Achtes Buch

[317] Belphegors Begleiterinn fieng ungeheißen an, ihm etliche Stücke ihrer Geschichte mitzutheilen, und zwar mit dem Tone eines geheimen Kummers, der sich öffnen will, um sich zu erleichtern: allein ihr Zuhörer war mit seinen eignen trübsinnigen Gedanken zu sehr beschäftigt, um von ihrer Erzählung intereßirt zu werden. Sie fuhr demungeachtet ungehindert fort und versicherte, daß der ganze unübersehliche Faden ihrer grausamen Schicksale von einem gewissen FROMAL angesponnen sey, dem sie dafür allen Fluch des Himmels und der Erde zur Belohnung anwünschte.

Belphegor fuhr auf und sah sie unbeweglich an. Von einem gewissen Fromal! rief er, wie aus einem Traume erwachend.

Ja, von diesem schändlichsten aller Bösewichter, der mich verleitete, einen gewissen BELPHEGOR zum Hause hinauszuwerfen –

Einen gewissen Belphegor! unterbrach sie ihr Gefährte erschrocken, doch ohne sich zu verrathen, ob er gleich merkte, mit wem er zu sprechen die Ehre hatte.[317]

Sie erzählte ihm hierauf mit geläufiger Zunge ihre ganzen Schicksale bis zu der großen Wolkenreise,15 wo sie von ihrem versöhnten Liebhaber und seinem Freunde Medardus getrennt wurde, und zwar mit den nämlichen Umständen, unter welchen meine Leser ihren Bericht bereits vernommen haben. Belphegor konnte daraus nichts anders schließen, als daß die Geschichte wahr und sein Freund Fromal ein treuloser Freund sey, der ihn doppelt hintergangen, als er ihn nach seiner Verweisung aus Akantens Hause beruhigte, und als er ihm die Ursachen herrechnete, warum er zu seiner Vertreibung etwas beygetragen hatte. Er nährte schon lange einen bittern Unwillen wider alles, was menschlich heißt, bey sich, und glaubte um so viel leichter, daß sein Schluß richtig, und Fromal, wie alle Menschen, ein Bösewicht sey.

Während daß er mit einer geheimen melancholischen Freude dieser Meynung beyfiel, fuhr Akante in ihrem Berichte fort und erzählte ihm, daß sie von ihrer Wolkenfahrt in die Türkey herabgelassen worden sey und sich, um ihrem gänzlichen Mangel abzuhelfen, an einen reichen Kaufmann als Sklavinn verhandelt habe.

Mein Herr, sagte sie, ward meiner bald überdrüßig: so sehr ich selbst nach dem Verluste meiner hauptsächlichsten natürlichen Schönheiten in Europa gefiel, so wenig wurde dieser fühllose Türke von meiner marmornen[318] Hand und meinem schön lackirten Gesichte gerührt, das leider! itzt nur noch Ruinen seiner vormaligen Schönheit aufzuweisen hat. Er verkaufte mich an einen Herrn, der sich besser darauf verstand, weil er ein Paar elende Goldstücke bey dem Handel gewinnen konnte. Mein neuer Herr nahm mich in sein Serail und verkaufte mich in etlichen Wochen an MULAI JASSEM, einen Handelsmann aus Antiochien; MULAI JASSEM verkaufte mich an ABI NIZZA nach Bagdad; ABI NIZZA überließ mich seinem Bruder, dem ABI ESSER: ABI ESSER, ein aufbrausender Mann, ward zornig auf mich, warf mich zum Hause hinaus, ließ mich wieder zurückholen, um mir hundert Peitschenhiebe mitzutheilen, und vertauschte mich gegen ein schönes kastanienbraunes Pferd an einen Franken,16 der mich endlich in die Hände eines persischen Herrn brachte, eines der mächtigsten Herrn im Königreiche; und ich wurde unter die Zahl seiner Beyschläferinnen aufgenommen. Ob er gleich aus besondern Absichten nur zwey Weiber hatte, so war doch sein Haus ein beständiger Schauplatz des Zanks und Tumultes: es theilte sich in zwo Faktionen, die einander tödtlich haßten und mit aller Erfindungskraft auf Mittel sannen, ihren Haß zur Thätlichkeit werden zu lassen: Sklaven, Sklavinnen, alles hatte den Groll von seiner Gebieterinn angenommen und verfolgte sich, als wenn es seine eigne Angelegenheit wäre. Vorzüglich äußerte[319] sich diese Feindschaft bey der Geburt eines Kindes; die eine von den beyden Weibern war ganz unfruchtbar, und die andre hingegen hatte ihrem Herrn schon drey Kinder geboren: ein solcher Vorzug war des bittersten Neides werth. Als diese Glückliche zum viertenmale niederkam, so biß sich ihre Neiderinn vor Zorn und Unwillen bey der ersten Nachricht davon so heftig in die Unterlippe, daß man sie ablösen mußte, um eine Entzündung des ganzen Gesichts zu verhindern. Kaum hatte sie den Schmerz ausgestanden, als ihr die Rachsucht den grausamen Entschluß eingab, die Wöchnerinn nebst ihrer Frucht im Bette zu verbrennen: sie gab ihrer Partey Befehl dazu, die mit der größten Bereitwilligkeit eilte, ihn zu vollstrecken. Im Augenblick loderten die Flammen in ihrem Zimmer und allen Ecken hervor, ergriffen die nächst daran stoßenden, verbreiteten sich weiter, und in wenig Minuten war der ganze Palast in Rauch und Flammen gehüllt: man rettete sich, wie man konnte, und mit dem größten Theile der Sklavinnen entlief ich, um ein leichter Joch zu finden, als das wir bey unserm gegenwärtigen Tyrannen zu tragen hatten: doch wir wurden von etlichen Verschnittnen eingeholt, gemustert und bis auf eine kleine Anzahl verkauft, bey welcher Gelegenheit ich in die Hände des großen mächtigen FALI gerieth, um die Aufwärterinn einer seiner Beyschläferinnen zu werden. Er hatte dem Sultan, seinem Herrn, wichtige Dienste im Kriege gethan und noch vor kurzem etliche Provinzen erobert, weswegen ihm[320] sein Herr mit vieler Achtung und Schonung begegnete. Einer von den Feldherren, der mit ihm eine gleich lange Zeit gedient hatte und es höchst übel empfand, daß ihm das Glück weniger gewogen war und ihn etliche Stufen niedriger in der Gunst seines Despoten sitzen ließ, hielt sich für verpflichtet, einen solchen Mann zu hassen, zu verfolgen, und wo möglich, unter sich zu erniedrigen. Er suchte jede Gelegenheit anzuwenden, ihn seinem Herrn verdächtig zu machen; und keine glückte ihm. Seine Mißgunst stieg zu einer solchen Höhe, daß es ihm genug war, seinen Nebenbuhler zu stürzen, wenn er gleich selbst in seinen Fall mit hinabgezogen werden sollte. Unter den vielen fehlgeschlagenen Listen erfand er endlich eine glückliche, wobey ICH die Hauptrolle spielte.

Als ich eines Tages dicht an den Mauern des Harems Feldblumen für meine Gebieterinn suchen mußte, so näherte sich mir ein alter Evnuche und versprach mir gleich bey der ersten Anrede, mein Glück auf ewig zu machen, wenn ich mich in ein Verständniß von der äußersten Wichtigkeit mit ihm einlassen wollte. Ich wurde neugierig, und er verlangte von mir, daß ich mich schlechterdings in die Gunst des FALI einschmeicheln und zu der Ehrenstelle einer wirklichen Beyschläferinn erheben lassen müßte. Wie kann ich das? fragte ich. – Dafür laß mich sorgen! war seine Antwort: gieb mir nur dein Wort, daß du dich zu allen Schritten, die die Sache erfodert, gehorsam bequemen willst, ohne jemals[321] zurückzuweichen oder furchtsam vor Schwierigkeiten zu erschrecken, die sich dir in Menge entgegenstellen werden. Ueberlaß dich meiner Führung, und folge an meinem Arme jeder meiner Bewegungen ohne Widerstreben nach! In wenig Wochen sollst du im Triumphe auf dem Gipfel stehen, von welchem deine Gebieterinn itzo auf dich herabsieht. – Ich versprach, ihm in allem zu gehorsamen: und sogleich verließ er mich, ohne mir das mindeste von dem Gange seines Anschlags zu entdecken. Ich war erstaunt, ich sann nach, und gieng voll unruhiger Erwartung und Erstaunen mit meinen Blumen in den Palast zurück. Ich mußte jeden der folgenden Tage Blumen suchen; ich glaubte jedesmal den alten Evnuchen zu finden, um etwas bestimmteres von meinem bevorstehenden Glücke zu erfahren: allein statt seiner kam den dritten Tag der große Fali und eine kleine Weile darauf der alte Evnuche, der uns aber bald wieder verließ, nachdem er mir einen verstohlnen Wink gegeben hatte, die Gelegenheit zu nützen. Ich nahm die schönste unter meinen Blumen, überreichte sie ihm demüthig und warf mich vor ihm nieder. Herr, sprach ich, siehe in Gnaden das geringe Geschenk deiner Magd an und verschmähe nicht die Gabe ihrer Hände! – Er befahl mir aufzusehn, und versicherte mich sehr freundlich, daß ich Gnade vor seinen Augen gefunden hätte, worauf er mir zu meiner Arbeit zurückzukehren gebot und mich verließ. Ich pflückte gedankenvoll weiter und fand in diesem Räthsel alles unauflöslich: ich brachte[322] vier und zwanzig Stunden in der quälendsten Ungewisheit zu, bis der alte Evnuche zu mir kam und mir das Geheimniß zum Theil entwickelte. Du sollst, sagte er mir, von Stund an zur Beyschläferinn des erhabnen Fali, des großen Feldherrn ausgerufen werden, und sogleich wirf die Sklavenkleider von dir und ziehe dieses Gewand an, das dich mit deiner bisherigen Gebieterinn in gleichen Rang setzt, und, wenn du klug genug bist, meinen Rathschlägen getreulich folgst und die nöthige Vorsichtigkeit gebrauchst, dich an die Spitze des ganzen Harem emporheben wird. – Ich zog das kostbare Kleid an, gelobte ihm den unverbrüchlichsten Gehorsam und folgte ihm, worauf ich in ein schönes möblirtes Zimmer kam, das mir nebst etlichen andern zu meiner Wohnung bestimmt war: die für mich bestellten Verschnittene und Sklavinnen empfiengen mich und stunden auf jeden meiner Winke in Bereitschaft: – kurz, ich war die geehrteste glücklichste Bewohnerinn des ganzen Harems und in der Gunst meines Herrn die oberste.

