Die Schenke

[81] Mein Herz, des Sanges schier entwöhnet,

Schlägt jetzt von neuem wild und heiß.

Drum auf, ihr Saiten, klingt und tönet!

Ich singe einer Schenke Preis!


Dort ragt sie aus den Waldestannen

Und zeigt den Leu auf rundem Schild,

Dazu drei Krüge und drei Kannen

Und auch ein Sprüchlein fromm und mild.


Es ist der Schenken allerbeste!

Und Löwenburg wird sie genannt.

Kommt, tretet ein, seid meine Gäste,

Hier ist der beste Wein im Land!


Seht dort die Wirtin – schon von ferne

Winkt sie mit einem vollen Glas;

Ein lieblich Mahl bringt sie uns gerne

Und zapft aus einem neuen Faß!


Sie ist mir äußerst wohlgewogen,

Dieweil ich neulich klug und schlau

Ihr in das Angesicht gelogen,

Sie sei die wunderschönste Frau!


Geht ihr nun jubelnd durch die Türe,

Seht, daß der Töchter keine flieh;

Meintwegen küßt sie – ich erküre

Mir stets die liebliche Marie!
[81]

Denn Augen hat sie wie zwei Trauben

So dunkel – ist so schüchtern noch;

Den Kuß will nimmer sie erlauben –

Was tut's? Man kommt und küßt sie doch!


Wer widerstände auch der Schönen,

Wenn sie den vollen Becher bringt,

Wenn sie zu ihrer Harfe Tönen

Ein Lied mit heller Stimme singt?


Die Gäste lauschen in die Runde;

Denn alle Herzen singt sie wach!

Jetzt schweigt sie – und von Mund zu Munde

Schallt wild die letzte Strophe nach!


Doch nun, o Lied, mit frischem Tone,

Erkling aufs neu! Ihr Saiten, schwirrt!

Es kommt des Hauses Zier und Krone,

Der unvergleichlich dicke Wirt!


Er kommt! er kommt! mit prallen Lenden,

Er hat ein Bäuchlein wie ein Faß,

Sein Weib und sieben Kinder fänden,

Tät's Not, mitsamt darin Gelaß!


Sein rotes Antlitz scheint zu sagen:

»Mir war so mancher Wein gegönnt,

Daß er zusammen mit Behagen

Drei Königreich ersäufen könnt!«
[82]

Stolz ist er drauf, sein Weib zu führen

Am Sonntag in die Kirch hinein,

Doch bleibt er selber vor der Türen –

Für seinen Bauch ist sie zu klein!


Tut ihm der Tod dereinst mal winken,

Glaubt mir, er fährt gen Himmel nicht!

Er wird zurück zur Erde sinken –

Dieweil er ein zu groß Gewicht!


So kennt ihr nun die ganze Schenke,

Ihr kennt den Wirt mit Weib und Kind –

Und Pfalzwein ist ein gut Getränke,

Streicht übern Rhein der Morgenwind!
[83]

Quelle:
Georg Weerth: Sämtliche Werke in fünf Bänden. Band 1, Berlin 1956/57, S. 81-84.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Gryphius, Andreas

Horribilicribrifax

Horribilicribrifax

Das 1663 erschienene Scherzspiel schildert verwickelte Liebeshändel und Verwechselungen voller Prahlerei und Feigheit um den Helden Don Horribilicribrifax von Donnerkeil auf Wüsthausen. Schließlich finden sich die Paare doch und Diener Florian freut sich: »Hochzeiten über Hochzeiten! Was werde ich Marcepan bekommen!«

74 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon