Zweihundertdreiunddreißigste Geschichte

[303] geschah an einem köstlichen Raw, der wohnt im Lande Uz. Der war ein sehr reicher Mann un konnte siebzig Sprachen. Nun der Mann hielt große Jeschiwe (Lehrhaus), un hat viel tapfere Bocherim (Schüler) Un auch zieht er von seinem Geld viel kleine Jungen auf um zu lernen. Un er hat allezeit hundert Bocherim auf seiner Jeschiwe. Auch hielt er eine arme Kippe (Verein) auf. Auch hat er immer viel arme Leut in seinem Haus aus un ein gehn. Mit einem Wort, der Raw war ein Chossid in allem mit allen guten Tugenden, die an einem Juden sein sollen. Aber dagegen hat der Raw gar ein böses Weib. Die konnt die Geschichten all nit wol leiden, un sah den Handel gar ungern. Un sie konnt nit wol leiden, wenn ein armer Mensch in ihr Haus ging. Nun, das Sprichwort geht: wenn das Seil zum strengsten is, so bricht es gern. Also geschah es dem Chossid auch. Denn er hebt an un ward gar arm, daß er den armen Leuten, dergleichen den Bocherim-Jungen konnt nimmer so viel Gutes tun, als er vor hat getan.[303] Da gedacht der Raw, bei Gott, was soll ich nun tun? Hab ich doch mein Tag viel um Gottes Willen getan, un hab manchem viel Gutes mein Tag getan, un jetzundert bin ich gar arm. Aber was soll ich tun? Ich will es gewilliglich von dem, dessen Name gelobt sei, annehmen. Denn der, dessen Name gelobt sei, der tut nix unrecht. Wer weiß, warum ich es versündigt hab. Un gedacht, was soll ich viel Geschrei draus machen, daß ich nix mehr hab. Denn man gefindet allezeit Leute, die es einem wol gönnen. Der Raw gedacht, ich will eines tun, un will besod (im geheimen) pleite machen (weggehn), daß niemand soll wissen, wo ich bin hinkommen. Un ging hin, un ruft seine tapfersten Bocherim zusammen, die er bei sich hat un sagt: »Liebe Bocherim, ihr wißt nun wol wie ich bis allhier große Treue an euch getan hab, mit Essen geben, mit Kleidern, mit Lernen. Nun will ich euch ein Sod (Geheimnis) vertrauen. Denn ich verhoff zu euch, ihr werdet an mir tan, gleich wie ich an euch getan hat.« Die Bocherim sprachen alle miteinander: »Lieber Rabbi, ihr sollt uns den Sod sagen, wir wollen zu euch stehn un halten, so lang wir von Gott unser Leben haben.« Der Raw hebt an un sagt seinen Bocherim, wie er muß pleite gehn, denn er weiß nit wie ihm war geschehen, daß er arm war geworden. So wollt er sie bitten, daß sie sollten mit ihm ziehn. »Ich hab noch etliche Gulden, die will ich mit euch verzehren. Wer weiß, der dessen Name gelobt sei, wird mir einmal geben, als dann sollt ihr es euer Leben lang bei mir genießen.« Die Bocherim sprachen: »Lieber Rabbi, was ihr von uns begehrt, das wollen wir tun. Un was wir an Geld un Kleidern haben, das wollen wir mit euch verzehren«. Also macht sich der Raw auf mit fünfzig Bocherim un ziehten hinweg un niemand in der ganzen Khille (Gemeinde) der ein Wort davon wußte, von seinem Wegziehn. Un wie nebbich die armen Leute solches gewahr waren, daß der Raw hinweg war gezogen, da derschraken sie gar sehr. Desgleichen die armen Kippe-Jungen. Un auch die Bocherim, die er noch bei seinem Weib gelassen hat. Nun, er zug mit seinen Bocherim hinweg. Un wo er hinkam tat man ihm großen Kowed (Ehre) an, gleich wie er wol wert war. Un es war niemand verwundert über seinem Wandern, denn sie meinten er zieht der Jeschiwe nach um zu lernen. Wie sie nun ein Jahr oder zwei waren im Land umgezogen, da hatten sie ihre Kleider zerrissen un hatten das Geld aus dem Beutel auch verzehrt als wie wol zu gedenken is. Un bedurften der Leute Gabe. Un waren ihrer wol fünfzig Neschomes (Seelen) beieinander. Un wo sie dernach hinkamen schluß man die Tür vor ihnen zu. Denn es wußt nit jedermann ihre Gelegenheit ob es Laufezim (Taugenichtse) oder Bocherim waren. Am Ende waren die Bocherim das Umziehn gar müd un sprachen zum Raw: »Lieber Rabbi, was wird daraus werden, wenn wir schon länger noch wollten herumziehn? So haben wir kein Geld un keine Kleider. Wir[304] können uns nit weiters behelfen. Un auch wo wir hinkommen, so schließt man die Tür vor uns zu, un man hält uns überall für Laufezim. Drum wollen wir wieder heimziehn zu unserem Vater un Mutter. Un auch werden wir alt, so wollen wir Weiber nehmen. Aber wir wollen nit sagen, wie es dir geht oder wo du bist.« Da das der gute Raw hört von seinen Bocherim, da besinnt er sich eine kleine Weile un sprach: »Ich kann euch anderes nit nachsagen als lauter Getreukeit, die ihr an mir bewiesen habt, darum bitt ich euch, bleibt noch ein vier oder fünf Tag bei mir, bis über Schabbes. Dernach will ich euch in Gottes Namen ziehen lassen. Vielleicht beschert uns der Heilige, gelobt sei er, eine Mezieh (Fund), dann könnten wir miteinander heimziehn.« Da sprachen die Bocherim: »Ja, lieber Rabbi, sind wir so lang bei euch geblieben, so wollen wir die Zeit auch noch bei euch bleiben.« So ziehten sie wieder fort un kamen an kleinen Bemcher (Bäumchen) vorbei. Da sagt der Raw wider seine Bocherim: »Geht ihr ein wenig vor, denn ich will meine Notdurft tun.« So gingen die Bocherim in eitel Lernen un pilpuln (disputieren) vor sich. Wie nun der Raw fertig war, da wollt er gern seine Hände waschen. So sah er dorten einen kleinen Brunnen stehn. Da nahm er Wasser un wäscht seine Hände. Da er nun wollt wieder fortgehn, da sah er dorten ein klein Wieselchen laufen, das tragt ein hübsch golden Fingerlein (Ring) in seinem Mund. Der Rabbi jagt dem Wieselchen nach, daß es das Fingerlein fallen ließ. Da hebt es der Raw auf. Da sah er wie das Fingerle nix wert war. Aber dernach sah er innewendig wie eppes altes drinnen geschrieben war. Dasselbige konnt er gar wol leinen (lesen). Da stund so geschrieben: »Ob ich schon bin schlecht an zu sehn, so kann man mich gleichwol nit bezahlen.« Der Raw war ein großer Chochom (Weiser) un gedacht sich, es muß ein besonder Natur an ihm haben. Un er trachtet alles was zu trachten war. Was mag doch das Fingerlein für ein Seguloh (Eigenschaft) an sich haben, daß es soviel wert is un nit zu bezahlen is. Da bedacht er sich wieder, vielleicht is es mit Kischew (Zauberei) gemacht, daß man mit dem Fingerlein wünschen kann, was ein Mensch begehrt. Ich wills einmal mit versuchen. Un hebt an sich zu wünschen, daß Gott geb, daß ich ein Beigürtel vor mir finden möcht. Ehe er das Wort recht ausgeredet hat, da sah er vor sich liegen einen Beigürtel mit Gold. Da war er wieder fröhlich. Un ging weiter zu seinen Bocherim un sagt: »Liebe Bocherim seid wolgemut, wir werden an einen Ort kommen, da hab ich einen Freund wohnen, der is ein sehr reicher Mann, der wird mir noch Geld leihen, denn er meint nit, daß ich so arm bin. Alsdann will ich euch alle miteinander kleiden un dann will ich euch wieder heimschicken«. Aber er wollt es doch seinen Talmidim (Schülern) nit sagen, daß er das Fingerlein gefunden hat, anders möchten sie es ihm genommen haben oder möchten ihn verraten haben, daß er darum[305] wär wieder gekommen. Also waren die Talmidim wieder froh, daß sie wieder Kleider sollten bekommen un fragten ihn weiter nix. Sie meinten nit anderst es wär so, wie ihnen der Raw vor hat gesagt. Also kamen sie in die Stadt. Also waren sie einen Tag drinnen, da hub der Raw wieder gleich an, un kleidet seine Bocherim in eitel köstlichen Samet un Seide. Un bekleidet sich selbert auch gleich wie er zuvor gegangen is. Also blieb er auch eine Woch oder zehn aus, un lernt gar ernstlich mit seinen Bocherim. Da tat man ihm alle Ehre an, wie er wol wert war, denn er kunnt alles was ein Talmidchochom (Schriftgelehrter) können soll. Da ging er in die Stadt un kauft sich einen schönen Kutschwagen, gleich als wie ein Fürst hätt drinnen sollen fahren. Un sprach: »Ihr lieben Bocherim, nun kommt her. Nun will ich euch alle bezahlen, was ihr mir auf dem Weg gelernt habt. Un nun wollen wir wieder heim.« Also meinten die Bocherim nit anderst, als daß ihm sein Verwandter, der in der Stadt wohnt, der hat ihm einige tausend Gulden gelehnt, gleichwie ihnen der Raw hat vor gesagt, damit daß er mit Kowed (Ehren) konnt wieder heim kommen. Denn sein Verwandter war gar ein reicher Mann. So ziehten sie wieder heim. Wo man erst die Türen hat vor ihnen zugeschlagen, da tät man ihnen nun großen Kowed an. Nun, derweil der Raw war außen gewesen, da waren die Leut nit fröhlich gewesen. Indem kam das Geschrei in die Khile, wie der Raw kam mit seinen Bocherim. Wer war fröhlicher als die armen Leut? Da er nun daheim war, so kam jedermann un begrüßte ihn. Denn niemand wußte, daß er von Dalles (Armut) wegen war weggezogen. Denn sie meinten alle, er wär dem Lernen nachgezogen. So hebt der Raw wieder seine alte Gewohnheit an mit Zdoke (Almosen) geben. Un hielt wieder seine Jeschiwe (Lehrhaus) offen, un zug wieder kleine Jungen auf um zu lernen. Als er nun ein Weile da gewesen war, so begab es sich einmal an einem Schabbes, da war allemal seine Gewohnheit, daß er sich vorher schlafen legt. Dernach sagt er seinen Bocherim Tausfaus (Lehrzusätze). Also hat er sich an einem Schabbes mit seinem Weib schlafen gelegt. Da fragt das Weib: »Mein lieber Mann, wo kommt dir doch soviel Geld her? Un vorher haben wir so großen Dalles gehabt, daß du bist weg gezugen.« Der Raw sprach: »Der, dessen Name gelobt sei, hat mir auf dem Weg eine Mezieh (Fund) beschert.« Das Weib wollt das nit glauben un drängte den Mann gleich wie der Weiber Art is, bis sich der gute Raw überreden ließ un sagt ihr den rechten Sod (Geheimnis). Da hat er nun nit recht getan. Denn der König Salomo hat gesagt, du sollst deinem Weib kein Geheimnis vertrauen, denn sie verraten einem, wie in Wahrheit dem guten Raw auch geschehen is, gleich wie ihr da hören werdet. Denn hätt er solches seinem Weib nit vertraut, so hätt er viel Übles nit gehabt. Un darum, daß er ihr den rechten Sod von dem Fingerlein hat verraten, un alles was er[306] sah damit wünscht, das geschieht gleich, darüber hat er große Schmerzen müssen leiden. Wie nun die böse Rebbezzin (Rabbinersfrau) solches hört da gedacht sie: »Hätt ich das Fingerlein, er sollt es all sein Lebtag nit wieder bekommen.« Un sie hätt es ihm gern abgetan. Aber das Fingerlein ging ihm nit ab, wenn er nit wollt. Da sprach sie: »Mein lieber Mann, gib mir doch das Fingerlein eine Weile un laß es mich doch sehn.« Aber der Raw kannt sie, was sie für eine böse Frau war un wollt es ihr nit geben. Da fing sie an zu schreien un sprach: »Ich seh du hast mich nit lieb derweil du mir das Fingerlein nit willst geben un getraust mir nit.« Un lag ihm so lang in den Ohren bis er mußt ihr das Fingerlein in ihre Hand geben: Wie sie nun das Fingerlein an hat, da tät sie den Kopf unter die Deck un wünscht, daß Gott gab, daß mein Mann ein Wederwolf wär un lief in den Wald unter die wilden Tiere. Wie sie das Wort hat noch nit recht ausgeredet, da sprang der gute Raw zum Fenster heraus un lauft in einen großen Wald, da man nennt den Pemerwald (Böhmerwald). Un hebt an, un freßt die Menschen, die in dem Wald waren. Un tät großen Schaden, daß kein Mensch alleinig durch den Wald darft gehn. Denn sie ferchten sich gar sehr vor dem Wolf, welches alle Menschen groß Wunder nahm. So macht sich der Wederwolf eine Wohnung in dem Wald, damit daß er seine Wohnung in dem Wald trocken hat. Un auch alle die Kohlenbrennders, die in dem Wald waren, die lauften alle heraus, denn sie ferchten sich vor dem Wolf. Nun wollen wir den Wolf lassen bleiben, un wollen schreiben, wie es einweil in seinem Haus zuging mit seinen Bocherim. Wie nun die Zeit war, daß der Raw sollt am Schabbes Tausfaus sagen, da sprach die Rebbezin (verflucht soll sie sein): »Der Rabbi kann jetzundert nit Tausfaus sagen, denn er is zur Zeit nit wolauf.« Also ließen sich die Bocherim überreden un gingen wieder weg. Den andern Morgen kamen sie wieder un wollten lernen. Da sagte sie wieder, »der Rabbi is wieder weg gezogen, aber er hat mir nit gesagt, wo er hin is. Aber ich denk, wenn wieder vier Jahre um werden sein, also wird er wieder kommen.« Un nahm sich an als ob ihr gar leid wär. Aber es war eitel Newelus (Gemeinheit) (verflucht soll sie sein) mit ihr. Nun, die armen Leut kamen vor die Tür, aber sie wollt keinen armen Menschen in ihr Haus lassen gehn. So hatten es die armen Leut gar übel un grämten sich um den Raw gar sehr. Nun war die Breken (Brake, Spürhündin) gar reich, daß man wol gedenken kann. Denn alles, was sie begehrt, das konnt sie sich wol wünschen. Un war gar reich, daß kein Schiur (Maß) un kein Erech (Schätzung) hat. Aber niemand konnt es wissen, wie die Sach gelegen war mit dem Raw, oder wo er so geschwind is hingekommen. Un es war auch keiner, der es konnt gewahr werden. Sonder allein ein jedermann meint, er wird wieder kommen, gleich wie er von zuvor getan hat. Nun wollen wir die böse Frau lassen bleiben un wollen wieder[307] schreiben, wie nebbich der gute Raw in jenem Wald herum läuft als ein Wederwolf, un tät großen Schaden mit Menschen zerreißen un auch an andern Tieren. Denn es ist kein stärkeres Tier unter den Tieren denn ein Wederwolf. Man schickt nach die Köhler un ließ fragen ob sie dem Wederwolf könnten beikommen. Aber sie sagten nein. Denn er is viel stärker als ein Löw. Un auch hätt er Menschenverstand. Wie nun der König solches hört, so ließ in dem Wald jagen. Aber er konnt den Wolf nit bekommen. Man macht überall Gruben, es wollt aber doch nix helfen. Nun war ein Kohlenbrenner in dem Wald, dem tät der Wolf nix. Sonder allein er hätt gute Kundschaft mit ihm. Un der Wolf war die meiste Zeit bei seiner Hütten. Aber sonst Menschen mußten den Wald meiden, denn sie ferchten sich alle vor dem Wolf. Nun ließ der König ein Gebot ausgehn, wer dem Wolf könnt zumeister kommen, es sei lebendig oder tot, dem will der König seine Tochter geben, un nach seinem Tod soll er das Königreich besitzen. Nun hat der König einen Rat, der hat noch keine Frau, war ein starker Held, der vielmal in dem Streit gewesen is. Der sprach: »Mein Herr König, wollt ihr eueren Worten nachkommen, so will ich mich unterstehn den Wolf um das Leben zu bringen. Denn ich weiß wol, daß ich oft im Krieg bin gewesen un großen Streit gehabt hab, un is mir mein Tag nit misglückt. Darum will ich es diesesmal auch versuchen.« Der König verheißt es ihm bei der Wahrheit. So nahm der Rat seine Keli (Waffe) un wappnet sich gar wol. Denn er vermeint gewißlich den Wolf um das Leben zu bringen. Un kam in den Wald zu dem Köhler, da der Wolf mit ihm bekannt war, un sprach: »Lieber Freund, weist mir doch, wo der Wolf seine Wohnung hat, oder wo er sich aufhält.« Da der Köhler sah, was der Rat an dem Wolf wollt machen, da derschrak er gar sehr. Denn er fercht sich, der Rat wird um sein Leben kommen, gleichwie ihm schier wär geschehen von dem Wehrwolf. Un der Köhler sagt wider den Rat: »Mein Herr, was tut ihr in diesem Wald? Wird der Wolf euer gewahr, so seid ihr um das Leben, un wenn ihr noch so hoch wärt.« Der Rat sprach: »Gleichwol, weis du mir ihn, denn ich bin darum hergekommen, daß ich mich will unterstehn den Wolf um das Leben zu bringen.« Der Köhler sprach: »Ich bitt euch mein Herr, laßt es bleiben, denn ihr seid um euer Leben.« Der Rat sagt: »Flugs, macht es nit lang, denn es muß doch sein.« Also sprach der Köhler: »Das muß sich Gott derbarmen.« Un ging mit dem Rat, wo der Wolf seinen Gang hat. Nun, der Rat nahm sein Büks un sein Spieß in seine Hand un ging zum Wolf. Un er meint der Wolf wird ihm begegnen, so wollt er ihn gleich derschießen. Wie nun der Wolf merkt, als daß man ihm nach seinem Leben stund, da sprang er auf eine Seite un sprang dem Rat an seinen Hals. Un warft ihn nieder zu der Erden un wollt ihn töten.[308] Sobald der Köhler das sah, da jagt er den Wolf von dem Rat wieder weg. Nun wollt ihn der Rat nit ablassen un wollt sich wieder an den Wolf machen. Aber der Köhler wehrt ihm. Aber zum drittenmal macht er sich wieder an den Wolf. Da war der Wolf gar zornig un wollt ihn zureißen. Da bat der Rat den Heiligen, gelobt sei er, er sollt ihm von dem Wolf helfen, er wollt sich nit mehr an ihn machen. Nun, der Wolf ließ ihn wieder auf, un hebt an un schmeichelt den Rat mit dem Schwanz, gleich alswie ein Mensch, der dem anderen Liebkosung treibt, un wollt nit von ihm weichen. Un ging als neben dem Rat gleich wie ein Hund, der dem Herrn vor lauft. Der Rat wär gern seiner poter (los) gewesen, denn er ferchtet sich vor ihm. Aber der Wolf lauft als neben ihm. Da tät der Rat seinen Gürtel aus un führt den Wolf neben sich mit dem Gürtel. Un der Wolf war sein Geleitmann im Wald, wenn schon ein anderes Tier kam un wollt dem Rat eppes tun, da tötete es der Wolf. Un wenn er einen Hasen oder einen Fuchs sah, da fing sie der Wolf un bracht sie dem Rat. Lesof (zum Schluß) bracht der Rat den Wolf in die Stadt vor den König. Der König mit seinen Räten derschraken gar sehr. Denn sie forchten sich sehr vor dem Wolf, denn sie haben soviel Geschichten hören sagen wie er so viel Leut hat umgebracht. Un sagt wider den Rat er soll ihm den Wolf hinwegtun. Der Rat sagt: »Mein Herr, ihr braucht euch nix zu ferchten. Er wird keinem ein Leid tan, der ihm nix tut. Dafür will ich meinen Kopf zu Pfand setzen, sondern er hat mir viel Tiere gefangen.« Also behielt der Rat den Wolf bei sich un hielt ihn gar wol. Denn der Rat. hat gesagt wie der Wolf Rachmones (Mitleid) über ihn gehabt hat, un hat ihm sein Leben erhalten, wiewol er recht hat gehabt, wenn der Wolf ihm sein Leben hätt genommen, denn er hat sich dreimal an ihn gemacht un hat ihn wollen um sein Leben bringen. Derhalben hielt der Rat den Wolf gar wol mit Essen un Trinken, das beste un nit das argste. Un wenn der Rat auf das Gejäg (Jagd) zieht, so nahm er den Wolf alle Zeit mit. Un wenn er nument ein Tier sah, da fängt sie der Wolf un bracht sie dem Rat. Nun hat der König verheißen, daß derjenige, welcher den Wolf lebendig oder tot bringt, dem will er seine Tochter geben. Das hat nun der Rat redlich verdient. Un der König hielt es auch un gab dem Rat seine Tochter un seinen halben Mammon derzu. Lesof kam der alte König zu sterben, also war der Rat zu einem jungen König gemacht un bekam das ganze Land. Un er hielt als den Wolf bei sich, denn er wollt ihn nit verlassen derweil er lebt. Denn er hat ihn beim Leben behalten un hat ihn derzu gemacht, daß er das Königreich hat bekommen. Darum hielt er ihn wol gleich wie billig war, derweil er lebt. Einmal begab es sich, daß an einem Winter ein großer Schnee lag., Un der junge König reiste aus zum Jagen un nahm seinen Wolf mit. Sobald der Wolf heraus kam, hub er an zu wedeln mit seinem Schwanz un lauft als[309] vor hin, wo er eppes ausspüren konnt. Nun es begab sich, daß der König dem Wolf nach reitet. Da sah er von weitem wie der Wolf eppes mit den Pfoten in den Schnee grabt. Nun, der König kam dabei, un sah wie eine Schrift war geschrieben auf dem Schnee. Wie nun der König die Schrift sah, da verwundert er sich gar sehr un sagt: »Das muß wunderlich sein, daß der Wolf schreiben kann. Vielleicht is er verflucht worden, un is ein Mensch gewesen, wie wol mehr solche Sachen geschehen is«. So konnt man das Schreiben nit leinen (lesen). Da schickt der König alle Doktores, aber es konnt es niemand lesen. Da war ein Rat derbei der konnt Loschen hakaudesch (heilige Sprache, hebräisch) der sagt: »Mein Herr König, das is die Schrift von den Juden.« Un hebt an zu leinen, un es stund so: »Lieber König, du sollst gedenken an die Freundschaft un Gutes, das ich dir getan hab, da du in den Wald bist gekommen in meine Wohnung. Da hätt ich dich können zureißen, denn ich hab dich dreimal unter mir gehabt. Wie wol als ich recht hab gehabt, noch gleich hab ich deiner geschont un hab dir zu deinem Königreich geholfen. Nun hab ich ein Weib in einer Stadt, die heißt, so gleich wie er sie nennt. Die hat mich verflucht. Un wenn ich das Fingerl nit bekomm, so muß ich mein Leben lang so ein Wolf sein. Aber so ich das Fingerl wieder bekomm, so bin ich wieder ein Mensch, gleich wie ein anderer. Derhalben gedenk an die große Treue, die ich dir bewiesen hab. Un reit in die selbige Stadt un bring mir das Fingerlein von meinem Weib zu Freundschaft. Wo nicht, so will ich dich wieder um dein Leben bringen.« Un gab ihm ein Zeichen wie das Fingerl aussehen sollt. Solches stund alles auf dem Schnee geschrieben. Wie der König solches hat vernommen, da sprach er: »Dem will ich wieder helfen als sollt ich meinen Leib darüber verlieren.« Un hebt an un macht sich auf mit drei Dienern, un reitet nach der Stadt gleich wie sie genannt war, daß dem Rabbi sein Weib dort wohnt. Un nahm sich an un wollt schöne Fingerlich kaufen un altfränkische Dinge. Es sollt ihm nit zu teuer sein. Also schickt er nach Jehudim, ob sie eppes altfränkisch Gold haben oder Fingerlich oder sonst Edelgestein. Da sagten die Juden: »Wir sind arme Leut, aber es is eine Frau hie in der Stadt, die hat gar schöne allerlei Fingerlich un sonst Edelgestein.« Also bat er die Juden, man sollt ihn doch zu derselbigen Frau bringen. Also führt man den König zu der Frauen. Aber man wußt nit, daß er ein König war. Neiert man meint, er wär ein Kaufmann. Wie er nun bei der Frauen war, da sprach der König: »Hört, ihr gute Frau, man hat mir gesagt, ihr habt alt seltsam Gold un alte golden Fingerlich, es sei mit alten Edelgestein oder sonder Edelgestein oder sonst altfränkische Arbeit. So sie mir gefallen, so will ich es euch gar wol bezahlen.« Un zug aus seiner Taschen viel schöne Fingerlich un sagt, er hätt es nun auf dem Weg gekauft. Die Frau sprach: »Ich will es dem Herrn[310] wol weisen, was ich für altes Gold hab.« Un ging in ihre Kammer un bracht; ihm viel schöne Tachschitim (Kleinodien), welches er sein Tag nit schöner hat gesehen, daß sich der König gar sehr verwundert, daß man bei einem Juden sollt so hübsch Gezeug finden. Indem sah der König eine Schnur mit Fingerlich, wo das golden Fingerlein dran hängt, welches der Wolf geschrieben hat. Da gedacht der König, wie bekomme ich das Fingerl? Un nahm die Fingerlich in die Hand un gedacht: »Wollte Gott, daß mein Wolf das Fingerl schon hätt.« Un er spricht wider die Frauen: »Wie wollt ihr mir die Fingerlich geben?« Aber er weist nit auf das Fingerl. Da sprach sie, um so viel hundert Gulden. Mein guter König macht mit ihr den Kauf um die zwei Fingerlich un ganewt (stiehlt) das eine Fingerl derbei, das die Frau nit gewahr war. Un bezahlt ihr un nahm Abschied un zug heimzu. Un wie er nun schon derheim war, da mangelt die Frau das Fingerl. Aber sie durft sich nix annehmen, denn sie kennt den Kaufmann nit wer er war. Da war sie sich sehr mezaar (grämte sie sich sehr) gleich wie eine Almone (Witwe) un trauert gar sehr aber niemand wußte was zu sagen. Un wie der König heim kam, da macht er eine große Sude (Mahlzeit) un breiet (ladet) alle Fürsten des Landes. Un wie er nun mitten über dem Tisch saß, un sehr lustig war, so ließ er den Wolf auch holen. Da nun der Wolf kam, da schmeichelt er mit seinem Schwanz vor großer Simche (Freude), denn er wußt, daß der König war um das Fingerl hinweg gezogen. Aber doch wußt er nit, ob er das Fingerl hat mitgebracht. Also küßt der Wolf den König un streichelt den König. Wie nun der König sah, daß ihm der Wolf so große Liebkosung treibt, da kriegt er das Fingerl aus seinem Sack un wies es dem Wolf. Sollt aber der König gewußt haben, daß das Fingerl die Tugend an sich hätt, so hätt ihn der König vielleicht nit gegeben. So nahm der König das Fingerlein un tät es dem Wolf an eine Pfot. Da stund ein nackediger Mann vor ihnen. Wie der König das sah, da warf er bald seine gute Schaub über ihn. Da derschracken alle Fürsten des Königreiches. Da sagt der König: »Derschreckt nit. Der Mann, der da steht, das is der Wolf gewesen.« Dernach sprang er vor großer Simche un sprach wider den König: »Lieber König, ich bitt dich, du wollest mir nun Reschuss (Erlaubnis) geben, daß ich möcht wieder heim ziehn, denn ich bin wol in drei oder vier Jahren nit derheim gewesen. Derhalben bitt ich um Reschuss.« Da sprach der König: »Mein lieber Freund, wenn du willst, so magst du heimziehn. Wenn aber dein Gelegenheit wär, daß du willst bei mir bleiben, so bleib dein Leben lang bei mir an meinem Tisch. Denn ich kann dir mein Leben lang die Tauwes (Guttaten) nit bezahlen, die du mir getan hast.« So zug der Raw wieder heim. Nun, der König wollt ihm viel schenken. Da sprach der Rabbi: »Mein Herr König, du hast wol gesehen, daß ich Geld genug derheim hab, derhalben bedarf ich dein[311] Geld nit. Sonder allein du hast mir Gutes getan, daß du mir das Fingerl hast zuwegen gebracht. Denn wenn ich das Fingerl nit hätt bekommen, so hätt ich müssen all meine Tag ein Wederwolf sein.« Aber hätt der König den Sod (Geheimnis) von dem Fingerl sollen wissen, so hätt er ihm es nit so bald gegeben. Denn wiewol der König viel Kleinodien hat gehabt, so hat ihm keines so gedient, als das Fingerl is gewest. Denn es is nit zu bezahlen gewesen. So nahm er eine Zehrung mit auf den Weg un zug fort. Un wie es nun auf dem Weg war, so sammelt er wieder fünfzig Bocherim bei sich un er kleidet sie wieder in schwarzen Samet. Un kam wieder in seine Stadt. Wie er nun vor seine Stadt kam, so wünscht er: »Ich wollte Gott, daß mein Weib (verflucht sei sie) eine Eselin wär, un stund im Stall un eßt mit den andern Tieren aus der Krippen.« Indem kam das Geschrei, wie der Raw wieder kam un bracht funfzig tapfere Bocherim mit sich, un alle in schwarzen Samet gekleidet. Da ging ihm kol hakahal (die ganze Gemeinde) entgegen un empfangen ihn gar köstlich. Sie hätten ihn gern gefragt, wo er so lang war gewesen. Aber der Rabbi sprach: »Wollt ihr mir wol tun, so frägt mich nix un ich sag euch auch nix, wo ich die Zeit lang bin gewesen.