IX.

[214] Doch, es hat ja Alles seine Grenzen – selbst ein reservirtes Terrain. Schon wurde ein Wald sichtbar, welcher die Ebene abschloß. Noch einen Kilometer, und ich mußte ihn erreicht haben.

So wanderte ich weiter, ohne mich besonders zu beeilen. Der Kilometer war zurückgelegt; ich befand mich am Saume des Holzes.

Fern, ganz fern, hörte man es krachen, wie das Raketenbouquet eines Feuerwerks am 14. Juli.

»Die mögen schön morden! dachte ich. Für nächstes Jahr lassen sie gewiß nichts übrig!«

Da kam mir – doch das ganz unter uns – die Idee, ich könnte ja im Walde vielleicht glücklicher sein, als im freien Felde. In den Baumkronen hüpften doch gewiß unschuldige Sperlinge umher, welche die besten Restaurants, coquett hergerichtet, als Feldlerchen vorsetzen.

So folgte ich einer der Schneusen, welche an der Landstraße ausmünden.

Wahrhaftig, der Dämon der Jagd hatte Ihren ergebenen Diener gepackt! Ja, jetzt trug ich nicht ferner die Flinte auf der Schulter, ich hatte sie wieder geladen, hielt sie schußgerecht... meine Blicke schweiften forschend nach links und nach rechts.[214]

Nichts! Die Spatzen mochten offenbar von den Pariser Restaurants nicht viel wissen und hielten sich weislich verborgen. Ein- oder zweimal legte ich an... es waren nur Blätter, die sich an den Bäumen bewegten, und ich konnte mich doch nicht so weit erniedrigen, auf bloße Blätter Feuer zu geben!


9. Capitel

Es war nun fünf Uhr. Binnen vierzig Minuten mußte ich laut Verabredung im Gasthof zurück sein, wo wir speisen wollten, ehe der Wagen bestiegen wurde, der uns, Thiere und Menschen, Todte und Lebendige, nach Amiens zurückbefördern sollte.

Ich folgte also, immer gespannt umherblickend, dem Hauptdurchlaß des Waldes, der in schräger Richtung nach Hérissart zu führte.

Plötzlich stand ich wie angenagelt... das Herz klopfte mir lauter!

Unter einem Busche, fünfzig Schritt von mir, befand sich zwischen Brombeeren und anderem Gesträuche offenbar irgend etwas...

Es sah schwarz aus, hatte einen silberartigen Rand und eine lebhafte rothe Spitze, wie ein glühender Augapfel, der mir zugewandt war!

Ohne Zweifel hatte sich hier ein Stück Haar- oder Federwild – ich hätte nicht sagen können, welches – ein Versteck gesucht. Ich schwankte zwischen einem Hasen, mindestens einem »Dreiviertel-Thiere«, und einer Fasanenhenne. Ei, warum nicht? Es würde mich in den Augen meiner Gefährten gewaltig rehabilitiren, wenn ich mit einem Fasan in der Jagdtasche zurückkam.

Ich schlich mich vorsichtig, das Gewehr zum Feuern fertig, heran. Ich hielt den Athem an. Ich war erregt wie Duvauchelle, Maximon und Brétignot zusammen.

Endlich, in bequemer Schußweite auf etwa zwanzig Schritte, ließ ich mich auf die Knie nieder, um sicheren Anschlag zu haben, sperrte das rechte Auge weit auf


9. Capitel

und machte das linke felsenfest zu, brachte Korn und Visir in gebührende Uebereinstimmung – und gab Feuer.

»Getroffen! schrie ich außer mir. Diesmal wird mir Niemand meinen Schuß abstreiten!«[215]

Mit eigenen Augen hatte ich Federn auffliegen sehen, wenn's nicht etwa Haare waren.

Wegen Mangels an einem Hund lief ich selbst auf den Busch zu, stürzte mich auf das regungslose Wild, das kein Zeichen von Leben mehr gab! Ich hob es auf...


9. Capitel

Es war ein Gendarmenhut mit Silberbordure und einer Cocarde, deren Roth mich wie ein Auge anzusehen schien. Zum Glück hatte er sich im Moment, wo ich schoß, nicht auf dem Kopf seines Eigenthümers befunden!

Quelle:
Jules Verne: Zehn Stunden auf der Jagd. In: Der grüne Strahl. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band XLII, Wien, Pest, Leipzig 1887, S. 193–219, S. 214-216.
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