Anamorphōse

[480] Anamorphōse (griech., »Umgestaltung«), eine nach optischen Gesetzen verzerrt gezeichnete Abbildung eines Gegenstandes, die unter bestimmten Bedingungen in richtigen Verhältnissen erscheint. Die optischen Anamorphosen bedingen einen bestimmten Standpunkt, von wo aus sie gesehen werden müssen. Katoptrische Anamorphosen müssen in zylindrischen, konischen oder pyramidenförmigen Spiegeln betrachtet werden, um das wahre Bild zu zeigen, während sie, mit bloßem Auge gesehen, als verzerrte Gestalten erscheinen. Dioptrische Anamorphosen zeigen, durch ein Polyeder (vieleckig geschliffenes Glas) besehen, regelmäßige Bilder oder ganz andre, als ohne ein solches Glas zu sehen sind. – Zeiß in Jena hat ein Linsensystem (Anamorphot) konstruiert, das ein Objekt so abbildet, daß allen seinen Punkten scharfe Bildpunkte entsprechen, gleichzeitig aber die lineare Vergrößerung in zwei zueinander senkrechten Durchmessern der Bildebene verschieden ist. Die Verwendung des Anamorphot als photographisches Objektiv ermöglicht die Herstellung von Bildern, die in beliebigen Grenzen verzerrt sind. Fig. 1 zeigt das Originalmuster, Fig. 2 seine Verzerrung in die Breite und Fig. 3 seine Verzerrung in die Länge. Beide Verzerrungen sind mit demselben Objektiv und dem gleichen Abstande von Objekt und Bild (d.h. derselben Scharfstellung) aufgenommen. Die Verschiedenheit der Verzerrung ist dadurch bewirkt, daß der Anamorphot gegen die Stellung bei der ersten Aufnahme um 90° um seine optische Achse gedreht wurde. In jeder Zwischenstellung erzeugt das Objektiv ein schiefes Bild, das mit zunehmender Drehung immer andre Verzerrungsformen annimmt (z. B. Fig. 4), bis die Verzerrung von Fig. 2 in diejenige von Fig. 3 übergeht.

Fig. 1–4. Anamorphosen.
Fig. 1–4. Anamorphosen.

Die durch dies Instrument gegebene Möglichkeit der Variation von Mustern dürfte gewerblich ausnutzbar sein. – In der Botanik ist A. oder rückschreitende Metamorphose (Hemmungsbildung) die Zurückbildung von Blattgebilden der Blüte in die nächst niedrige Entwickelungsstufe (des Blumenblattkreises in einen Kelch, der Fruchtblätter in Staubgefäße, von Staubgefäßen in Blumenblätter, wodurch die sogen. gefüllten Blüten entstehen). Bei der Verlaubung (Phyllodie) sinken Blütenteile auf die Ausbildungsstufe grüner Laubblätter zurück. Nehmen alle Blätter einer Blüte an der Rückbildung teil, so wird aus der Blüte eine Laubknospe (Vergrünung, Antholyse, Chloranthie).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1905, S. 480.
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