Ein Hügel über Feldern mit junger Saat; in der Ferne ein See; Abend.
König, von der Kron, der rote Sepp und Hinterstoißer, alle vier verwundet, der letzte noch ein Endchen Faden mitschleppend.
KÖNIG.
Befreit!
VON DER KRON
Um welchen Preis!
KÖNIG.
Gleichviel! Zerrissen
Die Fesseln dieser niederträcht'gen Fron![205]
DER ROTE SEPP.
Zerrissen unser Leib! Wir sind verloren.
KÖNIG.
Verlorne finden heim.
DER ROTE SEPP.
Heißt das: »Heim finden«
Zum letzten Kampf sich strecken? – Ich bin fertig.
HINTERSTOISSER.
Auch ich bleib' liegen. Was hilft's, weiter fliehn?
Als ich gesund war, in der Kirmeßnacht,
Sagt' ich zu meinem Mädel auch: »Was zwirbeln
Und wirbeln ohne Ziel? Wir tragen bei uns,
Was uns von nöten.« Jetzt – dasselbe sag' ich.
Doch unsre Not ist's, die wir bei uns tragen.
DER ROTE SEPP.
Ja wohl! wir brauchen nicht erst weit zu suchen
Das Tor, das uns hinausführt aus der Welt.
HINTERSTOISSER.
Ich kann nicht mehr.
Legt sich hin.
KÖNIG.
So bleiben wir. Der Anger
Ist friedlich, wie zum sterben eingerichtet.
Die Sonne sehen wir und sie sieht uns.[206]
DER ROTE SEPP.
Sie sinkt hinab.
VON DER KRON.
Wir kommen ihr zuvor.
Leb wohl, du schöne Welt! Es geht hinunter.
KÖNIG.
Du sagtest: »schöne Welt«, und sagtest recht.
In aller Schönheit strahlt sie, da wir scheiden.
»Schön« ist ihr Zauberwort. Auf schönen Schein
Ist sie geschaffen, der uns wohl gefällt.
Seht in der jungen Saat die Wellenspiele
Des Windes, hört die Erlenkronen flüstern;
Und diese Tänze schaut, die Licht und Schatten
Von morgens früh bis spät und überall,
Auch wenn nicht Augen da sind, zu bewundern,
Am Waldesrand und auf den Wiesen hüpfen.
Und so zu eigner Lust in stillen Schluchten
Rinnt der kristallne Quell am Felsen nieder,
Wo dunkles Moos von seinem Segen träuft.
Hoch aber dort im Blau, unendlich hoch,
Türmt sich das Land der weißen Wolkenberge.
Und wo sich eine Wolke löst und schwimmt
Als Schiff im weiten Ozean der Luft,
Schwebt still ihr Schatten unten riesengroß
Hin über die smaragdnen hellen Fluren
Und über Hügel und den schwarzen Wald.[207]
VON DER KRON.
Ich sehe sie, die Schattenwolke dort!
Es fährt auf ihr der Tod, der große Sammler,
Der alles Leben liest in seine Tasche.
DER ROTE SEPP zum König.
Und du kannst – mit dem Stich im Leibe – preisen
Die Schönheit noch der Welt?
KÖNIG.
Den schönen Schein!
Ich rat' euch nicht, zu suchen unterm Busch,
Was zuckend dort verendet; unter Steine
Nicht kriecht neugierig jemals, zu erfahren,
Was sie bedecken. Wißt! Die Welt ist glatt
Und blank, wie wir es waren, ehe noch
Der Teufel, der uns fing, den spitzen Spieß
Uns in die Weichen trieb. Wo solche Spitze
Sich in die Welt hineinbohrt, dringt ihr Unrat
Und ihrer Eingeweide wüster Knäul
Ans Licht.
DER ROTE SEPP.
Jetzt nähert sich dein Lob der Wahrheit.
Sieh! selbst dein armes Opfer ward verworfen.
Nicht künftige Geschlechter wirst du warnen.
KÖNIG.
Und wenn ich's könnte, dennoch tät' ich's nicht.
Sei's, daß dies Leben eine Zaubermaske[208]
Mit Augen, die erst locken, herrisch dann
Uns bannen, endlich arg und hohnvoll funkeln,
Wer einmal dem gewalt'gen Zuge folgte,
Je in den Wirbeltanz gerissen ward,
Der kann sich denken nicht, noch möcht' er wünschen,
Er wäre nicht dabei gewesen! Nein!
Wer Leben je erfuhr, muß dennoch danken,
Daß ihn der Hauch berührte, der ein Nichts
Aus dumpfem Schlafe weckt, den Staub mit Atem
Beseelt und mit Gestaltung ihn bekleidet. –
Blüht, künftige Geschlechter! blüht wie wir,
Und tragt wie wir die Doppelfrucht des Lebens,
Die süße Lust und all das bittre Leid.
DER ROTE SEPP.
So dankst du Gott für diese Welt?
KÖNIG.
Ich tät' es,
Wär' sie so gut als schön! Da aber fehlt's!
Warum du Starker, der am Feuer du
Von tausend Sonnen Lebensteig bereitest,
Warum das arme Bröschen Liebe sparen,
Das einz'ge, was ihm Wohlgeschmack verliehe?
Warum statt Liebe Haß?
DER ROTE SEPP.
Wenn er das hört
Und schämt sich nicht! Sein eigenes Geschöpf,
Das ihn mit frommen Wünschen überflügelt![209]
KÖNIG.
Und im Vollbringen arm ist wie er selbst.
Sich unterbrechend.
Horch! Was ist das?
DER ROTE SEPP.
Die Menschen nennen's: Glocken.
Fern übern See herüber streift der Ton.
Mit diesem Schalle wollen Gott sie ehren.
KÖNIG.
Du irrst. Sie wollen rühren ihm ans Herz,
Daß seine vielen Sünden er bereue.
Es lautet summend dieser Schall und lieblich.
Die beiden da – sie hören ihn nicht mehr.
Sahst du sie sterben?
DER ROTE SEPP.
Plötzlich traf es sie.
KÖNIG.
Bald liegen, ihnen gleich, so steif auch wir.
Komm, laß uns beten für den armen Gott,
Der das Gefäß der Welt, das schön er schuf,
Mit Duft und Lieblichkeit nicht konnte füllen.
Betend.
Du armer König aller Könige,
Der du den Lebensstoff der Welt verwaltest,
Doch kärglich, weil er nicht für alle reicht
Und doch dein Ehrgeiz grenzenlos im Zeugen,[210]
Der du darum ihn spärlich spendest nur,
Kein Leben schenkst, das nicht zuvor vergiftet
Du mit dem Keim des Todes, – armer Gott!
Du selbst vielleicht träumst nur als schweren Traum
Die Welt und liegst in Banden, die dich fesseln, –
Ich bleibe doch dir gut, ich danke dir.
Du gabst mir dieses Leibes kleine Hütte,
Aus der du jetzt mich wieder rauh vertreibst.
Sei's! – Ich verzeihe dir die Welt,
Wie man verzeiht dem Weibe, das uns log,
Um seiner argen Schönheit willen. – Ah!
Stirbt.
DER ROTE SEPP.
Da streckt er sich, der kleine Heldenkönig.
Der letzte seines Volks, ein Ueberwinder!
Ein Nichts, ein hingemartertes Geschöpf,
Wie wir es alle sind. Und doch ein Sieger.
Das Opfer würdiger als der Altar,
Auf dem's verblutet. Mich auch überwand er.
Ein Narr des Herzens! Die allein sind heilig.
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Auch meine Zeit ist um. Bald liegen still
Die kleinen Leichen auf dem Moos des Angers.
Und wenn der schöne Sommer ging vorbei,
Sind wir nur ausgehöhlte Panzer noch,
Vom Herbstwind da und dort im Wald verstreut.
Und Einer kommt, vielleicht ein Musikant,[211]
Der findet solch ein Ding und hält's ans Ohr,
Ob nicht ein Lied noch drin, ein leises, seufze.
So was von letztem Lebenswiderhall – –
Maikäfer flieg!
Allvater ist im Krieg.
Wo ist das schöne Himmelsland?
Himmelsland ist abgebrannt.
Maikäfer ... flieg!
Stirbt.
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