[530] Fabrikinspektoren, in Preußen Gewerberäte (Regierungs- und Gewerberäte), in andern deutschen Staaten und in der preußischen Lokalverwaltung sowie in Oesterreich Gewerbeinspektoren, in andern Ländern auch Arbeitsinspektoren, Industrieinspektoren genannt, besondere, in der Regel staatliche Beamte zur Ueberwachung der Ausführung der Arbeiterschutzbestimmungen [1].
In allen industriellen Staaten mit Arbeiterschutzgesetzgebung besteht heute eine in ihrer Einrichtung und Wirksamkeit übrigens sehr verschiedene Arbeitsinspektion. In Deutschland gehen die Bestimmungen über die Fabrikinspektion auf die Gewerbeordnung für den Norddeutschen Bund vom 21. Juni 1869 (spätere Reichsgewerbeordnung) zurück, die in § 132 bestimmte, daß da, wo die Aufsicht über die Ausführung der Arbeiterschutzbestimmungen[530] eignen Beamten übertragen ist, denselben bei Ausübung dieser Aufsicht alle amtlichen Befugnisse der Ortspolizeibehörden, insbesondere das Recht zur jederzeitigen Revision der Fabriken zusteht und daß bei amtlichen Revisionen der gewerblichen Anstalten die Besitzer verpflichtet sind, die Revision zu jeder Zeit, namentlich auch in der Nacht, während die Anstalten im Betriebe sind, zu gestatten. Die Gewerbeordnung überließ es also dem Ermessen der Regierungen, ob sie Fabrikinspektoren anstellen wollten oder nicht. Preußen war schon 1853 mit Anstellung einzelner Gewerberäte vorgegangen, andre Bundesstaaten folgten, bis die Gewerbeordnungsnovelle vom 17. Juli 1878 die Anstellung von staatlichen Fabrikinspektoren obligatorisch machte. Jedoch sollte für solche Bezirke, in denen Fabrikbetriebe gar nicht oder nur in geringem Umfange vorhanden sind, durch Beschluß des Bundesrats von der Anstellung besonderer Beamten abgesehen werden können. Die jetzige Ordnung der Fabrikinspektion in Deutschland beruht auf der Novelle zur Gewerbeordnung vom 1. Juni 1891, die einen weiteren Ausbau der Fabrikinspektion brachte. Entsprechend der bei der Internationalen Arbeiterschutzkonferenz in Berlin im Jahre 1890 (s. Arbeiterschutz) getroffenen Vereinbarung bestimmt der § 139 b der Gewerbeordnung in seiner jetzigen Fassung, der auch auf die in § 154 Abs. 24 der Gewerbeordnung bezeichneten Betriebe in bestimmtem Umfang Anwendung findet, daß die Aufsicht über die Ausführung der (in dem Paragraphen näher bezeichneten) Arbeiterschutzbestimmungen ausschließlich oder neben den ordentlichen Polizeibehörden besonderen von den Landesregierungen zu ernennenden Beamten zu übertragen ist. Denselben stehen bei Ausübung dieser Aufsicht alle amtlichen Befugnisse der Ortspolizeibehörden, insbesondere das Recht zur jederzeitigen Revision der Anlagen zu. Sie sind vorbehaltlich der Anzeige von Gesetzwidrigkeiten zur Geheimhaltung der amtlich zu ihrer Kennntnis gelangenden Geschäfts- und Betriebsverhältnisse der ihrer Revision unterliegenden Anlagen zu verpflichten. Die Ordnung der Zuständigkeitsverhältnisse zwischen diesen Beamten und den ordentlichen Polizeibehörden bleibt der verfassungsmäßigen Regelung in den einzelnen Bundesstaaten vorbehalten. Die Beamten haben Jahresberichte über ihre amtliche Tätigkeit zu erstatten, die (bezw. Auszüge aus denselben) dem Bundesrat und dem Reichstag vorzulegen sind. Die auf Grund der gesetzlichen Bestimmungen auszuführenden amtlichen Revisionen müssen die Arbeitgeber zu jeder Zeit, namentlich auch in der Nacht, während des Betriebes gestatten. Die Arbeitgeber sind ferner verpflichtet, den genannten Beamten oder der Polizeibehörde diejenigen statistischen Mitteilungen über die Verhältnisse ihrer Arbeiter zu machen, die vom Bundesrat oder von der Landeszentralbehörde unter Festsetzung der dabei zu beobachtenden Fristen und Formen vorgeschrieben werden. Die Tätigkeit der Fabrikinspektoren beschränkt sich hiernach nicht auf die Revision der Fabriken und der diesen gleichgestellten Betriebe, sondern ist auch auf die Kontrolle der Werkstätten, hinsichtlich der Durchführung der Bestimmungen zum Schutz der Arbeiter gegen Gefahren für Leben und Gesundheit sowie zur Wahrung der guten Sitte und des Anstands, endlich auch auf die Durchführung der Bestimmungen über die Sonntagsruhe (s.d.) ausgedehnt. Das Reichsgesetz vom 30. März 1903, betreffend Kinderarbeit in gewerblichen Betrieben (Reichsgesetzblatt S. 113, s. Kinderschutz), hat sodann in seinem Bereich, soweit nicht durch Bundesratsbeschluß oder durch die Landesregierungen die Auf ficht anderweitig geregelt ist, in § 21 die Bestimmungen des § 139 b der Gewerbeordnung für anwendbar erklärt. 65 des Gewerbeunfallversicherungsgesetzes vom 30. Juni 1900 (s. Unfallversicherung) räumt den Gewerbeinspektoren eine Mitwirkung bei den Untersuchungen vor Betriebsunfällen ein. In einzelnen Staaten (z.B. in Preußen und Sachsen) ist den Fabrikinspektoren auch die Dampfkesselrevision (s. Bd. 2, S. 581) übertragen, ein Umstand, der für die sachgemäße Handhabung der Fabrikinspektion nicht ohne Bedenken ist. Auch sonst ist der Wirkungskreis der Gewerbeaufsichtsbeamten in den einzelnen Staaten zum Teil noch erheblich erweitert worden; so ist ihnen namentlich vielfach eine Mitwirkung bei der Prüfung der Genehmigungsgesuche für gewerbliche Anlagen (s. Bd. 1, S. 219) eingeräumt. Die Organisation der Fabrikinspektion ist Sache der Einzelstaaten, welche die Anstellungs- und Dienstverhältnisse der Inspektoren sowie die Abgrenzung ihrer Funktionen gegenüber denjenigen der Polizeibehörde zu regeln haben. Die Regelung ist in den verschiedenen Dienstanweisungen erfolgt [2]. Im allgemeinen wird von den Fabrikinspektoren entsprechende Schulbildung und längere Beschäftigung in gewerblichen Betrieben verlangt; einzelne Bundesstaaten gehen in ihren Anforderungen noch weiter, oder es werden in zweckmäßiger Weise, je nach den Funktionen, höhere Vorbildung oder nur genügende Erfahrungen in dem gewerblichen Betriebsleben verlangt. Hauptsächlich sind in Deutschland wohl Maschineningenieure und technische Chemiker in der Gewerbeinspektion vertreten. Preußen verlangt nach der Vorbildungsordnung vom 7. September 1897 ein 3 jähriges technisches und ein 11/2 jähriges rechts- und staatswissenschaftliches Studium, außerdem einen 11/2 jährigen Vorbereitungsdienst bei den Gewerbeaufsichtsbehörden und die Ablegung einer besonderen Prüfung.
Der Ausbau der Fabrikinspektion ist von größter Bedeutung und sozialpolitisch von hoher Wichtigkeit. Die Fabrikinspektoren sind geeignet, nicht nur die Durchführung der Arbeiterschutzbestimmungen zu überwachen, sondern auch durch genaue Beobachtung und Ermittlung der beistehenden Zustände und demnächst durch Verwertung ihrer Wahrnehmungen die richtige Erfassung der sozialen Verhältnisse zu erleichtern, gute Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitern zu fördern und am Ausbau der sozialpolitischen Gesetzgebung mitzuarbeiten. Ihre Aufgabe ist es daher, durch Unabhängigkeit und Unparteilichkeit das Vertrauen der Arbeitgeber und der Arbeiter gleichmäßig zu erwerben.
In Würdigung der hohen Bedeutung der Fabrikinspektion lassen sich die Bundesstaaten ihre Ausgestaltung besonders angelegen sein. In Betracht kommt hier vor allem sorgfältige[531] Ausarbeitung und Verarbeitung der Berichte der Fabrikinspektoren, die namentlich auch in arbeitsstatistischer Beziehung viel interessantes Material liefern können, ausreichende Bemessung der Zahl der Fabrikinspektoren und ihres Hilfspersonals (Gewerbeassessoren, Gewerbeinspektionsgehilfen, Assistenten u.s.w.) und damit zweckmäßige Gestaltung der Inspektionsbezirke, Anstellung von weiblichen Aufsichtsbeamten (so Preußen, Sachsen, Württemberg, Baden, Hamburg), Zuziehung von Aerzten zur Fabrikinspektion (z.B. Württemberg) und von Personen aus dem Arbeiterstand (z.B. Württemberg, Baden). Polizeiliche Strafgewalt ist den Gewerbeinspektoren in Deutschland, obwohl es nach § 139 b der Gewerbeordnung gestattet wäre, nirgends eingeräumt.
England hatte schon 1802 eine Aufsicht über die Fabriken angeordnet; gesetzlich eingeführt wurde die Fabrikinspektion im Jahre 1833; durch das Fabrik- und Werkstättengesetz vom 27. Mai 1878 und die späteren Novellen hierzu erhielt sie eine neue Organisation mit einem chief inspector an der Spitze, superintending inspectors (zur Kontrolle der eigentlichen Aufsichtsbeamten), Inspektoren und iunior inspectors (Assistenten, darunter neuerdings auch Arbeiter). Seit einigen Jahren besteht auch Zuziehung weiblicher Hilfskräfte. Besondere Gesundheitsinspektoren überwachen die gesundheitlichen Verhältnisse in den Werkstätten. Oesterreich hat Gewerbeinspektoren seit 1883, die Schweiz seit dem Fabrikgesetz vom 23. März 1877 (auch Aerzte bei der Gewerbeinspektion), Frankreich seit 1874 (auch weibliche Beamte). Ebenso haben Dänemark, Schweden, Rußland, Italien, die Niederlande, Belgien, Luxemburg und Ungarn obligatorische Fabrik- oder Arbeitsinspektion.
Literatur: [1] Schönberg, Handbuch der politischen Oekonomie, 4. Aufl., Bd. 2, 2. Halbbd. Tübingen 1898, Abhandl. XXII, S. 122 ff.; Evert, Artikel »Gewerbeinspektion« im Handwörterb. d Staatswissensch., herausg. von Conrad, Elster, Lexis und Löning, 2. Aufl., Jena 1900, Bd. 4, S. 494 ff.; Kehm (Elster), Artikel »Fabrikinspektion« im Wörterbuch der Volkswirtschaft, herausgegeben von Elster, Jena 1898, Bd. 1, S. 682 ff., alle drei mit weiterer Literaturangabe; Dammer, Handbuch der Arbeiterwohlfahrt, Stuttgart 1903, Bd. 2, S. 34 ff.; Plotke, Die Gewerbeinspektion in Deutschland, Berlin 1899; Poellath, Der Arbeiterschutz, soweit er Aufgabe der Gewerbeinspektion ist, Stuttgart 1901; Bittmann, Die badische Fabrikinspektion im ersten Vierteljahrhundert ihrer Tätigkeit 18791903, Karlsruhe 1905. [2] Schicker, Die Gewerbeordnung für das Deutsche Reich, 4. Aufl., Stuttgart 1901, Bd. 1, S. 835, Anm. 9. (Die dort aufgeführten Dienstanweisungen sind übrigens zum Teil inzwischen durch neue ersetzt worden.)
Köhler.
Buchempfehlung
»Fanni war noch jung und unschuldigen Herzens. Ich glaubte daher, sie würde an Gamiani nur mit Entsetzen und Abscheu zurückdenken. Ich überhäufte sie mit Liebe und Zärtlichkeit und erwies ihr verschwenderisch die süßesten und berauschendsten Liebkosungen. Zuweilen tötete ich sie fast in wollüstigen Entzückungen, in der Hoffnung, sie würde fortan von keiner anderen Leidenschaft mehr wissen wollen, als von jener natürlichen, die die beiden Geschlechter in den Wonnen der Sinne und der Seele vereint. Aber ach! ich täuschte mich. Fannis Phantasie war geweckt worden – und zur Höhe dieser Phantasie vermochten alle unsere Liebesfreuden sich nicht zu erheben. Nichts kam in Fannis Augen den Verzückungen ihrer Freundin gleich. Unsere glorreichsten Liebestaten schienen ihr kalte Liebkosungen im Vergleich mit den wilden Rasereien, die sie in jener verhängnisvollen Nacht kennen gelernt hatte.«
72 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.
434 Seiten, 19.80 Euro