamunde Wintergrün?« »Sieh nur, lieber Ferdinand, an die habe ich freilich auch schon gedacht,« fiel Albertine rasch ein, wobei sie recht weise aus ihren lieben Äugelchen blickte. »Sie ist freilich nicht die Beste und begegnet dem armen Onkel nicht aufs Beste, ist obendrein des Onkels – was man nicht gern sagt, aber dafür ist die Seelengute Tante Elise da – Und die Cousine Laurette. Laurette? Hm, mit der will ich mich schon vertragen. Zankt sie, so scherze ich und bringe ihre Sarkasmen in Liederchen.«

»Möchtest du meiner Louise eine solche Nachgiebigkeit widerfahren lassen. Doch[33] ich will dich nicht in Verlegenheit setzen; dein leichter Sinn mahlt dir jene Lage nur zu reitzend, deren bedenkliche und ernste Seite dir zu zeigen mir Pflicht ist.«

Ernst und bedenklich! Das war es nun eben, wobei unsre junge Freundin gar nicht gern zu verweilen pflegte. »Ich bitte, lieber Ferdinand, erkläre dich; aber – fügte sie leise hinzu – schone ...«

»Louis! und der Respect für dich selbst, kann meiner Albertine beides je gleichgültig werden? Jene Weiber, welchen du dich zugesellen willst, machen von Seiten der Achtung wenig Ansprüche an die Gesellschaft; sie geben und empfangen wenig. Ihre Losung ist, sich zu amüsiren; das erreichen sie ohne großen Aufwand von Kräften; zu den momentanen Unterhaltungen reichen sie mit ein Paar bon mots, einem Paar gut erzählter Neuigkeiten des Tages aus, die sie hundertmal anbringen können. Sie haschen nach allem, was ihrem dunklen Triebe, sich selber zu entfliehen, entspricht. Es ist ihnen alles, zu diesem Ziele zu gelangen,[34] gut genug. Deine jugendliche Unerfahrenheit werden sie mit hochtönenden Worten von gesellschaftlicher Toleranz, Humanität, Selbstständigkeit, Verachtung der öffentlichen Meinung, einwiegen; deine Achtung für Zucht und Sitte werden sie eine pedantische veralterte Ansicht der Welt, blinde Anhänglichkeit an conventionelle Formen nennen; sie werden dir von der reinen Menschheit der Alten vorreden, zu deren jugendlichem Weltzeitalter wir weder zurückkehren können noch dürfen.«

Albertinen ging es, wie es mancher meiner Leserinnen bei Ferdinands Tirade gehen wird; ihr wurde sie zu lang und sie sagte ganz rasch: »ach du siehst auch alles gar zu schwarz, lieber Ferdinand; ich habe noch wenig von der Welt gesehen; aber ich denke sie mir weder wie ein Elysium, noch wie eine Hölle. Ich möchte gern Menschen sehen, möchte meiner Jugend mich freuen, möchte frei wählen können, da meine Lage mir es gewährt.« – »O Albertine, und das alles kannst du bei mir nicht! Ich[35] fühle, du hast Recht; aber Louis, der dich mir übergab, hat sein vielleicht unglückliches Loos, ihn um alle Rechte auf seine Zustimmung zu deinen Planen gebracht? oder meinst du, daß er sie billigen würde?« –

Albertine brach in helle Thränen aus. Sie warf sich ihrem Bruder um den Hals und weinte laut. Sie liebte ihren Louis treu und herzlich; aber er war doch nun. einmal nicht da; Albertine war noch nicht ganz neunzehn Jahr, und man sage was man will, Gegenwart und lange Abwesenheit ist so gänzlich zweierlei, auch für den, der mehr als achtzehn Sommer sahe. – Ferdinand mochte die nemliche Reflexion gemacht haben; er ertrug überdem nicht leicht eine trübe Miene im lieblichen Gesicht der Schwester. »So wollte ich dein zartes Herz nicht brechen. Du hast meine Einwilligung und meinen Seegen, und dann so tröstet mich auch die Nähe deiner redlichen Freundin Euler, die dir alles ersetzen wird, was du in uns aufgiebst.« Im Herzen hoffte[36] Ferdinand, der Drang im jungen Gemüthe sollte sich wohl legen, wenn seine Frau nur erst mit darein spräche.

Louise that's bei Tische, aber ganz nach ihrer bittern Weise, bei der es recht merkbar wurde, daß sie ihre Schwägerin je eher je lieber los zu werden wünsche. Ferdinand sah leicht, daß er einen zwiefachen Kampf gegen geliebte Personen immer von neuem werde beginnen müssen; er resignirte sich also, da er sah, daß Widerstand nur mehr reitzen werde.

Bei dem nächsten Spatziergange flossen die Geschwister in herzlicher Wehmuth über. Die Anstalten der Reise waren, wie man denken kann, emsig betrieben worden, und in wenig Tagen sollte sie vor sich gehen. Ferdinand sprach mit eindringender Innigkeit über Albertinens künftige Lage und Verhältnisse. Seine Ansicht des großstädtischen Lebens, in dem auch er sich wacker umhergetrieben hatte, war freilich grell, aber zum Theil richtig. Die Häuser der Großen und[37] Reichen, nannte er Treibhäuser, worin die Jugend zur Frühreife gezogen wird und meist vor der Reife abwelkt und verschrumpft; ihm waren sie das Grab zärterer Weiblichkeit, die Zerstörer jugendlicher Tugend. Er bat Albertinen, sich nicht so zu einer permanenten öffentlichen Erscheinung herabzuwürdigen, daß sie in ihrem zwanzigsten Jahre nicht etwa schon so ein Alltagsvögelchen sei, auf das jeder, bei jeglichem öffentlichen Anlasse sicher rechne, zu dessen Ansicht man Fremde einladen könne, weil es gewiß nirgends fehle. Im Heiligthum des Hauses wirkt, lebt und liebt das Weib, und wo es zu erscheinen würdigt, muß es Ehrfurcht einflößen. So denk' ich, denkt und fühlt dein Louis, so wünschen wir, daß unsre Albertine fühlen möge.

Albertine verhies alles mit Kuß und Handschlag, noch als sie, in Wehmuth aufgelößt, in den Wagen stieg und Ferdinand ihr nur noch die Worte zuzurufen vermochte: »bleib gesund an Leib und Seele, meine Theure!«[38]

Die Abwechselungen der Reise besänftigten ihren Schmerz, so daß sie in leidlich heiterer Stimmung bei Onkel Dämmrig ankam.

Quelle:
Friederike Helene Unger: Albert und Albertine, Berlin 1804, S. 27-39.
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