« Nun, der Rabbi nahm sich nix an von seinem Weib, wiewol er wußt, daß sie im Stall stund. Da fragt er sein Gesind: »Wo is mein Weib, daß sie nit da is? Vielleicht wird sie nit sehen können, daß ich fünfzig Bocherim wieder hab mit gebracht.« Da sagt das Gesind: »Lieber Rabbi, wenn ihr nit derschrecken wollt, so wollen wir es euch sagen.« Der Rabbi sprach: »Ich will nit derschrecken.« Da hebt das Gesind an: »Lieber Rabbi, wie wir haben gehört, daß ihr wieder kommt, da sind wir gelaufen zu euerem Weib un haben ihr wollen das Botenbrod sagen. So is sie verloren worden bis zu der Zeit zu. Wir wissen aber nit wie es mit ihr zugegangen is.« Der Rabbi der derschrack nit sehr um sie, un nahm sich doch nix an, un sprach: »Ich denk, wenn sie so lang außen wird bleiben, wie ich bin gewesen, so wird sie auch wieder kommen.« Un hebt wieder an seinen alten Seder (Gewohnheit) mit den armen Leuten Zdoke (Almosen) zu geben un Jeschiwe aufzuhalten mit Lernen un mit Gutestun. Da war nun jedermann wieder fröhlich. Wie er nun wieder einweil hat hausgehalten, da macht er eine köstliche Sude (Mahlzeit) un breiet (ladet) die ganze Stadt. Un wie er nun wolgemut war, sprach er: »Weil der, dessen Name gelobt sei, mir wieder heim geholfen hat, so hab ich ein Neder (Gelübde) getan, daß ich will eine schöne Schul bauen. Un all die Steine, die ich bedarf derzu, soll mir die Eselin all derzu führen.« Dasselbige war sein Weib. Aber die andern Leut wußten es nit, daß er sie verflucht hat zu einer Eselin. Die Leut sagten: »Lieber Rabbi, unser Herrgott der stärke euch, daß ihr es bald vollbringen sollt mit Frieden un gesundem Herzen.« Nun hat sich die Eselin derweil gemästet un war gar dick.[312] Un auch war sie ohne Scham vor Jedermann gleich wie ein Vieh, das keine Scheu hat. Da nun der Rabbi anhub mit ihr Steine zu führen, da hebt sie an, un ward gar mager. Un wenn der Rabbi sah, daß sie nit wollt fortgehn, da gab er ihr einen Tritt in ihre Seite un sprach: »Ei du verrecken, wie hast du mir so weh getan, daß dich der Schlag soll schlagen.« So arbeitet er die Eselin gar sehr ab, daß sie gar mager ward. Un stund es nun lange Zeit an, daß kein Mensch mehr wußt, wo dem Rabbi sein Weib war hingekommen. Wie er nun die Schul hat ausgebaut, da macht der Rabbi wieder eine große Sude un breiet all des Weibs Freund. Un wie die nun schier truncken waren, da hebt der Rabbi an, un sagt die Geschichte vor den Freunden, wie sie ihm so weh getan hat. Un der, dessen Name gelobt sei, hat ihm wieder geholfen, daß er wieder gesund is geworden. »Also hab ich sie verflucht zu einer Eselin un mußt all ihr Tag so bleiben.« Wie nun die Verwandten solches hörten, da derschracken sie gar sehr, denn sie war ihnen sehr leid. Doch baten sie den Rabbi, er soll ihr dasmal verzeihen, sie werd es nimmer tun. Aber er wollt ihr nimmer getrauen. Nit lang dernach stirbt der Rabbi un ließ seinen Kindern einen großen Reichtum. Un das Fingerl verschwindet, wieder. Un das Weib mußt so lang als sie lebt eine Eselin bleiben. Drauf hat König Salomo gesagt, man soll ein Sod (Geheimnis) nicht einem Weib vertrauen. Hätt er auch nit seinem Weib das Geheimnis mit dem Fingerl vertraut, so wär er nit in die Zore (Unglück) gekommen, daß er hätt müssen in dem Wald umlaufen. Aber er bezahlt sie wieder gar wol. Das heißt, mancher grabt eine Grub für einen andern un dernach fällt er selber drein.

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 303-313.
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