Botanik

[263] Botanik (vom griech. botánē, Futter, Kraut; Pflanzenkunde, Phytologie), die Gesamtheit aller Disziplinen, die das Pflanzenreich zum Gegenstande der Betrachtung und Untersuchung machen. Man unterscheidet reine B., die rein wissenschaftliche Zwecke verfolgt, und angewandte B., welche die Untersuchungen im Hinblick auf rein praktische Zwecke ausführt und die Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung unmittelbar oder mittelbar im Dienst menschlicher Lebensbedürfnisse zu verwerten sucht (z. B. für den Ackerbau). Die reine B. umfaßt die spezielle B., welche die einzelnen Gewächse, ihre Verbreitung und ihre Verwandtschaftsverhältnisse kennen lehrt, und die allgemeine B., welche die allgemeinen Gesetze des Baues und der Lebensverrichtungen des Pflanzenkörpers zum Gegenstande hat.

Die wichtigsten Disziplinen der speziellen B. sind: 1) die Pflanzensystematik (beschreibende, deskriptive, systematische B.), welche die einzelnen Gewächse beschreibt und mit wissenschaftlichen Namen benennt und die Arten nach ihrer natürlichen Verwandtschaft zu Gattungen und Familien vereinigt in ein wissenschaftliches System ordnet; 2) die Pflanzengeographie, welche die geographische Verbreitung und Verteilung der einzelnen Gewächse über die Erdoberfläche feststellt und in ihrer Abhängigkeit von den geographischen Faktoren prüft und eine wissenschaftliche Einteilung der Vegetationsdecke der Erde in Florenreiche, Pflanzenzonen und Pflanzenregionen gibt; 3) die Paläontologie des Pflanzenreiches (Paläophytologie, Phytopaläontologie, Paläobotanik), die sich mit der Beschreibung und Bestimmung der fossilen Pflanzenreste beschäftigt und aus dem Vorkommen derselben in den verschiedenen Schichten der Erdrinde Schlüsse über das allmähliche Erscheinen der Pflanzenformen auf der Erde ableitet.

In der allgemeinen B. sind als wichtigste Disziplinen zu bezeichnen: 1) die Pflanzenmorphologie, die den Aufbau des Pflanzenkörpers nach seiner äußern Gliederung und nach seiner innern Zusammensetzung zum Gegenstande hat; 2) die Pflanzenphysiologie, welche die Lebenserscheinungen im Pflanzenkörper studiert und unter Anwendung chemischer und physikalischer Untersuchungsmethoden ursächlich zu erklären sucht; 3) die Pflanzenbiologie(-ökologie), welche die Beziehungen zwischen den Pflanzen und ihrer Umgebung aufdeckt.

Unter den Disziplinen der angewandten B. sind von hervorragender Bedeutung: 1) die medizinische (pharmazeutische) B., die sich mit den Arznei- und Giftpflanzen beschäftigt; 2) die landwirtschaftliche (ökonomische) B., die alle Gewächse, die für die Zwecke der Landwirtschaft und des Gartenbaues kultiviert werden, betrachtet; 3) die Forstbotanik, die von den in der Forstwirtschaft angewendeten Gewächsen handelt; 4) die technische B., die Beschreibung aller Pflanzen, die Rohstoffe für die Verwendung in den Gewerben liefern; 5) die Zierpflanzenkunde (Blumistik), die sich mit der Kultur der Zierpflanzen beschäftigt; 6) die Pflanzenpathologie, die Lehre von den Pflanzenkrankheiten und deren Abwehr (vgl. die betreffenden Artikel).

Geschichte der Botanik.

Im Altertum beschäftigte sich Aristoteles auch mit B., doch sind seine botanischen Schriften verloren gegangen. Theophrast (300 v. Chr.) beschrieb etwa 500 Pflanzenarten und gab in rein philosophischem Geist Betrachtungen über das Wesen und die Entstehung der Pflanzen. Im 1. Jahrh. n. Chr. beschrieb Dioskorides zu Rom in seiner »Materia medica« etwa 600 Arzneipflanzen. Die Naturgeschichte des Plinius (23–79 n. Chr.) ist nur eine Zusammenstellung aus den Werken der Alten. In den folgenden Jahrhunderten schöpften fast nur die Araber und unter den Deutschen Albertus MagnusSieben Bücher von den Gewächsen«) aus selbständiger Naturbeobachtung ihre Kenntnisse. Die vorherrschende Richtung dieser Zeit ging auf das Studium der Werke der Alten, zumal des Dioskorides, der als ausschließliche Autorität galt. Erst die mit Ende des 15. Jahrh. anbrechende Zeit des allgemeinen Wiederauflebens der Wissenschaften brachte auch einen Umschwung. Otto Brunfels (»Contrafeyt Kräuterbuch«, 1537), Hieronymus von Braunschweig, Leonhard Fuchs, Hieronymus Tragus und Konrad Gesner untersuchten unabhängig von Dioskorides die Gewächse Deutschlands und gaben deren mit Abbildungen begleitete Beschreibung. Gesner versuchte die Pflanzen nach ihren Fruchtteilen zu ordnen. Jenen Männern folgten gegen den Anfang des 17. Jahrh. die Italiener Matthiolus, Cäsalpinus, Alpino und Columna, die Niederländer Dodonäus, Clusius und Lobelius, der Franzose Dalechamp, der Engländer Gerard, die Deutschen Camerarius, Tabernämontanus und die Gebrüder Bauhin. Zu Anfang des 17. Jahrh. unterschied man schon 5500 Pflanzen. Den ersten Versuch einer natürlichen Anordnung der Pflanzen machte Lobelius (1570), indem er gewisse Familien, z. B. Bäume, Gräser, Farnkräuter, Lilien u. a., aufstellte. Cäsalpinus (1583) führte nach Gesners Vorschlag die Frucht und die wesentlichen Teile des Samens als Basis der Klassenbildung auf, Johann Bauhin schloß sich in seiner »Historia plantarum [263] universalis« (1650) mehr den Ansichten des Lobelius an und bemühte sich um eine natürliche Anordnung der Pflanzen. Kaspar Bauhin vermehrte die Zahl der bekannten Pflanzen durch seine Entdeckungen und suchte die durch die Willkür in den Benennungen ungemein verwirrte Synonymik zu berichtigen. Er wagte zuerst in seinem »Phytopinax« (1596) die Idee einer Synopsis aller bekannten Pflanzen aufzustellen und führte in seinem »Pinax theatri botanici« (1623) die Namen von 6000 Pflanzen mit ihren Synonymen auf.

Die Erfindung des Mikroskops führte zu genauern Untersuchungen des Baues der Pflanzen und somit zur Begründung der Pflanzenanatomie durch Nehem. Grew (1670), Malpighi (1671) und Leeuwenhoek (1675). In diese Zeit fallen auch weitere Versuche zur Ausstellung von Pflanzensystemen. Morison (1715) und Ray (1703) bauten auf dem von Cäsalpin gelegten Grunde weiter fort; der letztere nahm schon auf die Bildung der Blumenkrone und deren Teile Rücksicht. Rivinus (1690) ließ allein die regelmäßige oder unregelmäßige Gestalt der Blumenkrone als Norm gelten. Tournefort (1719) stellte ein seiner Zeit sehr anerkanntes System auf, das er auf die Form der Blumenkrone gründete, und schuf nach dem Vorschlag von Rivinus zuerst bestimmte Gattungen und bezeichnete die in dieselben gehörigen Arten. Die Zusammenstellung der Pflanzen in Familien unternahm und führte zuerst Magnol (1689) durch; sein System umfaßte 76 Familien, die er nach allen Teilen der Pflanze begrenzte, besonders aber nach der Entwickelung der Blüte und Frucht. Aber diese Systeme wurden immer wieder überholt und unzureichend durch die Fülle neuer Pflanzen, die von Reisenden und Pflanzensammlern (Rheede, Kämpfer, Rumph, Sloane, Plumier) zusammengebracht und in den jetzt allgemeiner angelegten botanischen Gärten (s.d.) kultiviert wurden. Die von Rivinus und Tournefort zuerst versuchte binäre Nomenklatur vollständig durchgeführt zu haben, war das Verdienst Karl Linnés (1707–78). Sein lediglich auf die Befruchtungsorgane der Blüte gegründetes künstliches System fand wegen der leichten Anwendbarkeit seiner Merkmale rasch weitverbreitete Anerkennung. Er gab feste Regeln für die wissenschaftliche Charakteristik der Gattungen und Arten und schuf die eigentliche naturgeschichtliche Terminologie zur Bezeichnung dieser letztern. Zu Linnés Zeit fanden auch Pilze, Algen, Flechten und Moose zuerst eingehendere Behandlung durch Micheli, Scheuchzer und Dillenius. Auch fällt in diese Zeit der Anfang der experimentellen pflanzenphysiologischen Forschung, indem Hales (1727) seine Versuche über das Aufsteigen des Saftes in den Pflanzen anstellte. In der folgenden Zeit war die Tätigkeit auf die weitere Ausbildung des Linnéschen Sexualsystems gerichtet, und auch bei den niedern Pflanzenfamilien der Kryptogamen suchte man jetzt die Geschlechtsorgane aufzufinden (Schmidel, Hedwig, Kölreuter). Anderseits richteten sich aber jetzt auch die Bestrebungen auf die Aufstellung und Ausbildung eines natürlichen Pflanzensystems. Adanson (1759), Oder (1764) und Gärtner (1788) lieferten gute Vorarbeiten, und besonders Gärtner lenkte die Aufmerksamkeit auf Samen und Frucht als Hauptpflanzenteile.

