[45] In der Nähe von Königstein im Taunus besaßen Wahnschaffes ein kleines Schloß, das Frau Richberta Christiansruh genannt hatte und das eigentlich Christians Besitz war. Christian hatte sich gegen die Bezeichnung gewehrt; er war damals noch ein Knabe gewesen. »Für mich ist keine Ruhe not,« hatte er gesagt. Seine Mutter hatte erwidert: »Einmal vielleicht wird dir Ruhe not sein.«
Frau Richberta lud die Gräfin ein, den Mai auf Christiansruh zu verbringen. Es war eine liebliche Gegend; das Entzücken der Gräfin äußerte sich lärmend.
Crammon kam natürlich auch. Mit Argusaugen beobachtete er die Gräfin, und daß er Christian und Lätizia häufig im Gespräch sah, erregte sein Mißbehagen.
Er saß am Fischteich, die kurze englische Pfeife im Mund, und sagte: »Wir müssen nach Paris; du weißt, so war die Abrede. Ich habe dir Eva Sorel versprochen. Wenn du nicht schnellere Beine hast als ihr Ruhm, wirst du das Nachsehen haben.«
»Es hat Zeit,« entgegnete Christian lachend, indem er eine Reuse aus dem Wasser hob.
»Nur die Faulenzer haben Zeit,« fuhr Crammon brummig fort; »und Faulenzerei ist es, einem achtzehnjährigen Gänschen den Kopf zu verdrehen und sich am Ende noch von ihr hereinlegen zu lassen. Diese jungen Mädchen von Stande sind zu nichts nutz auf der Welt, außer, wenn sie Geld haben, für arme Schlucker, die nach dem Kirchgang ihren Gläubigern das Maul stopfen wollen; ihre Manipulationen sind nicht so harmlos, wie es den Anschein hat, besonders wenn sie in Begleitung von Patronessen auftreten, die mit Kupplerinnen eine so verdammte Ähnlichkeit haben wie meine Westenknöpfe mit meinen Hosenknöpfen.«
»Gib dich zufrieden, Bernhard,« beschwichtigte Christian den Erzürnten, »es ist nichts zu fürchten.«[46]
Er ließ sich im Moos nieder und dachte an Adda Castillo, die schöne Löwenbändigerin, die er in Frankfurt kennengelernt. Sie hatte ihm gesagt, sie werde im Juni in Paris sein, und bis dahin wollte er warten. Sie gefiel ihm, sie war so wild und kalt.
Aber auch Lätizia gefiel ihm; sie war so feucht und zart. Feucht nannte er das Tauige an ihr, den Glanz ihrer Augen, das Entschlüpfende ihres Wesens. Täglich in der Frühe hörte er sie von seinem Turmzimmer aus trillern wie eine Lerche.
Er sagte: »Morgen fahren wir mit dem Auto hinüber, Bernhard, um Adda Castillo mit ihren Löwen zu sehen.«
»Ausgezeichnet,« antwortete Crammon, »Löwen, das ist eine Sache für meines Vaters Sohn.« Und er schlug Christian kameradschaftlich derb auf den Schenkel.
Ausgewählte Ausgaben von
Christian Wahnschaffe
|