Hundertzweiunddreißigste Geschichte

[123] geschah, da Homon Mordche, das Pferd bracht un die guten Kleider. Da sagt Homon zu Mordche: »Komm her, un zieh die guten Kleider an, un setz dich auf das Pferd. Denn der König will es haben.« Da sagt Mordche: »Nein, ich will vorher mein Haar lassen abschneiden, denn es is nit der Seder (Sitte) daß man sollt mit langen Haaren vor den König gehn.« Dieweil ging Esther heimlich hin, un verbietet all den Scherern, daß keiner Mordechei soll scheren, denn Homon mußt Mordche selbst scheren. Da holt Homon ein Scher in seinem Haus un schert ihn. Un wie er nun so schert, da seufzt Homon gar sehr. Da frägt ihn Mordche, warum er so seufzt. Da sagt er wider: »Wie soll ich nit seufzen un traurig sein, wenn ich gedenk, wie ich so gar gewaltig hoch bin geachtet gewesen bei dem König, mehr als die andern Jauezim (Räte), un ich muß jetzunder ein Bart- un Judenscherer sein.« Da sprach Mordche wider ihn: »Ei du Rosche (Bösewicht) du bist doch wol zweiundzwanzig Jahr ein Bader gewesen in einem Dorf, das heißt Kizum, un wie stellst du dich jetzundert so gar hoch?« Wie er nun Mordche geschoren hat, da tät Homon Mordche die königlichen Kleider an. Dernach sprach Homon wider Mordche: »Steig auf das Pferd.« Da sagt Mordche: »Meine Bein sind mir gar schwach geworden vom vielen fasten, daß ich nit kann also hoch steigen.« So buckt sich Homon un Mordche stieg auf[123] Homon un dernach auf das Pferd, un reitet un spottet den Homon aus. Da sagt Haman wider Mordechei: »Warum spottest du meiner? Steht doch geschrieben: ›Wenn dein Feind fällt, so sollst du dich nit freuen‹ un du freuest dich meiner, weil ich so schofel (niedrig) bin geworden.« Da sagt Mordche wider Homon: »Du Rosche, weist du, wo der Posuk (Vers) steht? Bei einem Iisroel. Aber bei einem Rosche, wie du bist, steht geschrieben: ›Auf seine Höhe sollst du ihn treten.‹« Un wie sie nun reiten, da schrie Homon vor Mordche: »So soll man einen Mann ehren.« Un wie er nun vor Homon sein Haus reitet, da stund Homon seine Tochter auf der Stiegen un gedacht sich, der da reitet, das is gewiß mein Vater, den der König so ehrt. Un der neben dem Vater geht, das wird gewiß Mordche sein. Un lauft geschwind die Stieg hinauf. Un nahm einen Topf voll mit Unrat aus dem Bethhakisse (Abtritt) un warft es auf Homon, ihren Vater, denn sie meint es wär Mordche. Da sah Homon über sich. Da sah die Tochter, wie es ihr Vater is, da fiel sie von der Stieg herab un fiel den Hals in Stücken, un fiel zu tot.

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 123-124.
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