Guter Mann! Du weißt es vielleicht aus eigner trauriger Erfahrung, daß der Neid unmittelbar in die Fußtapfe tritt, wenn die Größe den Fuß von ihr aufhebt: ich erwartete ihn und trug ihn daher desto standhafter. Meine vorige Gebieterinn setzte den ganzen Harem wider mich in Aufruhr; ihre ehemaligen Feindinnen – welches alle ihres gleichen waren – wurden itzt die auserlesensten Freundinnen, die sich mit ihr zu meinem[323] Untergange verschwuren. Der alte Evnuche stellte mir die Größe der Gefahr oft vor Augen, da ich sie ohne ihn nicht einmal erfahren haben würde, so versteckt waren alle Minen, die mich sprengen sollten, ermahnte mich zu vorsichtiger Standhaftigkeit und schwur mir theuer zu, daß mich nicht der mindeste Stoß von der angelegten Untergrabung treffen werde, weil ER mein Beschützer sey. Sein Wort war mir um so viel sichrer, weil ich wußte, daß er der Liebling unsers Herrn war und so viel über ihn vermochte, daß auch die Neigungen des großen Fali von dem Willen und der Billigung dieses alten Geschöpfes abhiengen: alle Unternehmungen wider mich giengen also fehl, nur die einzige, die unglücklichste unter allen wäre beynahe gelungen – man trachtete mir nach dem Leben. Weil man nirgends zum Zwecke gelangen konnte, so ließ man die Decke meines Schlafzimmers allmählich so zerwühlen und die Befestigung derselben so locker machen, daß sie unfehlbar herunterfallen und mich tödten mußte. Ob man gleich bey diesem mörderischen Anschlage die nöthigsten Maasregeln ergriffen hatte, um den völligen Einsturz zu veranstalten, wenn ich den Untergang nicht vermeiden konnte, so kam doch der Zufall ihren weisen Veranstaltungen zuvor, und warf die Decke mit einem gewaltigen Krachen hernieder, als ich eben auf den glücklichen Sofa in den Armen des großen Fali in der vollsten Empfindung lag. Der Feldherr, der über diese Störung seines Vergnügens ergrimmte, forschte nach[324] dem Thäter; denn man fand deutliche Spuren, daß Kunst gebraucht worden war, den Fall zu befördern: er forschte mit aller Strenge nach ihm, doch ohne ihn zu entdecken. Diese Fruchtlosigkeit seiner Bemühung ließ ihm eine Verschwörung vermuthen, in welche, wo nicht das ganze Harem, doch wenigstens der größte Theil desselben verwickelt seyn mußte: theils um zu strafen, theils um abzuschrecken, ließ er ein schreckliches Blutbad anrichten, das die Hälfte des Serails und mit derselben auch meine vorige Gebieterinn wegnahm. Ich bat, ich flehte; aber der rasende Fali war unerbittlich und ruhte nicht eher als bis er die Zusammenrottung in Strömen Menschenblut ersäuft hatte.

Kurz nach diesem grausen Auftritte entzündete sich ein neuer Krieg: alles war in Zwietracht; und mein alter Evnuche berichtete mir, daß ER der einzige Urheber dieser Unruhen sey und sie zu Beförderung seiner Absichten nie erlöschen lassen dürfe. – Und welche sind das? fragte ich neugierig. – Absichten, erwiederte er, deren Reife herannaht. So höre dann! Den Mann, in dessen Umarmung du bisher die süßesten Empfindungen der Liebe geschmeckt hast, sollst du stürzen. – Ihn? fuhr ich auf: ihn, von dessen Händen ich Glück und Wohlseyn empfieng, der mich auf die oberste Staffel seiner Gunst erhob, ihn sollte ich stürzen? Undankbar will ich nimmermehr seyn. – So stürze dich! war seine kalte Antwort. Wähle zwischen seinem und deinem Untergange! – Ich wollte Einwendungen machen und[325] Fragen thun, aber er schnitt mir meine Rede gerade zu ab, verbot mir alle Declamationen und befahl mir zu wählen, und dann zu hören, was ich gewählt hätte. Keine Verlegenheit kann in der Welt größer gewesen seyn, als die meinige damals: sich selbst, oder seinen Wohlthäter schaden müssen, ein trauriger Wechsel! Ich gehorchte dem Verlangen meiner Selbsterhaltung und bezeigte mich zu den Anschlägen des bösen Evnuchen bereitwillig, der mich alsdann durch den schrecklichsten Schwur die Bewahrung des Geheimnisses angeloben ließ. Der große EDZAR, fieng der Bösewicht an, der Nebenbuhler unsers Herrn, hat mich zu der Ausführung seiner Absichten ausersehen; ich habe mich ihm verpflichtet und muß schlechterdings seinen Auftrag zu Stande bringen. Er gebot mir eine von den niedrigsten Sklavinnen in die Gunst des Fali zu bringen, deren Glück in meiner Gewalt wäre, und die also entweder sich in unsre Entwürfe fügen oder ihrer eignen Erhaltung entsagen müßte: ich wählte dich dazu, und du hast dein Glück dem Glücke eines andern vorgezogen, was man leicht voraussehn konnte. Vernimm also was dir weiter zu thun obliegt! Der große mächtige Herr deines Herrn wird dich von ihm verlangen: es wird ihm schwer werden, und ich will machen, daß es ihm unmöglich wird, dich zu missen, eben so wie der Feldherr Edzar es bey seinem Herrn dahinbringen wird, daß es ihm unmöglich ist, dich nicht zu besitzen. Der erhabne Herrscher aller Herrscher wird über die Verweigerung[326] deines Herrn ergrimmen, und siehe! so ist sein Fall gewiß, und du wirst zu der Umarmung des mächtigsten Regenten erhoben.

Die so lange vorher ausgesonnene Bosheit wurde ihrer Ausführung täglich näher gebracht: in kurzer Zeit hatte der tückische Edzar seinen Herrn beredet, daß ich die größte Schönheit des Orientes sey, und diese Ueberredung war hinreichend, ihn bis zum Unsinne in mich verliebt zu machen, ob er mich gleich nie gesehn hatte. Er verlangte mich schlechterdings zu besitzen, und erwartete nichts weniger, als daß sein getreuer Knecht Fali seinen Wünschen den mindesten Wiederstand entgegensetzen werde! je mehr dieser wankte, dem Verlangen seines Herrn zu gehorsamen, je mehr feuerte der alte Evnuche seine Liebe an, je mehr suchte er ihm glauben zu machen, daß er ohne mich der unglücklichste Sterbliche sey, und sich daher den ungerechten Zumuthungen seines Herrn gerade zu wiedersetzen müsse: der alte Bösewicht, um den Untergang seines Herrn desto schneller zu befödern, rieth ihm sogar, den Antrag der Härte und Unwillen abzuweisen. Auf der andern Seite blies Edzar die Leidenschaft des Despoten unermüdet an, und die beiden Alten, der König und sein Feldherr Fali, waren wie zween gierige Raubthiere, die sich auf die Aufmunterung und Loshetzung jener beiden Verbrecher um mich, ihre Beute, haßten, verfolgten und lieber gar gewürgt hätten. Der König mußte meinen Herrn schonen, wenn er sich nicht der Gefahr[327] eines Aufruhrs aussetzen wollte: denn Fali war der Liebling aller Soldaten, die ihn, wie ihren Vater, vor jeder Verletzung zu sichern suchten und für seine Erhaltung ihre eigne verachtet hätten. In dieser quälenden Verlegenheit griff er nach der List und wollte mich durch verdeckte Wege aus den Händen des widerspenstigen Fali reißen: Edzar erfuhr seinen Anschlag und begünstigt ihn. Man legte an dem Theile des Palastes, wo ich wohnte, Feuer an, und wenn ich mitten durch die Flammen mich retten würde, so sollten mich einige Auflaurer auffangen und dem Könige überliefern. Der alte Evnuche, der von allen diesen Ränken völlig unterrichtet war, ließ zwar die Flammen ungehindert auflodern und mich eben so ungehindert von meinen Entführern davontragen, allein auf seine Veranstaltung wurden einige von den königlichen Aufpassern eingefangen und vor dem Fali gebracht, der mit der Wuth eines Löwen wider seinen Herrn tobte, Schätze, Palast, Weiber und alles der Willkühr der Flamme überließ, und davon eilte, um mich zurückzuholen, oder alles zum allgemeinen Aufstande aufzuwiegeln und dann seine Beleidigung mit Blute zu rächen. Er raste wie sinnenlos, und Zorn und Rachsucht machten seine Liebe zu mir stärker als sie wirklich war: er lief, ohne zu wissen wohin, indessen daß ihm der Dampf von seinem verbrennenden Vermögen nachrollte. Wem er auf seinem Wege begegnete, dem erzählte er mit der äußersten Hastigkeit seine Geschichte, und jeder war schon auf[328] seiner Partey, ehe er ihn noch dazu ziehen wollte: in kurzer Zeit verbreitete sich der Tumult allenthalben, Soldaten und andre Einwohner eilten in vermischter Ordnung einher, und alles rief: es lebe Fali! es sterben alle seine Feinde! – Der beleidigte Feldherr selbst war an ihrer Spitze und schnaubte vor Zorn und Rache: das Scharmützel fieng an und wurde bald zur offnen Schlacht. Man erwürgte sich, man schlug sich blutig, man hieb sich nieder, mir und dem Fali zu Ehren. Der Sieg schien ungezweifelt für den Feldherrn, als plözlich seine ganze Partey sich von ihm trennte und ihn der Wuth seiner Gegner überließ, die ihn gefangen nahmen. Dieser plözliche Unfall war Edzars Veranstaltung, der unter dem Hintertrupp von Falis Verfechtern das Gerüchte ausstreuen ließ, daß ihr Anführer in einer entlegnen Straße große Gefahr laufe, in die Hände der Feinde zu fallen: sogleich stürzte sich der getreue Trupp an den Ort, wohin sie das falsche Gerüchte rief; die Uebrigen, die dies für Flucht hielten, folgten ihnen zum Theil nach, um sich mit ihnen zu retten, zum Theil um die Entflohenen zu ihrer Schuldigkeit zurückzubringen. Diese Trennung verursachte bald allgemeine Unordnung und Verwirrung: dieser fürchtete sich, jener zürnte, dieser tobte, jener stand vor Zerstreuung unthätig: ein jeder wurde durch eine Leidenschaft von der Gegenwehr abgerufen, die Feinde drangen ein, trieben sie fort umringten den verlaßnen Fali und brachten ihn vor seinen Herrn, der ihn gern mit dem Blicke vor Wuth[329] getödtet hätte und ihn sogleich den gräulichsten Martern übergeben ließ.

Nunmehr, da der Sturm vorüber war, hatte er Muße, die Schönheit in Betrachtung zu nehmen, die ihn veranlaßt hatte: ich wurde zu ihm geführt. War es Unmuth und böse Laune oder entsprach meine Gestalt seiner überspannten Erwartung nicht! – ich mißfiel ihm im höchsten Grade, so sehr daß er mich von zween Evnuchen zum Serail hinauspeitschen ließ und sogleich Befehl gab, dem Edzar, der die Wollust seines Herrn so unverantwortlicher Weise zu der falschesten Erwartung verführt hatte, den Kopf glatt vom Rumpfe herabzusäbeln. –

Da sieht man doch, daß die Vorsicht noch lebt! würde Freund Medardus ausrufen – sprach Belphegor, ohne zu überlegen, daß dieß ein Mittel seyn könnte, sich vor der Zeit zu verrathen: allein Akante war zu sehr in ihre Geschichte vertieft, um sich ein solches Anzeichen nicht entwischen zu lassen. Sie hielt sich also blos an das Wesentliche des Ausrufs und fiel ihm hastig ins Wort: – Ja, so würde ich auch denken; aber warum mußte denn der unglückliche Fali umkommen, der treu für seinen Herrn gefochten und eine niederträchtige Beleidigung nicht als ein feiges Lamm erdulden, sondern den Urheber derselben muthig bestrafen wollte? warum ließ da deine Vorsicht nicht lieber den Streich des Fali gelingen, der in seinem Herrn ein grösern Bösewicht gezüchtigt hätte als Edzar war? –[330]

Belphegor wollte antworten, aber sie ließ ihn nicht zum Worte: in Einem unaufhaltsamen Strome fuhr sie zu fragen fort. – Warum mußte ich, die ich zu dem gottlosen Anschlage hingeschleppt worden war, die ich wie eine leblose Maschine dabey gleichsam fortgestoßen wurde, warum mußte ich ärger als Edzar, der gottlose Anstifter des Verbrechens, behandelt werden? Mit Einem kurzen Hiebe war sein Leben und seine Marter aus: aber ich Elende wurde von zween wilden Evnuchen zum Serail unter tausend empfindlichen Hieben hinausgetrieben, dem Schmerze, dem Kummer, der Dürftigkeit und allen nur erdenklichen Unglückseligkeiten übergeben; ich mußte vier und zwanzig Stunden lang unter freyem Himmel, allen Unfällen der Witterung ausgesetzt, mit einem von Blute unterlaufnen Rücken liegen, durch die Barmherzigkeit eines Fremden in ein Haus gebracht, geheilt und durch seine plözliche Abreise mitten in der Kur dem Elende von neuem ausgesetzt werden, ich mußte von Almosen leben und die meiste Zeit hungern, ich mußte endlich, um weniger zu hungern, mich der Willkühr eines jeden überlassen und – – hier verstummte sie.

Alles verdiente Strafen! fuhr Belphegor hastig auf, für die lahme Hüfte, die du mir – – hier besann er sich: denn Akante sah ihn sehr ernsthaft und bedenklich an; und weil ein Argwohn leicht Gründe zur Gewisheit findet, so erblickte sie, aller Unkenntlichkeit ungeachtet, ungemein viele Aehnlichkeit in den Gesichtszügen[331] des Mannes mit demjenigen, dem sie ehemals lahme Hüften gemacht hatte. Sie hielt es wenigstens der Mühe werth, einem Versuch mit einer Anfrage zu thun; und da ihr ehmaliger Liebhaber ein Bettler war, so konnte sie nichts dabey verlieren, sich ihn unter den Charakter einer Hure darzustellen. Sie sah ihn immer steifer an, sagte die ersten Sylben seines Namens, bis sie ihn ganz heraussprach, und der gute Mann aus angeborner Aufrichtigkeit es ihr länger nicht verhelen konnte, daß ER es war, den sie nannte. Beide, obgleich keins vor dem andern viel voraus hatte, schämten sich mit ihrem Reste von europäischem Gefühle, sich in so traurigem erniedrigendem Zustande widerzufinden. Hätte auch gleich kein Ueberbleibsel von Liebe mitgewirkt, so wäre die Gleichheit des Elends und ihrer Abkunft schon kräftig genug gewesen, sie für einander anziehend zu machen: doch mitten unter den Empfindungen, die ihre Wiedererkennung begleiteten, konnte Akante nicht vergessen, daß ihr bisheriges Ungemach eine Folge von den Hüftenschmerzen seyn sollte die sie Belphegorn gemacht hatte, besonders da Leute, die viel gelitten haben, alle Beyspiele wider die Billigkeit der Vorsehung begierig auffangen, um sich gleichsam für ihr ausgestandnes Unglück dadurch an ihr zu rächen.

Was? rief sie; so vieles Herzeleid soll ich durch zween oder drey Ribbenstöße verdient haben, die ich dir, verblendet von unwillkührlicher Leidenschaft und von Fromals ruchloser Ermunterung angetrieben, ohne deinen[332] großen Schaden gab? indessen daß Edzar, dieser überlegene studierte Bösewicht, mit Einem leichten Schwerthiebe davon kam, und sein niederträchtiger Herr, der keine Sonne ohne eine That der Grausamkeit untergehen ließ, noch lebt und in hohem Wohlseyn über Persien herrscht? – Welche Proportion? Oder hat vielleicht mein ganzes Geschlecht schon vor der Geburt lahme Hüften gemacht, daß es unter diesem ganzen Himmelsstriche zur elendesten Sklaverey verbannt ist? schon von dem ersten Augenblicke seiner Existenz dazu verdammt ist? Warum ist mein ganzes Geschlecht von ewigen Zeiten her der Jochträger des eurigen, eurer Bedürfnisse, eurer Bequemlichkeit, eurer üblen Laune gewesen? Wodurch hat es eine solche Zurücksetzung unter das eurige verdient? – Nichts als seine unglückliche Schwäche warf es in die allgemeine Unterdrückung! Uebersieh alle Zeiten und Länder! Mußte die Gattung vernünftiger Kreaturen, die ihr in Europa als Engel anbetet und vielleicht durch Schmeicheleyen einschläfern wollt, damit sie euch ihre Ueberlegenheit nicht fühlen lassen, der schönste Theil der Schöpfung nicht beständig dienen, in jedem Verstande dienen? und nicht blos dienen, sondern der Sklave des rohen grausamen stärkern männlichen seyn? Allenthalben war dies, den einzigen kleinen Punkt ausgenommen, auf welchem wir das Leben empfiengen, und auch hier noch vor wenigen Jahren. Ihr Männer konntet in der tollsten Raserey zu Tausenden nach einem kleinen Striche steinichten[333] unfruchtbaren Erdreiches laufen17 und Tod und Gefahren in jeder Gestalt entgegengehn; ihr konntet euch um eines leeren Titels, einer einfältigen Grille: eines blendenden Nichts, würgen, zerfetzen, verstümmeln: und doch kam keiner noch auf den edlern Vorsatz, das weibliche Geschlecht in allgemeine Freiheit zu setzen. Schämt euch, ihr Elenden! Um euern verfluchten Durst nach Golde, nach Ländern, Titeln oder andere noch niedrigere Leidenschaften der Rache, der Zanksucht, des Neides zu sättigen, macht ihr, so oft es euch beliebt, die Erde zum Schlachtfelde und wißt euren unmenschlichen Thaten tausend schimmernde Mäntel umzuhängen und tausend glänzende Anstriche von Edelmuth, Großmuth, Menschenliebe, Patriotismus zu geben: doch für das Geschlecht: das euch mit Schmerzen gebar, wagtet ihr nie einen Schritt! vergoßt ihr nie einen Tropfen eures menschenfeindlichen Blutes! Wohl den guten freundlichen Rittern, die während der Barbarey unsers vaterländischen Himmelsstrichs sich über alle Vortheile und Rücksichten des Eigennutzes emporschwangen und mit der Lanze in der Hand, von dem einzigen Triebe der Ehre und Menschenliebe begeistert ausgiengen, die Banden der weiblichen Knechtschaft zu zerbrechen und rohen Unterdrückern des schwächern Geschlechts die Köpfe zu zerspalten! Wohl ihnen, sie waren die edelsten Krieger, die jemals die Waffen ergriffen: deren Namen[334] in alle Felsen des Erdbodens mit unauslöschlichen Zügen hätten eingegraben werden sollen, und welche die Verewigung mehr als alle berüchtigte Länderverwüster, Städtezerstörer und Menschenwürger verdient hätten. O daß ihr geheiligter Staub nicht hier unter meinen Füßen ruht! daß die Stätte unbekannt ist, die ihre edlen Gebeine bewahrt! Jedes Mitglied des weiblichen Geschlechts sollte zu ihnen eine Wallfahrt thun und sie mit Blumenkränzen und Räucherwerke ehren: jedes Mädchen sollte ihnen die ersten Locken weihen, jede an ihrem Hochzeittage ihnen ein Fest feiern. Dann würde einem unter euch vielleicht das eiskalte Blut genug erwärmt werden, um nach einem ähnlichen Lorber zu streben: dann würde ein solcher Preiß vielleicht die Tapferkeit einiger ruhmsüchtiger Waghälse beleben, sich zu der größten Unternehmung zu vereinigen; dann würden Schaaren von edlen Streitern den nüzlichsten Kampf wagen, muthig über Seen, Berge und Schlünde hineilen, um in Norden und Süden, in Osten und Westen die Ketten zu zersprengen, womit mein Geschlecht an das Joch der männlichen Unterdrückung angeschmiedet ist. O Freund! hättest du Geist und Feuer genug, so könnten WIR zuerst diese Lorbern einerndten! so könnten wir, wie der enthusiastische Peter18 über den Erdboden hinfliegen und Kaiser, Könige und Fürsten aufmuntern, dem halben Theile der Menschheit Friede,[335] Ruhe, Freiheit und Glückseligkeit zu erkämpfen! Komm, Freund! Laß uns jeden, der Macht hat, das schwarze Gemälde der weiblichen Sklaverey mit den schauderndsten Farben vor die Augen halten, und wer dann keinen Sporn in seinem Herze fühlt, den treffe Fluch, den verzehre der Donner des Himmels! den Feigen! den Nichtswürdigen! –

Belphegorn schauderte bey dieser lebhaften Deklamation, und er fühlte in seinem Kopfe so etwas, als wenn seine Einbildungskraft anfienge Feuer zu fangen; sein Herz schlug gleichfalls schneller, und in allen seinen Adern regte sich seine vorige Tapferkeit: allein zu Akantens Begeisterung konnte er sich doch nicht erheben, um das Mißliche und Phantastische in der vorgeschlagnen Unternehmung nicht zu fühlen. Die ganze Sache war: Akante hatte kurz vor ihrer Zusammenkunft mit Belphegorn von einem ihrer Liebhaber, weil er ihr seine Erkenntlichkeit nicht besser zu beweisen wußte, eine große Schachtel mit Opium empfangen, wovon sie in der Geschwindigkeit eine ziemliche Portion verschluckte, die ihre Nerven zu jenem Schwunge der Begeisterung anspannte, daß sie ein solches phantastisches Projekt entwerfen und Belphegorn mit solcher Lebhaftigkeit zur Ausführung antreiben konnte.

Da sie endlich nach vielen Zunöthigungen gewahr wurde, daß ihr Gesellschafter nie genug befeuert werden konnte, so bot sie ihm in einer Art von Trunkenheit das Mittel an, das bey ihr eine so wirksame Kraft geäußert[336] hatte. – Nimm, sprach sie, und iß! Diese Frucht muß deiner Einbildungskraft Flügel ansetzen, sie muß dich über dich selbst emporschwellen: nimm, iß! und wenn du dann zu der wichtigen Unternehmung dich nicht hingerissen fühlst, so bist du nicht werth, daß du aus der Brust deiner Mutter einen Tropfen Blut empfiengst. –

Der glühende Belphegor nahm den angebotnen Opium und verschluckte eine große Menge, die in kurzer Zeit eine flüchtige Anspannung aller seiner Gefäße veranlaßte, daß seine Imagination aufbrauste; und in diesem Taumel gab er Akanten die Hand, schwur ihr einen theuern Eyd, und nichts war gewisser, als daß sie beide, wie irrende Ritter, zu der Erlösung des weiblichen Geschlechts auswandern wollten. Da sie in einem Lande waren, das ihnen Gelegenheit genug anbieten konnte, ihre ritterliche Tapferkeit zu üben, so sollte das Kriegstheater zuerst dort eröffnet werden. Sie fiengen den Zug an, und ihre vier Arme dünkten ihnen in ihrer stolzen Berauschung so stark als hunderttausend zu seyn, weswegen sie nicht die mindeste Bedenklichkeit hatten, ohne Hülfstruppen mit dem ganzen Oriente allein fertig zu werden. Sie rückten an den nächsten Ort an, drangen mit Geschrey in ein Haus und verlangten von dem Manne die Befreyung seines Weibes und seiner Töchter aus der häuslichen Sklaverey. Der Mann, der weder ihre Anrede noch ihre Foderung verstand, aber doch aus ihrem Betragen schließen konnte, daß[337] sie nichts weniger als in friedlichen Absichten zu ihm kamen, hielt es für rathsam allen Gewaltthätigkeiten vorzubeugen, weil es noch in seiner Macht stünde, setzte sich zur Gegenwehr, und seine Weiber, zu deren Erlösung unsre Helden ausgereist waren, gesellten sich zu ihnen wider ihre Befreyer, die sie mit Faustschlägen, Nägelkratzen und andern Waffen zum Hause hinauskomplimentirten, vor der Thüre ließen und in Friede und siegreich wieder in ihre vier Mauern zurückkehrten.

Theils von ihren ritterlichen Thaten und den empfangenen Schlägen, theils von der Ueberspannung des Opiums ermüdet, blieben sie beide auf dem nämlichen Flecke liegen, wohin sie der letzte feindliche Stoß versetzt hatte, und im kurzen waren sie in dem tiefsten Schlaf, worinne sie unter den schwärmerischsten Träumen und Entzückungen bis zum Morgen verblieben.

Als sie erwachten; sahen sie sich voller Verwundrung an einem Orte, den sie vor ihrem Schlafe niemals gekannt hatten, entdeckten voller Verwundrung Beulen und geronnenes Blut eins in des andern Gesichte; erblickten mit Erstaunen Spuren eines Scharmützels, dessen Folgen sie deutlich fühlten, ohne daß sie nach ihrem lebhaftesten Bewußtseyn dabey gewesen waren. Das ganze kriegerische Projekt, wovon sie eine mislungene Probe geliefert hatten, war bis auf das kleinste Sylbchen aus ihren Köpfen verflogen: sie sannen, aber ihr eigner[338] Zustand blieb ihnen ein unauflösliches Räthsel, weswegen sie ohne ferneres Kopfbrechen sich von der Erde erhuben und bedächtlich ihren Weg antraten.

Sie bettelten und waren bey diesem Gewerbe ehrlich und redlich in die chinesische Tartarey hineingerathen, wo neue Unfälle auf sie warteten. Bekanntermaßen herrscht noch der völlige Naturkrieg unter dem tartarischen Himmel, und eben damals hatten die NUNNI, weil sie an ihren Plätzen Langeweile hatten, sich es einfallen lassen, einen Spatziergang von etlichen funfzig Meilen zu den HIUTSCHIS zu thun und sie aus ihren Wohnsitzen herauszutreiben: die HIUTSCHIS, welche einmal auf Gottes Erdboden existiren sollten und zu ihrer Existenz Platz brauchten, thaten den NIUNGIS ein Gleiches und nöthigten sie, ihnen zu weichen: die NIUNGIS rächten sich dafür an den ALDSCHEHUS; allein diese waren so halsstarrig tumm, nicht weichen zu wollen, welches die NIUNGIS, die ihrentwegen einen so weiten Weg nicht umsonst gethan haben wollten, so übel nahmen, daß sie alle umzubringen beschlossen: da dieses aber nicht so schnell von statten gehen wollte, als sie anfangs vermutheten, und sogar ihnen selbst den Untergang zu drohen schien, so waren sie zeitig genug so klug, daß sie Friede anboten und den ALDSCHEHUS einen Plan vorschlugen, wo sie sich auf Unkosten ihrer Nachbarn für die Köpfe entschädigen konnten, die sie ihnen nicht entzweygeschlagen hatten. Die ALDSCHEHUS ergriffen begierig eine so schöne Gelegenheit, ihrem[339] Schaden beyzukommen, und wanderten mit ihnen zu den MOGOLUTSCHIS, die sie bis auf das kleinste Kind dem Vergnügen ihrer Tapferkeit aufzuopfern gedachten: allein die MOGOLUTSCHIS waren klüger als ihre Angreifer, und entwischten ihnen, weil sie sich ihrer ungleichen Kräfte sehr wohl bewußt waren. Eine solche unverantwortliche Vereitlung aller ihrer Absichten machte sie höchst unwillig, daß die MOGOLUTSCHIS ihre Hälse zu lieb hatten, um sie sich von ihnen zerbrechen zu lassen, und die vereinigten ALDSCHEHUS und NIUNGIS faßten in ihrem Grimme den rühmlichen Vorsatz, alle ihre tartarischen Nebenmenschen, deren sie nur habhaft werden könnten, bis auf die Wurzel zu vertilgen. Sie hielten Wort: sie schweiften nach allen Himmelsgegenden zu, und welches Menschenkind in ihren Weg gerieth, das hatte gelebt. Durch diese erhabne Tapferkeit brachten sie es in wenig Jahren dahin, daß in einem weitläuftigen Distrikte keine Spur von Gottes Schöpfung mehr anzutreffen war.

Gerade zu einer Zeit als man eine Trophee von Erwürgten errichtet hatte, führte das Schicksal unsre beyden Wanderer unter Mühseligkeiten und Hunger dahin: ihre Kleidungen waren sehr abgenutzt, sie hielten es also für dienlich, sie auf der Stelle von den Fragmenten, die an den Leichnamen hiengen, so gut zu rekrutiren als es die Umstände erlaubten. – Wohin sollen wir nun? fragte Belphegor. Wir wollen gehn, bis uns der Hunger tödtet, es sey wo es wolle.[340]

Kaum hatte er den Entschluß gefaßt, als sie ein Trupp NIUNGIS umringte und auf ihre bittenden Zeichen, besonders wegen ihres friedfertigen ausländischen Aussehns, mit sich zu ihrem Oberhaupte schleppte, der ihnen bey dem Truppe zu bleiben verstattete und sie dem Hauptanführer seiner Nation als eine Seltenheit vorzustellen gedachte.

Die Märsche waren übermäßig schnell und eilfertig: sie wurden durch etliche vereinigte feindliche Horden getrennt, und diese hatten die Bosheit, den Trupp, zu welchem unsre Europäer gehörten, zu verfolgen, bis ihn ein Morast von der Gefahr der Nachsetzung befreyte, wo der größte Theil desselben stecken blieb und starb. Unsre Europäer waren mit einigen Tartarn seitwärts in einen Wald gesprengt, wo sie der Feind ruhig ließ und zu andern erhabnen Kriegsthaten wieder umkehrte.

Belphegor und Akante hatten nebst ihren Gefährten einige Zeit in dem Gehölze zugebracht; als diese sie plötzlich verließen und durchaus nichts mehr mit ihnen zu schaffen haben wollten.

Trauriges Schicksal! rief Belphegor. Trauriges Schicksal! rief Akante; und beyde wollten mit aller Gewalt sterben: sie baten den Tod inständigst, mit ihren Körpern die Raubthiere der dortigen Gegend zu bedienen, aber der Tod war taub: sie erblickten Früchte, langten zu, erquickten sich und wurden durch die einzelnen Stämme der Bäume Wasser gewahr, giengen[341] darauf zu und fanden – offenbares Meer. Vielleicht, sprach Belphegor wieder auflebend, vielleicht hat uns hier über diese Fluthen der Himmel einen Weg gebahnt, um in das köstliche Europa wieder zurückzukehren. Lebe auf, Akante! Hier ist der Weg in unser Vaterland. Alles, was ich dort ausgestanden habe, von deinen Hüftenstößen bis zum Aufhängen unter den Lettomanern, ist nichts gegen die Schmerzen, die ich in andern Welttheilen habe ertragen müssen. Wenigstens kann man dort ruhiger Zuschauer von dem allgemeinen Kriege bleiben und so leidlich ohne Schmerzen leben, wenn man sich nicht in das tolle Spiel der Welt mischt, wenigstens die Leute nicht einen vernünftigern Weg führen will, als sie selbst zufälliger Weise oder aus eigner Wahl eingeschlagen haben. Ich sehe es wohl – leider zu spät! – daß ich selbst, von meinem warmen zelotischen Herze und von übertriebner Rechtschaffenheit verleitet, Millionen Schmerzen auf mich geladen habe: aber wohl mir! dieses Meer führt mich nach Europa zurück, und da will ich mit dir, Akante, die gemeinschaftliches Ungemach an mich fesselt, glücklich leben: denn Erfahrung hat mich auch klug gemacht, mein Feuer ist verdampft, und selbst der Neid der Menschen soll mir meine Rechnung auf ein ruhiges zufriednes Leben nicht verderben. – Akante! freue dich! Unser Schicksal heitert sich auf.

Akante, die diese Aufheiterung in der Entdeckung eines offnen weiten unbekannten Meeres nicht finden[342] konnte, blieb ungerührt und beschloß mit einem Seufzer und dem Ausrufe: trauriges Schicksal!

Auch warteten sie wirklich lange auf den gehoften Beystand des Himmels und die Ueberfahrt nach Europa, nährten sich kümmerlich mit gesammelten Früchten und Wurzeln, bis endlich die Saiten der Hofnung schlaff wurden, und der Muth gleichfalls. – Trauriges ungerechtes Schicksal! – dabey blieb Akante und beschloß verzweiflend, sich in die See zu stürzen. – Laß mich voran! rief Belphegor. Gab mir die Natur das Leben und doch keine Mittel es zu erhalten, so werfe ich die unnütze Last von mir und sterbe. – Mit diesem Worte sprang er unaufgehalten in die Fluth: allein ein Rest von Liebe zum Leben oder eine andere Ursache machte, daß er sich unbewußt im Wasser, ohne zu sinken, fortarbeitete und nach dem Ufer zuschwamm, wo er ganz durchnäßt und kraftlos sich auf das Trockne hinwarf.

Er erholte sich; sein erster Blick gieng nach Akanten, aber fand sie nicht: er suchte, er rief und fand sie eben so wenig. Nach langem vergeblichem Bemühen blickte er endlich seufzend nach der See hin, als wollte er zum zweytenmale sich ihr übergeben; – siehe! plötzlich wurde er ein Fahrzeug gewahr, das mit etlichen Personen an einer andern Seite des Ufers abfuhr. Er rief, er suchte das Geräusch des Wassers zu überstimmen, es glückte ihm, und man ruderte auf ihn zu. Es war ein Kanot aus einer benachbarten Insel, das ihm wiewohl[343] weigernd einnahm und ihm seine geliebte Akante wiedergab. Sie hatte sich nicht entschließen können, nach seinem Beyspiele ihren Tod in den Wellen zu suchen, war trostlos am Ufer hinaufgeirrt und hatte in einer Bucht das Kanot mit zween Wilden gefunden, die Muscheln suchten: sie wurde von ihnen aufgenommen, und auf ihr Bitten waren die Wilden Belphegors Geschrey zugerudert, ob sie gleich mehr wünschte als hofte, daß sie seine Errettung bewirken würde, weil er nach aller Wahrscheinlichkeit schon als Leichnam von den Wellen emporgetragen werden mußte. Sie ließen sich mit freundschaftlicher Freude fortrudern und liebkosten ihre Erretter mit allen ersinnlichen Zeichen der Dankbarkeit; doch konnten sie nicht den ganzen Rest von Mistrauen auslöschen, der ihrem Geschlechte eigen ist. Die Reise währte lang, und ehe sie sich es versahen, setzten sie ihre Führer unter einem listigen Vorwande an einem weitausgedehnten festen Lande aus, an welchem sie hinfuhren, worauf sie in ihre Kanote sprangen und mit der größten Eilfertigkeit hinwegruderten. Die beiden Betrognen riefen ihnen nach, aber vergeblich.

Abermals durch die Bosheit der Menschen unglücklich! sprach Belphegor. Von einem festen Lande zum andern fortgeschleppt, was haben wir gewonnen? – Daß wir nicht die Vögel jenes Landes, sondern die Raubthiere dieses Bezirkes füttern! – O Akante! welch ein Ungeheuer ist der Mensch! Unbeleidigt, bey den[344] größten Zeichen des Zutrauens, der Dankbarkeit, der Freundschaft ist er doch, selbst außer dem Stande der Gesellschaft, der hartherzigste Feind von jedem, den er nicht kennt. Muß nicht tief in die Seele der Zug der wechselseitigen Feindschaft gegraben seyn, wenn er jeden als seinen Gegner behandelt, ihm als seinem Feinde nicht traut, so lange er nicht durch die Bande der Gewohnheit und der Gesellschaft mit ihm verknüpft ist? – O Fromal! du hattest Recht: die Menschen sammelten sich, um sich zu trennen. – Was sollen wir nun, Akante? – Wir wollen uns ins Land wagen; ob uns der Hunger und das unbarmherzige Schicksal im Stillesitzen oder auf dem Marsche aufreibt: gleich viel! Wohlan, wir gehn! –

Akante war es zufrieden: die Reise wurde angetreten, und in wenig Tagen hörten sie das Geschrey von Menschen. – Höre, Freundinn, sagte Belphegor dabey, wohl ist mir beständig in der Einsamkeit: aber so bald ich Menschen merke, so ist mein Wohlseyn vorüber: ich erwarte einen Feind. Wir wollen den Rufenden entgehn: eher will ich hier in der Wüste unter Thieren sterben, als unter Menschen leben. –

Plötzlich, als er noch redete, flog langsam ein glänzender goldgelber Vogel nahe vor ihrem Gesichte vorbey: seine Federn warfen an der Sonne den Strahl eines Sterns von sich, und ihre Augen waren so sehr davon geblendet, daß sie seine schöne Bildung kaum bemerken konnten. Unmittelbar auf ihm folgte ein Paar[345] nackte Menschen, die keuchend und mit aller Anstrengung des ganzen Körpers ihm nachsetzten, beide Augen unverwandt auf ihn emporgerichtet, ohne neben sich mit Einem Blicke zu schauen. Der Vogel schien zuweilen nur zu schweben und ihre Ankunft zu erwarten: seine Verfolger sammelten ihre letzten Kräfte, eilten hinzu, und kaum glaubten sie mit ihren Fingerspitzen den strahlenvollen Spiegel seines Schwanzes zu berühren, als er langsam fortschwebte und sie entkräftet hinter sich zurückließ. Da das Schauspiel auf einer weiten ausgebreiteten Ebne vor sich gieng, so konnten die beyden Zuschauer ungehindert jede Bewegung bemerken. Die Nachsetzenden rafften sich zwar jedesmal, daß ihnen der Vogel einen solchen Betrug spielte, wieder auf und verfolgten ihren Raub von neuem, allein da ihre Kräfte ungleich waren, so kam ihm der eine meistens um etliche Schritte näher als der andre, worüber dieser sich so erbitterte, daß er alle seine Stärke anwandte, jenen Glücklichern von seinem Vorsprunge zurückzuziehn, und da eine solche Aufhaltung gleichfalls Erbitterung erregen mußte, so zankten sie sich so lange herum, bis keiner von beiden einen Schritt weiter gehen konnte, oder der Vogel indessen so weit aus dem Gesichte gekommen war, daß sich keiner ohne Narrheit die Lust ankommen lassen konnte, seine Beine nach ihm zu ermüden, oder von den übrigen, die in verschiedenen Entfernungen gleichfalls nachfolgten, waren einige so weit zuvorgekommen, daß sie sich unmöglich[346] überholen ließen. So jagten unzählige Truppe hinter dem goldnen Gefieder drein, keiner erhaschte es, und alle hatten am Ende – müde Beine.

Kaum hatten die beiden Europäer diese Lustjagd aus dem Gesichte verloren, als ein neuer Lärm ihre Aufmerksamkeit auf eine andre Seite zog. Sie horchten; und bald stürzte sich ein schlankes Reh, dessen Läufte aus Einem großen Kristalle gemacht zu seyn schienen, und dessen ganzer Leib so hell leuchtete, daß die Gegend, wo es lief, Büsche und Bäume, wie von dem aufsteigenden Lichte der Morgensonne, übergoldet wurden: seine Augen strahlten wie Fixsterne, und wer in seinem Leben nie einem Rehe zu Gefallen sich wunde Füße gemacht hatte, der mußte doch durch die Schönheit dieses Thiers gereizt werden, die seinigen einmal daran zu wagen. Belphegor war schon im Begriffe, darnach zu haschen, als ein Trupp Reiter in völligem Galope, mit verhängtem Zügel, schäumenden, schnaubenden Rossen über Büsch, Gesträuch, Hügel und Steine daherflogen und das funkelnde strahlende Thier zu ereilen suchten. Alle Rosse hatten nicht gleichen Athem und alle Reiter nicht gleiche Geschicklichkeit; es mußten also einige zuvorkommen, einige zurückbleiben: um sich nicht mehrere zuvorzulassen, wandten sie sich zu den Folgenden, und nun focht man mit allen Kräften, wer die Ehre haben sollte, voranzureiten: man verwundete, man verstümmelte, man lähmte, man tödtete sich, und wer die Oberhand behielt, gewann nichts als den[347] leidigen Vortheil, seine Weg und seine Thorheit weiter fortzusetzen. –

Himmel! wo sind wir? rief Akante. – In der Welt, antwortete Belphegor: denn man zankt, man ermordet sich. – Aber, fuhr Akante fort, was für ein herrlicher Theil der Welt ist das, wo solche kostbare funkelnde Vögel und so strahlende Rehe angetroffen werden! Kaum kann ich glauben, daß wir noch auf unserm Planeten sind. – Wir sind es, mitten auf dem Kothhaufen, wo alles funkelt und glänzt, und alles nichts ist. Laß uns weiter gehn! – O wer doch einen so reizenden Vogel, oder so ein göttliches Thier fangen könnte! Was haben wir zu verlieren? Ich dächte wir wagten eine Jagd mit. – Eine solche thörichte Jagd! die so viele Beschwerlichkeiten kostet, wo die Beute sich bald nähert, bald entfernt und, wie es scheint, nie erhascht wird! Und was hättest du am Ende, wenn du den goldnen Vogel auch gleich vor Tausenden einholtest? Nimm ihm das schimmernde Gefieder! und vielleicht hast du ein übelschmeckendes unnahrhaftes Fleisch als die verächtlichsten Federn bedecken. Nein, ich kenne die Welt mit ihren Täuschereyen. – Aber sieh nur, Belphegor, das volle feurige Gold, das dem Vogel vom Rücken blitzt! Ach, so ein göttlicher Vogel und ihm nicht nachzulaufen! Du bist erstaunend finster und träge. Ich gehe: willst du mit mir? –

Belphegor hielt sie zurück und schwur sehr nachdrücklich, daß er nie einen Fuß nach dem glänzendsten[348] Vogel bewegen werde, sollte er sich gleich seinen Händen selbst darbieten. Sie ließ sich zwar durch ihn abrathen, weil keiner von den reizenden Vögeln bey der Hand war, alleine sie wiederholte doch ihr Verlangen darnach so oft, daß sie bey jedem Schritte einen erwartungsvollen Blick auf die Seite warf, ob nicht vielleicht bald einer von den paradiesischen Vögeln erscheinen werde, um ihm sogleich nachzusetzen. Sie hofte und hofte, aber keiner wollte ihr diesen Gefallen erzeigen.

Nachdem sie sich indessen, bis auf günstigere Zeiten, die sich Akante völlig gewiß versprach und Belphegor völlig unmöglich glaubte, mit etlichen wilden Früchten gesättigt hatten, überließen sie sich von neuem dem Schicksale und dem Wege, die sie beide nach etlichen Tagen an einen Platz führten, wo alles den Hauptsitz des Landes vermuthen ließ. Eine zehnfache Mauer von hohem dornichten Gesträuche umschloß den Platz, aus welchem die Stimmen der Freude und des Vergnügens so weit und so laut erschallten, daß selbst Belphegors Herz, so disharmonisch auch seine Stimmung war, wider Willen zu einer gleichlautenden Empfindung hingerissen wurde; und Akante war ganz Gefühl, sie brannte vor Begierde nach einem Orte, der schon durch die Annäherung so bezaubern konnte. – Wir müssen hinein, sprach sie zu ihrem Gefährten, es koste, was es wolle! Wir müssen hinein! Was für Wonne muß an diesem Orte wohnen und jede Empfindung der Traurigkeit[349] verdrängen, der uns so munter, so frölich, so himmlisch einladet! –

Der Ort ist auf der Erde, antwortete Belphegor; es sind Menschen drinne: das ist genug, um alle diese verführerischen Töne für Sirenentöne zu halten. Nicht einen Schritt thue ich. –

Aber wie kannst du einer so göttlichen Musik wiederstehn? Du, der du sonst, bey jeder leisen Berührung fühltest, der du nichts als Gefühl schienst! – Meine Seele erhebt sich über sich selbst; ich denke und empfinde ganz anders, seitdem ich jenen goldnen Vogel erblickt und diese reizende Musik gehört habe. Komm! deine Erfahrung hat dich mißtrauisch gemacht. –

Menschen sind Menschen, und Welt ist Welt; und desto gefährlicher, wenn sie mit solchen Täuschereyen lockt! –

Aber höre nur! Auf dem Todbette, unter dem Kampfe mit Hunger und Schmerz, müßte dein Herz noch bey solchen Tönen erwachen und schneller schlagen. Komm! wir müssen hinein! –

Belphegor sträubte sich lange, setzte ihr noch manche schwarze und bittre Anmerkung über das arme Menschengeschlecht entgegen: nichts half! Je länger er ihr Vergnügen aufhielt, desto stärker wurde ihr Verlangen. Sie quälte ihn so lange, bis er sich endlich nach einem Eingange, und da er diesen nicht fand, nach einem bequemen Orte zum Durchbrechen umsah. Akante, die über seine saumselige Bedachtsamkeit höchst ungeduldig[350] war, versuchte selbst allenthalben, den Weg zu eröffnen, rizte sich blutig, entkräftete sich und kam nie zum Zwecke. Indessen fand Belphegor eine kleine schmale Oeffnung, wo die Dornen weniger dicht stunden und einer vorsichtigen Beugung nachgaben: hier machte er einen Versuch und es gelang ihm wirklich, mit etlichen leichten Verwundungen durchzuschlüpfen. So sehr er auch Akanten Behutsamkeit und Langsamkeit empfahl, so war doch ihre Begierde zu feurig, sie übereilte sich, schlüpfte zwar hindurch, aber zerriß sich das Kleid, und das ganze Gesicht war voller Ritze.

Die erste Dornenpallisade war durchkrochen: kaum hatten sie ausgeschnaubt, als sie eine zweite aufforderte. Sie thaten das nämliche mit dem nämlichen Glücke und Unglücke. – Es zeigte sich eine dritte: auch diese wurde überwunden; und so arbeiteten sie sich noch durch zwo Mauern hindurch, wo sich Belphegor ungeduldig hinwarf und schlechterdings nicht weiter wollte: allein Akante bat ihn mit allen weiblichen Künsten, mit einem Kniefalle, mit Thränen, mit Liebkosungen; er war unerbittlich. – Sagte ich dir nicht, sprach er unmuthig, daß wir in Dornen und Sümpfe gerathen würden? Wo gehst du auf diesem Planeten Einen Schritt, ohne daß deine Füße nicht bluten? Verstopfe deine Ohren! verschließe deine Augen! sey kein Mensch, wenn du auf ihm ohne Ungemach leben willst! – War das nicht mein Rath? – Wer weis, wie viele Tagereisen lang wir ohne Nahrung, ohne Kleidung uns[351] unter tausend Schmerzen durch diese vermaledeyten Dornenzäune durcharbeiten müssen, um zu dem Platze zu gelangen, wohin uns dieses Zauberkonzert ruft; und wenn wir angelangt sind, was wird alsdenn geschehn? – Entfliehn wird die Musik, wie die goldnen Vögel und die strahlenden Rehe! entfliehn, je näher wir kommen, und uns, wie alle Güter dieses Kothballes, zum Narren haben! herumführen, Mühe machen, um uns am Ende einsehn zu lassen, daß wir Thoren gewesen sind! – Ich gehe nicht weiter. –

Auch ließ er sich wirklich durch keine Vorstellung weiter bewegen, sondern übernachtete da, Akante konnte mit Mühe einschlummern, so beschäftigte sie ihre Erwartung und die Gewalt der Musik, die ihr mit jedem Augenblicke voller und hinreißender zu werden schien; und wenn ja eine kurze Zeit der Schlummer sie überwältigte, so rollten doch so viele Gedanken und Empfindungen unaufhörlich durch Kopf und Herz, daß sie nie zu einem anhaltenden erquickenden Schlafe übergehn konnte. Kaum warf der Morgen den ersten Schimmer auf ihre Lagerstätte hin, als sie schon aufstand und Belphegorn mit neuen Kräften antrieb, seinen Weg fortzusetzen. Die Ruhe hatte seine Seele der Kraft der Musik und der Stärke von Akantens Vorstellungen geöffnet: es schien ihm gleich thöricht umzukehren und weiter zu gehn: er wählte also, wohin ihn seine Empfindung zog; er fieng die Arbeit von neuem an. Sie legten noch den nämlichen Tag die fünf übrigen Dornenhecken[352] zurück, und obgleich die Dornen weniger verschlungen, die Oeffnungen häufiger und die Musik aufmunternder und entzückender wurde, je weiter sie kamen, so traten sie doch erschöpft und kraftlos aus der letzten hervor, besonders da sie auf ihrem heutigen Wege nur hin und wieder einige nicht sonderlich schmeckende Früchte zu Stillung ihres größten Hungers angetroffen hatten.

