Erster Auftritt

[293] Eingang zu dem Gefängnisse des Thyest.

Pelopia, Aegisth.

Pelopia führet ihn zitternd an der Hand und in der andern hält sie das Schwert.


PELOPIA.

Hier nimm! – Du bebst! – was fürchtest du?

AEGISTH.

Mein Herz!

O Angst! – es berstet: ... gib!

PELOPIA.

Nimm! – halt es fest!

AEGISTH.

Wie schwer ist es!

PELOPIA.

Für eines Feigen Hand!

AEGISTH.

O wär's fürs Vaterland! Du solltest sehn! ...

PELOPIA.

Was würd' ich sehn! Dich fliehn? ein einz'ger Feind

Ist dir so schrecklich? – ha! was würden dir

Zehntausend Feinde sein?

AEGISTH.

Weit weniger!

Weil sie bewaffnet sind! gib dem Thyest

Die ganze Kraft der Jugend in den Arm,

Geuß frisches Blut ihm in die Adern ein,

Zieh seine Nerven an, gib ihm ins Herz[293]

Des Siegers Rüstigkeit, der Hand das Schwert

Und laß ihn los: alsdann – dann fordr' er mich

Zum Kampf heraus! und du sollst sehn ...

PELOPIA.

Ganz gut!

Itzt will ich aber sehn, was du für mich,

Für dich, für den, der dir die Krone gibt,

Beginnen kannst. Die Tat, so klein sie ist,

Ist eines Helden wert! Dein furchtsam Herz

Ist hier der Feind, nicht er! G'nug Ruhm für dich,

Besiegst du es. –

AEGISTH.

Doch Undanks auch genug!

Sein inneres Gefühl, den Richter hier


Auf seine Brust zeigend.


Der uns nichts Böses rät, zu töten! –

PELOPIA.

Tor!

Wie? siehst du außer dir sonst nichts als dich?

Nennst du dies böse? dies? wenn du uns rettest?

Den König? mich? ein ganzes Königreich?

Wenn dies vielleicht der Götter Sinn selbst wär',

Daß du den Zwist der Brüder endigtest,

Der Argos Fluch, Grab und Verderben ist?

AEGISTH.

Ich bleibe stets der Mörder!

PELOPIA.

Bleib es! g'nug!

Entschuldiget dich nicht des Königs Wille?

Mein Wille? Deine Pflicht? – fort oder komme

Zum Atreus! –

AEGISTH.

Ah! ihr Götter; steht mir bei!

Verfinstert mir das Auge, daß ich nicht

Mehr seh'! verstopft mein Ohr, daß ich nicht höre!

Versteinert mir das Herz! lenkt meinen Stoß

Ihm – oder mir ins Herz!

PELOPIA.

Ich bleibe hier!

Wiß es! ich bleibe hier. Ich steh' dir bei,

Wenn dir es nicht gelingt. –


Sie verbirgt sich am Eingange des Gefängnisses; die Türen desselbigen tun sich auf und zeigen den Thyest.


Quelle:
Das Drama des Gegeneinander in den sechziger Jahren, Trauerspiele von Christian Felix Weiße. Leipzig 1938, S. 293-294.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Schlegel, Dorothea

Florentin

Florentin

Der junge Vagabund Florin kann dem Grafen Schwarzenberg während einer Jagd das Leben retten und begleitet ihn als Gast auf sein Schloß. Dort lernt er Juliane, die Tochter des Grafen, kennen, die aber ist mit Eduard von Usingen verlobt. Ob das gut geht?

134 Seiten, 7.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon