123. Neu-Jahrs-Gedanken

[347] 1734.


Für uns gesalbtes Haupt,

Für uns gezeugter Same,[347]

Für uns genanter Name,

Für jeden, der es glaubt:

Du stehst vor Deinen Thronen,

Wo Majestäten wohnen;

Du siehst diß kleine Heer.

Ach! wenns das Grosse wär!


Wir leben ja darum,

Daß wir dem Jesu leben,

Der sich für uns gegeben,

Wir suchen um und um

Im Grossen wie im Kleinen,

Es treu mit Ihm zu meynen:

Wir suchens: Aber ach!

Das ist noch nicht die Sach.


Dich lieben, lieber Gott!

Das ist zur Pflicht geworden

Bey dem gefallnen Orden,

Herr, Dir und uns zum Spott.

Dich lieben, Dich umfassen,

Sich Deinen Händen lassen,

War erst der Creatur

Pur lautere Natur.


Wir haben abermal,

Du Alter ausser Jahren,

Ein Jahr daher erfahren

Den Trieb der Gnadenwahl,

(Wir greiffens mit den Händen,)

Sie läßt ihr Werk nicht schänden:

Und wers nicht sehen kan,

Der ist ein blinder Mann.


Ja, Amen! Du hast recht,

Dein Ja ist Ja geblieben,

Und Herrnhut ist beklieben,

Dein eigenes Geschlecht.[348]

Dein Rein wird Rein bedeuten,

Durch alle Ewigkeiten;

Sprichst Du zu etwas Nein,

Das fall uns nimmer ein.


Wer ist nun noch bey Gott?

Ihr Brüder, wer kans sagen?

Doch ists auch Noth zu fragen:

Solt ein gerechter Loth

In Sodoms Sünden-Mauren

Bey seinem Gotte dauren,

Und wir bey Salems Schein

Der Liebe untreu seyn?


O nein! in unsrer Schul

Lernt man zu Christi Füssen

Von Gnad auf Treue schliessen,

Vom Kampf auf Christi Stuhl,

Wir lernen uns verkennen,

Wir lernen Jesum nennen,

Und jedes Wort das haft't,

Und wird zu Geist und Kraft.


Erscheine, grosser Freund!

In Deiner Creutz-Gemeine,

In Herrlichkeit erscheine:

Errette manchen Feind

Zu diesen Gnaden-Stunden

Im Steinritz Deiner Wunden,

Bis er mit uns zugleich

Liebt die Geduld am Reich.


Uns aber segne Du

Mit einem neuen Segen

Auf unsren Gnaden-Wegen:

Gib der Gemeine Ruh,

Den Aeltsten Liebes-Blikke,

Den Wirkenden Geschikke,[349]

Den Wanderern ein Dach,

Den Müden Dein Gemach.


Gib Männern Muth zum Streit,

Den Weibern Sabbaths-Stille,

Den Witwen Deine Hülle,

Den Jungfraun Heiligkeit,

Den Junggesellen Beugung,

Den Schülern neue Zeugung,

Sey unsrer Lämmer Hirt,

Und unsrer Gäste Wirth.


Quelle:
Nikolaus Ludwig von Zinzendorf: Ergänzungsbände zu den Hauptschriften, Band 2, Hildesheim 1964, S. 347-350.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Klopstock, Friedrich Gottlieb

Hermanns Schlacht. Ein Bardiet für die Schaubühne

Hermanns Schlacht. Ein Bardiet für die Schaubühne

Von einem Felsgipfel im Teutoburger Wald im Jahre 9 n.Chr. beobachten Barden die entscheidende Schlacht, in der Arminius der Cheruskerfürst das römische Heer vernichtet. Klopstock schrieb dieses - für ihn bezeichnende - vaterländische Weihespiel in den Jahren 1766 und 1767 in Kopenhagen, wo ihm der dänische König eine Pension gewährt hatte.

76 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon