Ein schwieriges Urteil.

[63] Zwei Frauen hatten eines Nachts in demselben Bette geschlafen und im Dunkeln Kinder zur Welt gebracht.

Als sie morgens aufwachten, fanden sie zwei Kinder vor, ein Mädchen und einen Knaben, jedoch wusste keine, welches Kind das ihrige sei. So gerieten sie, als sie aufgestanden waren, in Streit.

Die Leute fragten sie: »Warum streitet Ihr beide denn mit einander?« Die eine antwortete: »Wir streiten[63] uns der Kinder wegen, meine Freundin will den Knaben haben und mir das Mädchen überlassen; das ist der Grund unseres Streites.«

Sie begaben sich zum Richter. Dieser fragte: »Nun, was bringt Ihr?« Sie erwiderten beide: »Wir haben beide zu gleicher Zeit geboren, keine von uns weiss, welches ihr Kind ist; meine Freundin beansprucht den Knaben für sich und will mir das Mädchen lassen, und ich will auch den Knaben und ihr das Mädchen überlassen.«

Darob war der Richter ganz ratlos, und da er kein Urteil fällen konnte, sprach er: »Derjenige, welcher den Streit dieser beiden Frauen schlichten wird, soll Richter an meiner Stelle werden«.

Da trat ein Mann hervor und sprach: »Das Urteil ist leicht zu fällen; jede der Frauen zeige ihren Busen; die, welche einen vollen Busen hat, ist die Mutter des Mädchens und die, deren Busen leicht ist, ist die Mutter des Jungen.«

Genug – der Richter sprach: »Wie kommt es, dass Du dies weisst? Ich merke, Du hast einen geraden Verstand.« Der Mann erwiderte dem Richter: »Ich habe in meinem Leben keinen Fisch gegessen, nur ein einziges Mal, und zwar in Fett gebraten, auf diese Weise hat sich mein Verstand im Kopfe rein erhalten.«1

1

Wer nach Ansicht der Araber und auch Suaheli viel Fisch isst, dessen Verstand nimmt ab.

Quelle:
Velten, C[arl]: Märchen und Erzählungen der Suaheli. Stuttgart/Berlin: W. Spemann, 1898, S. 63-64.
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