Fünfter Auftritt

[98] Die Vorigen ohne Aubry Dann Aubrys Stimme.


DAVENAUT.

Hinweg!

RUTHWEN für sich.

Die Zeit vergeht, es wird zu spät!

Grausen bebt durch meine Glieder!

MALWINA für sich.

Mut und Vertrauen verlassen mich,

Vater im Himmel, erbarme dich!

AUBRY außerhalb.

Malwina! – Malwina! –

CHOR.

Hinweg! Wie die Sache auch sich wende,

Weh! das nimmt kein gutes Ende!

Was ich höre, was ich sehe,

Deutet mir des Unglücks Nähe!

RUTHWEN zu Davenaut.

Die Zeit vergeht, es wird zu spät,

Laßt uns rasch zum Werke schreiten.

DAVENAUT.

Ihr Freunde, auf, mit heiterm Sang

Begleitet unsern Hochzeitsgang.

MALWINA.

Vater! ach, Vater! laß mit Zähren dich beschwören!

Vater! ach, Vater! Hab' Erbarmen mit mir Armen![98]

Meine Kräfte fühl' ich schwinden,

O laß die Tochter Mitleid finden!

O gönn' mir Zeit, der Tag ist nicht mehr weit!

Ach, laß uns bis morgen weilen!

CHOR.

O gönnt ihr Zeit, der Tag ist nicht mehr weit!

Warum so hastig eilen?

RUTHWEN.

Mich drängt die Zeit!

DAVENAUT.

Sprecht, kann es sein!

RUTHWEN.

Ihr wißt, was Pflicht gebeut!

DAVENAUT.

Ich will'ge gerne ein!

RUTHWEN.

Ich darf nicht länger weilen!

DAVENAUT.

Sir, laßt uns bis morgen weilen.

RUTHWEN.

Nein! nimmermehr! Es kann und darf nicht sein.

Ihr gabt mir Euer Wort,

Wollt Ihr es ehrlos brechen?

DAVENAUT heftig.

Ha! Wer wagt es, so mit mir zu sprechen?

RUTHWEN.

Wollt Ihr es ehrlos brechen?

DAVENAUT.

Ha! Wer wagt es, so mit mir zu sprechen!

Auf! auf denn, zur Trauung fort!


Er will Malwinas Hand fassen, um sie Ruthwen zuzuführen.


Allgemeine Bewegung zur Zugordnung.


MALWINA widerstrebend.

Nein, nimmermehr!

DAVENAUT.

Auf, zur Trauung fort!


Er faßt energisch Malwinas Hand.


MALWINA energisch.

Ich will'ge niemals ein!


Sie reißt sich los und flieht einige Schritte nach links.


DAVENAUT.

Auf, Freunde, fort!

MALWINA.

Ha, nicht Liebe, nur Entsetzen

Fühle ich für diesen Mann.

Bewegung.


DAVENAUT.

Ha! wagst du's, dich zu widersetzen?

Ha! Verräterin! Wohlan!

So treffe dich – des Vaters Fluch!

MALWINA UND CHOR.

Weh!

Malwina wankt und droht zu sinken.

Allgemeine große Bewegung.

[99] Die nahestehenden Edeldamen treten erschreckt an Malwina heran und unterstützen sie.

Allgemeine Teilnahme für Malwina.


CHOR.

Was ist geschehn!

DAVENAUT selbst ist tief ergriffen und giebt mit Widerstreben den Befehl für den Hochzeitszug.

Auf! beginnt den Hochzeitszug!

Die zwei Brautjungfern treten heran und schmücken Malwina mit Kranz und Schleier.


CHOR.

Wie nach verderblichem Wettergetose

Lächelt die Freude mit heiterem Blick,

Blume des Hochlands, du Davenaut-Rose,

Wende sich jede Gefahr dir zum Glück!

Der Zug ordnet sich.

Es zieht sich ein Gewitter zusammen, der Saal verdunkelt sich ein wenig.

Die Jäger treten von den Stufen und bilden Spalier.

Die Blumenmädchen paarweise in der Mitte.

Die Guirlandenmädchen rechts und links im Mittelgrund.

Davenaut reicht Malwina die linke Hand und macht mit ihr eine Wendung nach hinten, so daß Malwina die Mitte gewinnt.

Ruthwen tritt ihr zur Seite, sobald sie die Mitte erreicht hat und giebt ihr seine rechte Hand.

Ruthwen, Malwina, Davenaut beginnen den Zug nach hinten.

Die beiden Brautjungfern folgen.

Die Edelpaare ebenso.

Leichter Donner.


AUBRY links außerhalb.

Vergebens hemmt ihr meines Wahnsinns Stärke,

Ich muß hinein!

Zertrümmern will ich dieses Dämons Werke.

RUTHWEN, DAVENAUT UND CHOR.

Man muß den Eingang ihm verwehren!

Ruthwen, Malwina und Davenaut sind an den Stufen zur Estrade angelangt.

Edgar Aubry gehalten von den beiden Dienern, die mit ihm abgegangen sind, stürzt von links über die Estrade bis zur Mitte vor den Vorhang zur Kapelle.
[100]


Quelle:
Heinrich Marschner: Der Vampyr. Dichtung von Wilhelm August Wohlbrück, Leipzig [o. J.], S. 98-101.
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