XVII.
(Zur Charakteristik.)

Die äußere Erscheinung unseres Tondichters war nichts weniger als anziehend. Sein rundes, dickes, etwas aufgedunsenes Gesicht, die niedere Stirn, die aufgeworfenen Lippen, buschigen Augenbrauen, die stumpfe Nase und das gekräuselte Haar, gaben seinem Kopf ein mohrenartiges Aussehen, womit auch die, auf dem Währinger-Friedhof befindliche Büste übereinstimmt1. Seine Statur war unter Mittelgröße, Rücken und Schultern gerundet, die Arme und Hände fleischig, die Finger kurz. Der Ausdruck seines Gesichtes[466] konnte weder als geistreich noch als freundlich gelten, und nur dann, wenn ihn Musik oder Gespräche aufregten, besonders aber, wenn es sich um Beethoven handelte, fing sein Auge zu blitzen an, und belebten sich die Züge.

So unscheinbar, fast abstoßend sein Aeußeres2, so schön und reich ausgestattet war sein Inneres. Alle diejenigen, welche Schubert näher gekannt haben, stimmen darin überein, daß er ein vortreffliches Gemüth hatte, daß er ein guter Sohn war, seinen Geschwistern in Liebe und Anhänglichkeit zugethan, den Freunden ein wahrer Freund, wohlwollend, frei von Haß und Mißgunst, hochherzig, begeistert für die Schönheiten der Natur und die ihm heilige Kunst.

In seinem Wesen sprach sich eine gewisse Behaglichkeit aus, und ein gutmüthiger Witz, der diesem Wohlbehagen entsprang, so wie sein Trieb nach Geselligkeit waren die Ursache, daß sich Menschen von heiterer Gemüthsart und leichtem Sinne gerne ihm anschlossen3.

Franz Schubert hat nicht, wie Händel und Mozart vor ihm, und andere Meister der Tonkunst nach ihm, große Reisen gemacht, vor gekrönten Häuptern sich und seine Werke producirt und dadurch erweiterte Weltanschauung und Menschenkenntniß gewonnen.[467]

Er war auch nicht, wie sein Zeitgenosse Beethoven, in alter und neuer Literatur und in Staatsactionen bewandert, und ebenso wenig erfreute er sich jener modern-universellen Bildung, wie sie beispielsweise Mendelssohn und Schumann eigen war; seine Erziehung im väterlichen Hause ging nicht über das gewöhnliche Maß der nöthigsten Vorkenntnisse hinaus, und die Zeit, die er im Convict zubrachte, wurde erwiesenermaßen mehr dem Componiren, als dem Studium der Classiker, der Geschichte, Geografie u.s.w. gewidmet.

Dennoch würde man irre gehen, wollte man behaupten, daß es ihm an jeglicher Bildung gefehlt, und daß er das viele Schöne, was wir von ihm besitzen, gleichsam im Traum, und ohne sich darüber Rechenschaft zu geben, aus Tageslicht gefördert habe.

Die wenigen vorhandenen Briefe, namentlich jene aus seiner späteren Lebenszeit, liefern den Beweis, daß der Verfasser derselben Kopf und Herz am rechten Fleck hatte.

Ein schlichter gerader Sinn, ein gesunder Verstand, frei von aller Ziererei und falschen Sentimentalität, spricht aus diesen, für Schubert's Charakteristik werthvollen Behelfen, und fehlte ihm auch, was man höhere Bildung zu nennen pflegt, so darf doch nicht übersehen werden, daß sein Drang zu schaffen ihn schon in früher Jugendzeit mit den herrlichsten Blüthen deutscher und fremdländischer Dichtkunst bekannt machte, und daß Männer, wie Franz v. Schober, Mayrhofer, Vogl u.a.m. in geistiger Beziehung nicht ohne nachhaltigen Einfluß auf ihn gewesen sein konnten.

»Es ist wahr,« sagt A. Schindler4, »in Schubert's Leben gab es nicht Berg nicht Thal, nur gebahnte Fläche, in der[468] er sich in stets gleichmäßigem Rhythmus bewegte. Auch sein Gemüthszustand glich einer spiegelglatten Fläche und war durch äußerliche Dinge nur schwer zu irritiren; er befand sich im schönsten Einklange mit dem Grundwesen seiner Charakter-Eigenschaften. Man darf gestehen, daß seine Tage dahinflossen, wie es dem arm Gebornen und arm Gebliebenen in bürgerlicher Sfäre geziemt. Bis ins zehnte5 Jahr im väterlichen Hause, von da bis ins siebenzehnte Sängerknabe im kaiserlichen Convict und auf den Schulbänken des Gymnasiums sitzend, alsdann drei Jahre Schulgehilfe bei seinem Vater im Lichtenthal, letztlich Clavierspieler – und zwar ein musterhafter – und Componist nach alleinigem Gefallen, dabei frei und unabhängig, weil sein Verleger schon 15 Gulden für ein Heft Lieder, 15 Gulden für ein Klavierwerk honorirt hat. Für den Abgang sogenannter nobler Passionen und Bedürfnisse – nach Art anderer Musiker – hatte die Dürftigkeit frühzeitig gesorgt. Familiensorgen und Kümmernisse aller Art, in nicht gesicherten ehelichen Verhältnissen ihre Quelle findend, lähmten dem Genius die Schwingen nicht; denn er stand allein in seinem Zauberkreise, von Familien-Prosa nicht angefochten. Das Lehramt in Musik hatte er in den letzten 8 Jahren gleichfalls aufgegeben6, somit auch die Quelle großen Mühsals und großen Undanks verstopft. Reisen hat er nicht gemacht, man müßte denn einige kleine Ausflüge nach Oberösterreich als solche ansehen.[469]

Ein Grund der Verborgenheit, in welcher Schubert's Talent während seines Lebens im allgemeinen verblieb, lag in einem gewissen Starrsinn, einer obstinaten Unbeugsamkeit, die ihn, unbeschadet seines ausgesprochenen Unabhängigkeitssinnes, für gute und praktische Rathschläge von Seite wohlmeinender Freunde geradezu taub machten.

Diesem Charakterwesen von Eigen- und Starrsinn, das auch oft genug in Fällen des gesellschaftlichen Verkehrs sich äußerte, ist aber keineswegs ein Uebermaß künstlerischen Selbstgefühls oder gar Ueberschätzung zu unterstellen. Schubert's bei allen Gelegenheiten bewiesene Pietät für die Classiker, sein rastloses Streben, liefern Beweise genug gegen solche Unterstellung. Eifersüchtiges Interesse, Ruhmsucht, die nicht wenig Künstler zur Thätigkeit anspornen, waren für Schubert unbekannte Begriffe; seine so viel nur möglich behauptete Verborgenheit, sein Wandel überhaupt, zeugen für die Reinheit seiner Gesinnung zur Genüge. Er war allerdings empfindlich gegen jeden noch so vorsichtig überzuckerten Tadel, dagegen aber ging er in der Gleichgültigkeit gegen Lobesäußerungen doch noch weiter; nicht eine Miene verzog er, wenn ihm über dies oder jenes seiner Werke Beifall ausgedrückt wurde, er blieb vollkommen gleichgiltig gegenüber jeglichem Lobe«7.[470]

Ihm waren Falschheit und Neid durchaus fremd – so charakterisirt ihn J. Mayrhofer8 – in seinem Wesen mischten sich Zartheit und Derbheit, Genußliebe mit Treuherzigkeit, Geselligkeit mit Melancholie. Bescheiden, offen, kindlich, besaß er Gönner und Freunde, die seinen Schicksalen und Productionen herzlichen Antheil widmeten und auf jenen allgemeinen hinwiesen, welcher dem länger Lebenden gewiß geworden wäre, und dem in der Blüthe Hingeschiedenen noch gewisser nachgetragen werden wird.

Ueberblickt man die erstaunliche Menge auch nur der, der Oeffentlichkeit übergebenen Werke Schuberts, so trägt man die Ueberzeugung davon, daß der Schöpfer derselben, den der Tod in seinem 32. Lebensjahre überraschte, mit eben so großer Leichtigkeit als rastloser Thätigkeit geschaffen haben müsse, zumal in seinen Compositionen mit den Notenzeichen nicht gekargt wird.

In der That war Schubert ungemein fruchtbar und fleißig und man kann von ihm wohl sagen, daß er das ihm anvertraute Pfund treu und redlich verwerthet hat.

In der Regel begann Franz sein Tagewerk in den Morgenstunden, auf dem Bett sitzend und schreibend9, und führte es ununterbrochen bis zur Essenszeit fort; da ging denn sein ganzes Wesen in Musik auf; oft fühlte er sich von seinen Schöpfungen selbst ergriffen und Augenzeugen versichern, daß[471] sie da an seinem leuchtenden Auge und der veränderten Sprache entnehmen konnten, wie mächtig es in seinem Inneren arbeite. Allerdings kann Schubert nur in dem Sinne thätig genannt werden, daß er, rastlos aus sich herausschaffend, die Fülle seiner Gedanken auf dem Papier festzuhalten suchte. Zu dem, was man im gewöhnlichen Leben Arbeit nennt, und namentlich zu aller mechanischen Arbeit, hatte er keine Luft, und dieß, in Verbindung mit seiner nicht allzu geregelten Lebensweise, die ihn verhinderte, mit der gewünschten Pünktlichkeit bei Probestunden zu erscheinen, war wohl auch der Grund, daß er gewisse, die Verfügung über seine Zeit beschränkende Anerbietungen consequent ablehnte.

Der übrige Theil des Tages wurde dann eben so regelmäßig dem geselligen Vergnügen, in schöner Jahreszeit Ausflügen auf das Land, in Begleitung von Freunden und Bekannten geweiht. Da geschah es mitunter, daß, wenn er sich mit diesen wohl zusammenfühlte und ihm die Trennung von der schönen Natur und dem Rebensafte schwer fiel, eine für den Abend angenommene Einladung ohne weiteres Bedenken in den Wind geschlagen wurde, was dann zu Verdrießlichkeiten führte, die ihm übrigens nicht lange zu schaffen gaben. Gewiß aber bedurfte es auch nach abgeschlossener Arbeit nur der kleinsten Anregung, um seinen nie ruhenden Geist wach zu rufen, wie dieß mit dem »Ständchen« der Fall gewesen.

»Wenn,« sagt Robert Schumann, »Fruchtbarkeit ein Hauptmerkmal des Genies ist, so ist Schubert eines der größten. Er hätte nach und nach wohl die ganze deutsche Literatur in[472] Musik gesetzt, und wenn Telemann10 verlangt, ein ordentlicher Componist müsse den Thorzettel componiren können, so hätte er an Schubert seinen Mann gefunden. Wo er hinfühlte, quoll Musik hervor; Aeschylus, Klopstock, so spröde zur Composition, gaben nach unter seinen Händen, wie er den leichten Weisen W. Müllers u. A. ihre tiefsten Saiten abgewonnen.«

Wer ihm einen Vorwurf zu musikalischer Bearbeitung übergab, durfte überzeugt sein, daß, wenn ihm dieser zusagte, die Composition auch in kürzester Frist fertig sein würde. So wurde das bekannte Lied »Der Wanderer« in unglaublich kurzer Zeit componirt; dasselbe war der Fall mit dem »Zwerg« und »Erlkönig«, welch' letzteren er, nachdem er die Ballade zu wiederholten Malen durchgelesen, gleich darauf so eilig in Musik setzte, als es eben möglich war, die Notenzeichen hinzuwühlen.

Ganz besonders aber zeugt die folgende Thatsache ebenso sehr für die blitzartige Schnelligkeit seiner Auffassung, als auch für die Gefälligkeit, womit er den Wünschen Anderer nachzukommen suchte.

Fräulein Anna Fröhlich, Gesangslehrerin am Conservatorium, auf deren Anregung Schubert einige schöne Frauenchöre componirt hatte, beabsichtigte, ihrer Schülerin Louise Gosmar (später verehelichte von Sonnleithner), welche im Jahr 1827 mit ihren Eltern die Sommerzeit in Unterdöbling (bei Wien) zubrachte, zu deren Geburtstag (11. August) ein Ständchen im Garten des Landhauses darzubringen.[473]

Grillparzer hatte zu diesem Zwecke ein Gedicht: »Zögernd leise in des Dunkels nächt'ger Stille« verfaßt, und sie gab dieses dem ihr befreundeten Tondichter mit der Bitte, es für ihre Schwester Josefine (Mezzosopran) und einen Frauenchor in Musik zu setzen. Schubert nahm das Gedicht in die Hand, zog sich in eine Fensternische zurück, schob, wie dieß seine Art war, wenn er in der Nähe sehen wollte, die Brille gegen die Stirn hinauf, las die Verse ein paarmal aufmerksam durch und sagte dann lächelnd: »Ich hab's schon, es ist schon fertig und es wird recht gut werden.« Nach einem oder zwei Tagen brachte er die reizende Composition. In Folge eines Mißverständnisses war das Stück für Alt-Solo und Männerchor componirt; als nun Fräulein Fröhlich ihn auf diesen Irrthum aufmerksam machte, nahm er das Manuscript wieder mit sich, und brachte es am nächsten Tage in der Weise umgearbeitet, wie es gewünscht worden war. Die Wirkung der Nachtmusik bei heller Mondbeleuchtung im Freien war zauberisch. Viele Bewohner Döblings umstanden horchend den Garten. Schubert war (wie gewöhnlich) bei der Aufführung nicht gegenwärtig.

Ein anderes Mal schrieb er, im Bette liegend, in aller Eile ein Gelegenheits-Terzett11 für Umlauff, welches dieser bei ihm bestellt und auf das er ganz vergessen hatte, weil ihm das Gedicht abhanden gekommen war. Solcher Fälle musikalischer Schlagfertigkeit wären noch manche zu verzeichnen.

Der Jubel seiner Freunde und der allmälig sich steigernde Beifall des großen Publikums, welcher Andere berauscht und zur Selbstüberschätzung getrieben hätte, brachte ihn nicht außer Fassung, und die ehrende Anerkennung, die ihm von vielen,[474] durch Rang, Geist und eigene Künstlerschaft ausgezeichneten Personen zu Theil wurde, ließ ihn ein strenges Maß von Selbstgefühl nicht überschreiten. Unter den musikalischen Künstlern, welche an Franz regen Antheil nahmen, finden wir C.M. Weber, Hummel und den Sänger Lablache, welch' letzterem Schubert drei italienische Gesänge dedicirte. Mit Theodor Körner, der sich in den Jahren 1811–1813 in Wien aufhielt, war er gerade um jene Zeit, als es ihn trieb, sich ausschließlich der Kunst zu weihen, bekannt geworden, und dieser ermangelte nicht, ihn in seinem Entschlusse zu bestärken12.

Schubert wurde häufig in musikalische Kreise13 gezogen, und da geschah es denn zuweilen, daß, während der ausübende Künstler mit Lobsprüchen überhäuft wurde, Niemand des kleinen Mannes gedachte, der, am Clavier sitzend, die selbstgeschaffenen Lieder mit seelenvollem Spiel begleitete, über welche Vernachlässigung übrigens der anspruchslose Künstler um so leichter hinwegsetzte, als ja der Beifall, womit seine Composition aufgenommen wurde, zuletzt auch ihm galt.

In derlei Kreisen, besonders in eleganteren, die er nur betrat, um aus Gefälligkeit seine Lieder zu begleiten, war er schüchtern und wortkarg. Während er am Clavier saß, machte er das ernsthafteste Gesicht, und war die Sache zu Ende, so pflegte er sich in ein Nebenzimmer zurückzuziehen. Unbekümmert um[475] Lob und Beifall, wich er den Complimenten aus, und fühlte sich befriedigt wenn ihm seine Freunde ihre Zustimmung bezeugten14.

Anders war es, wenn er sich durch keine Fesseln der Convenienz beengt sah; da löste sich seine Zunge zu heiterer Gesprächigkeit, es fehlte ihm dabei nicht an Witz und launigen Einfällen15, und wenn er auch hie und da selbst stiller blieb, so nahm er doch Theil an der Luft der Andern. Den Ausdruck lauter Fröhlichkeit kannte er nicht; sein Lachen bestand nur in einem etwas heiseren gepreßten Kichern.

Obwohl er selbst nicht tanzte, besuchte er doch zuweilen die Hausbälle vertrauterer Familienkreise, stets bereit, sich zum Clavier zu setzen, wo er dann stundenlang reizende Tanzmusik improvisirte. Jene Stücke, die ihm gefielen, wiederholte er, um sie im Gedächtnisse zu behalten, und sofort aufzuschreiben.

Hand in Hand mit seiner Bescheidenheit ging auch die Achtung, die er für die musikalischen Leistungen Anderer, selbst im Liedersache, das er doch wie Keiner vor und nach ihm beherrscht hat, hegte.[476]

In jungen Jahren hatte er sich besonders an Zumsteg's Lieder gehalten, von welchen ihm »Kolmal«, »Maria Stuart«, »die Erwartung« und »der stille Toggenburg« lebhaftes Interesse einflößten; an Kreutzer's »Wanderliedern« fand er so großes Gefallen, daß er einigen Schmeichlern, die ihm zuliebe daran mäkeln wollten, erklärte, sie gefielen ihm sehr und er wünschte sie componirt zu haben16.

Es ist eine bekannte Thatsache, daß Schubert ein aufrichtiger Verehrer des Weines war; ja es gibt Leute, welche ihn zum Trunkenbold zu stempeln suchen, wahrscheinlich einiger harmloser Excesse wegen, deren er sich allerdings schuldig gemacht hat17.

Franz liebte guten Wein. Da er ungeachtet der Vorstellungen um seine Gesundheit besorgter Freunde nicht zu bewegen war, die Kraft des Getränkes durch Vermengung mit Wasser zu mildern, und da er nicht viel des Weines vertrug, so geschah es wohl, daß er, besonders im Gasthause in fröhlicher Gesellschaft, oder wenn in Privathäusern »gute Sorten« gereicht wurden, mitunter über das Ziel hinausschoß, und dann entweder aufbrausend und heftig wurde, oder, wenn ihn der Wein schon betäubt hatte, in ein bedenkliches Stillleben[477] versank, wo dann kein Wort mehr aus ihm herauszukriegen war18.[478]

Wenn viel und guter Wein auf dem Tische stand, mußte man auf Franzen ein wachsames Auge haben; so bezeugen ausnahmslos alle jene Personen, welche aus dieser Schwäche Schubert's kein Hehl machen, und Gelegenheit hatten, ihn bei solchen Anlässen zu beobachten. Man ist auch vielfach geneigt, den häufigen Genuß von Wein als die Ursache der Kopfleiden und Blutwallungen zu bezeichnen, welchen er in den letzten Jahren seines Lebens unterworfen war, und selbst die Krankheit, der er so schnell erlegen, wenigstens zum Theil seiner Neigung zu geistigen Getränken zuzuschreiben.

Auf diese Thatsachen reducirt sich Schuberts »Trunkboldenthum«; der schlagendste Beweis aber dafür, daß er sich in der Regel in geordnet nüchternem Zustande befunden, liegt in der Massenhaftigkeit der von ihm ohne Zweifel in vollster Geisteskraft producirten Werke, welche ein Mensch, der die ihm so karg zugemessene Lebenszeit nicht gehörig ausnützt, nimmermehr zu Stande bringen würde.

Uebrigens wird auch Schubert, gleich vielen anderen bedeutenden Naturen, jenes so oft versagte Recht in Anspruch nehmen dürfen, bei seiner sittlichen Werthschätzung mit keinem anderen Maß gemessen zu werden, als gewöhnliche Menschenkinder, deren Fehler und Schwächen oft gar nicht beachtet oder wenigstens mit Schonung beurtheilt werden, während dieselben Mängel an hervorragenden Menschen als wesentliche Charakterzüge angenommen, und dasjenige, was menschliche Schwäche war, nur zu gerne als Laster hingestellt wird19.[479]

Dem weiblichen Geschlechte gegenüber war Franz nichts weniger als unempfindlich. Die sinnlichen Neigungen traten übrigens bei ihm keineswegs in dem Grad äußerlich hervor, als dieß sonst bei Menschen von so lebhafter Fantasie der Fall zu sein pflegt. Ueber das sentimentale Verliebtsein der Freunde machte er sich gerne lustig; er selbst aber blieb nicht frei von erotischen Regungen. Einer Herzensneigung wurde bereits gedacht, an anderen dürfte es nicht gefehlt haben; sie waren aber alle vorübergehender Natur, und weit entfernt, ein dauerndes Verhältniß zu begründen. Uebrigens hat Schubert (wie mir v. Schober mittheilte) gerade über derlei Beziehungen selbst seinen vertrautesten Freunden gegenüber große Zurückhaltung beobachtet.

Von den Aufführungen seiner Werke hielt er sich gewöhnlich ferne. Er war ein Freund einsamer Arbeit, sobald aber diese abgethan, verlangte es ihn nach geselligem Verkehr, und jedes Fest, jede Zerstreuung und Unterhaltung erhielt für ihn nur durch zwangloses Beieinandersein die wahre Würze. Bescheidenheit war ein Hauptzug seines Charakters; sie ging bisweilen in eine Art von Zurückhaltung und Schüchternheit über, die ihn um die vollen Früchte seines Fleißes brachte20.

Nur wenn er den Druck der äußeren Verhältnisse zu sehr fühlte, und den schmerzlichen Gedanken, welch' verhältnißmäßig geringer Lohn seinen Leistungen zu Theil werde, nicht mehr von sich abweisen konnte, machte er seinem Unmuth[480] in Worten Luft, welche sich von Bitterkeit nicht frei hielten, und zugleich verriethen, daß er von dem Bewußtsein seines Werthes erfüllt war.

Sein von Natur aus schüchternes Wesen und unangenehme Erfahrungen, die ihm sein schlichter gerader Sinn und seine unumwundene Wahrheitsliebe bereitet haben, hielten ihn von der geräuschvollen Welt und ihrem Treiben um so entfernter, als sein, allem Flitter abholdes Wesen für dieselbe nicht paßte, und er der Gefahr, mißverstanden zu werden, auf diesem Weg am sichersten auswich21.

In den letzten Jahren seines kurzen Erdenwallens scheint der Ernst des Lebens in stärkerem Maße, als dieß früher der Fall war, über ihn gekommen zu sein, doch ohne daß sich sein von Natur aus heiterer Sinn in Unmuth und thatenloses Hinbrüten verwandelt hätte. Vor derlei Gemüthszuständen bewahrte ihn – wenigstens für die Dauer – seine sich gleich bleibende überschwängliche Productionskraft22, von welcher die Werke eben dieser Periode beredtes Zeugniß ablegen. Die in Schubert erwachte Sehnsucht, sich eine gesicherte Existenz zu gründen, die Nichterfüllung der damit in Verbindung gestandenen Hoffnungen, und mehr als dieses noch, ein andauerndes Unwohlsein mögen zu jener Gemüthsverstimmung[481] wesentlich beigetragen haben, und so fanden auch die düsteren Gesänge der »Winterreise« in der Phantasie des Tondichters fruchtbaren Boden. Ob die Composition dieser Lieder den Druck seiner fisischen und moralischen Leiden noch vermehrt habe, wie von mancher Seite behauptet wird, möge dahin gestellt bleiben23; es liegt vielmehr der Gedanke näher, daß er sich durch die künstlerische Bearbeitung jener Reihe von Gedichten, deren Gelingen ihm wahre Befriedigung gewährte, von der trüben Weltanschauung befreit habe, wie denn auch die vielen nach der »Winterreise« entstandenen Compositionen keinen Schluß mehr auf umdüsterte Seelenzustände gestatten.

In dem Vorausgegangenen wurde eine Charakteristik Schubert's gegeben, soweit sich dieselbe aus Erscheinungen[482] des äußeren Lebens herstellen ließ, Erscheinungen, die fast nie über das Maß des Gewöhnlichen, Alltäglichen hinausgehen, und darum auch die geschilderte Persönlichkeit in diesem Licht erscheinen lassen.

Ein erschöpfendes, ungleich bedeutenderes Bild dieser so eigenthümlichen, zart organisirten Natur würde sich dann entwerfen lassen, wenn die Geisteswerkstätte aufgedeckt, und wie dieß bei den meisten großen Künstlernaturen zutrifft, die innige Wechselbeziehung zwischen äußerem Leben und geistigem Schaffen wahrnehmbarer gewesen wäre, als es bei Schubert der Fall gewesen ist.

Es hat aber vielleicht außer ihm keinen großen Tondichter gegeben, dessen äußere Existenz von der Kunst so gänzlich losgelöst, und in keiner Beziehung zu derselben gestanden hat. Sein Erdenwallen zog so ereignißlos und unscheinbar vorüber und stand so ganz außer allem Verhältniß zu den Werken, welche dieser, wie vom Himmel gefallene Genius geschaffen hat, daß man sich zuletzt immer nur an diese wird halten müssen, um des reichen Schatzes von Geist und Gemüth gewahr zu werden, der in Schubert gelegen hat.

Im gewöhnlichen Leben (sagt Franz Schober von ihm) war nur Wenigen, und diesen in seltenen geweihten Stunden Gelegenheit geboten, sich zu überzeugen, welch' ein Seelenadel ihn auszeichnete, und sie entnahmen dieß aus Zeichen und Worten, welche sich nicht leicht wiederholen und beschreiben lassen.

Als Abschluß der »Charakteristik« möge noch ein Gedicht24 von Franz Grillparzer seine Stelle finden, in welchem[483] er mit Schubert wohlbekannte Dichter dessen eigenartig einstlerwesen in den folgenden Zeilen zusammenfaßt:


Schubert heiß ich, Schubert bin ich,

Und als solcher geb' ich mich.

Was die Besten je geleistet,

Ich erkenn' es, ich verehr' es,

Immer doch bleibt's außer mir.

Selbst der Kunst, die Kränze windet,

Blumen sammelt, wählt und bindet,

Ich kann ihr nur Blumen bieten,

Sichte sie, und – wählet ihr.

Lobt ihr mich, es soll mich freuen,

Schmäht ihr mich, ich muß es dulden;

Schubert heiß ich, Schubert bin ich,

Mag nicht hindern, kann nicht laden;

Geht ihr' gern auf meinen Pfaden,

Nun wohlan, so folget mir.

