[402] Vor dem Hause, wo Hainlin wohnte, verabschiedete sich Wendelin, mit dem Versprechen, an einem der nächsten Abende zu kommen und alles übrige zu berichten. Doch er blieb aus, eine Woche, zwei Wochen – nun dachte Hainlin: Kommt der Berg nicht zu Mohammed, so soll dieser halt zum Berge gehn. Als seine Wohnung hatte Wendelin angegeben: Institut für Kirchenmusik – mit einem Musikstudenten zusammen wohne er beim Hausmeister.
Als Hainlin in dem Gebäude nach Flammer fragte, lud ihn der Musikstudent zur Aussprache ein und sagte, Flammer wohne nicht mehr in Berlin. Sein Onkel, der Kaplan, sei verstorben und Wendelin zum Begräbnis gereist. Habe auch mit der Erbschaft zu tun, die auf ihn gefallen sei. So habe Flammer nun die Mittel, Mathematik an einer Hochschule zu studieren. – »Nun kommt er doch wohl noch auf seine Höhe,« sagte Hainlin, fügte aber, als der andere wie ein Zweifler aussah, hinzu: »Oder meine Sie net?«
Achselzuckend sagte der Musikstudent: »Nur der Arzt könnte Entscheidendes sagen.« – »Sie halten Wendelin für ernstlich krank? I muß allerdings gestehe, daß i verschrocke war, als ich ihn neulich wiedersah – er machte den Eindruck, als ob er zehn Jahre älter wär ond obendrein zerrüttet.« – »Das ist er auch. Sein Blut ist vergiftet. Er trinkt scharfen Alkohol, und zwar im Uebermaß. Seine Zigaretten macht er aus türkischem Tabak, der Opium enthält. Und in Berlin war er intim mit[403] einem kranken Frauenzimmer – einer Kellnerin im Fidelen ...«
»Ha, um Gottes Wille!« unterbrach ihn Hainlin bestürzt. »Mein Wendelin? Diese keusche Blüte?«
»Ja, das war er! Damals als er aus dem Kloster kam, war er noch unverdorben – benahm sich wie Parsifal, der reine Tor.«
»Bitte, schildern Sie mir, wie er diese Jahre gelebt hat! Können Sie das?« – »Ja! Er hat mir's ausführlich erzählt.«
Und wie ein beschworener Geist stieg Wendelins Knabenzeit aus der Versunkenheit herauf.
*
Auf dem Bergfriedhof war Pia zu Grabe getragen. Ein paar Tage drauf hatte Wendelin das Erdhüglein besucht – es war besteckt mit weißen Papierblumen, in der Mitte ragte ein hölzernes Kruzifix. Wendelin war freudig gerührt über diese Fürsorge, die ein Unbekannter dem Grabe gewidmet hatte. Und fragte sich: Was nun schenk' ich meinem Piale? Weinend zog er den Rosenkranz hervor, den die Sterbende ihm vermacht hatte. Da kam es ihm vor, als raune Pia ihm zu, er solle in die Kapelle gehn zur Mutter Gottes.
Wie er da kniete, vor dem Bilde der Schmerzenreichen, fühlte er sich entrückt übers bange Erdendasein und sehnte sich, seine arme Seele ganz der Himmelsliebe hinzugeben. Und plötzlich kam ihm der Wunsch, zu leisten, was Pia hatte leisten wollen: im Kloster die Schuld schwacher Menschen löschen zu helfen. Ja, das sollte seine Gabe für Pia sein, zugleich sein Beitrag zur Entsühnung der Eltern, die das gefährliche Beispiel eines ungeweihten Liebesbundes gegeben hatten.
Wie ein erneuter Mensch kam er sich vor, als er die Kapelle verließ und abermals an Pias Grabe stand – es war, als ob sie ihn dankbar anlächle. Ueber die Mauer des Friedhofs spähte er ins Weite – hinter des Schwarzwalds blauem Gewoge[404] ging blutig die Sonne unter. Wendelin seufzte nach dem Abendfrieden der Seele, nach einer Beschaulichkeit, wie sie in weltentrückter Einsamkeit zu finden. Ein Kloster, wie er's in Bebenhausen geschaut hatte, konnte ihn locken – obwohl sein Verstand nichts vom Kirchendogma wissen wollte. Was er meinte, vertrug sich im Grunde mit seinem Freidenkertum. Eine Mystik war's, die auf Ewigkeits-Schau zielte. Immer noch trug er sich mit der Vorstellung, auf der Spitze des Glasberges sei ein riesenhafter Kristall, der das Weltall spiegele in mathematischer Klarheit und Folgerichtigkeit. Solche Beschaulichkeit hoffte Wendelin im Kloster zu finden.
Als das Ave-Läuten der Kapelle verhallt war, begab er sich nach Wurmlingen zum Onkel Gastwirt und eröffnete ihm feierlich seinen Entschluß, ins Kloster zu gehen. Die Familie hatte dafür nur Zustimmung und Ehrerbietung – die Nachbarschaft, das ganze Dorf sah im jungen Flammer einen Himmelskandidaten. Und wenn ihn Zweifel anwandelte, ob er sich nicht vorschnell entschlossen habe, glaubte er an seine Erklärung gebunden zu sein; er fürchtete das spöttische Lächeln der Leute, falls er nun doch weltlich bliebe.
Onkel Kaplan hatte einen Bekannten, der eine Klosterschule leitete, ein Juvenat, wo Ordenspriester ihre erste wissenschaftliche Vorbereitung erhalten. Es war allerdings fern gelegen, in einer holländischen Ortschaft bei Aachen. Doch in der Anstalt waren fast lauter Deutsche, und Deutsch war die vorherrschende Sprache.
Wendelins Gesuch um Aufnahme wurde genehmigt – als Juvenist trat er ein. Die phantastischen Erwartungen, mit denen er gekommen war, erhielten schon insofern einen Dämpfer, als das Kloster keine Spur von Romantik hatte, sondern nach einer Fabrik oder Kaserne aussah. Der Pater Direktor war[405] halb Feldwebel, halb pfäffischer Schleicher. Er ließ Wendelin fühlen, seine uneheliche Abkunft erwecke nicht grade Vertrauen, könne aber gesühnt werden durch besonders gute Führung.
Die Lebensweise der Juvenisten war hart, nach Vorschrift verlief jede Stunde. Wenn die Tür des Saals, wo die Jünglinge in eisernen Betten, getrennt durch Vorhänge, die Nacht durchschnarcht hatten, um Fünf aufgerissen wurde und der Befehl zum Aufstehn erscholl, ging allgemeines Gähnen und Seufzen los, dann ein Knarren der Bettstellen, Stimmengewirr, Poltern und Wasserplätschern. Dem Ankleiden folgten Gebet und Messe sowie einstündiges Studium. Dann erst kam Morgenkaffee und kurze Erholung. Der Klassenunterricht wurde von etlicher Körperbewegung unterbrochen. Mittags nach dem Beten erfolgte das Essen im Speisesaal, wobei Erbauliches vorgelesen wurde. Nach kurzer Körperarbeit und einem Rosenkranzbeten kamen Nachmittagsunterricht und eignes Studium. Das Abendessen war natürlich wieder mit geistlichem Wesen verquickt, und der Tag schloß mit Heiligenlegenden, Beten und Gewissenserforschung.
Hatte Wendelin schon das Tübinger Gymnasium für simpel gehalten, so kam ihm die Klosterschule geradezu stumpfsinnig vor. Hier herrschte abergläubisches Mittelalter, frei von Naturwissenschaft und modernen Ideen. In der Metaphysik hieß es: die Seele könne nicht anders als unsterblich sein, weil sie halt aus einem Stück sei. Das Menschenleben werde durch allerlei böse Dämonen gestört. In der Literaturstunde las man Schillers »Jungfrau von Orleans«, doch waren alle Stellen, die von Liebe handelten, durch Schwärzen unleserlich gemacht. Die Lehrer waren verknöcherte Priester ohne geistige Selbständigkeit. Mechanisch übten sie ihr Amt, wie überhaupt der Klosterbetrieb eine Maschine war.[406]
Eine Oase dieser Wüste bildete der temperamentvolle Pater Ambros. Leider war er nicht als Lehrer hier, nur als Gast, zur Erholung von einer Tropenkrankheit, die er sich in Holländisch-Indien geholt hatte. Hin und wieder durfte er den Bitten der Juvenisten willfahren und etwas aus seinem Leben erzählen. Er hatte den Insulanern im Stillen Ozean das Evangelium gepredigt und manches Abenteuer erlebt. Was er über die blaue See und das ewige Sonnenwetter, über die üppige Landschaft von Hawaii und die braunen Tropenkinder erzählte, erweckte in Wendelin eine Sehnsucht wie der Garten des Paradieses. Zuweilen, wenn er keine rechte Nachtruhe finden konnte, während im Schlafsaal das Schnarchen rasselte und alle Viertelstunde die Glocke klang, umgaukelten ihn Bilder der Südsee – es kam ihm vor, er sei da Missionar und Uli bei ihm. Traulich umschlungen, standen die Freunde auf einer Klippe, schauend über spiegelklare See.
Im Kloster hatte Wendelin keinen Freund und – durfte ihn nicht haben. War dem Zelator, dem Aufpasser, ein Juvenistenpaar der Zuneigung verdächtig, so erfolgte Anzeige, Strafe und Trennung der Verdächtigen. Sich anlächeln, einander die Hand drücken, miteinander flüstern war schon Sünde. Daß nun Wendelin keinen Vertrauten haben durfte, verödete sein Dasein, er wurde schwermütig. Sein leeres Herz suchte sich durch fromme Schwärmerei zu entschädigen. Heiligengeschichten und Erlebnisse der Mystiker rührten ihn mit Stimmungszauber. Gern weilte er unbeobachtet in der Klosterkapelle, kniend vor einer Madonna, die im Leide lächelte. Wenn der Novembersturm draußen um die Pfeiler brauste, schwelgte Wendelin in süßen Schauern, nach der ewigen Lampe lugend und den stillen Kerzenflammen. Etwas Einlullendes hatten die engelhaften Knabenchöre, die dumpfen Männerstimmen, der Singsang der Gebete nebst den Chor-Antworten,[407] die wie Glockenläuten waren. Diese Region der gotischen Wölbungen und bunten Fensterscheiben, der vom Goldreif gekrönten Gestalten, der Wachskerzen und Weihrauchwolken schien aus dumpfer Gefangenschaft einen Ausweg zu verheißen, zu den heiligen Weiten der Ewigkeit. Das war Wendelins Trost.
Hinzu kamen Aufmunterungen, die ihm seine Arbeit einbrachte. In der Mathematik galt er als Genie. Wegen seines seelenvollen Orgelspiels war er dem Organisten als Vertreter willkommen und allgemein beliebt. Es wurde sogar geduldet, daß er an einem Werke schrieb – er nannte es »Psychophysik der Tonkunst«.
Pater Direktor hoffte mit diesem Lumen seines Klosters glänzen zu können. Eins indessen tadelte er an Wendelin: seinen Hang zur Selbständigkeit. Zu ducken suchte er ihn durch die typische Drohung: »Hochmut kommt vor dem Fall! Immer fein demütig!« Sein Ideal war die Ordensregel, ihr Symbol die Klosterglocke. Für jede Viertelstunde hatte diese einen Befehl, indem sie anschlug oder in besonderen Takten läutete. Wendelin aber fühlte sich durch die Ordnungssklaverei stumpf gemacht und hätte dies Leben wohl schon bald aufgegeben, wäre nicht Aussicht gewesen, das Schlußexamen zu bestehen und dann Missionar zu werden oder Professor – oder Pater in einem Orden, der wissenschaftliche Beschaulichkeit pflegt. – Daß es anders kam, ist nicht bloßen Zufälligkeiten zuzuschreiben, sondern der Kluft, die zwischen dem äußeren Leben der Klosterleute und ihren Neigungen klaffte. Wo das Verlangen nach Freiheit noch nicht alle Tatkraft verloren hatte, sann es auf heimlichen Ausweg.
In einer schwülen Augustnacht war Wendelin vom Schlagen der Glocke wach geworden und konnte nicht wieder einschlafen. Ihn folterte das Bewußtsein, kasernenhaft zu hausen mit all diesen Juvenisten, unter denen er keinen Vertrauten hatte. »Pia!« seufzte er – »mei Piale! Du hoscht's guet! Dein[408] Bettlein auf der Spitze des schönen Hügels ist jetzt überwölbt von blauer Unendlichkeit, da wimmeln Funkelsterne ohne Zahl.«
Die Vorstellung von der Milchstraße und den Sternschnuppen, die gerade in diesen Nächten flogen, regte Wendelin zu solcher Sehnsucht auf, daß er jetzt durchaus den Sternenhimmel betrachten wollte. Vielleicht – so dachte er – hat Pater Ambros, dem in dieser Woche die Inspektion obliegt, ein Flurfenster offen gelassen, weil's ja heute so heiß war – und dann könnt' ich dort die Sterne beobachten.
Im Bett aufgerichtet, lauschte Wendelin, ob nicht einer seiner Nachbarn wache. Da nur Laute festen Schlafes zu vernehmen waren, bekleidete er sich rasch und schlich auf Socken aus dem Schlafsaal. Die Fenster des matt erleuchteten Flurs waren geschlossen – doch als er die Treppe hinuntergegangen war, stand die zum Hof führende Haustür offen.
Hinausschlüpfend prallte Wendelin auf eine Kuttengestalt, die soeben eintreten wollte: Pater Ambros hielt ihn bei den Schultern. Ließ ihn aber frei, sobald er ihn erkannt hatte und an seinem Zittern spürte, wie erschrocken er war. »Wohin?« raunte der Pater; und Wendelin: »Ach, verzeihen Hochwürden! Heimweh han i ghätt nach dene Stern.« – »Was?« kicherte Pater Ambros und ahmte die schwäbische Mundart nach – »Heimweh nach dene Stern? I glaub, im Ländle bischt eher dahoim als drobe, gelt?« – »Dees scho, Hochwürden. Von Stuggart bin i – aber dahoim han i so gern die Sternle betrachtet ond Sternschnuppe,« stotterte Wendelin. Lächelnd sah ihm der Pater ins Gesicht und meinte gutmütig: »So komm, Sternguckerle!«
Sie gingen in den Klosterhof, von da in den Gemüsegarten. Zwischen den Beeten schritt der Pater voran – zu einem Gewächshaus an der Mauer. Hier nahm er Platz auf einer Bank[409] und gab Wendelin einen Wink, sich gleichfalls zu setzen: »Also! Erquicke dich an deiner Sternenheimat!«
Und sein Angesicht wandte Wendelin himmelan – sich weidend am unendlichen Gewimmel der Milchstraße. Als eine Sternschnuppe aufleuchtete, fuhr er mit dem Arm in die Höhe. Auch der Pater hatte sie gesehn: »Nun, Flammer? Was hast du eben gewünscht? Du weißt doch: Wenn gerade eine Sternschnuppe fällt, so geht der Wunsch in Erfüllung.« – »Ach, Hochwürden! Was i gwünscht hab, weiß i selber net. Aber nach der Südsee hätt i Sähnsucht – da möcht i braune Heiden bekehren – wie Sie's tan hänt, Pater Ambros.« – »Ha, mein Sohn,« schmunzelte Pater Ambros – »wärst du da, dich täten die braunen Heiden eher bekehren als du sie!« Wendelin stutzte, in diesem Worte war etwas Großzügiges wie in der Sternschnuppe. Uebrigens rührte ihn das trauliche Du, mit dem er, ein Juvenist der Oberklassen, von Hochwürden angeredet war.
»Du möchtest also zur Mission?« fuhr der Pater fort – »solltest dir aber die Sache nicht so reizvoll denken, wie sie sich ausnimmt, wenn ich erzähle. Es ist ein hartes Leben, man wird in ungesunde Gegenden geschickt, und an Heimweh wirst du da erst recht leiden. Sieh zu, daß du in deinem Vaterlande bleibst und etwas Rechtes wirst. Du bist zu schade zum Klostermann. Weshalb bist du überhaupt darauf versessen, geistlich zu werden? Vorsicht, Kind! Noch liegt dein Schicksal in deiner Hand. Bist du erst zehn Jahre älter, so bist du mönchisch verknöchert, hast nicht mehr Elastizität, aus Eigenem etwas zu werden. Nun sag mir auch: was ist es mit dem Werk über Tonkunst, daran du schreibst? Wie ich höre, ist es nicht bloß physikalisch, sondern auch philosophisch. Du brauchst also philosophische Literatur, wenigstens eine gute Geschichte der Philosophie. Hast du die? Was weißt du zum Beispiel von den Pythagoräern? Herzlich[410] wenig! Was in unserm braven Kompendium steht! Andere Bücher erlaubt Pater Direx natürlich nicht.«
Daß Ambros so keck sprach, ließ Wendelin stutzen, und dann gestand er, von Pythagoras nicht mehr zu wissen als den mathematischen Satz und etliches, was über seine Zahlenmystik gemunkelt werde – zum Beispiel, daß die Sternsphären harmonisch zusammenklingen, daß man diese Harmonie bloß deshalb nicht höre, weil sich unser Ohr daran gewöhnt habe – so wie der Müller das Geräusch der Mühle überhört.
Zustimmend erinnerte Ambros an den »Faust«-Vers: »Die Sonne tönt nach alter Weise in Brudersphären Wettgesang« – und fügte spöttisch hinzu: »Solche Ketzerschriften sind hier natürlich verboten. Aber du mußt sie lesen, wenn du was Besseres werden willst als ein Klostersimpel ... Nun genug für diesmal! Jetzt wieder ins Bett! Und geschlafen wird jetzt, nicht gegrübelt! Bloß noch über einen Punkt steh' mir Rede: Wie denkst du übers Beichten? Ich meine, ob du dabei nach eigenem Gewissen verfährst, oder dein Gewissen hast herausoperieren lassen aus deiner Brust und dafür den Befehl der Vorgesetzten eingeführt hast? Kennst du das Märchen von der Nachtigall, die am chinesischen Hofe verdrängt wurde durch eine mechanisch konstruierte Nachtigall? Hier im Kloster ist man auch so chinesisch, hier waltet nicht Gott im Herzen, sondern starre Verordnung.«
Wendelin schwieg – er fühlte, daß der Pater ihn mahne, sich nicht willenlos vom Beichtvater bestimmen zu lassen. Und Ambros sprach weiter: »Ich mag nicht pfäffisch sein! Ich beichte nur, was zu beichten mein Gewissen mich drängt. Das andere geht den Beichtiger nichts an! Zum Beispiel werde ich nicht beichten, daß ich den Wendelin Flammer abgefaßt habe, wie er ging, die Sterne zu begucken. Diesen Verstoß gegen die Hausordnung – aus Heimweh nach den Sternen – halte ich[411] für keine Sünde. Und wie meinst du, Kind?« – »Genau wie Hochwürden!« sagte Wendelin aufatmend und neigte sich zum Kusse über des Paters Hand.
Als dieser mit ihm zurück zum Kloster ging, raunte er noch: »Wenn unsere heutige Begegnung unbemerkt bleibt und du Vertrauen zu mir hast, so steht es dir frei, mir mal eine Probe aus deinem Werke vorzulesen. Aber sei verschwiegen! Hat der Direx dein Manuskript schon gelesen? Nein? Das ist gut – er würde wohl auch wenig davon verstehen. Hüte dich, daß er dir nicht dazwischen fährt mit seiner Zensur! Ich an deiner Stelle würde zweierlei Manuskript anlegen: eins, das für ihn ist, und ein heimliches. Ich spreche aus Erfahrung, kenne Pfaffenart.«
»Aber, Hochwürden, dann sind Sie eigentlich ...« stammelte Wendelin. – »Eigentlich?« erwiderte der Pater – »ja eigentlich gehör' ich anderswohin. Bin auch bloß zur Kur hier. Sobald ich wieder rüstig bin, geh' ich heim nach Indien – ja, ich bin daheim bei Sternen, die aus den Veden leuchten – die Upanischaden tönen mir Sphärenharmonie.«
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