|
[295] 20. November 1794.
Die Schönheit ist des Guten Hülle;
Der Schönheit wollen wir uns freun,
Und bei der schönen Gaben Fülle
Nicht Menschen nur, auch menschlich sein.
Du, Blume, sollst uns kränzen;
Du, edler Wein, uns glänzen!
Schenk ein, o Mädchen! Schall, o Chor!
Das schöne Mädchen singt uns vor!
Chor.
Du Blume usw.
Ich schenk' in hellgeschliffne Becher
Euch gern den edlen Feiertrank;
Als weise Trinker, nicht als Zecher,
Genießt ihr menschlich mit Gesang.
Die Seele schweb' erhaben
Zum Geber aller Gaben,
Der uns dies schöne Paradies
Mit Menschensinn bewohnen hieß!
Chor.
Die Seele usw.
In tausendfacher Schönheit pranget
Nicht Blume nur, auch Blütenbaum,
Auch Frucht und Traube; daß verlanget
Der Geist, und nicht allein der Gaum.
Es blühe nicht vergebens
Die Blum' auch unsers Lebens!
Des Blattes schöne Raupe kreucht,
Entschläft, wird schöner Sylph', und steigt!
Chor.
Es blühe usw.
Wo ist er, der uns Menschen wieder
Als Waldgeschlecht nur weiden heißt,
Ohn' einmal aufzuschaun, wer nieder
Vom schönen Baum die Eichel geußt?[296]
Sein Herz erfreute nimmer
Der Blume Duft und Schimmer;
Sein Ohr, zu fühllos für Gesang,
Vernahm nur Golds- und Schellenklang!
Chor.
Sein Herz usw.
Die Harmonie gemeßner Rede
Rief Waldgeschlecht, zu baun das Feld;
Die Harmonie entschied die Fehde
Dem Volk, in Dorf und Stadt gesellt.
Durch Lieder lehrt' Erfahrung,
Und Gottes Offenbarung;
In Liedern trug der fromme Chor
Der Erstlingsopfer Dank empor.
Chor.
Durch Lieder usw.
Der Menschenrede Reiz und Klarheit
Erhob des Denkers kühnern Flug:
Von Wahrheit flog er auf zu Wahrheit,
Und sah herab auf Wahn und Trug.
Doch niemals lockt' er Hörer,
Der hohen Weisheit Lehrer;
Ward nicht in schöner Rede Bild
Ihr Götterstrahl sanft eingehüllt.
Chor.
Doch niemals usw.
Der Weise lehrt das Herz der Menge
Sich edler Menschlichkeit erfreun;
Ihm ward's, durch Red' und durch Gesänge
Ein Volkverschönerer zu sein.
Wenn gleich, durch Zwang gelähmet,
Sein armes Volk sich grämet;
Durch ihn an Geist und Sinn geklärt,
Erhebt sich's einst, der Freiheit wert.
Chor.
Wenn gleich usw.
Nicht frönet, niedres Geizes Diener,
Der freie Geist, nur Brot zu baun;
Geweiht der Schönheit, strebt er kühner
Aus unsrer Sklavenzeiten Graun.[297]
Ihm tanzt der Musen Reihen
Mit Grazien im Freien;
Und hoch entzückt, ein Grieche schon,
Bemerkt er weder Dank noch Hohn.
Chor.
Ihm tanzt usw.
Buchempfehlung
Kammerspiel in drei Akten. Der Student Arkenholz und der Greis Hummel nehmen an den Gespenstersoirees eines Oberst teil und werden Zeuge und Protagonist brisanter Enthüllungen. Strindberg setzt die verzerrten Traumdimensionen seiner Figuren in steten Konflikt mit szenisch realen Bildern. Fließende Übergänge vom alltäglich Trivialem in absurde Traumebenen entlarven Fiktionen des bürgerlich-aristokratischen Milieus.
40 Seiten, 3.80 Euro
Buchempfehlung
Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.
430 Seiten, 19.80 Euro