Auf hohem Berge

[219] Ich stand auf hohem Berge

Und blickte ins Tal hinab:

Dort wohnen die kleinen Menschen,

Die lange geliebet ich hab!


Dort ragt die graue Kirche,

Die ist schon alt genug;

Dort schrieb mich einst der Küster

Ins große Kirchenbuch.


Und drüben steht die Kapelle,

Dort sang ich den ersten Choral;

Der Kantor spielte die Geige

Und schlug mich mannigmal.


Doch wo die Linden rauschen,

Da glänzt ein schneeweißes Haus;

Dort schauen die Monatsrosen

Hoch oben zum Fenster hinaus. –
[219]

O blühet fort, ihr Rosen,

Ohn Not und Ungemach,

Bis daß ich euch wiederschaue

Wohl über Jahr und Tag;


Bis daß ich wieder wandle

Die heimlichen Gassen hin,

Bis daß ich wieder küsse

Meine lustige Nachbarin.


Quelle:
Georg Weerth: Sämtliche Werke in fünf Bänden. Band 1, Berlin 1956/57, S. 219-220.
Lizenz:
Kategorien: