Grundeis

[658] Grundeis oder Bodeneis, solches Eis, das sich bisweilen am Grunde fließender und sogar stehender Gewässer ansetzt.

Man hat lange darüber gestritten [1], ob überhaupt solche Möglichkeiten bestehen, oder ob nicht Eis, das sich in höheren Lagen bildete, durch irgendwelche Umstände zum Sinken kam, um nachher wieder aufzusteigen. Es wird nämlich glaubwürdig bezeugt, daß Anker und Ketten, die auf dem Grunde lagen, in solcher Weise wieder zutage gebracht wurden; daher die englische Bezeichnung Anchor Ice. Das wäre freilich schwer begreiflich, da doch das Eis auf Wasser schwimmt. Am besten verliehen kann man einen solchen Prozeß bei Bächen und Flüssen, indem da gewisse Teile des Wasserstromes, welche bei sehr langsamer Bewegung in den Zustand der Ueberkühlung übergegangen waren, den Boden berühren, ihn auf 0° abkühlen und die Entstehung einer dünnen Eisschicht veranlassen können. Demgegenüber behauptet Weber [2], daß das fälschlich so genannte Grundeis auf dem Wasser zustande komme und zwar dann, wenn loser Treibschnee in schwammig-poröses Treibeis sich zu verwandeln im Begriffe stehe. Im ganzen ist, wie aus der älteren zusammenfassenden Darstellung von Scoppewer [3] und neueren Mitteilungen von Rae [4] und Macdougall [5] ersehen werden kann, in der Grundeisfrage noch gar manches kontrovers. Im Meere bildet sich, wie Pettersons Beobachtungen 1897 dartaten, angebliches Grundeis dann [6], wenn verschieden temperierte Salzwasserschichten vertikal angeordnet sind und zugleich starke Unterschiede hinsichtlich ihres Salzgehaltes aufweisen, sobald eine entsprechende Temperaturherabsetzung eintritt. – Nicht zu verwechseln mit dieser aquatilen Eisform ist das hier und da auch unter dem Namen Bodeneis aufgeführte fossile Eis, das in Sibirien und im arktischen Nordamerika auf weiten Flächen in kompakten, zumeist oberflächlich bedeckten Schichten ansteht und weit besser den treffenden Namen Steineis erhält; mit dem gewöhnlichen gefrorenen Boden [7] darf es nicht verwechselt werden. Das Steineis ist, wie v. Tolls ausgedehnte Forschungen ergeben haben, nichts als ein Residuum der Eiszeit [8], das sich in Klimaten mit ungeheurer Winterkälte erhalten hat und noch weiter erhalten wird.


Literatur: [1] Günther, Handbuch der Geophysik, Stuttgart 1899, Bd. 2, S. 542 ff. – [2] Weber, C.W., Die Entstehung des Grundeises, nach Erfahrungssätzen und physikalischen Regeln erläutert, Spandau 1856. – [3] Scoppewer, Ueber Grundeis, Brandenburg 1859. – [4] Rae, Anchor-Ice, Nature, Bd. 20, S. 54; Bd. 21, S. 538. – [5] Macdougall, Anchor-Ice, ebend., Bd. 21, S. 612. – [6] Klein, H.J., Jahrbuch der Astronomie und Geophysik, Bd. 8, S. 155 ff. – [7] Peschel-Leipoldt, Physische Erdkunde, Leipzig 1879, Bd. 1, S. 185 ff.; Hann, Handbuch der Klimatologie, Stuttgart 1897, Bd. 3, S. 188 ff. – [8] v. Toll, Forschungen im nordöstlichen Sibirien, Verhandlungen des Deutschen Geographentages in Wien 1891, S. 53 ff.; Günther, a.a.O., Bd. 2, S. 758 ff.

Günther.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 4 Stuttgart, Leipzig 1906., S. 658.
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