Der erste, der sich durch Aufbau eines natürlichen Systems einen Namen erwarb, war Antoine Laurent de Jussieu (1789). Doch blieb sein System zunächst unbeachtet und ward erst nach 30 Jahren von namhaften Botanikern empfohlen und weiter ausgebildet. Unter diesen steht Augustin Pyramus De Candolle (1813) obenan, dessen System ziemlich allgemeine Anerkennung fand. Es folgten jetzt die natürlichen Systeme von Oken (1821) und Reichenbach (1828), beide in hohem Grade von dem naturphilosophischen Geiste der damaligen Zeit beeinflußt. Ferner die Systeme von Lindley (1834), Bartling (1830) und Endlicher (1838), dessen System durch wesentliche Vervollkommnung, namentlich in der Feststellung der natürlichen Familien, sich auszeichnet. Auch für die Kenntnis der niedern Gewächse wurde allmählich eine festere Basis gewonnen. Nägeli, Cohn, Tulasne, Pringsheim, De Bary, Thuret, Woronin u. a. studierten mit Hilfe der verbesserten Mikroskope den Bau und die Lebensweise der niedern Organismen und schufen so den ergänzenden sichern Unterbau für die systematische Behandlung dieser Formen, die besonders durch Persoon, Fries, Link, Acharius, Kützing, Agardh gefördert worden ist.

Seit dem Beginn des 19. Jahrh. wurde die Erforschung des innern Baues der Gewächse gefördert durch Link, Rudolphi, Treviranus, Moldenhawer, Kieser, Sprengel in Deutschland, Mirbel in Frankreich. Nach diesen Vorarbeiten war es Meyen, Mohl, Schleiden, Unger, Schacht, Nägeli, Hanstein, De Bary u. a. möglich, der Pflanzenanatomie im wesentlichen ihre heutige Entwickelung zu geben. Die durch Bonnet, Saussure, Duhamel du Monceau, Dutrochet, Sénébier, De Candolle, Knight wieder aufgenommene Pflanzenphysiologie erhielt dann gleichzeitig durch jene anatomischen Forschungen, nicht minder auch durch die Anwendung der fortgeschrittenen chemischen und physikalischen Kenntnisse und der Experimentierkunst, in dieser Hinsicht zumal durch Boussingault, Liebig und Sachs, wesentliche Förderung. Den Betrachtungen Goethes über die Metamorphose der Pflanze, zumal aber den Arbeiten De Candolles, Rob. Browns, Schimpers, A. Brauns und Eichlers verdanken wir die Entstehung einer wissenschaftlichen Morphologie aus der rein formalen Betrachtung der Glieder des Pflanzenkörpers im Dienste der Systematik. Ferner fällt auch erst in diese Zeit die Begründung der Pflanzengeographie durch A. v. Humboldt, während Schouw, Wahlenberg, Meyen, A. de Candolle, Grisebach, Hooker, Asa Gray, Schübeler, Willkomm u. a. für die weitere Ausbildung dieser Disziplin tätig waren. Endlich ist auch die Paläontologie des Pflanzenreichs erst in der neuern Zeit durch Brongniart, Unger, Göppert, Heer, Saporta, Schimper und Schenk gegründet worden. Eine tiefgreifende Umgestaltung erfuhr die B. gleich den übrigen biologischen Naturwissenschaften durch Ch. Darwin, der neue Bahnen der Forschung eröffnete, indem er die natürliche Entstehung der Arten und ihre allmähliche Umbildung der wissenschaftlichen Fragestellung unterwarf. Ähnliche Probleme waren bereits früher von Lamark in Angriff genommen und wurden durch Nägeli u. a. in durchaus selbstandiger Weise fortentwickelt. In der Gegenwart ist die Forschung auf allen Gebieten der B. in vollem Gang; von deutschen Botanikern sind besonders Goebel, Strasburger, Engler, Schwendener, Solms-Laubach, Wiesner, Pfeffer, Reinke, Vöchting, Klebs, Stahl, Haberlandt, Wettstein, im Ausland van Tieghem, Treub, Warming, Delpino,de Vries, Farlow, Hooker, Bower, Woronin, Nawaschin neben einer großen Anzahl andrer Forscher als in erster Linie flehend zu nennen.[264]

Literatur.

Die botanische Literatur bis zum Jahre 1872 ist verzeichnet in Pritzel, Thesaurus literaturae botanicae (2. Aufl., Leipz. 1872). Seit 1873 erscheint (in Leipzig) Justs »Botanischer Jahresbericht«, der über die botanische Literatur referiert. Allgemeine Lehrbücher: Linné, Philosophia botanica (Stockh. 1751; 5. Aufl. von K. Sprengel, 1824); Schleiden, Grundzüge der wissenschaftlichen B. (4. Aufl., Leipz. 1861, 2 Bde.); Baillon, Dictionnaire de botanique (Par. 1867–92, 4 Bde.); Sachs, Lehrbuch der B. (4. Aufl., Leipz. 1874); Leunis, Synopsis der drei Naturreiche, 2. Teil: B. (3. Aufl. von Frank, Hannov. 1882–86, 3 Bde.); Luerssen, Grundzüge der B. (4. Aufl., Leipz. 1885); Schenk, Handbuch der B. (Bresl. 1878–90, 4 Bde.); Frank, Lehrbuch der B. (Leipz. 1892–93); van Tieghem, Traité de botanique (Par. 1891); Wiesner, Elemente der wissenschaftlichen B. (Bd. 1 in 4. Aufl., Wien 1898; Bd. 2 und 3 in 2. Aufl., 1891 und 1902); Giesenhagen, Lehrbuch der B. (2. Aufl., Stuttg. 1899); Strasburger, Noll, Schenk, Schimper, Lehrbuch der B. (3. Aufl., Jena 1898); Engler-Prantl, Die natürlichen Pflanzenfamilien (Leipz. 1894ff.). Als populäre Werke sind hervorzuheben: Auerswald und Roßmäßler, Botanische Unterhaltungen zum Verständnis der heimatlichen Flora (3. Aufl. von Luerssen, Leipz. 1877); Cohn, Die Pflanze (2. Aufl., Bresl. 1896–97); Kerner, Pflanzenleben (2. Aufl., Leipz. 1896–98, 2 Bde.). – Die Geschichte der B. behandeln: Sprengel, Geschichte der B. (Altenb. u. Leipz. 1817–18); E. Meyer, Die Entwickelung der B. in ihren Hauptmomenten Königsb. 1844); Derselbe, Geschichte der B. (das. 1854–57, 4 Bde.); Jessen, B. der Gegenwart und Vorzeit (Leipz. 1864); Sachs, Geschichte der B. (Münch. 1875). – Von den botanischen Zeitschriften sind die wichtigsten: »Flora«, herausgegeben von Goebel (seit 1818); »Botanische Zeitung«, hrsg. von Solms-Laubach und Oltmanns (seit 1843), Pringsheims »Jahrbücher für wissenschaftliche B.«, hrsg. von Pfeffer und Strasburger (seit 1858); »Botanisches Zentralblatt«, hrsg. von der Association internationale des botanistes (seit 1880); »Berichte der deutschen botanischen Gesellschaft« (Berl., seit 1883); »Annales des sciences naturelles« (Par., seit 1824); »Bulletin de la société botanique de France« (das., seit 1854); »The London Journal of Botany« (Lond., seit 1842); »The Journal of Botany british and foreign« (das., seit 1864); »Annals of Botany« (das., seit 1887); »The botanical Gazette« (Chicago, seit 1875); »Malpighia, rassegna mensile di botanica« (Genua, seit 1887). Vgl. außerdem die Literatur bei den Artikeln: »Paläontologie (Phytopaläontologie), Pflanzenbiologie, Pflanzengeographie, Pflanzenmorphologie, Pflanzenphysiologie, Pflanzensystematik«.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1905, S. 263-265.
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