Einspannung

[249] Einspannung. Als Einspannung eines Stabes bezeichnet man die Festhaltung eines Stabendes, durch welche die freie Drehung des Querschnitts am Ende der freien Länge (der Lichtweite) bei der Biegung verhindert wird. Eine [249] vollkommene Einspannung würde man haben, wenn jede Bewegung jenes Einspannungsquerschnitts ausgeschlossen wäre und damit nach den Voraussetzungen der Biegungstheorie (Bd. 1, S. 792) auch die Stabachse an der Einspannungsstelle von unveränderlicher Richtung bliebe. Dies setzt jedoch voraus, daß das Material unter dem Einflusse der Widerstände, welche die Einspannung bewirken, gar keine Formänderungen erlitte, so daß eine vollkommene Einspannung praktisch nicht erreichbar ist [1], wie auch in andern Fällen keine starren Stützen existieren und z.B. bei durchlaufenden Balken die Zusammendrückung des Stützenmaterials von Einfluß auf die Beanspruchungen werden kann (Bd. 1, S. 512). Die Wirklichkeit wird stets zwischen den zwei Extremen vollkommener Einspannung und vollkommen freier Drehbarkeit liegen; sie kann aber je nach der Art der Einspannung und dem Material der einspannenden Körper der vollkommenen Einspannung nahekommen (Knickversuche mit eingespannten Stäben u.s.w.). Sobald die Senkung und Neigung der Einspannungsquerschnitte oder Achsenden durch Beobachtung oder Rechnung festgestellt sind, läßt sich deren Einfluß auf die Beanspruchungen der gebräuchlichen Balken (s.d.) und Bogen (s.d.) bestimmen, da entsprechende Formeln für dieselben auf solche Bewegungen Rücksicht nehmen. Vgl. bezüglich nicht horizontaler Einspannung von Balken Bd. 1, S. 505, von Bogen Bd. 2, S. 160. Näheres in [2], [9]. In vielen Fällen ist man auf Schätzungen angewiesen und dann gilt für Querschnittsermittlungen u.s.w. die Regel, eher zu ungünstig als zu günstig zu rechnen (s. Dimensionenberechnung). Bei Balken mit einem festgespannten und einem freischwebenden Ende (Freiträger, Fig. 9, 10), welche für Balkons, Galerien u.s.w. im Hochbau sehr häufig Verwendung finden, hat die theoretische Unvollkommenheit der Einspannung bei sonst richtiger Ausführung keinen in Betracht kommenden Einfluß auf die Beanspruchungen. Für Balken auf zwei Stützen sind die Beanspruchungen bei freier Auflagerung um die Mitte, bei Einspannung gegen die Enden am größten. Man hat nun bei Querträgern, Schienenträgern u.s.w. von Brücken häufig so gerechnet, daß die Dimensionen und Befestigungsmittel den jeweilig ungünstigsten der beiden Grenzfälle angepaßt wurden [2], S. 152, vgl. [9], S. 301. Soll der Träger konstanten Querschnitt erhalten, so ist bei freier Auflagerung das größte Widerstandsmoment (s. Bd. 1, S. 520, Bd. 1, S. 793, 794) erforderlich. Infolge der Annahme vollkommener Einspannung bei eingemauerten Balken des Hochbaues erwiesen sich die gewählten Profile mehrfach nachträglich als zu schwach, so daß mit Recht empfohlen wurde, die Profile in allen solchen Fällen wie bei freier Auflagerung anzunehmen [5]. Zu beachten ist bei Einmauerungen, daß die Beziehungen für Balken freie Beweglichkeit in einer der Längsrichtungen voraussetzen; die Außerachtlassung dieses Umstandes kann bei starken Temperaturänderungen (Brände) auch zur Zerstörung des Mauerwerks führen [4]. Bei Brückenbogen mit eingespannten Enden (Bogen ohne Gelenke) kann man sich von dem Einflusse unbeabsichtigter Bewegungen der Endquerschnitte auf die Beanspruchungen in ähnlicher Weise zahlenmäßig Rechenschaft geben, wie bei Bogen mit frei drehbaren Enden (Bogen mit Kämpfergelenken) von dem Einflusse kleiner Aenderungen der Spannweite [9], S. 279.

Die vorstehenden allgemeinen Gesichtspunkte betreffen zunächst die freie Stablänge; es kommen aber auch die Verhältnisse der eingespannten Enden in Betracht. Dieselben sind von der Art der Einspannung abhängig, sie wurden aber gewöhnlich nur für den einerseits eingespannten, anderseits freischwebenden Balken behandelt. (Die Tabelle S. 252 ist in der ersten Auflage dieses Werks erstmals gegeben.) Praktisch interessieren nur die Verhältnisse bei horizontalen Balkenträgern. M und V seien das Biegungsmoment und die Querkraft im Einspannungsquerschnitt eines solchen; sie lassen sich für alle Arten und Beladungen horizontaler Balken nach den in den Artikeln Balken (auch einfache und durchlaufende) und Elastische Linie gegebenen Gleichungen berechnen. Erfolgt die Einspannung lediglich durch Festhalten des Endquerschnitts, so ist in letzterem der Querkraft V und dem Stützenmoment M zu widerstehen (Fig. 1). Ueber die Verteilung von V und M auf die Querschnittselemente und über die resultierenden schiefen Spannungen gibt die Biegungslehre Aufschluß (Bd. 1, S. 792), wonach die Berechnung der gewählten Verbindungsmittel vorgenommen werden kann. Man nähert sich dem fraglichen Falle z.B. wenn die Verbindung eines Blechträgers mit einem steifen Hauptträger durch vertikale Nietreihen in Anschlußblechen erfolgt, und kann dann um so eher vollkommene Einspannung annehmen,[250] als M damit zu groß, die Nieten zu ungünstig beansprucht erscheinen. – Einen zweiten, leicht zu übersehenden Fall hat man, wenn am Ende 0 der freien Stablänge ein Auflager angeordnet ist, während an dem darüber hinausreichenden Stabende nur ein weiterer Widerstand Q in Entfernung e wirkt (Fig. 2). Zu dem von den Latten diesseits 0 herrührenden Teil V der Auflagerreaktion kommt dann noch ein Teil W infolge der äußeren Kräfte jenseits 0. Bei Vernachlässigung des Eigengewichts des Stabendes erfordert das Gleichgewicht im Einspannungsquerschnitt M = – Q e, W = Q, wonach der Widerstand Q und die ganze Reaktion bei 0:


Einspannung

Beispielsweise ergeben sich für den Fall Fig. 3 mit M = – Pl, V = P:


Einspannung

und für den Fall Fig. 4 mit


Einspannung

Wird die Einspannung so bewirkt, daß durch M, V zwischen 0 und dem um c entfernten innersten Querschnitt irgend welche Widerstände Q1, Q2, ... in Entfernungen ex, e2, ... von 0 entstehen (positiv nach unten, negativ nach oben, Fig. 5), dann folgen analog 1.:


Einspannung

Diese rein statischen Gleichungen sind jedenfalls zu erfüllen.

Faßt man den gewöhnlich vorausgesetzten Fall Fig. 6 der Einspannung durch zwei horizontale Wände ins Auge, wobei an der Stelle 0 kein Auflager liegt, welches eine endliche Reaktion zu leisten vermag, dann muß sein:


Einspannung

Es fragt sich nun, wie die Widerstände Q auf die Einspannungswände verteilt sind? Bei den bisher behandelten Einspannungen dieser Art wurde meist angenommen, daß die Druckflächen von konstanter Breite b, die Widerstände q pro Flächeneinheit in beliebigen Entfernungen e proportional deren Abständen e – k von einem um irgend eine Strecke k von 0 entfernten Querschnitt zwischen 0 und c seien (Fig. 7, 8). Die größten Beanspruchungen pro Flächeneinheit der Einspannungswände treten dann bei 0 und c ein. Neben ihnen kann interessieren das größte Biegungsmoment Mx des eingespannten Stabendes, welches nicht, wie vorausgesetzt zu werden pflegt, mit M übereinstimmt, und die größte Vertikalkraft Vx von entgegengesetzten Vorzeichen wie V (Allgemeines über Mx, Vx s. Bd. 1, S. 504), welche ebenfalls größer wie V werden kann. Die Veränderlichkeit von Mx, Vx innerhalb des eingespannten Stabstücks ist in Fig. 15 angedeutet. Die wesentlichen Resultate der Ableitung für die gewöhnlichsten Fälle und den allgemeinsten Fall sind in der Tabelle S. 252 zusammengestellt. Alle Beanspruchungen der Einspannungswände bedeuten Druck pro Flächeneinheit, die Minuszeichen der Werte von qc beziehen sich nur auf die Richtung von unten nach oben. Aus den Formeln für q0, qc kann berechnet werden, welche Breite b oder Einspannungstiefe c nötig ist, damit gewisse Beanspruchungen nicht überschritten werden. Die Formeln für die Fälle III-VI gelten unter der üblichen Vernachlässigung der Stabendendrehung infolge Zusammendrückung des Materials; man erhält damit etwas zu ungünstige q0, qc. Das Moment Md nähert sich um so mehr dem Werte M, je kleiner c ist, und würde für c = 0 den Wert M erreichen; die Einspannung könnte dann nur durch Festhaltung des Einspannungsquerschnitts bewirkt sein (Fig. 1). Die angeführten q0, qc entstehen durch die Belastung der freien Länge des Stabes oder allgemeiner durch die V, M allein. Käme noch eine auf die Einspannungswände gleichmäßig verteilte Last G hinzu (Fig 16), so würden die Widerstände bei 0 und c gleich q0G/bc und qc + G/bc, worin q0, qc wie oben bestimmt, wonach alle Widerstände größer als ohne Belastung. Für das eingespannte Stabende würden zwar die Md, Vk wie die Mx, Vx aller Querschnitte ungeändert bleiben; doch hätten die Längsschnitte neben den von den Mx, Vx herrührenden Längsschubspannungen τ (Bd. 1, S. 792) noch G aufzunehmen, so daß z.B. bei I-Trägern für genügende Sicherheit gegen Knicken oder seitliches Ausbiegen des Stegs gesorgt werden müßte.

Mitunter wurde anstatt der Druckverteilung nach Fig. 7, 8 diejenige nach Fig. 17 in Betracht gezogen [8], wobei die q0, qc sich ebenso groß wie oben ergeben und die Differenzen der q bei jedem Querschnitte wie die q im Falle von Fig. 7, 8 werden, so daß die Mx, Vx ungeändert bleiben. Uebrigens können beide vorgeführten Anschauungen nur als Notbehelf gelten. [252] Während die Druckverteilungsgesetze Fig. 8, 17 um so weniger der Wirklichkeit entsprechen, je länger und biegsamer die eingespannten Stabenden sind, wird die Einspannung um so unvollkommener, je kürzer diese Stabenden ausfallen und je nachgiebiger das Material der Einspannungswände ist. Dies steht mit (anderwärts zu gebenden) Ableitungen auf Grund der Biegungstheorie im Einklang.


Literatur: [1] Navier, Resumé des lecons données à l'ecole des ponts et chaussées etc., III. edition, par Saint-Venant, I, Paris 1864, S. 518, u.a. – [2] Weyrauch, Allgemeine Theorie und Berechnung der kontinuierlichen und einfachen Träger, Leipzig 1873, S. 68, 76, 81, 82, 152 (auch Aufgaben zur Theorie elast. Körper, Leipzig 1885, S. 97, 99, 100, 103). – [3] Laißle und Schübler, Der Bau der Brückenträger, I, Stuttgart 1876, S. 40. – [4] Spillner, Die Einmauerung von T-Trägern, Zentralbl. d. Bauverw. 1883, S. 294. – [5] Brik, Ueber die praktische Unzulässigkeit der Annahme »horizontaler Einspannung« der im Hochbau verwendeten und an den Auflagern übermauerten Eisenträger, Wochenschr. d. österr. Ingen.- u. Arch.-Vereins 1887, S. 161 (vgl. S. 183). – [6] Seipp, Ueber Befestigung von Freiträgern, Zentralbl. d. Bauverw. 1889, S. 159. – [7] Melan, Ueber Einspannung von Trägern in Mauerwerk, Wochenschr. d. österr. Ingen.- u. Arch.-Vereins 1889, S. 229. – [8] Wittmann, Statik der Hochbaukonstruktionen, II, München 1893, S. 118. – [9] Weyrauch, Elastische Bogenträger, München 1897, S. 99, 204, 233, 239. – [10] Bach, Elastizität und Fertigkeit, Berlin 1902, S. 458.

Weyrauch.

Fig. 1.
Fig. 1.
Fig. 2., Fig. 3., Fig. 4., Fig. 5.
Fig. 2., Fig. 3., Fig. 4., Fig. 5.
Fig. 6.
Fig. 6.
Fig. 7., Fig. 8.
Fig. 7., Fig. 8.
 Fig. 9–15.
Fig. 9–15.
Fig. 16.
Fig. 16.
Fig. 17.
Fig. 17.
Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 3 Stuttgart, Leipzig 1906., S. 249-253.
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249 | 250 | 251 | 252 | 253
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