Bey ihrem Heraustritte aus der letzten Dornenwand eröffnete sich ihrem Blicke ein weites merkwürdiges Theater; aber die Musik wurde nur noch leise in der Entfernung gehört, welches unsre beiden Wanderer um so viel weniger bemerkten, weil ihre Augen genug Beschäftigung hatten, um das Ohr sein Vergnügen nicht vermissen zu lassen. Eine weite unübersehlige Ebne dehnte sich vor ihnen aus, und die Aussicht wurde durch eine Menge großer und kleiner Gebäude unterbrochen, worunter besonders eins in der Mitte derselben wegen seiner Schönheit und seines Umfangs hervorleuchtete: alle waren von Reißig und Baumstämmen sauber geflochten, weitläuftig und kündigten auf allen Seiten Bewohner von Geschmack und Liebhaber des Schönen an. Auf der Ebne zeigte sich ihnen eine Menge großer riesenmäßiger Figuren, die gravitätisch auf und abwandelten, indessen daß ihnen eine Menge Personen einen Platz für ihre Schritte frey machen mußten, worauf ein homerischer Gott mit seinem göttlichen Riesengange Raum genug gefunden hätte. Je mehr sie sich diesen Kolossen näherten, jemehr nahm ihre Größe ab, und[353] als sie endlich ihrem Wirkungskreise so nahe waren, als es die abhaltenden Platzmachenden Kreaturen zuließen, so fanden sie zu ihrer großen Verwunderung, daß es Zwerge waren, Zwerge von der kleinsten Art, die auf unmäßig hohen Stelzen daherwandelten. Ihr einziger Zeitvertreib war ein solcher gravitätischer Spatziergang, und ihre ganze Beschäftigung bestund darinne, daß einer den andern durch irgend ein Mittel von seiner Stelze abzuwerfen suchte. Je höher die Stelze ihren Mann emportrug, desto aufmerksamer waren aller Augen auf ihn gerichtet, und desto eifriger waren die Bemühungen, ihn herunterzustürzen. Einige zielten von Ferne mit Steinen und Stangen nach ihm, von welchem jeder, der zu ihrem Ziele geworden war, gewiß allemal Beulen und Quetschungen bekam, wenn er sich auf seiner Stelze im Gleichgewichte erhielt: andre drängten sich so nahe zu ihm, daß sie, wie renomistische Studenten, bey dem Ausschreiten mit den Stelzen zusammenstoßen mußten, und wer fiel, – fiel, oft der Angreifer, oft der Angegriffne: noch andre ließen einem so vorzüglich hohen Stelzenzwerge plözlich Steine in den Weg wälzen, die den Zirkel seiner Leibwache so schnell überraschten und mit dahin rissen, daß sie dieselben nicht fortschaffen konnten; und wenigstens stolperte der Mann mit der Stelze, wenn er auch nicht ganz stürzte, und die übrigen hatten wenigstens die Freude über ihn zu lachen. So war dieser Platz ein beständig abwechselnder Schauplatz, wo neue Zwerge mit höhern Stelzen[354] erschienen, und andre von den ihrigen heruntergeworfen wurden, einige stolz daherwandelten, und einige mit zerbrochnen Armen, zerquetschten Köpfen, beschundnen Beinen schmerzhaft sich im Staube wanden.

Lustig ist es, sprach Belphegor, Zuschauer von diesem Stelzenkaruselle zu seyn; aber sich drein zu mengen! – bewahre dafür der Himmel jeden Mann, der solche Stelzen entbehren kann! – Aber, sieh, Akante! was wimmelt dort? –

Sie sahen beide hin, und wurden einen Trupp kleinere Zwerge gewahr, die auf kurzen niedrigen Stelzen das ganze Spiel der vorigen auf einem kleinen Platze nachäfften, sich wechselsweise herunter warfen und sich, um die Ehre der Gleichheit mit jenen größern Zwergen zu erlangen, Beine, Arme und Hälse zerbrachen. –

Siehst du, Akante? das alberne Menschenvolk! rief Belphegor. Sonst würde mir dieser Anblick ein Lächeln abgenöthigt haben, izt zwingt er mich zum Aerger. Kannst du etwas rasenderes denken, als sich die Hälse zu zerbrechen, um sie sich wie andre zerbrochen zu haben. Fort! laß uns keine Menschen sehn, so sehn wir keinen Unsinn! – Wo ist nun die Freude, die dir jene lockende Musik versprach? Horche doch! Wo ist es hin, das tönende Konzert? Verstummt! Nicht einen Laut, nicht ein Geschwirre hörst du izt mehr. – Was zu verwundern? Sagte ich dirs nicht? – Es ist eine Freude unsers Planetens, und also eine Betriegerinn. –[355]

Akante erstaunte, horchte und wurde itzo erst inne, daß sie sich durch einen so beschwerlichen Weg dem Vergnügen näher gebracht hatte, um es zu verlieren. Sie tröstete sich inzwischen mit der Möglichkeit, es mit einer doppelten Vergütung wiederzufinden, und munterte Belphegorn auf, sie zu den übrigen Merkwürdigkeiten des Ortes zu begleiten. Sie giengen weiter, und sogleich zog ein weitläuftiges Gebäude ihre Aufmerksamkeit an sich, besonders war Akante vor Entzücken ganz außer sich selbst gesetzt, da ihr aus demselben ganze Reihen von den goldnen Vögeln entgegenstrahlten, denen sie vor etlichen Tagen mit aller Gewalt nachjagen wollte, da sie ganze Truppe von den helleuchtenden Rehen erblickte, und Schaaren Menschen bey ihnen, die mit ihnen vertraulich umgiengen.

O Belphegor! seufzte sie, wie glücklich müssen diese Menschen seyn, die die schönen Vögel in solchem Ueberflusse besitzen, wovon mich ein einziger schon hinlänglich beglücken würde! Siehe! Diese Glückseligen können sie pflegen und warten, sie streicheln, sie liebkosen, den goldgelben Samt ihres Gefieders berühren, ihre Ohren an den lieblichen Liedern ihrer Kehle weiden – o wer ein Glied von diesem beneidenswürdigen Haufen wäre! Sie haben errungen, wonach vermuthlich so viele noch keuchend laufen, dem ich gern nacheilte – ach! komm! Laß uns wenigstens die Augen an diesen englischen Geschöpfen ergötzen! –

Gute Akante! Du beneidest diese Leute; aber, aber![356] – ich sehe schon ein trauriges Anzeichen. Was gilts? Sie fühlen ein Glück dieser Erde, das heißt, eine beneidete Last. Siehst du nicht? –

Und was? rief Akante hastig. –

Sie hängen ja alle die Köpfe. Deine Einbildungskraft berauscht sich bey dem Vergnügen gleich, und du vergißt, daß du auf der Erde bist. –

Nein, da sind wir nicht! Weder bey dem Pabst Alexander, dem sechsten, noch bey dem Markgrafen, wo meine Schönheiten so jämmerlich verwüstet worden sind, weder bey dem großen Fali, noch bey irgend einem Herrn, dessen Sklavinn ich gewesen bin, habe ich eine so entzückende Kostbarkeit angetroffen, als diese goldnen Vögel oder diese strahlende Rehe: sie sind über alle Herrlichkeiten dieser Welt erhaben, und wir müssen nothwendig in einem Paradiese seyn. –

Wohl! aber wissen möchte ich nur, warum die guten Leute in ihrem Paradiese die Köpfe hängen. – Sie giengen, um Erkundigung darüber einzuziehn, allein da sie die Sprache nicht verstunden, so erfuhren sie blos, was sie ihre Augen belehrten, nämlich daß die Leute mühsam die goldnen Vögel und Rehe warten und füttern mußten, und nach aller Wahrscheinlichkeit Langeweile bey diesem Amtsgeschäfte hatten.

Weil ihre Neubegierde auf diese Art nicht weiter gesättigt werden konnte, so wandten sie sich auf die andre Seite, wo sich ihnen neue Merkwürdigkeiten darboten. Ein Zwerg, der die übrigen an Kleinheit merklich übertraf,[357] lag auf einem sehr erhöhten von Zweigen geflochtenen Sofa, an welchem eine Menge Zwerge zu ihm hinaufzuklettern versuchten. Ob er gleich nur von der Höhe war, daß ihn die beyden Europäer aufrecht stehend bequem übersehen konnten, so kostete es doch den armen Kreaturen unendliche Mühe daran hinaufzusteigen, besonders weil einer dem andern aus Neid die Mühe vielfältig vermehrte: denn sobald einer nur um ein Paar Zolle mit dem Kopfe höher zu rücken schien, so beeiferten sich ganze Schaaren aus allen ihren Kräften, ihn hernieder zu reißen: man schlang sich um seine Füße, man hieng sich ihm an die Hüften, man suchte ihn durch Kützeln oder durch Gewaltthätigkeiten herunterzubringen, und meistentheils gelang es den Misgünstigen, ihre Schadenfreude an dem Falle eines solchen Gestürzten zu vergnügen. Die wenigen aber, die allen diesen Hinderungen wiederstanden, alle diese Beschwerlichkeiten überwanden und glücklich zu dem Sofa emporkamen, genossen für ihre angestrengte Bemühung kein andres Glück, als daß sie neben dem kleinen Zwerge, der den Sofa inne hatte, sich niedersetzen und ihn täglich und stündlich ansehn durften. Dabey waren sie unaufhörlich, ein jeder für sich, beschäftigt, den Blick des kleinen Zwergs durch alle nur ersinnliche Mittel auf sich zu lenken und seine Gesichtsmuskeln in eine lächelnde Mine zu versetzen. Zu diesem Ende zwickten ihm einige sanft die Ohren, andre hielten ihm starkriechende Essenzen vor, andre boten seinen Lippen[358] die auserlesensten Früchte und wohlschmeckende Konfituren dar, diese belustigten ihn mit burlesken Grimassen und kurzweiligen Gaukeleyen, jene rieben ihn am ganzen Leibe mit kleinen Samtbürstchen so einschläfernd sanft, daß er oft durch ihre Dienstfertigkeit in einen wohlthuenden Schlummer versezt wurde. Sobald einer es durch sein angewandtes Mittel dahin brachte, daß er einen freundlichen Blick weghaschte, so mußte er sogleich mit allen seinen Kräften sich Festigkeit auf seinem Sitze verschaffen, um nicht hinuntergestürzt zu werden: denn sobald die Sehnerven des kleinen Zwergs nur anfiengen, sich in die Richtung nach ihm hinzuwenden, so war der ganze übrige neidische Haufe schon in Bereitschaft, Hand an ihn zu legen, um ihn durch einen wohlabgezielten Stoß aus dem Gleichgewichte von der Höhe hinabzuwerfen.

O Akante! rief Belphegor unwillig aus, bin ich denn bestimmt, zu meiner Qual bestimmt, täglich mehrere – täglich abgeschmacktere Narrheiten zu erblicken? – Komm! ich muß mich dem schmacklosen kindischen Spiele entreissen oder zu meinem Aerger hier bleiben. Thorheit oder Bosheit! daß ihr doch der ewige Wechsel auf diesem verhaßten Planeten seyn müßt! –

Obgleich Akante nicht so viel Aergerliches in jenem Schauspiele fand und es gern und mit Vergnügen noch einige Zeit genossen hätte, so mußte sie ihm doch nacheilen oder allein zurückbleiben: denn kaum hatte er die letzten Worte gesagt, als er hastig fortlief und einen[359] Ausgang aus diesem für ihn widrigen Orte suchte, den er ohne Mühe entdeckte, und nicht den zwanzigsten Theil so viel Zeit brauchten sie, um herauszugehn, als sie nöthig hatten, um hineinzukommen: in wenigen Augenblicken sahen sie sich wieder auf freyem Felde, und die Musik erhub sich von neuem so lieblich als jemals und hätte sie es bereuen lassen können, daß sie dem Orte entflohen waren, wenn sie nicht gewußt hätten, daß es eine süßklingende Täuscherey war, die nur außer ihm in der Ferne anlockte, aber in ihm selbst ganz verloren gieng. Demungeachtet hielt sich Akante oftmals auf, um sich von dem lieblichen Konzerte entzücken zu lassen, allein Belphegor trabte so frisch davon, daß sie jede Minute nutzen mußte, um ihm nachzukommen.

Belphegor konnte nicht aufhören, über das Gesehne zu eifern, und Akante unterließ eben so wenig, es zu bewundern: jenem schmeckte jeder Bissen übel, weil er – nach seinem Ausdrucke – in diesem Vaterlande der Thorheit gewachsen war, und diese war noch zu voll von Entzücken über diese nämlichen Abgeschmacktheiten, um Appetit und Speise zu fühlen.

Einen kleinen schmalen Weg wurden sie gewahr; sie überließen sich ihm, und er führte sie in einen Wald: sie giengen lange Zeit, und siehe! – plötzlich stießen sie auf eine große Gesellschaft Zwerge, die sich in verschiedene kleine Partien getheilt hatten. Belphegor, der in seiner misanthropischen Laune alles vermied,[360] was mit dem Menschen verwandt war und ihm nach seiner Meynung nichts als Aerger erwarten ließ, drehte sich unwillig und fluchend um, als ihm ein Alter nacheilte und ihn durch Zeichen bat, mit seiner Gefährtinn näher zu kommen: er ließ sich endlich bewegen und wurde von ihm in die Gesellschaft eingeführt. Man sollte vermuthen, daß die Zwerge, da sie nie andre Menschen als von ihrer Größe gesehn hatten, über die Statur der beiden Europäer erstaunt seyn würden, allein weit gefehlt! Aus dieser Gleichgültigkeit konnte man schon schließen, daß sie die weisesten Zwerge im Lande seyn mußten, die vermöge ihres Verstandes wohl präsumiren konnten, daß der Kreis ihrer Erfahrungen nicht mit dem Kreise der Wirklichkeit und Möglichkeit Eine Peripherie habe.

Diese ehrwürdige Gesellschaft besaß ein Geheimniß, dessen Erfindung noch in unserm Jahrhunderte einem der größten europäischen Genies19 Kopfschmerz und Nachdenken vergeblich gekostet hat – das Geheimniß der allgemeinen Sprache. Sie konnten sich mit den Menschenkindern aller Zonen und Mittagskreise unterhalten, ohne ihre Sprache zu wissen, wenn diese nur eine kleine Anzahl Zeichen verstehen lernten, die sie einem jeden durch eine eigne Methode schnell und leicht beyzubringen wußten. So bald diese Schriftzeichen gefaßt waren, deren ungemeine Simplicität ihre Erlernung außerordentlich erleichterte, so setzten sich die beiden[361] Interlokutoren an eine Tafel, die mit feinem Sande bedeckt war, in welchem jeder mit einem weissen Stäbchen seine Gedanken zeichnete, die er ausdrücken wollte; der andre, so bald er den Sinn davon gefaßt hatte, machte den Sand mit einem platten Instrumente wieder eben und setzte das Gespräch durch die nämliche Zeichnung fort.

Auf diese Weise erfuhr Belphegor, der sich mit seiner Gefährtinn zu seinem Vergnügen und zu ihrem Leidwesen lange unter jenen weisen Zwergen aufhielt, eine umständliche Beschreibung von diesem sonderbaren Lande, der Lebensart und den Beschäftigungen seiner Einwohner, wovon der Leser hier das Vornehmste antreffen soll.

Wir haben lange Zeit, zeichnete ihm der Alte, der ihn bey seiner Ankunft so gütig aufnahm, auf dem Sande vor – wir haben lange Zeit unser Land für das einzige dieser Erde, und uns daher für die einzigen Bewohner derselben angesehn; allein schon längst haben wir auch durch die tiefsinnigsten Schlüsse entdeckt, daß dieß ein ungeheurer Irrthum ist, der uns weit von der Wahrheit abgeführt hat. Der ganze Lebenslauf unser aller ist – daß wir geboren werden, eine Zeitlang in Dummheit und Unwissenheit herumwandeln, in einem gewissen Alter, wenn wir Thätigkeit und Stärke genug besitzen, auf die Jagd nach goldnen Vögeln, helleuchtenden Rehen und Hirschen, auf den Fang nach buntschimmernden Fischen ausgehn, oder die nicht Geist,[362] Muth und Athem genug besitzen, sich in diese Jagd einzulassen, diese kriechen verachtet und abgesondert in einem Winkel herum, wo sie für sich und die übrigen Einwohner Wurzeln ausgraben, Früchte sammeln und andre Nahrungsmittel aufsuchen müssen. Wir andern, die wir zu jener Jagd und Fischerey tüchtig genug sind, wir wenden alle unsre Kräfte dazu an, wir verfolgen Vögel, Wild oder Fische, nachdem unser Geschmack oder die Gelegenheit uns bestimmt; keiner hat noch jemals eins erhascht, und doch sind tausende dabey umgekommen, weil ihnen der Athem ausgieng, tausende haben einander aus Neid darum gebracht; nur wenige erjagen zuweilen eine goldne Feder, die sie kaum besitzen, als sie des erlangten Besitzes überdrüßig sind: demungeachtet bleibt keiner, der es nur im mindesten vermag, von diesem mühsamen Geschäfte zurück, läuft und läuft, und hat am Ende – nichts, oder wenigstens ein Etwas, das so gut als ein Nichts ist, sieht ein, daß es ein Nichts ist, und begiebt sich endlich an diesen Ort, der der letzte allgemeine Sammelplatz unser aller ist, wo wir über die Thorheit unsers Lebens weinen oder lachen, schmälen oder lächeln. Siehe! alle diese Truppe hier thun nichts als daß sie mit lustiger oder trauriger Geberde sich über die Narrheit derjenigen aufhalten, die noch itzt goldnen Vögeln und rothschimmernden Fischen nachlaufen, ohne zu wissen, daß sie leeren Fantomen nachjagen, die sie am Ende eben so betriegen werden, wie uns alle; und wenn wir einige Zeit so geseufzt[363] oder gelacht und gelernt haben, daß wir Narren Zeitlebens gewesen sind, so schlägt uns der große mächtige Tod mit der Keule auf den Kopf – und weg sind wir! Wir gehn hinweg, um künftig unter andern Gestalten die nämliche Reihe unbewußt wieder durchzumachen. –

So wärt ihr ja Menschen, wie wir alle sind! dachte Belphegor bey sich; und euer Land nicht ein Haarbreit anders als die übrige Welt! Das wahre Ebenbild unsrer Erde! –

Akanten lag nichts so sehr am Herzen als den Ort kennen zu lernen, der sie mit dem schönen Konzerte entzückt hatte, und Belphegor bekam auf seine Anfrage folgende Antwort: – Das ist der Ort, der außen lockt und inwendig schreckt, außen lauter Vergnügen verspricht und inwendig lauter Langeweile giebt, wo ein Theil auf Stelzen stolz daherschreitet und sich wechselsweise abwirft, ein andrer mühsam, mit Ueberdruß und Ekel goldne Vögel, Rehe und Fische pflegt und unter vieler saurer Beschwerlichkeit wartet, und ein dritter sich um süße und saure Blicke zankt, beneidet, verfolgt; wo jeder ein beneideter Lastträger ist –

Und was für ein Ort ist das? wollte eben Belphegor fragen – Himmel! was für ein Krachen! welches Getöse! rief Akante plötzlich. – Welche Erschütterung! Wir gehn unter! Die Erde wankt! rief Belphegor; und im Augenblicke versenkte ein schreckliches Erdbeben eine unübersehliche Fläche Landes in den Abgrund, das[364] Meer schwoll an seinen Platz in hohen gethürmten Wellen empor, das Stücke Boden, auf welchem unsre Gesellschaft saß, riß sich mit der entsetzlichsten Erschütterung los und schwamm, wie Delos als es Latonen wider die Wuth ihrer Feinde schützen sollte, mit seinen Bewohnern auf der See fort und führte sie – der Himmel und das neunte Buch wissen es wohin.

Dieses war der große Riß, den das liebe Schicksal, nach der Muthmaßung vieler Geographen, Historiker und Philosophen, in das feste Land unsrer Erdkugel gemacht hat, um alle diejenigen zum Aprile zu schicken, die trocknes Fußes aus Asien nach Amerika übergehen wollen; und wenn Belphegor und die schöne Akante eine Zeichnung von dem Wege hinterlassen hätten, den die schwimmende Insel mit ihnen nahm, so würden wir ohne Zweifel mit Gewisheit erfahren, wie man aus Asien nach Amerika segeln soll.[365]

15

Im ersten Theil.

16

So werden die Christen im Oriente genennt.

17

Nach Palästina in den Kreutzzügen.

18

Peter der Eremit, der die Kreutzzüge veranlaßte.

19

Leibnitz.

Quelle:
Johann Karl Wezel: Belphegor, Frankfurt a.M. 1979, S. 317-367.
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