Achtzehntes Kapitel

[197] Wir haben unsern alten Bekannten, Wassermann, in dem Paroxismus eines Gallenfiebers verlassen. Auch in diesem Zustand verließ ihn sein Genius nicht, und der Arzt, welchen sein Knabe geholt hatte, wußte gar nicht, mit was für einer Gattung Menschen er es zu thun hätte. Wenn der Kranke immer durch Wir sprach, glaubte er, es sei ein Verrückter, der sich für irgend eine große Potenz halte, bis endlich einmal der fürchterliche Spruch: ohe jam satis, sich aus dem Ideenwirrwarr hervorthat. Jetzt wurde es ihm klar, wer der Kranke sei, und er ging ihm nun tüchtig mit Brechmitteln zu Leibe, die Galle von ihm zu schaffen. Doch blieb, so stark die Mittel anschlugen, immer noch hinreichend zur künftigen Konsumtion übrig. Als der Kranke außer Gefahr, aber noch zu matt zum Schreiben war, dictirte er seinem Arzte einen Brief an Antonien, den dieser, pour la rarité du fait, wirklich[197] niederschrieb; er war das Urbild des beleidigten Autorstolzes und der plattesten Grobheit. Ferner wendete er seine wieder erlangten Geisteskräfte sogleich zu einer Antikritik an, dergleichen die literarische Markthelfersprache ebenfalls noch nicht aufzuweisen hatte.

Als er sich so Luft gemacht, fühlte er sich um ein Großes erleichtert, und die volle Genesung ging nun schnell von statten. Der Arzt war, als er ihn bezahlen wollte, schon von unbekannter Hand sehr reichlich belohnt worden. Das kümmerte nun den Magister weiter nicht, und er gab sich keinen Augenblick die Mühe, seinen unbekannten Wohlthäter auszuforschen. Die Sache war geschehen; nun gut! Dankbarkeit gehörte nach ihm zu den Schwächlichkeiten invalider Gemüther; der Geber schafft sich selbst Vergnügen, indem er giebt; er findet sich in dem Gefühle, daß er verpflichten kann, edel und groß: soll man ihm das danken? – Wir, die wir eine andere Ansicht dafür haben, sind neugieriger gewesen,[198] und haben erfahren, daß der edle Ulmenhorst eine so reichliche Spende gemacht hatte.

Nachdem er völlig genesen war, wachte seine ganze Wuth wieder in ihm auf, und es schien ihm unmöglich, ferner unter diesem literarischen Sodomsgeschlecht zu haufen. Er schied von dannen, und würde keinem Menschen die Ehre erzeigt haben, Kunde von sich zu geben, hätte er nicht gehofft, aus den Trümmern des Dämmrigschen Wohlstandes könne sich noch für ihn ein Reisegeräthe und manches zu seinem Gebrauche vorfinden lassen; welches denn auch geschah. Der ehrliche Dämmrig gab lachend, weil der Anblick des gelben Gerippes, worein Wassermann verwandelt war, ihn unendlich amüsirte, alles, was er an Reisebedürfnissen hatte, und fand das Schlottern seiner weiten Kleider auf dem dürren Leibe des Magisters höchst belustigend. Als man ihn fragte, wohin er ginge? antwortete er: »nach dem einzigen Ort, wo es eigentlich nur Menschen giebt, wo man sie[199] nicht, wie hier, mit Leuchten suchen muß.« Das hieß, er ging dahin, wo Elise ihren Himmel gefunden hatte.

Mit dieser gab er sich denn auch zusammen; denn sie hatte ein artiges, unabhängiges Vermögen und war der gute Wille selbst. Jetzt schmähete und lästerte er, trotz der gallenreichsten alten Jungfer. In der Dämmrigschen Familie erwartete man mit jedem Posttag die Nachricht ihrer ehelichen Verbindung.

Quelle:
Friederike Helene Unger: Albert und Albertine, Berlin 1804, S. 197-200.
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