Phaethon an Theodor

[45] Es gibt eine gewisse Saite in meinem Innern. Wer sie zu stimmen weiß, hat mich gewonnen. Wer sie aber anrührt mit täppischen Händen, der läßt einen ewigen Mißklang zurück. Katon hat sie getroffen, der Verwalter der Gräfin. Gestern Nachmittag stand ich vor meinem Amor und glättete mit der feinsten Feile noch manche Härte. Der Geist meines Bildes schwebte mir in seiner Vollendung vor Augen. Da klopft' es an die Tür, und wie ich sie öffnete, stand ein Mann vor mir, groß, mit breiten Schultern, einer vollen Brust. Zwischen einem starken Bart lächelten ein Paar zarte Lippen hervor; aber das Auge sprühte dumpfe Funken unter den starken Brauen. Es war der Verwalter Cäciliens. Ich bot dem schönen stolzen Mann einen Stuhl.

Katon stand vor meinem Bild. Ich hatte meinen Arm gelehnt ans Fenster. Lange sah er stumm die Figur an. Ich wagte kein Wort zu sprechen.

Es wuchsen die Flammen in seinem Auge, und eine düstre Ahnung schwebte wie eine Wolke um seinen Mund.[46]

Ihr Bild gefällt mir! sprach Katon endlich. Ich errötete.

Wie bildeten Sie diese jugendlichen Formen? Haben Sie bei uns solche Natur gefunden? erwidert' er.

Nirgends! seufzt' ich, und ein unwillkürliches Ach! entfloh meinen Lippen. Er faßte mich fester ins Auge.

Nur unter Griechenlands gemäßigtem Himmel wandelten solche Naturen. Diese reiche Fülle gedeiht im Norden nicht, sagte Katon.

Griechenland! schluchzt' ich und sucht' umsonst eine Träne zu verbergen.

Junger Mann, versetzte Katon, lieben Sie die Griechen so sehr? Es war ein schönes Volk. Sie wußten zu leben. Auch ich stand unter den göttlichen Propyläen und war zu Misitra und sah des alten Sparta finstre Trümmer.

Diese Worte klangen mir wie Donner, und mein unmächtiger Schmerz ward zur zuckenden Begeisterung. Mein Auge muß es ihm gesagt haben, wie mir war. Katon ergriff meine Hand und drückte sie und sagte: Ihr Wesen gefällt mir! Der Geist des göttlichen Volkes weht in Ihrem Bilde. Ich war von Sinnen.

Katon setzte sich. Wir sprachen über die Griechen. Er lächelte über mein leidenschaftliches Wesen. Ich sah ihn an wie einen, der aus dem Grabe steigt, den Sterblichen die hohe Vorwelt zu verkünden.

O Theodor, diese Ruhe, diese antike Größe, die aus diesem Manne sprach! Wie so ganz verschieden von meinem wilden unstäten Charakter![47]

Er sagte, die Gräfin könne nicht länger mehr warten, das Bild zu sehen. Sie werde in einigen Tagen mit ihrer Tochter ins Dorf fahren.

Er lud mich dringend ein, hinüber zu kommen ins Schloß. Es ist wahr. Warum hab ich's auch bisher immer unterlassen?

Die Gestalt dieses Mannes verläßt mich heut den ganzen Tag nicht. Ich möchte mich oft erzürnen, daß ich so allem Einfluß bloßgestellt bin.

Quelle:
Wilhelm Waiblinger: Phaeton. Teil 1 und 2. Dresden 1920, S. 45-48.
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