Vierter Auftritt.

[247] Die Vorigen. Abellino schleicht langsam aus dem Hintergrund hervor. Zwei Dalmatier folgen ihm wachend mit entblößten Degen. Geräusch des Schreckens durch die ganze Versammlung.


CONTARINO schaudernd.

Daß der Abgrund ...!

MEMMO.

Gott sei bei uns!

DOGE auffahrend.

He, was wagt der Bösewicht?

ROSAMUNDE ängstlich.

Oheim, Oheim! Laßt gewähren,

Denkt der Vollmacht Flodoardo's.

ABELLINO indem er sich aus seiner geduckten Stellung aufstreckt und den Verschwornen nahet.

Pulvis sumus, sumus umbra!


Lange Pause. Todtenstille.


Weh! das Schifflein unsrer Hoffnung

Hängt am Felsenriff geborsten!

Seine Ruder sind gebrochen,

Und das Meer verschlingt die Wimpel. –

Auf! den letzten Sprung gethan,

An das Ufer des Erbarmens,

Oder – in die Fluth der Tiefe!

Auf! ich schreite Euch voran!


Indem er sich gegen den Dogen wendet und ehrfurchtsvoll vor ihm niederkniet.


Trauer bracht' ich und Entsetzen

Ueber Euer heil'ges Haupt.[248]

Es erfüllte mich mit Leid. –

Doch nur um Gerechtigkeit,

Nicht um Gnade, will ich flehen.

Hier, durchlauchter Herr, das Blutgeld!

Hier der Beutel voll Zechinen,

Welchen mir Parozzi gab,

Als er zu Canari's Morde

Meine scharfen Dolche borgte,

Hier ein zweiter, den er trunken

Nach der That mir an den Hals warf.

Seht, sein eigner ist's! Sein Wappen

Glänzt da golden eingestickt.


Er legt die beiden Beutel zu des Dogen Füßen.


PAROZZI wüthend.

Unthier! Unthier! gift'ger Drache!

Den die Höll' ins Leben spie,

Wann trieb ich gemeine Sache

Mit dir, Ungeheuer? – Nie! –

Nie hat dich zuvor mein Auge

Irgendwo erblickt. Wer bist du?

Und wie wagst du, deine Blutschuld

Reinen Händen aufzulügen?

Sagt, Venetianer, sagt,

Wer ist diese Mißgestalt,

Die das Zeichen Kains trägt?

Sagt, wer suchte aus dem tiefsten

Koth des Pöbels sie hervor,

Um, mit dem gestohlnen Beutel,

Eben heut, und eben hier,

Mir Verbrechen zu beweisen?[249]

DOGE zu Abellino mit Abscheu.

Unhold! fort vor meinen Füßen!

Dich umschwebt noch Leichenduft!

Fort, und trage deine Sache

Mit den edeln Herren aus.

ABELLINO steht auf.

Hei, die ist bald ausgetragen,

Ihnen trägt sie Stoppeln ein!


Zu Parozzi.


Also habt Ihr über Nacht

Mich denn ganz und gar vergessen? –

Große Herren, kurz Gedächtniß! ...

Aber, Contarino, Ihr

Werdet Euch doch mein erinnern?

Wißt Ihr, als Ihr, laut Beschluß

Eurer Freunde, mir gebotet,

Dandolo aufs Korn zu nehmen, –

Wißt Ihr, wie auf Eurer Brust

Mir das goldne Kreuz gefiel,

Und Ihr's von der Kette risset,

Mich mit Eurer Huld zu zieren?

Schaut, heut trag' ichs, Euch zu Ehren.

CONTARINO.

Scheusal, wenn, was ich verlor,

Du im Gassenkehricht fandest,

Hebe nicht den Koth zugleich auf,

Meine Ehre zu beflecken.

Ekelhafter, als die Kröte

Die in faulen Winkeln faucht,

Wärst du längst von mir zertreten,

Hätt' ich jemals dich begegnet.[250]

ABELLINO gegen den Dogen gewandt.

Hier die unberührten Summen

Für das Leben Dandolo's;


Er legt zwei Beutel zu den andern am Boden.


Und das goldne Kreuz dazu.

Falieri, wollt auch Ihr

Euern alten Freund verläugnen?

FALIERI verächtlich von ihm gewendet.

Schurke! sprich mit deines Gleichen!

ABELLINO zu Tolomeo.

Aber Ihr, hochwürd'ger Herr,

Gestern wolltet Ihr, voll Gnaden,

Mich zum Messer Grand' erheben,

Mich zum Haupte aller Sbirren!

Wie verricht' ich heut mein Amt?

TOLOMEO erhebt sich im Sessel, gegen den Herzog gewandt.

Eure Ehrfurcht für die Kirche,

Mein durchlauchter Herzog, wird,

Hoff ich, unter Euern Augen

Meine priesterliche Würde

Nicht dem Spott des Pöbels lassen.

Darum bitt' ich, zu erlauben,

Daß ich mich von hier entferne.


Will gehen.


DOGE hastig.

Bleibt! – Ihr seid wohl schwer beschuldigt;

Und die Wachten des Palastes

Halten Thor und Thür gesperrt.

TOLOMEO.

Ich bin Römer; im Gefolge[251]

Eines päpstlichen Legaten;

Schon, als Priester, nicht dem Stab

Weltlicher Gerichtsbarkeit

Unterworfen ...

DOGE.

Ich erkläre

Euch, wie jene Angeklagten,

Bis die Sachen heiter worden,

Zu Verhafteten des Staats.

ABELLINO.

Heiter soll der Handel werden

Gleich der Luft nach Wetterschauern!


Zu den Verschwornen.


Mir entwischet Ihr nicht mehr.

Wie des bösen Geistes Kralle

Eure armen Seelen, lass' ich

Euer zappelndes Gewissen

Nimmer aus den Klauen fahren.

Und mit Skorpionengeißeln

Will ich das Gedächtniß Euch

Aus dem Todtenschlafe jagen.

Horchet, horcht! Hier klirren Schlüssel

Vom Geheimniß der Verschwörung.

He! wer kennt dies schwarze Heft?


Er schüttelt ein schwarzgebundenes Papierheft in die Höhe.


PAROZZI plötzlich aufzuckend.

Ha, Verdammter!


Er sinkt dumpf in sich zusammen.


ABELLINO tückisch lachend.

Hi, hi, hi!

Hier die Rechnung aller Summen

Des hochwürdigen Abbate![252]

Hier ans Volk Verkündigungen,

Nach vollbrachter Umwälzung.

Hier der Plan, die Unterschriften

Und die Briefe dieser Herrn.

Hier die Liste aller Opfer,

Die sie meinem Dolche weihten!

Rosamunde oben an,

Deren heilig schönes Leben

Ich dem tölpischen Matteo

Guten Glückes abgewann. –

Eine grausenhafte Reihe!

Flodoardo schließt den Zug,

Und ein reicher Vetter Memmo's,

Der, bei vollen Silber-Kisten,

Allzuzähes Leben hat.


Pause.


Kennt Ihr, Herrn, den Abellino?


Sie andonnernd.


Auf, ermannet Euch, Verbrecher,

Euer jüngster Tag ist da,

Und erschienen ist der Rächer! –

Wem zuerst von Euch die Reue

Den verschloss'nen Mund erbricht,

Ihm soll Gnade widerfahren.


Pause.


Wie sie dastehn, bleich und schauernd;

Stumm die schuldbeladnen Häupter

Zur erstarrten Brust gesenkt!

Und dort drüben Heil'ge Gottes

Ihnen traurig gegenüber!

Also werden sich dereinst,[253]

An des Weltgerichtes Morgen,

Vor dem Stuhle des Vergelters,

Sel'ge und Verdammte scheiden.

CONTARINO halblaut zu Memmo, den er anstößt.

Memmo, warum schweigst du immer?

MEMMO.

Was denn? soll ich? ...

CONTARINO.

Reden, reden!

MEMMO mit Jammerblick auf ihn.

Also muß ich? – Muß ich reden?


Er schwankt langsam einen Schritt vor, fällt aufs Knie und streckt die Hände gegen den Dogen.


Gnade, o durchlauchter Herzog!

Willig wollen wir und reuig

Die Verirrung eingestehn.

Meine Richter aber werden

Nicht in mir den Rädelsführer,

Sondern den Verführten sehn ...

Alle zugleich schreiend.

PAROZZI verzweiflungsvoll einfallend.

Hört ihn nicht, Venetianer,

Angst hat ihm das Hirn verwirrt!

CONTARINO.

Stille, still! Verdammter, schweig!

Wer hat dich dazu gerufen?

FALIERI.

Ist vom Teufel der besessen?

Wahnsinn alles! eitel Wahnsinn!

TOLOMEO.

Ach, die Schurken! Also liefern

Sie sich selber an den Strang![254]

MEMMO steht erschrocken auf, geht zu den Verschworenen, die sich von ihm zurückziehen.

ABELLINO mit gebieterischer Stimme.

Schweigt! Die Mine ist gesprungen!

Bei St. Peter und St. Paul,

Euer Lied ist ausgesungen!

Fort! fort! in die stillen Kammern,

Die Euch schon bereitet stehn;

Dort versöhnt Euch mit dem Himmel.

PAROZZI mit Verzichtung.

Hört mich, Edle von Venedig!

Hört mich! – Ist es denn beschlossen,

Will man uns verderben sehn –

Nun so sei es. Aber wisset,

Wir sind schuldlos. Lug und Trug,

Und Parteisucht will uns morden.

Könnt Ihr's dulden? – Was uns heut

Wider alles Recht geschieht,

Kann Euch morgen widerfahren.

Wollt Ihr's dulden? – Ihr seid Zeugen,

Daß der Herzog selbst befahl,

Keiner soll den Saal verlassen. –

Doch wohin ist Flodoardo?

Offen klag' ich vor Venedig

Der Parteisucht, der Gewaltthat

Euch, Andreas Gritti, an.

Unsre freien Männerstimmen

Im Senate, gegen Willkür,

Hatten Euern Stolz empört.

Die sind unsere Verbrechen![255]

Darum dürstet Eure Rachsucht;

Darum mußte Euer Günstling,

Jener freche Abenteurer,

Flodoardo Mocenigho,

Uns, an ungewohntem Orte,

Hier mit Klagen überfallen;

Er, den die Gerichte schon

Selbst, als Angeklagten, rufen.

Eh' wir Antwort geben konnten,

Ließt Ihr aber ihn entwischen,

Wider das gegebne Wort.

Will man uns in Kerker schleppen,

Schleppt den Flodoardo mit.

Will man ihn entrinnen lassen,

So gebührt auch uns die Freiheit.

ABELLINO.

Don Parozzi, Euer Witz

Stöhnet in den letzten Aengsten.

Denn bei der Bedingung sehet

Ihr die Freiheit nimmer wieder.

Flodoardo Mocenigho

Steht noch mitten unter Euch ...

Abellino hat's vollbracht;

Flodoardo kehre wieder!


Er wirft Netzkappe, Falschhaar, Pflaster, Mantel und Wamms ab, steht als Flodoardo da, und spricht mit dessen eigner Stimme.


Jetzt ihr Herren, mögt ihr mir

Sämmtlich in die Karte schau'n!


Die Verschwornen fahren zusammen. Lautes Geräusch des Erstaunens durch die Versammlung.
[256]

DOGE erhebt sich jach vom Sessel, sinkt langsam zurück, und spricht in tiefster Bewegung mit unterdrücktem Ton des Schmerzes.

Höllisch Wesen! – Weh, wie wird mir? ...

Er der Mörder! ... Schwarze Lüge!

Wüstes Blendwerk meiner Sinnen!

Kann ein Mensch mit seinem Todfeind,

Nebeln gleich, zusammenrinnen?

Und doch ist er's! Er steht da! ...

ROSAMUNDE die bei Abellino's Verwandlung ihr Antlitz verhüllte, tritt zum Dogen, ihre eignen Gefühle bekämpfend.

Mein erlauchter Oheim ... Vater ...

Ihr entfärbt Euch ... Eure Blicke ...

Ruhet ... sammelt Eure Kraft.

Laßt dies grauenvolle Räthsel,

Wenn es kann, sich selbst entwirren.

Richtet nicht! ... Ihr gabt ihm Vollmacht ...

Und er bat, – erinnert Euch –

Um Vertrau'n, was immerhin

Sich vor uns ereignen möge ...

FLODOARDO der mehrmals zum Dogen zu reden versuchte, als er dessen Bewegungen bemerkte.

Darf ich ... hab' ich Euch verstanden?

Nur ein Wort ...

DOGE zu Rosamunden, ohne ihn zu hören.

O still! o still!

Fluche, Kind, des blöden Alters

Allzugläub'ger Zuversicht.[257]

Sieh, da steht er! – Er ist's selber? –

Gram- und schamlos freut er sich

Der verbrecherischen Tugend.

Al, so kann des Himmels Erbfeind

Auch des Himmels Werk verrichten?

Mußte dieser kalte Würger,

Für die Rettung von Venedig, –

Mußt' er seinen Höllengeistern

Blut'ge Menschenopfer weih'n?

Und – das Blut der besten Bürger? ...

Fort! – mit Allen in die Kerker!

ROSAMUNDE vor ihm kniend.

Oheim! um der Heil'gen willen,

Höret ihn, eh' Ihr verdammt!

Ist's kein Gaukelspiel des Bösen,

Ist er's selber, so verläßt

Eh' die Sonne ihren Himmel,

Als der Ritter seine Ehre.

DOGE halblaut.

Fort! Man zeigt auf dich mit Fingern;

Heißt dich die Banditenbraut.


Laut.


Fort! der Mörder mit den Andern!

Laßt sie in die Kerker wandern.

DIE VERSCHWORNEN alle mit Geschrei durch einander.

Nicht zum Kerker! Stoßt ihn nieder!

Nieder mit dem Meuchelmörder!

Er allein hat Blut vergossen!

Stoßt ihn nieder! Nicht zum Kerker![258]

FALIERI mit Wildheit.

Ohne Gnade! macht ihn nieder!

TOLOMEO.

Nieder! Er treibt schwarze Kunst,

Steht im Bund mit bösen Geistern.

Nieder, eh' er Euch entrinnt!

CONTARINO.

Alles, Alles ist sein Werk!

Wie die hohe Signoria,

Hat er alle Welt belogen,

Und die Republik verwirrt.

Uns verführt' er als Bandit,

Zu vermessenen Entwürfen,

Während er, als Flodoardo,

Gleisnerisch den Retter spielte,

Um in Würden aufzusteigen.

Wir sind rein! An seinen Fingern

Klebt vergoßnes Bürger-Blut!

FLODOARDO.

Schweigt. Ihr fühlt des Himmels Zorn

Donnert Euch zum Abgrund nieder.

Wie einst die gefallnen Engel

Den Erzstreiter Michael,

Wollt Ihr mich, im Sturze, mit Euch

In die Höll' hinunterzerren.

Aber Eure Angst umklammert

Meinen Schatten nur, nicht mich.

Traun, ich bin Bandit geworden.

Seit geraumer Zeit schon hatten

Leichen, mit dem blut'gen Mund

Ihrer Wunden, uns das Dasein[259]

Eurer Mörderzunft verklagt.

Eitel forschte man ihr nach;

Und mich jammerte der Stadt

Da beschloß ich, was Beamten

Und Behörden nicht gelungen,

Einzig und allein zu wagen.

So kann auch das Kind die Nadel

Mühelos vom Boden heben,

Was zwölf riesenstarken Männern

Nicht in gleicher Zeit gelingt.

Und ich ward Bandit. Ich spürte

Glücklich aus das Mordgelichter

Und zugleich die dunkle Hand,

Welche alle Dolche lenkte.

Da beschloß ich, ich allein

Wolle Mittelpunkt von allem

Lastervolk Venedigs sein;

Ueberlieferte die Rotte

Der Banditen den Gerichten;

Kündigte mich allen Kunden

Keck als Abellino an;

Und gab meinen eignen Thaten

Schauerliche Ruchbarkeit.

So erwarb ich wunderschnell

Das Vertrauen der Verruchten.


Zu den Verschwornen.


Klagt mich nicht als Mörder an.

Ihr – Ihr waret es! nicht ich!

CONTARINO.

Abenteuerliche Mährchen

Zu ersinnen, bist du flink.[260]

Schuldlos stehn wir. Ueber dich

Komme heut das Blut Canari's

Und des edeln Dandolo.

FLODOARDO.

Meiner Unschuld Zeugen harren!

Muß ich die Ermordeten

Wieder aus den Gräbern wecken,

Daß sie Euch der Lüge zeih'n?

Auf denn, auf, ihr meine Todten!

Es ist an der Zeit, wacht auf!


Er eilt schnell zur Thür des Hintergrundes.


Quelle:
Heinrich Zschokke: Gesammelte Schriften. Band 15, Aarau 1865, S. 247-261.
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