Vierter Auftritt.

[73] Faust zu ihm Wagner.


FAUST. So bin ich denn ohne Hofnung verlohren, ewig verloren! Ich falle hinab, zehentausend Meilen hinab, und ich falle noch immer – Welch ein Abgrund ist vor mir! – Ich sinke nieder, mein stockendes Blut vergißt zu sliessen, alles empört sich in mir – Wetter kocht mein Herz, und Stürme zeugt mein Geist. Gott, dein Zorn donnert mich schon zur Erde. Warum haft du mich aus nichts herausgestucht? Allmächtiger, ich suche Schutz vor deinem fürchterlichen Grimme; ich fliehe vom Aufgang zu Niedergang; aber überall begegnen mideine rächende Donner. Nur die Hölle beut mit[73] Zufluchtort an. Satan lädt mich ein – Ich komme schon! Trank der Hölle tödte mich, und leite meine Seele in die Staaten des Elends – Ich zittre, der Becher wankt in meinen Händen – Eine geheime Stimme flistert mir zu – Gott ist dieß die leise Stimme deiner Gnade – Ist der Sünder noch deiner Erinnerung würdig? Oder du Freund Ithuriel, hast du Trost in mein Herz geflösset? – Es sind Täuschungen – Nichts übrigt mir – Sieh wie die Hölle ihre Feuermeere und Schwefelwetter auf mich ausspeyt – ihren gefrässigen Rachen weit aufsperet, und nach ihrer Beute brüllt. Ja, ich komme schon! – Ich trinke – Es ist geschehn!

WAGNER. Herr, was thust du?

FAUST. Sterben! – Sieh mich an, so ein End nimmt ein Wollüstling! O Freund, könnt ich itzt um mich diesen tanzenden Schwarm versammeln, könnt ich ihnen noch früh genug die Larve vom Gesichte reissen, dieß wär noch mein Sterbetrost. – Ha, das Gift wirkt. Angst, und Entsetzen ergreift mich wie eine Gebährerinn – das Verderben nähert mit geschäftigen Fittigen – O Zeit, die ich muthmillig erwürget, du stehst vor meinen Augen – O Gnade, die ich hartnäckig von mir gestossen, du verfolgest mich noch – Ha, hörst du die röchelnde Todesposaune – Dort rasseln die Sebeinhäuser – Der immerwachende Satan schleicht wie ein Tyger herum – Welche Nache sinkt dort herab? – Es gehn schon die[74] Furien wie hungrige Löwen auf Beute aus – O gewaltiger Richter blende nicht meine Augen – Sieh er fährt, er hält die wüttenden Wetter mit schlaffem Zügel, ungestümme Wirbelwinde wälzen ihn fort – Sieh dort jene grimmigen Löwen; ihnen folgen ihre gelben Jungen. Sie schreiten über Todtengebeine. Bey schwarzer Nacht eilen sie über Menschenstaub. Dort schläft der sichere Wanderer. Er verhört schlummernd das Todesgebrülle. Sie eilen hin, sie zerreissen ihn; ihr Schlund trieft noch von dem Blute, und sie brandmarken jeden Schritt – Was seh ich – Halt ein – Mein Vater! – Helena! wen durchbohrst du – Ich sinke – Dort ringt der sterbende Greis mit dem Tod. – Die händerinde Mutter – Das Blut fließt aus der Wunde – Geh aus meinen Augen Mörderinn – Flieh Ungeheuer! –


Wagner entflicht. Man hört einen Schrey.


Quelle:
Weidmann, Paul: Johann Faust. Ein allegorisches Drama von fünf Aufzügen, Prag 1775, S. 73-75.
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