Fünfundneunzigste Geschichte

[84] geschah: Mar Ukiwe hat einen Armen in seiner Nachbarschaft. Dem schickt er alle Jaumhakipurim (Versöhnungstag) vierhundert Gulden. Einstmal schickt er mit seinem Sohn dem Armen vierhundert Gulden. Un wie nun der Sohn wieder heim kam, da sprach er: »Lieber Vater, der Arme bedarf dein Geld nit, denn da ich in sein Haus bin gewesen, da hab ich gesehen, daß er niks anders trinkt, als eitel alten guten Wein.«[84]

Da sprach der Chossid (Fromme): »So hör ich wol mein lieber Sohn, daß der Arme ein großer Mefunek (empfindlich) is. ›Da seh ich wol, daß er viel mehr haben muß denn erst‹, un schickt ihm viel mehr als er ihm erst geschickt hat.« Wie nun der Chossid sterben sollt, so sprach er zu seinen Kindern: »Bringt mir mein Zdoke-Zettel her.« Da find man aufgeschrieben, daß er hat ausgegeben für Zdoke (Almosen) siebentausend Gulden. Da sprach der Chossid: »Wie einen weiten Weg hab ich zu wandern, un hab mir wenig Zehrung mitgenommen.« Er hat es so gemeint: er hat noch nit genug Zdoke geben. Da ging er hin un vermacht noch seinen halben Mammon weg zu Zdoke. Dernach sprach er: »Nun hab ich genugen mit auf Zehrung.«

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 84-85.
Lizenz:
Kategorien: