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[429] Als Christian durch die Halle des Hotels schritt, erblickte er Crammon, der traurig in einem Sessel saß. Christian blieb stehen und reichte ihm lächelnd die Hand. »Hast du gut geschlafen, Bernhard?« fragte er.

»Ach, wenns vom Schlafen abhinge,« versetzte Crammon; »der Schlaf läßt nie was zu wünschen übrig. Das Wachen ists, worans hapert. Man wird alt. Die Vergnügungen halten nicht mehr recht vor. Die Freuden werden fadenscheinig. Man rechnet auf Dank und Liebe und hat nur Kummer und Enttäuschung. Ich glaube, ein Kloster wär für mich wirklich das Passendste. Demnächst werde ich das Projekt in die Nähe rücken.«

»Nein, Bernhard,« gab Christian lachend zur Antwort, »im Kloster würdest du eine üble Figur machen. Fort mit den schwarzen Gedanken; laß uns lieber frühstücken.«

»All right, laß uns frühstücken.« Crammon erhob sich. »Hast du eine Ahnung, weshalb das Rumpelstilzchen plötzlich bei Nacht und Nebel abgedampft ist? Ich höre, sie hat eine unangenehme Nachricht vom Hause erhalten; aber das ist doch noch kein Grund, ohne ein Sterbenswort auf und davon zu gehen. Jedenfalls ist es schnöde gehandelt. In wenigen Stunden wird uns auch Ariel verloren sein. Die Gemächer oben starren von Koffern und Schachteln, Monsieur Chinard vergeht vor Wichtigkeit. Nur schwarzes Gewölk grinst einen noch an, der bunte Regenbogen ist dahin. Exzellent, dieser[429] Kaviar übrigens. Ich werde mich in die Heimlichkeiten des Privatlebens zurückziehen. Vielleicht miete ich mir einen Sekretär oder eine appetitliche und diskrete Sekretärin und fange an, meine Memoiren zu diktieren. Du, mein Lieber, scheinst guter Laune; du blickst so fröhlich, wie schon lange nicht.«

»Ja, mir geht es ausgezeichnet,« sagte Christian und zeigte beim Lächeln seine großen, blendendweißen Zähne; »ausgezeichnet,« wiederholte er und streckte dem überraschten Freund abermals die Hand entgegen.

»Hast du dich also endlich damit abgefunden?« forschte Crammon augenzwinkernd und deutete mit dem Daumen ausdrucksvoll nach oben.

Christian erriet. »Vollkommen,« sagte er heiter, »die Krankheit ist überstanden.«

»Bravo, bravo.« Und Crammon, behaglich schmausend, philosophierte: »Wär es anders, so wärs betrüblich. Ich muß es immer wieder betonen: Ariel gehört nun einmal zu den Sternen. Es gibt segensvolle Sterne und gibt verhängnisvolle Sterne. Einige sind von guten Geistern bewohnt, einige von Dämonen Das wissen wir seit urältesten Zeiten. Sie sollen ihre Affären untereinander schlichten. Kommt es zu Kollisionen und Katastrophen, so ist es eben eine kosmische Angelegenheit, die uns Sterbliche nicht weiter zu kümmern hat. Schließlich bist du ja auch nur ein Sterblicher, wenn auch ein auserwählter; hast sogar eine Reise in die seligen Jagdgründe tun dürfen. Aber was zu viel ist, ist zu viel. Die Konkurrenz mit moskowitischen Autokraten kannst du nicht aufnehmen. Den Drachen vermag Siegfried am Ende noch zu besiegen; wenn Luzifer selber auf hohem Roß feuerschnaubend dahersprengt, trägt er nur seine schöne Haut zu Markte. Erfreulich und weise, daß du die Finger davon läßt. Auf eine genußreiche Zukunft, mein Engel!«

Christian ging aus Büfett, wo herrliches Obst zum Verkauf lag. Er wußte, ein wie entzückter Liebhaber seltener[430] Früchte Crammon war. Er nahm einen geflochtenen Korb und legte in die Mitte eine Ananas, die er aufschnitt, so daß ihr goldnes Fleisch feuchtschimmernd lockte; darum im Kreis vier Kalvilleäpfel von reinster Oberfläche, gelblich leuchtende, sechs große französische Pfirsiche, flaumig und von elastischer Weichheit wie Muskulatur, und sieben enorme Dolden kalifornischer Trauben. Nachdem er die Früchte sachverständig angeordnet, trug er den Korb zu Crammon und überreichte ihn dem Beglückten mit scherzender Feierlichkeit.

Sie trennten sich dann, aber als Crammon am späten Nachmittag ins Hotel zurückkehrte, erfuhr er zu seiner Bestürzung, daß Christian abgereist sei.

Er konnte sich nicht fassen. Er erschien sich als das Opfer einer unheimlichen Kabale. »Sie lassen mich alle im Stich,« murmelte er zornig vor sich hin; »sie wollen sich über mich lustig machen. Es ist eine wahre Epidemie. Du hast abgewirtschaftet, Bernhard Gervasius, du bist ihnen im Wege, es ist aus mit dir, geh in deine Klause und betraure dein Leben.«

Er befahl seinem Diener zu packen und Plätze für den Zug nach Wien zu besorgen. Dann stellte er das Körbchen mit den Früchten auf den Tisch und pflückte betrübt sinnend Beere um Beere von den Trauben.

Quelle:
Jakob Wassermann: Christian Wahnschaffe. Berlin 56-591928, S. 429-431.
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