1

Als nach der am 13. October 1863 vorgenommenen Ausgrabung der irdischen Reste von Beethoven und Schubert des Letzteren wohlerhaltener Schädel der Reinigung und Waschung unterzogen wurde, vermochten die dabei anwesenden Aerzte und der die Waschung vollziehende Spitalsdiener sich des Erstaunens über die zarte, fast weibliche Organisation desselben nicht zu erwehren. Kennzeichen musikalischen Sinnes fanden sich weder bei Schubert noch bei Beethoven an jener Stelle vor, wo man diese sonst zu suchen gewohnt war. – Die Veröffentlichung des Resultates der an beiden Schädeln vorgenommenen Messungen steht noch zu gewärtigen. (S. actenmäßige Darstellung der Ausgrabung und Wiederbeisetzung der irdischen Reste von Beethoven und Schubert. Wien bei Gerold 1863).

2

»Das vollkommenste Wiederspiel zu Mayrhofer« – bemerkt W. Chezy in den »Erinnerungen« – gab der kleine breite Musikus, von außen zwar ein Talgklumpen, aber mit dergestalt glitzernden Augen, daß sich das innere Feuer dem ersten Blick verrieth.

3

Die hier folgende Charakteristik beruht auf mündlichen und schriftlichen Mittheilungen von: Spaun, Schober, L. Sonnleithner, Kupelwieser, Bauernfeld, A. Schindler, Mayrhofer, Stadler und Frl. Anna Fröhlich

4

Niederrheinische Musikzeitung, Jahrg. 1857.

5

Soll heißen: ins zwölfte.

6

Schubert hatte schon vor 1820 jedes Lehramt aufgegeben, ausgenommen jenes bei Esterhazy.

7

Wird auf das rechte Maß zurückzuführen sein. – Schindler's Angaben über Schubert sind immer mit einiger Vorsicht hinzunehmen, da »der Vertraute« Beethoven's sich mitunter in Uebertreibungen gefällt und zu Schubert in keinem nahen Verhältnisse gestanden hat.

8

»Erinnerungen an F. Schubert.«

9

Spaun erzählt, daß Schubert zuweilen bei ihm übernachtet, wo er dann auch während des Schlafes die Brillen auf der Nase behalten habe; des Morgens sei er, oft noch in tiefer Negligè, an's Clavier gegangen, um zu fantasieren.

10

Telemann (Georg Filipp), geb. 1681 in Magdeburg, gest. 1767, einer der productivsten Componisten der Welt.

11

Dieses Terzett ist wahrscheinlich verbrannt.

12

Nach einer Mittheilung Spaun's.

13

In einer dieser musikalischen Gesellschaften supplirte einmal Lablache den zweiten Baß im »Gondelfahrer«; Hummel fantasirte in einer Sojrée bei Frau v. Lascny zu Schubert's Freude über das Lied: »Der blinde Knabe«, nachdem es Vogl eben gesungen hatte.

14

Als in dem Hause der Fürstin Kinsky vor einer Gesellschaft mehrere seiner Lieder gesungen worden waren, ohne daß sich Jemand um ihn bekümmert hätte, und die Hausfrau endlich selbst zu ihm hintrat, um ihm einige schöne Worte zu sagen und gleichsam das Benehmen der Gäste zu entschuldigen, antwortete er der Fürstin, sie möge sich nicht bemühen, er sei das schon gewohnt und fühle sich so weniger genirt.

15

Solch launiger und treffender Einfälle dürfte namentlich M. Schwind viele zu erzählen wissen. Schubert's Parodiren des »Erlkönig«, welchen er durch die Zähne eines Kammes sang, die Geschichte mit den zerrissenen Socken u.a.m. sind echt Schubert'sche drollige Einfälle.

16

Aus Josef von Spaun's Aufzeichnungen.

17

Bekanntlich mußte auch Beethoven den Vorwurf über sich ergehen lassen, ein Trinker zu sein und zwar in Folge einiger Ausnahmsfälle von der ihm sonst so eigenen Mäßigung, die (im Jahre 1826) durch fremde Veranlassung herbeigeführt wurden. (A. Schindler, Biografie Beethoven's, II. Th. S. 297.)

