Erstes Kapitel

[766] Herrmanns gefährliches Wagestück, dessen er in dem vorhergehenden Briefe gedenkt, war die Entdeckung aller Kniffe, Kunstgriffe und Praktiken, die der Präsident gebrauchte, mit einem Teile der fürstlichen Kasse zu wuchern, während daß unter dem Vorwande des Geldmangels alle Anfoderungen an dieselbe abgewiesen, verschoben, vertröstet und oft die Auszahlung der geringsten Besoldungen ausgesetzt wurde. Er suchte eine Gelegenheit, den Fürsten allein zu sprechen und ihm das ganze eigennützige System, des Präsidenten vorzulegen, um welches er allein zu wissen glaubte, ob man gleich öffentlich darüber klagte, schmälte und fluchte und nur gegen ihn zurückhaltend tat, weil er zum Hause des Herrn von Lemhoff gehörte und in dem Verdachte stund, daß er der Handlanger der Ungerechtigkeit sei. Madam Dormer und alle übrigen Virtuosen des Hofs haßten seit langer Zeit den Präsidenten bis auf den Tod: sein unharmonisches Gemüt hatte eigentlich niemals Neigung für die Musik gefühlt, sondern war ihr vielmehr gram, und er gab sich nur einige Zeit die Miene eines Liebhabers, hielt fleißig Konzerte bei sich, unterhielt sich viel über die Tonkunst, ohne das mindeste davon zu verstehen, bloß um der Liebhaberei des Fürsten ein Kompliment zu machen: da bei diesem der Eifer erkaltete und sich mehr zur Malerei hinlenkte, ließ der Präsident keinen Geigenstrich mehr in seinem Hause tun, würdigte Sängerin, Geiger und Flötenblaser kaum eines Blicks und drang bei jeder Gelegenheit auf ihre Abdankung: alle litten auf seinen Betrieb eine Verminderung des Gehalts. Herrmann glaubte also durch Madam Dormer und Arnolden den sichersten und geheimsten Kanal zum Fürsten zu finden: er vertraute sich ihr an, sie ermunterte ihn in seinem Vorsatze, teilte ihn Arnolden mit, und beide ergriffen die Gelegenheit, dem Präsidenten zu schaden, mit so großer Freude, daß Herrmann schon den folgenden Tag zu Arnolden beschieden[766] wurde. Unter dem Schein eines Besuchs ging er zur bestimmten Stunde zu ihm, Arnold paßte die Zeit ab, wo der Fürst sich allein auf seinem Zimmer mit Zeichnen zu beschäftigen pflegte, und brachte ihn so weit, daß er Herrmanns Anbringen hören wollte. Herrmann tat seinen Vortrag mit unerschrockner Freimütigkeit, überreichte die Beweise, die er mitgebracht hatte, seine Beschuldigungen zu unterstützen, und machte einen kurzen Abriß von der Verfahrungsart des Präsidenten und den Unordnungen, die desselben Nachlässigkeit, Unwissenheit und Eigennutz veranlaßten: alles war durch unverwerfliche Gründe so sonnenklar, daß auch nicht ein Zweifel dawider stattfand. Der Fürst hörte ihn gelassen an und ließ nicht die mindeste Verwunderung und noch viel weniger Unwillen in seinem Gesichte blicken: er sah die überreichten Schriften flüchtig durch, gab sie Herrmannen zurück und sagte lächelnd: »Ich weiß dies alles: das Geheimnis soll unter uns bleiben: ich danke indessen für den guten Willen.« – So schloß sich die Audienz.

Herrmann schwebte viele Tage in Ungewißheit über die Wirkung seiner Entdeckung: Arnold versicherte ihn zwar, daß sie der Fürst sehr wohl aufgenommen zu haben schiene, setzte aber auch mit Betrübnis hinzu, daß sie vermutlich ohne schädlichen und guten Effekt bleiben werde, weil ihm der Fürst Stillschweigen geboten hätte, als er in einem günstigen Augenblicke Herrmanns Aussage verstärken wollte. Madam Dormer mit ihrem unruhigen Geiste und heftigen Affekten konnte die ersten Tage weder essen noch trinken, noch schlafen. »Ich sank (zanke) mich mit die Fürst«, sprach sie immer, »wenn Sie noch länger bleib die dupe von die Präsident abominable.« – Es blieb, wie es war: Madam Dormer zankte sich nicht mit dem Fürsten, und der Fürst schien sich auch vor ihrem Zanke nicht zu fürchten; denn er blieb wie vorher ›die dupe von die abominable Präsident‹.

Arnold suchte wenigstens die Gelegenheit zum Vorteil seines Freundes zu nützen, um ihn aus seinem gegenwärtigen Platze zu erlösen, welches Herrmann um soviel eifriger wünschte, da er der Ungerechtigkeit nicht dienen wollte, wenn er sie[767] nicht hindern könnte. Der Fürst lobte ihn gegen Arnolden wegen seines Anstands, seiner bescheidnen Dreistigkeit und besonders wegen seiner warmen Ehrlichkeit, verriet auch sehr viel gute Meinung von seinen Talenten und seiner künftigen Brauchbarkeit: aber auf den Hauptpunkt, den Arnold betreiben wollte, gab er nie Antwort. Bei der nächsten besondern Unterredung mit dem Präsidenten verlangte er, daß Herrmann bei seinem Kollegium als überzählig angestellt werden sollte, bis sich ein Platz für ihn erledigte, und bestimmte selbst seinen einstweiligen Gehalt: der Präsident machte Schwierigkeiten, daß er ihn ungern in seinen eignen Angelegenheiten entbehrte, »aber doch diese Unentbehrlichkeit gegen Eu. Durchl. Befehl in gar keine Betrachtung ziehen würde noch dürfte, wenn nur nicht alle Gelder schon ihre Anweisung hätten«; daß es also schlechterdings unmöglich wäre, eine Quelle für die verlangte Besoldung ausfündig zu machen. Die Schwierigkeiten und die Berechnungen, wodurch er sie wahrscheinlich machte, waren unendlich: der Fürst hörte ihn lange an und sagte nichts, als daß er die Besoldung aus seiner Schatulle zu geben versprach. Auch hier wollte ihm der Präsident die Unmöglichkeit zeigen, allein der Fürst unterbrach seine vortreffliche Beredsamkeit mit einem frostigen: »Ich will.« – Der Präsident häufte in der Folge die Schwierigkeiten noch mehr, doch konnte er nichts als Verzögerung bewirken; denn Arnold hielt ihm das Gegengewicht sobald ihm der Fürst seinen Entschluß in Ansehung Herrmanns gesagt hatte, und rastete nicht, bis der Fürst mit einigem Unwillen und durch ernstlichen Befehl der Verzögerung ein Ende machte.

Herrmann konnte in dem Platze eines Subalternen nicht viel mehr ausrichten als vorher: er mußte ohne Widerspruch Befehle tun, wenn er sie gleich äußerst mißbilligte, und durfte sich seine Mißbilligung nicht einmal merken lassen: er mußte ohne Murren verkehrte Anstalten machen sehen, die auf einer Seite einen unbedeutenden Nutzen und auf allen andern allgemeinen Schaden stifteten, Anordnungen schreiben oder in Ausführung bringen, bei welchen der entgegengesetzte[768] Erfolg ihres Zweckes ohne sonderliche Einsichten vorauszusehn war, Befehle ausfertigen, die den Gehorchenden schwer drückten und weder dem Gehorchenden noch dem Befehlenden nützten: der Unwille kochte oft in seiner Brust bis zu den Lippen herauf, aber er bändigte ihn wie ein wildes Roß und schwieg, weil der Fürst und alle seine Obern schwiegen und der grausame Despotismus des Präsidenten jede Erinnerung, wenn sie auch in der pflichtmäßigen Anzeige einer falschgeschriebnen Zahl bestund, mit Härte von sich wies. Herrmann konnte sich zwar von den eigennützigen Praktiken seines Vorgesetzten nicht mehr so genau wie sonst unterrichten, aber er nahm sie in ihren Folgen wahr, in der wachsenden Verwirrung aller Finanzangelegenheiten und den allgemeinen Beschwerden, die itzt häufig zu seinen Ohren kamen, weil man ihn nicht mehr für den Günstling und Handlanger des Herrn von Lemhoffs hielt. Die Nachsicht des Fürsten, seine erkünstelte Blindheit, auch wenn ihm die Unordnung und Unrechtmäßigkeit in die Augen fiel, seine Einwilligung in Dinge, die oft der gesunden Vernunft widersprachen, blieb ihm ein ewiges Rätsel: es war weder Indolenz noch Mangel an Einsicht noch gutherzige Schwäche, und wenn eine Absicht dahintersteckte, konnte sie doch niemand erraten. Inzwischen hatte doch Herrmanns Entdeckung eine Veränderung bei ihm hervorgebracht, die man mit Verwunderung wahrnahm, ohne ihre Ursache zu erraten: der Fürst entsagte seitdem seinen liebsten Ergötzlichkeiten und bekümmerte sich mit ungewöhnlichem Eifer um alles, oft gar um Kleinigkeiten: die Jagd wurde ganz eingestellt, Zeichnen war itzt sein einziges übriges Vergnügen, und sein Geschmack für die Malerei war so herrschend, daß er Gemälde zu einer Sammlung zu kaufen anfing. Kaum hatte der Präsident den ersten Wink von der neuen Liebhaberei, als er schon darauf dachte, Partie für seinen Nutzen zu ziehn. Er selbst war sowenig Kenner in Gemälden als von irgendeiner andern schönen Kunst, und da er keinen Unterschied zwischen den Gemälden fühlte, die er einmal im Vorübergehn in der Düsseldorfer Galerie gesehn hatte, und zwischen den[769] Kunstwerken, die ihm der Hofmaler im letzten Frühling auf den Kalkwänden seines Lusthäuschens schuf, so bildete er sich ein, daß es bei allen Menschen und daher auch bei dem Fürsten ebenso sein müßte. Er gab also dem Hofmaler, der itzo ein geschickter Türenanstreicher und ehemals Dekorationsmaler gewesen war, den geheimen Auftrag, alle Kräfte seiner Kunst anzuspannen und ein halbes Dutzend extrafeine Gemälde mit Ölfarbe auf Leinwand zu verfertigen, die etwa biblische Geschichten, die vier Jahreszeiten, die vier Elemente oder so etwas vorstellten. Der Maler hatte von der berühmten Nacht des Correggio vorzeiten etwas gehört, ohne sie jemals gesehn zu haben, und nahm sich also vor, eine Nacht zu malen, die noch tausendmal finstrer sein sollte, als nach seiner Meinung Corregios Nacht sein müßte: von dem Inhalte des Gemäldes wußte er nichts und dachte deswegen jenen Künstler noch zu übertreffen, wenn er nicht bloße eine Nacht malte, sondern auch etwas darinne vorgehn ließ. Er malte eine pechschwarze Nacht, eine wahre ägyptische Finsternis, stellte unten perspektivisch eine Gasse hin und vorn einen Nachtwächter mit der Laterne, der eine große Schnarre in der Hand schwenkte. Außer dieser schwarzen Nacht schuf er vier Elemente so deutlich und unverkennbar, daß man sie alle mit den Händen greifen konnte, und eine keusche Susanne, die man für ein Bordellmädchen hätte halten können, machte das halbe Dutzend vollständig. Alle gefielen dem Präsidenten sehr wohl, nur die Nacht war ihm zu schwarz: der Künstler stellte ihm vor, daß es eins der berühmtesten Gemälde in der Christenheit sei, aber es half nichts: es sollten doch wenigstens Laternen auf der Gasse brennen, damit man die Häuser besser sähe; und weil er nicht eher bezahlen wollte, als bis Laternen auf der Gasse brannten, so setzte der Künstler zwo Reihen düstere Lampen hin. Nun brennten die Laternen nicht helle genug. »Ei«, antwortete der Künstler, »die Gasse ist aus einer Stadt, wo das Lampenwesen verpachtet ist« – aber sein Einfall half ihm nicht durch: er mußte aus den Laternen flammende Sonnen machen.[770]

Die Schöpfung war so heimlich zugegangen, daß niemand am Hof und in der Stadt etwas davon wußte, und der Präsident kündigte dem Fürsten mit vielem Geräusche ein halbes Dutzend verschriebne und angekommene Gemälde an wie sechs Wunder der Malerwelt. Der Fürst, der seiner Kennerschaft nicht viel zutraute, lächelte und verlangte sie zu sehen: er verbiß mit aller Mühe das Lachen, da er sie erblickte, und fragte nach dem Preise: der Präsident machte es zum Anfange der Kundschaft billig und foderte fünf Louisdor für das Stück, das er mit einem Dukaten bezahlt hatte. Der Fürst ließ sogleich die Summe aus der Schatulle auszahlen und machte dem Präsidenten mit allen sechs Gemälden ein Geschenk. »Kaufen Sie in Zukunft nicht mehr von diesem Gemäldehändler!« setzte er hinzu, »er hat Sie angeführt; denn unser Hofmaler macht Ihnen solche wie diese das Stück zu zwei Gulden.« – Der Präsident wanderte betroffen mit seiner Galerie ab und stellte den Handel ein: er konnte zwar nicht begreifen, wie der Fürst seinen Betrug erraten haben sollte, aber er hielt es doch für klüger, die Gefahr nicht zum zweiten Male zu wagen, zumal da ihm ohnehin die bisherige Veränderung seines Herrn bedenklich schien.

Jedermann fand sie so, wenigstens unerklärbar. Man gab zwar dem Fürsten schuld, daß er eine gewisse Unbegreiflichkeit des Charakters erkünstele, mit Vorsatz seine Neigungen oft ändre und entgegengesetzte Handlungen tue, damit niemand wissen solle, woran er mit ihm sei, bisweilen bloß, um in Erstaunen zu setzen. So gegründet die Beschuldigung in andern Fällen vielleicht sein mochte, so war sie doch hier völlig falsch; und Herrmann konnte nunmehr insgeheim mit Vergnügen die Früchte seiner Ehrlichkeit bemerken, indem andre sich die Köpfe zerbrachen, eine Ursache zu erraten, die sie nicht zu erraten vermochten. Der Präsident traf sie beinahe und hatte Arnolden, Madam Dormer und Herrmannen in Verdacht, doch am meisten den ersten. Seine Politik riet ihm also, diese drei Personen zu gewinnen; und weil er sich einbildete, daß niemand seine Griffe und Schliche wüßte als die wenigen Leute, die er zu Gehilfen[771] dazu brauchte, und weil er die Unvorsichtigkeit begangen hatte, Herrmannen für weniger ehrlich oder – in dem Gesichtspunkte, wie es der Präsident betrachtete – für ehrlicher anzusehn und ihn deswegen in seine Karte blicken zu lassen, so mußte er diesen am meisten fürchten und am meisten hüten. Er begegnete ihm daher viel freundlicher und weniger despotisch als allen übrigen, die unter ihm stunden; und da der Ernst des Fürsten, seine Aufmerksamkeit, seine genauen Erkundigungen und argwöhnischen Mienen täglich zunahmen, suchte der Präsident durch neues Vertrauen und Vorteil einen Mann an sich zu ziehen, der sein voriges Vertrauen entweder gemißbraucht hatte oder mißbrauchen konnte. Er ließ also Herrmannen unter dem Vorwande, daß sein Gimpel sich in sehr kritischen Gesundheitsumständen befinde, zu sich kommen und brachte das Gespräch nach mancherlei Wendungen auf seinen Hauptzweck. »Sie werden«, sagte er ihm, »bei mir zuweilen Papiere abzuschreiben gehabt haben, woraus man schließen könnte, als ob ich mannigmal Bezahlungen, die mich betreffen, an fürstliche Kassen stellte: ich leugne auch nicht, daß es einmal oder zweimal geschehn sein mag. Ich habe, wie Sie wissen, einen kleinen Verkehr mit Weinen, Pelzwerk und andern Dingen: zuweilen kömmt einen eine plötzliche Bezahlung auf den Hals; man kann etwas um ein Spottgeld gegen bares Geld bekommen, wenn es die Verkäufer gerade benötigt sind; man hat nicht allemal gerade soviel liegen, und ich habe also ein paarmal in höchstwichtigen Vorfällen meine Zuflucht zu der fürstlichen Einnahme genommen. Es ist zwar nicht das mindeste Böse dabei – denn ich habe die geborgten Summen jedesmal ehrlich und redlich wieder ersetzt –, aber da es ohne Vorwissen des Fürsten geschehen ist, könnte es doch Verdacht und Unwillen wider mich erregen oder von einem Feinde genützt werden, mich in Ungnade zu bringen: ich bitte Sie also, schweigen Sie davon! Ich werde mich gewiß als ein wahrer, guter Freund dafür bezeugen. Ihre Besoldung ist klein, und ich begreife nicht, wie Sie davon leben können: ich habe schon längst darauf gedacht, wie ich Ihnen die treuen Dienste belohnen soll, die Sie[772] mir in meinem Hause geleistet haben; aber in dem schrecklichen Wirbel von Geschäften kömmt man gar nicht recht zu sich, man vergißt seine besten Freunde: Sie wissen ja, ich muß allenthalben sein und auch für Sachen sorgen, die mich eigentlich gar nichts angehn, da der Fürst nun einmal sein Vertrauen und seine Gnade auf mich geworfen hat. Aber es ist mir heute eingefallen, daß ich Ihnen schon lange einen jährlichen Zuschuß habe geben wollen: hier will ich das Versäumte wieder einbringen: Sie sollen in Zukunft alle Jahre soviel bekommen, und wenn Sie sonst Geld brauchen, wenden Sie sich an mich, gerade an mich! meine ganze Börse steht Ihnen offen.«

Herrmann wehrte das Paket, das er ihm bei diesen Worten anbot, von sich ab. »Nein«, sprach er, »ich danke für Ihr Geschenk: es könnte den Anschein haben, als wenn Sie meine Verschwiegenheit dadurch erkaufen wollten.«

Der Präsident. Behüte! behüte! wer wird denn so etwas denken?

Herrmann. Freilich sollte man nicht! denn Sie sagen ja selbst, daß ich nichts Böses zu verschweigen habe: was nicht böse und unerlaubt ist, kann überall gesagt werden.

Der Präsiden. Es ist nur um der bösen Leute willen, die etwas Böses daraus machen. Sie wissen ja wohl, jedermann hat seine Feinde, wenn er auch noch so ehrlich handelt: nur deswegen hab ich Sie um Verschwiegenheit gebeten: wie können Sie sich das nur träumen lassen, daß ich sie von Ihnen erkaufen will? Ich sehe Sie für einen grundehrlichen Menschen von altem deutschen Schrot und Korne an; und solchen Leuten trau ich blindlings. Ich werde ja einen so braven Mann nicht so arg beleidigen und ihn bestechen wollen! Wie ich Ihnen sage, bloß zur Belohnung Ihrer vielen treuen Dienste geb ich Ihnen das Geld. Machen Sie keine Komplimente! Nehmen Sie!

Herrmann. Nein! Auch ich darf um der bösen Leute willen, die etwas Böses daraus machen könnten, nichts annehmen. Hab ich Ihnen treue Dienste getan, so ist mir mein Bewußtsein und Ihre Anerkennung Lohns genug: hab ich nichts Böses[773] von Ihnen zu verschweigen, so werd ich auch nie etwas Unschuldiges entdecken, das durch boshafte Auslegung verdächtig gemacht werden könnte, das schwör ich Ihnen bei meinem Gewissen: aber ich mag mir durch keine Verbindlichkeit die Zunge binden lassen.

Der Präsident. Die Zunge binden! was meinen Sie denn damit?

Herrmann. Ich will mich an meiner kleinen Besoldung begnügen, damit mich niemals die Dankbarkeit hindert, Pflicht und Gewissen zu gehorchen. – Haben Sie sonst noch etwas zu befehlen?

Der Präsident. Sie müssen mir das erklären! Sie müssen mir das erklären! das versteh ich nicht. Was wollen Sie denn da mit dem Gewissen und der Pflicht? Wie kömmt denn das hieher?

Herrmann. Sie haben mich ja selbst darauf verpflichtet, den Vorteil meines Fürsten und meine Treue gegen ihn allem andern vorzuziehn; und Ihnen, als meinem Vorgesetzten, hab ich eben itzt dies Versprechen erneuert.

Der Präsident. Sie schwatzen wunderlich: davon ist da itzt gar nicht die Rede. Was haben Sie denn mit der Treue gegen den Fürsten vor?

Herrmann. Nichts weiter, als daß ich entschlossen bin, ihr jederzeit meinen eignen Vorteil aufzuopfern. –

Der Präsident, den sein übles Bewußtsein hinter diesen Ausdrücken alles mutmaßen ließ, was dahinter versteckt sein konnte, drang noch lange Zeit auf eine bestimmtere Erklärung, und da Herrmann beständig bloß die nämlichen Worte wiederholte und mit Fleiß alle größre Deutlichkeit vermied, so ließ ihn der Herr von Lemhoff mit einiger Ängstlichkeit von sich, nachdem er ihm die angebotne Belohnung seiner treuen Dienste beinahe aufgedrungen hatte: aber Herrmann schlug sie standhaft aus und beharrte bei allen folgenden ähnlichen Versuchungen in seiner Standhaftigkeit. Der Präsident wurde äußerst unruhig und suchte wenigstens die Kanäle zu verstopfen, durch welche die Anzeigen seines gewesenen Sekretärs zu dem Fürsten gelangen könnten: er sprach wieder sehr vorteilhaft von der Musik,[774] wirkte der Madam Dormer wieder ihren vorigen Gehalt aus, den nach seinem Angeben bisher die Verminderung der fürstlichen Einkünfte notwendig gemacht haben sollte, gab wieder Konzerte in seinem Hause, worinne Madam Dormer und Herr Arnold mit seinem größten Beifalle Stimme und Flöte hören ließen: sein Enthusiasmus für die Musik stieg so hoch, daß man ihn in Verdacht nahm, als wenn ihn verliebte Absichten auf Madam Dormer damit angesteckt hätten. Arnold, den er wegen seiner Gunst bei dem Fürsten lieber mit den Blicken getötet hätte, wurde sein Herzensfreund und erhielt, wo sie einander trafen, einen gnädigen Druck von seiner Hand.

Unterdessen starb einer von den alten Räten des Kollegiums, und man glaubte allgemein, daß der Fürst schon längst seinen Platz Herrmannen bestimmt habe: auch der Präsident zweifelte nicht daran und baute heimlich vor; allein da er merkte, daß alles Vorbauen nichts half, sondern daß Ulrike durch die Fürstin und Arnold bei dem Fürsten aus allen Kräften für Herrmanns Erhebung arbeiteten, so hielt er es für klug, einen Mann, in dessen Gewalt er gewissermaßen war, nicht durch Widersetzung gegen sein Glück aufzubringen, und erklärte sich daher mit so vieler Wärme für ihn, daß der Fürst selbst darüber stutzte und beinahe Mißtrauen gegen Herrmanns Unbestechlichkeit gefaßt hätte: dieser Umstand brachte indessen nur eine kleine Verzögerung seines Glücks zuwege. Der Präsident war der erste, der ihm zu seiner Erhebung feurig Glück wünschte, und seine Freundschaftsbezeugungen wuchsen mit jedem Tage: Arnold und Madam Dormer freuten sich voller Stolz über den neuen Rat, weil sie ihn für ein Werk ihres Einflusses ausgaben; und Ulrike schwebte den ganzen Tag nach der Ernennung ihres Geliebten auf den Fittichen der Freude: solange sie am Hofe war, hatte die Fürstin noch keine so lustige Laune an ihr bemerkt und fragte sie nach der Ursache: Ulrike tat, als wenn sie keine anzugeben wüßte. »Freust du dich denn etwa über den neuen Rat«, fragte die Fürstin zum Scherz, »weil dir deine Empfehlung so wohl gelungen ist?« – »Vielleicht«, antwortete[775] Ulrike, »hat das wirklich etwas dazu beigetragen; denn es soll ein ganz vortrefflicher Mann sein.« – Sie sprach dies mit einem Tone des Entzückens, der mehr im Herze mutmaßen ließ, als die Worte ausdrückten; und die Fürstin sagte ihr deswegen etwas ernsthaft: »Mädchen, du hast dich wohl gar in deine Empfehlung vergafft?« – Ulrike senkte die Augen, errötete und geriet so sehr außer Fassung, daß sie zu antworten vergaß: der Scherz wurde von der Fürstin noch einige Zeit fortgesetzt, bei der nächsten Unterredung dem Fürsten erzählt, der ihn gleichfalls mit vielem Vergnügen fortsetzte: als ihn Fürst und Fürstin fallenließen, fingen ihn die dabeistehenden Kavaliere auf, von ihnen schnappten ihn die Lakaien auf, überlieferten ihn den Hofjungfern als ausgemachte Wahrheit: die Hofjungfern schickten die ausgemachte Wahrheit mit dem ersten Mädchen, das aus dem Schlosse ging, in die Stadt, und in zwei Stunden war es am Hofe und in der Stadt ein allgemeiner Glaubensartikel, daß Fräulein Breysach übermorgen mit dem neuen Rate getraut werde. Der Oberste Holzwerder, als ihm sein Altgeselle die zuverlässige Nachricht davon brachte, warf den Dendriten, der unter seinen Händen war, in den Tischkasten sogleich hinein, lief geradesweges zur Fürstin und bat inständigst um Gehör wie in der dringendsten Angelegenheit: die Fürstin ließ ihn nicht vor sich. Der Oberste lief zum Fürsten, kam vor ihn und bat untertänigst, daß er doch eine solche Heirat nicht zugeben möchte, da es die erste wäre, solange die Familie stünde. Der Fürst lächelte über die Ereiferung, womit der Alte bat, und versicherte ihn, daß er weiter nichts davon wüßte, als was ihm die Fürstin im Scherz gesagt hätte: das war dem Obersten nicht genug; er wiederholte seine untertänigste Bitte einmal über das andre, daß der Fürst die Heirat verbieten möchte, wenn etwa eine Verliebung bei seiner Cousine vorgegangen wäre. – »Ich kann ja den Leuten nicht verbieten, sich zu heiraten, wenn sie sich lieben«, sagte der Fürst.

Der Oberste. Aber Ihre Durchlaucht geruhen nur zu bedenken, die Ehre der Familie leidet doch nicht, daß ich so ruhig dabei bleibe –

[776] Der Fürst. Macht denn ein Rat, der in meinen Diensten steht, der Familie Schande?

Der Oberste. Der Rat wäre wohl gut, der Rat – aber es ist doch nur ein Rat.

Der Fürst. Und ist so wohl mein Diener als der Oberste.

Der Oberste. Freilich wohl sind wir allzumal unnütze Knechte und Eu. Durchlaucht untertänige Diener – und möcht es auch ein Rat sein, da Eu. Durchlaucht uns alle machen können, wozu es Eu. Durchl. gnädigst gefällt –, aber, aber da er nicht von Familie ist –

Der Fürst. Ich will mich erkundigen, wie weit die Sache gekommen ist –

So entließ er ihn. Der beunruhigte Oberste lief zu Ulriken und fand sie nicht, lief zur Fürstin und fand sie nicht: erst den andern Tag konnte er seine Unruhe vor ihr ausschütten. Sie gab ihm zur Antwort, daß Ulrike zu dem Rate vielleicht eine geheime Zuneigung haben könnte, aber um ihn heiraten zu wollen, schiene sie ihr zu verständig. Der Alte hörte nicht auf zu bitten, bis die Fürstin seine Cousine rufen ließ, um sie in seiner Gegenwart zu verhören: Ulrike gestund auf ihre Frage unverhohlen, daß ihr der Rat gefalle, sehr gefalle. Als es an den Punkt des Heiratens kam, schwieg sie, wurde zum zweiten Male gefragt und antwortete betrübt: »Wenn ich dürfte!« – »Eu. Durchl., haben Sie die einzige Gnade und verbieten Sie ihr das!« rief der Oberste. »Haben Sie die einzige Gnade!« – Die Fürstin sah Ulriken lange schweigend an und sagte endlich: »Laß dir nicht solch tolles Zeug einkommen! Es fehlt ja nicht an Kavalieren, wenn dir das Heiraten am Herze nagt.« – Das war der Bescheid, und beide gingen ungetröstet hinweg. Der Oberste folgte Ulriken auf ihr Zimmer und hielt ihr mit der gutherzigsten Wärme eine Ermahnungspredigt, daß sie vor innerlichem Verdruß weinte: wie jeder schlechte Prediger hielt er ihre Rührung für eine Folge seiner Predigt und schmeichelte sich, ihre Sinnesänderung bewirkt zu haben, da doch gerade das Gegenteil ihre Tränen erweckte – Betrübnis über die neuen Hindernisse, die sich ihrem Wunsche entgegensetzten. Fürst und[777] Fürstin betrachteten ihre Liebe als eine vor kurzem erst entstandene fliegende Hitze; und da ihr jedesmal die Tränen in die Augen stiegen, wenn man mit ihr darüber scherzte, so schonte man ihre Empfindlichkeit und dachte weder im Scherz noch im Ernst mehr daran, um die Liebe im stillen verdampfen zu lassen: Hof und Stadt sagte itzt allgemein – »Fräulein Breysach und der neue Rat werden nicht getraut.« Die ganze Sache schlief ein.

Quelle:
Johann Karl Wezel: Hermann und Ulrike. Leipzig 1980, S. 766-778.
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