Die beiden Schwestern

[122] Zwei Schwestern hatten zwei Brüder geheiratet; beide Ehepaare hatten die Gewohnheit, ihre Mahlzeiten zusammen abzuhalten, obwohl sie jedes für sich wohnten.

Eines Morgens, als die beiden Brüder ihre Weinberge bestellten, schritt ein Fremder durchs Dorf. Der war durstig, so blieb er denn stehen, um in ein Haus zu treten. Es war aber das der jüngeren Schwester.

»Wollet mir ein Glas Wasser geben,« hub er an, »ich bin ganz erhitzt.«

»Ruht Euch etwas aus. Will Euch frischen Wein vorsetzen.«

Der Fremdling aber bedankte sich und trank zwei oder auch drei Gläser Weins, ohne sich zu einer Unterhaltung mit dem jungen Weibe zu bequemen.

»Meiner Treu,« sagte er plötzlich, »ich hab' eine Bitte an Euch. Ihr seid wohl das hübscheste Weibchen, das ich auf meiner Wanderschaft gesehen habe. Mehr denn ein Monat ist verstrichen, seit ich bei einer Frau gelegen habe. Ich möchte gern bei Euch schlafen.«

»Was redet Ihr da, Fremdling? Ich bin verheiratet!«[123]

»Ein Grund mehr. Euer Gatte ist nicht da. Er wird nichts davon erfahren, auch hat er darum ja nichts zu entbehren.«

»Doch hieße das schlecht handeln!«

»Im Gegenteil. Ihr seid nicht reich; ich habe einen gut gespickten Geldbeutel. Biete Euch zwanzig Goldstücke, die Euch zu statten kommen werden. Ihr könntet meinen Vorschlag wohl annehmen.«

Der Mann sprach vernünftig. Das junge Weib legte sich zu dem Unbekannten, welcher eine Stunde lang Gutlebe hielt; er schenkte ihr dann zwanzig Medjidiehs und ging seines Wegs.

Als er fort war, lief das Weibchen Einkäufe machen und rüstete dann ein wahres Hochzeitsmahl.

Gegen Mittag langten die beiden Brüder an, denen bald die ältere Schwester folgte.

»Was geht hier vor?« schrien die Bauern.

»Gleich sollt ihr's erfahren. Laßt uns essen und trinken!«

Nachdem das Essen vertilgt war, stellte das Weib den Rakhi auf den Tisch und legte neunzehn Goldstücke und etliches Kleingeld daneben. Noch nie hatte man soviel Geld gesehn.

»Nun aber schnell, sage uns, wo hast du solches Glück gehabt?«

»Das ist ganz einfach. Ein Fremdling, gut sah er aus, trat ins Haus ein und bat mich um einen Trunk. Ich hab' ihm Wein vorgesetzt. Er fand mich nach seinem[124] Geschmack und bot mir zwanzig Medjidiehs, um bei mir zu liegen. Mußte ich sie nicht nehmen?«

»Natürlich,« sagten die beiden Brüder wie aus einem Munde.

»Das hab' ich getan. Und nun sind die zwanzig Goldstücke mein!«

Ihr Schwager wendete sich wütend gegen ihre ältere Schwester:

»Hurentochter,« schrie er, »welcher Teufel ritt mich, solch Weib zu heiraten? Dir wird man nimmer zwanzig Medjidiehs geben, um deinen alten Garten zu bepflanzen!«

»Das ist nicht meine Schuld,« sagte das Weib bitterlich weinend. »Der Pfarrer und der Lehrer liegen zweimal in der Woche bei mir, und die Lumpen geben mir niemals auch nur einen Pfennig!«

Quelle:
[Hansmann, Paul] (Hg.): Schwänke vom Bosporus. Berlin: Hyperionverlag, [1918], S. 122-125.
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