[267] Priester, Aegisth.
AEGISTH tiefsinnig und traurig, ohne den Priester gleich gewahr zu 25 werden.
Ich weiß es nicht. – Mein Herz schwimmt tief in Leid! –
Wie gern nähm' ich ihm seine Fesseln ab,
Und legte sie mir an! –
PRIESTER.
Den Göttern sei's
Gedankt! noch lebt Thyest!
AEGISTH er wird den Priester gewahr.
Der Priester! ...
PRIESTER.
Prinz!
Was fehlet dir?
AEGISTH.
Mir? nichts! –[267]
PRIESTER.
Allein! dein Aug'
Ist trüb'! Es nagt an dieser Ros' ein Wurm!
Gesteh es mir, traf sie ein Mehltau? sprich!
Hat eine böse Tat dein Herz befleckt?
AEGISTH.
Mein Herz? ich habe nichts getan, als ...
PRIESTER.
Was?
AEGISTH.
Als – was mein Vater mir gebot!
PRIESTER.
Was ist's? –
Es lebt Thyest?
AEGISTH.
Er lebt! allein, wie lange!
Das weiß ich nicht! – Auf keines Sterblichen
Gesicht sah ich den Zorn noch so erschrecklich!
Der Sturm im Meer ist sanft: die Flamme kühl
Ach! gegen seine Wut, des Königs Wut!
Und keine Qual so hart, die dem Thyest
Er nicht gedroht ...
PRIESTER.
Gedroht? jedoch noch nicht
Vollstreckt? – genug! noch Glück genug für uns! –
Und was sagst du dazu?
AEGISTH.
Ich? was ein Sohn
Dann sagen darf, sobald ein Vater will!
Ich schweige, tue, was die Pflicht mich lehrt,
Gehorche ...
PRIESTER.
Ja, sie lehrt dich seinem Winke
Gehorsam sein, wenn er gebeut, was Recht,
Gesetz und Billigkeit erfodern; doch,
Ist seine Foderung also?
AEGISTH.
Das weiß
Ich nicht!
PRIESTER.
Und was hat er von dir gefodert?
Wo ist Thyest? und wo der König?
AEGISTH.
Dieser
Verschloß sich voller Grimm in sein Gemach,
Befahl der Wacht, niemand vor ihm zu lassen,
Und jener ... ach! ihn mußt' ich unters Schloß
In Kerker bringen ...[268]
PRIESTER.
Und du seufzest? –
AEGISTH.
Du
Verrätst mich nicht! ich weiß es, deine Gunst
Hab' ich schon oft geprüft! – Mein ganzes Herz
Weint laut um den Thyest: die kleinste Qual,
Womit man ihn bedroht, fährt wie ein Dolch
Mir durchs Gebein! ich seh', ich fühle sie! –
PRIESTER.
Was hat er ihm gedroht?
AEGISTH.
Ach, alles! – Tod
Ist das geringste; ja, mir dünkt sogar,
Ich litte gern für den Thyest den Tod!
Der Vorwurf, daß ich ihn nicht fliehen ließ,
Daß ich mit Haß ihm sein Vertraun belohnt,
Daß ich zu Qual und Tod ihn hergeführt,
Daß ich ... ach! alles wirft mein Herz mir vor!
Ist denn kein Trost ...
PRIESTER.
Ich habe Trost, mein Prinz!
Die Götter richten uns nach unsrer Absicht,
Nicht nach dem Ausgang; der ruht ganz allein
In ihrer Hand. Mir bürgt dein edles Her
Für Bosheit und Betrug in dem, was du
Getan: der Götter Spruch, den Pythia
Dir gab; dein Wunsch, das Elend von Mykene,
Das eine Mitternacht von Schrecken deckt,
Zu endigen; die Hoffnung Pelops Haus,
Auf den der Acheron Haß, Mord und Tod
Ganz ausgeschüttet hat, mit Freundschaft, Glück
Und Leben ausgesöhnt zu sehn, dies war
Der Grund: –
AEGISTH.
Er war's, die Götter wissen es!
PRIESTER.
In allem hast du noch nach deiner Pflicht
Getan.
AEGISTH fällt ihm um den Hals.
O Glück! mein Freund, mein bester Freund!
O welch ein Trost! ein Balsam auf mein Herz
Ist mir dein Wort! So hab' ich recht getan?[269]
Doch wenn Thyest ... Ach! wenn dir's möglich ist,
Entreiß ihn des Verderbens offnem Schlunde!
Mit hundert Rachen brüllt er unter ihm ...
Du kennst nicht meines Vaters Grimm, weißt nicht
Wie der mich schreckte, da ich für ihn bat!
PRIESTER.
Getrost ... Hast du nicht schon ein leis Getümmel
Des Volks vor dem Palast gehört? der Ruf,
Der hundertzüngige, so stumm er scheint,
Hat schon die Neuigkeit von dem Thyest
Umher gehaucht. In des Orakels Spruch
Verkündigt' ich der allgemeinen Not
Das nahe Ziel und alles lebt aufs neue.
Der Brüder Zwist sah jedermann schon längst
Bloß für den Quell des tiefen Elends an,
Aus welchem es den Zorn der Götter trinkt,
Und die Versöhnung ist der Halm, auf dem
Für sie der Rest des schwachen Lebens hängt. –
AEGISTH.
Doch das Verbot des Königs ... fürcht'st du nicht ...
PRIESTER.
Ich fürchte nur die Götter! Menschen nicht,
Nicht Könige, nicht ihn. – Er weiß, das Volk
Verehrt den Gott in mir, der seinen Dienst
Mir anvertraut! er weiß, wie heilig ich
Vor ihm gewandelt. – Weh, weh ihm! ...
AEGISTH.
Er kömmt!
Ich zittre! –
Buchempfehlung
Autobiografisches aus dem besonderen Verhältnis der Autorin zu Franz Grillparzer, der sie vor ihrem großen Erfolg immerwieder zum weiteren Schreiben ermutigt hatte.
40 Seiten, 3.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.
424 Seiten, 19.80 Euro