18

Wilhelm Chezy, der durch Ernst von Feuchtersleben in jene Tafelrunde eingeführt worden war, welche sich in dem Bogner'schen Kaffeehause zu versammeln pflegte und deren Mitglied auch Schubert war, spricht sich in den »Erinnerungen aus meinem Leben« (Bd. II. S. 292) darüber in folgender Weise aus: »Leider hatte sich Schubert mit seinen lebensdurstigen Neigungen zu jenen Abwegen verirrt, die gewöhnlich keine Rückkehr mehr gestatten, wenigstens keine gesunde; die Bekehrung ist nicht allemal gleichbedeutend mit Umkehr, besonders wenn einer nach dem Beispiele des bekannten alten Teufels sich zum Einsiedler macht. Doch auch zu solcher Bekehrung konnte Schubert nicht gelangen, da er schon in seinem dreiunddreißigsten Jahre starb. Er setzte einen gewissen ... soll ich sagen: Stolz? in die Unfälle, welche ihm auf wilden Wegen zugestoßen waren. Jedenfalls that er sich etwas darauf zugute. Die reizenden Müllerlieder hatte er unter ganz anderen Schmerzen gesetzt, als jene waren, die er im Munde des armen Mühlknappen mit der verschmähten Liebe durch seine Noten unsterblich machte. Auch dem Weine war er zugethan wie nur je ein Jünger der holdseligsten Kunst. Doch wenn das Blut der Rebe in ihm glühte, tobte er nicht etwa, sondern liebte es, in einen Winkel zurückgezogen, sich behaglich stiller Wuth zu überlassen, ein lächelnder Tyrann, der, wenn es anging, irgend etwas ohne Lärm verwüstete, z.B. Gläser, Teller, Tassen, wobei er zu schmunzeln und die Augen ganz klein zusammenzukneifen pflegte.« – Wenn er im Gasthause etwas »über die Taxe« getrunken hatte, pflegte er dem Kellner, sobald es zum Zahlen kam, verstohlen unter dem Tisch die Hand zu zeigen, der dann an der Zahl der vorgestreckten Finger die Zahl der vertilgten Seidel abzuzählen hatte. – Ein Freund Schubert's erwähnt auch gerne des sogenannten »vertrunkenen Quartetts«, eines Männerquartettes, welches, bevor es Schubert componirt hatte, auch schon »vertrunken« war. Der Wein spielte dabei unserm Franz übel mit. Er wohnte damals (1827) auf der Bastei.

19

So ist es auch Mozart ergangen. (S. Otto Jahn III. Band, S. 173 ff.)

20

Herr Lickl in Wien theilte mir über diesen Punkt (als Augenzeuge) ein frappantes Beispiel mit, wobei die Verleger eine nicht sehr erbauliche Rolle spielen.

21

Aus dem von Blahetka verfaßten Nekrolog in der Wiener Theater-Zeitung 1828.

22

So brachte er nach Vollendung, des ersten Theiles der »Winterreise« einige Zeit recht heiter in Graz zu und vollendete nach seiner Rückkehr den zweiten Theil derselben.

23

So sagt J. Mayrhofer (Erinnerungen an Franz Schubert): »Schon die Wahl der ›Winterreise‹ beweist, wie der Tonsetzer ernster geworden. Er war lange und schwer krank gewesen, er hatte niederschlagende Erfahrungen gemacht, dem Leben war die Rosenfarbe abgestreift; für ihn war der Winter eingetreten. Die Ironie des Dichters, in Trostlosigkeit wurzelnd, sagte ihm zu, ich wurde schmerzlich ergriffen.« – Spaun theilt in seinen Aufzeichnungen mit, Schubert habe die Vollendung der »Winterreise« den Freunden mit den Worten kundgegeben: »Ihr werdet den Grund meiner düsteren Stimmung bald erfahren, ich werde euch bei Schober schauerliche Lieder vorsingen, sie haben mich selbst angegriffen.« – Schober erklärt sich gegen jede derartige Ausschmückung, und auf Schubert's eigene Productionskraft hinweisend, behauptet er, der Tondichter habe eben in seiner kleinen Bibliothek, die ihm Schober eingerichtet hatte, Müller's Lieder vorgefunden, sich von denselben angezogen gefühlt und ste, so wie viele andere Gedichte, in seiner Weise musikalisch stimmungsvoll wiedergegeben.

24

Erschien abgedruckt in der Wiener Zeitschrift Jahrg. 1841, Nr 5.

Quelle:
Kreissle von Hellborn, Heinrich: Franz Schubert. Wien: Carl Gerold's Sohn, 1865, S. 465-484.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Grabbe, Christian Dietrich

Herzog Theodor von Gothland. Eine Tragödie in fünf Akten

Herzog Theodor von Gothland. Eine Tragödie in fünf Akten

Den Bruderstreit der Herzöge von Gothland weiß der afrikanische Anführer der finnischen Armee intrigant auszunutzen und stürzt Gothland in ein blutrünstiges, grausam detailreich geschildertes Massaker. Grabbe besucht noch das Gymnasium als er die Arbeit an der fiktiven, historisierenden Tragödie aufnimmt. Die Uraufführung erlebt der Autor nicht, sie findet erst 65 Jahre nach seinem Tode statt.

244 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon