Veränderte Scene.

[166] Gemach im Palast des Dogen.


FIORDILIGI auf dem Ruhebette, im magnetischen Schlaf. Wie das leuchtet! Wie das blitzt! Wie das schauerlich-süß durch Mark und Adern dringt! Befreier, Heiland, trautester Ritter mit dem dunklen Lockenhaar, wann nahst Du Dich! Ich sehe aus einem Grabe einen Schatten steigen. Er fällt in Moder zusammen; ein andrer leuchtender folgt ihm. Ich sehe den leuchtenden kämpfen mit einem gräßlichen Gespenst, das er schnell bezwungen hat. Da eilt er hin über die schwarzen Gräber! Da spiegelt sich so silberflammig der Mond in seinem Strahlenpanzer! Nun seh' ich ihn stürmen im rasenden Sturm über den Platz des heiligen Marcus. Nun braust er die Stiege herauf. – Zu mir – zu mir – –


Faust und der Doge treten ein.


FAUST. Mehr Lichter, Wärterin, besorgt nach diesem Theil des Gemachs; doch stellt sie sorgsam so, daß nicht Blendung[166] die Kranke treffe. Wie ich Euch sagte, Hoheit zwei nächtige Stunden reichen hin, die Heilung Eurer Nichte zu bewirken; doch muß ich eine Bedingung machen.

DOGE. Und welche, Freund?

FAUST. Daß ich allein sei mit der Kranken, so lange mein Operiren währt, völlig einsam mit ihr und ungestört. Nahte sich ein einzig Wesen dem magnetischen Umkreis, welchen ich ziehe, so wäre die holde Dame ohne Rettung dem Tode verfallen.

DOGE. Nimmermehr kann ich diese Bedingung gestatten. Venedigs erste und schönste Frau in der Nacht allein mit einem Mann – mit einem deutschen Wunderdoctor – –? Nimmermehr das!

FAUST. So stirbt Euer Kind, Eccellenza, stirbt noch in dieser Stunde. Befehlt, Herr, daß man mich in mein Gefängnis zurückführe.

DOGE. Halt einen Augenblick! Er naht sich dem Lager der Kranken. Soll dieser holdseligste Liebreiz, wie er je seit der Welten Schöpfung ein Weib geschmückt, soll er für immer zu Grunde und Grabe gehen? Das wäre gräßlich? Wohlan, Herr, auf Euer Gewissen wälze[167] ich allein jede mögliche Folge. Ihr sollt allein ganz ungestört sein mit dem Kleinod meines Lebens. Ich gehe; aber verschließe Euch der Himmel in alle Ewigkeit seine Thore, wenn Ihr Eure Gewalt nur so weit mißbraucht, als ein Haar beträgt! Ihr hört es; den Frevler strafe Gottes Weltgericht!


Geht ab.


Faust allein mit Fiordiligi.


FAUST nähert sich dem Krankenlager mit einem Armleuchter.

Ha, welch ein Anblick! Himmel, wel'ch ein Weib!

War solch ein Kleinod in der ganzen Schöpfung,

Der weiten, unermeßlich-grenzenlosen?

Ha, Fiordiligi, welche Wonne Dich zu schaun!

Dir nah zu weilen, welche Seligkeit!

Es fassen mich der Lieb'sentzückung Schauer an;

Vergehen müßt ich vor dem süßen Angesicht,

Zerlodern gegenüber diesem Göttergliederbau,

Wär nicht mein Sinn und Thun und Denken ganz naturgeweiht.

So, Lieblichste und Schönste, leg'ich mich meine Hand auf Dich,

Auf Deine Lilienstirn, die tiefer Traum umwebt.

So Deiner Fieberwange nah' ich nun die meinige,

Und innerst Glühen zündet mir das tiefste Herz.[168]

Du regst Dich; sieh, Dein holder Arm erhebt sich nun

Und sinket wieder wie in seliger Ermattung hin.

O selig Sinken, Hingegeben, ganz bewußtlos, aller Kraft beraubt,

Nun, tiefes, tiefes Ruhen; selbst den Ambraduft

Des Odems, ihn empfind' ich selbst nicht mehr.

Ein leises Glühn ersteigt auf Deinem Antlitz nun,

Vom Rosenlicht zum Purpur röthet sich die Lippe schnell,

Sie zuckt, sie schwellt im goldnen Traum entgegen mir.

O dieser Lippen Zauberreiz – so Mund auf Mund zu ruhn mit Dir

In süßer, aber andachtweihevoller Einigung! –

Ihr Götter der Natur, beschirmt mich!


Er küßt sie.


O höchste Wonne, Paradieses Seligkeit eröffnet sich.

Dich küss' ich wieder, wieder, immer wieder schlürf' ich diesen Purpurkelch,

Und Kuß auf Kuß erweck' ich Dich zur Lebensgluth,

Und Kuß auf Kuß begrab' ich Dich auf's neu in heißen Tod.

Ha, Faust, was thust Du? Weihevoller Mann, besinne Dich!

Nicht eine schwache Beute, ein Erlöser sollst Du sein.

Das Leben zu ertragen, war das nicht der Blum weiser Spruch?

Nun, so ertrage diesen höchsten Lebenslustreiz auch!


[169] Er beginnt die magnetische Manipulation.


Welch' bräutlich Duften! Welches Liebesodems heiße Gluth!

Gleichwie aus tiefen blauen Blumenkelchen dringt herauf die Seligkeit!

Ich fühl's, wie stürmischer in meinen Adern rinnt mein Blut,

Ich fühle, wie der Satan der Versuchung mir im Busen tief entbrennt.

Götter der Erde, schützet mich in diesem Graun des Kampfs,

Des schaurig sel'gen! Ruf' ich auch des Himmels gute Geister an?

Ach wehe, wehe! immer heißer lodert's auf in mir.

Der jungfräulichsten reinsten Schönheit Duft bewältigt mich,

Erwecken soll ich sie? Nein, tödten wird sie meines Herzens Loderkraft!

Ha, Fiordiligi, hätt' ich nimmer Dich zu retten angelobt!

Sie regt sich; wieder zuckt so wollustreich der süße Gliederbau.

O grausam Schicksal, nächtiges Verhängniß Du,

Das unaufhaltsam mich zur heißen Sünde Wonnegraus

Dahinreißt in dem höchsten Weiheaugenblick! –

Und wieder regt sich, athmet dieser glühnde Mund,[170]

Sie ruft mich. Ist's nicht so? Bethört mich Fiebertraum?

FIORDILIGI. Freund, geliebtster, warum stehst Du doch so fern? Nahe, o nahe Dich mir, sieh, die Arme öffne ich Dir weit mit glühendem Verlangen. Komm, ach komm!

FAUST. Ha, ruf'st Du so, Schönste der Schönen? Nun, so fluch' ich Dir, Enthaltsamkeit. An Deine Brust, Gipfelreiz der Sünde; in deine Arme, Hölle, werf' ich mich! Meines Lebens Ewigkeit verspiel' ich um diese Rose! –

FIORDILIGI im Traum. O Faust, Faust!


Quelle:
Marlow, F. [d.i. Ludwig Hermann Wolfram]: Faust. Ein dramatisches Gedicht in drei Abschnitten, Neu herausgegeben und mit einer biographischen Einleitung versehen von Otto Neurath, II. Teil: Text des Faust, Berlin [1906], S. 166-171.
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